Kripp, Geburtsstätte der finnischen Sauna in Deutschland

Josef Hoss

„Bei uns in Deutschland“, so heißt es in einem Gutachten des Jahres 1941 von Dr. med. Misgeld (Köln), „gewinnt die finnische Sauna immer mehr an Boden und Beliebtheit.“ Davon zeugen die zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Zeit, die in Wort und Schrift ihre Vorzüge dartun. Die Durchführung des Saunagedankens wächst von Tag zu Tag, immer stärker wird der Wunsch verantwortungsbewußter Kreise, einmal eine mustergültige Sauna zu sehen und die Wirkung eines solchen Bades am eigenen Leibe zu erproben.

Eine solche Mustersauna kann man in Bad Kripp sehen und erleben. Durch ihren Leiter, Dr. med. Hermann Karsten, ist dieses erste deutsche Saunabad seit nunmehr vier Jahren Sommer und Winter hindurch in Betrieb. Da .Dr. Karsten viele Hunderte von Saunabädern selbst geleitet hat, darf er als einer der ersten Sachkenner auf diesem Gebiet gelten. Als solcher ist er wiederholt in der Fachpresse sowie in Vorträgen vor der Ärzteschaft und vor der Öffentlichkeit für die baldige Einführung des Saunabades eingetreten und im besonderen als Vorkämpfer der sogenannten Heilsauna bekannt geworden.

In den interessierten Kreisen, die sich zum Bau einer Sauna entschlossen haben, findet die von Dr. Karsten entwickelte bauliche Ausgestaltung sowohl der Gesamtanlage wie auch die vorgeschlagene Form der Heizöfen allgemein die größte Beachtung. Es ist zu wünschen, daß der verheißungsvolle Anfang des Bauens von vorschriftsmäßigen Sauna-Anlagen zur Abhärtung gegen Krankheiten und zur Hebung der Leistungsfähigkeit baldigst weitergeführt wird.“

Inzwischen sind mehr als drei Jahrzehnte ins Land gegangen, der Saunapionier Dr. Karsten konnte seinen 75. Geburtstag begehen, und in keinem Land Europas hat sich die Sauna in den letzten 40 Jahren so schnell und so weit verbreiten können wie in der Bundesrepublik. Es stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung nur eine Sache der Mode gewesen ist. Dazu Dr. Karsten in einem seiner Vorträge des Jahres 1975, die er nicht zuletzt deshalb hielt, um — gerade weil die Saunabäder heute wie Pilze aus der Erde schießen — eingeschlichene gesundheitliche Fehlerquellen zu erkennen und auszuschalten: „Am Anfang der Entwicklung der Sauna stand einzig und allein der Gedanke der Gesundheitsfürsorge und Heilung. Die Heißluftkabine der römisch-irischen Bäder in Düsseldorf brachte mich auf den Gedanken der finnischen Sauna, und ich beschaffte mir danach durch den finnischen Konsul Wuppermann Unterlagen über den Saunabau. Im Keller meiner Praxis richtete ich mit Hilfe eines Waschküchenofens eine Kleinstsauna ein, die schon gut arbeitete.

Da las ich 1936, daß die Finnen ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen in Berlin von der Einrichtung einer Sauna abhängig machten. Ein hübsches Holzhaus am See war zu sehen. Dennoch war es eine Enttäuschung, besonders für den berühmten Olympiakämpfer Nurmi. Das war keine Sauna, tadelte er. Heiße Tropfen hingen an den Wänden. Die echt finnische Sauna zur Stärkung der Leistungshochform muß aber trockene Hitze haben.

Diese Kritik leuchtete mir ein, und ich richtete 1937 die erste echt finnische, ärztlich geleitete Sauna mit trockener Heißluft im Park meines damals neugegründeten Sanatoriums in Bad Kripp als öffentliche Sauna ein.“

Der Schreiber dieser Zeilen war als gebürtiger Kripper einer der ersten „Saunisten“ in „Saunabadien“, wie man scherzhafterweise heute noch sagt, und er kennt aus eigenem Erleben die deutsche „Ursauna“ in Kripp: Eisenofen und mit Holz geheizt, Eisenkugeln für den Aufguß, Birkenreiser wie in Finnland l

Auch Lehrgeld mußte man zahlen. Zweimal brannte die Sauna ab, weil die Wirkung ider Hitzeausstrahlung nicht richtig berechnet war. Da Dr. Karsten zunächst keine Granitsteine erhalten konnte, fand er schließlich, daß der Ziegelstein N 3 hitze- und kältebeständig war, während Kieselsteine aus dem Rhein platzten.

Er machte bald die Erfahrung bei seinen Patienten, daß die Sauna nicht nur als Vor-beugungs- und Abhärtungsmittel, sondern auch zunehmend als medizinisch wirksames Heilmittel in die Therapie eingereiht werden konnte. Die Sauna als „trockenes Heißluftbad mit kurzen Dampfstößen und Wechselreizwirkung von Wasser- und Luftbad“ wurden unentbehrlich. Zweimal wöchentlich war Saunabaden, zunehmend auch für Rheuma, Ischias, Hexenschuß, Kreislauf und Drüsenstörungen.

Der damals bekannte Bonner Internist Prof. . Martini ließ sich bei einem Besuch in Kripp überzeugen, daß eine Temperatur von über 60 bis 100 Grad Celsius als trockene Hitze ohne weiteres verträglich ist und entlastend auf die Herztätigkeit wirkt. Denn erst bei hoher, trockener Hitze verbrennen Giftstoffe und werden mittels der Schweißdrusen ausgeschieden. Nach der nun folgenden Wechselreizwirkung von kaltem Wasser und frischer Luft — man kann sich dabei nicht erkälten! — fühlt man sich wie neu geboren. Der Finne sagt mit Recht: „In der Sauna verraucht der Zorn, und die Galle trocknet ein.“

Bald kamen an Dr. Karsten von allen möglichen Stellen aus der Industrie, der Wirtschaft und von Städten Anfragen und Bitten um Beratung zur Einrichtung und Badeanleitung derSauna. Besonders begeistert ‚ von derSauna besuchte Dr. Karsten damals mehrfachProf. Heinkel von den Flugzeugwerken in Lübeck-Travemünde. Er bat ihn um Ausarbeitung von Plänen für Großsauna-Anlagen und Gesundheitsstadien. Damals wurden in Kripp auch schon besondere . Saunameister für diese Anlagen ausgebildet. Leider wurde eine der Anlagen kurz nach der Einweihung durch Bomben zerstört, und etwas Ähnliches geschah mit einer auf Anregung von Dr. Karsten entstandenen Großsauna-Anlage in Berlin.

Die Probleme waren zahlreicher, als Dr. Karsten im Rahmen seiner Sanatoriumsarbeit bewältigen konnte. Zur Belehrung der Saunameisterschüler entwickelte er vier verschiedene Heizungsmöglichkeiten in je einer Saunaeinrichtung: Holz, Kohle, Gas und Elektrizität. Mit Architekt Stang (Düsseldorf) und Gewerbeschuldirektor Müller (Hattingen) zusammen wurden Pläne für Sauna-Anlagen aller Art, sogar für eine fahrbare Sauna erstellt.

Der Saunagedanke war mittlerweile so verbreitet, daß er auch in den Nachkriegsjahren weitere Freunde fand. Dr. Karsten kam daher einem allgemeinen Saunabedürfnis entgegen, als er nun zur Verwirklichung des echten, gesundheitlich wirksamen Saunagedankens die Initiative ergriff und eine Saunameisterschule errichtete. Es schien ihm nun auch an der Zeit, eine Vereinigung von Förderern des echten Saunagedankens ins Leben zu rufen. So gründete er im April 1948 den Deutschen Saunabund, dessen Vorsitz ihm übertragen wurde.

„Ich erinnere mich mit großer Freude an die damaligen Saunameister – Lehrgänge in Kripp“, sagt Dr. Karsten. „Hunderte von Ärzten, Schwestern, Masseuren, Bademeistern usw. wurden von mir unter Assistenz meiner Frau unterrichtet und geprüft. Wir reisten durch das Bundesgebiet zur Prüfung und Verleihung des sog. Gütezeichens des Deutschen Saunabundes.“

Auch Erich Deuser, Betreuer der FuBball-Nationalelf und „Mann mit den goldenen Händen“, nahm seinen Start in der Saunameisterschule in Kripp. Die Gesundheitsbehörden wurden zunehmend interessiert.

Remagen-Kripp
Luftaufnahme, freigegeben Nr. 05127, Bez.Reg. Rheinhessen

Die Hochschule für Leibeserziehung unter Leitung von Prof. Diehm (Köln) entsandte regelmäßig Studierende, die hier über die echt finnische Sauna und ihre sportlichgesundheitliche Bedeutung unterwiesen wurden.

Im Juni 1948 erschien auf Veranlassung von Dr. Karsten, für den Deutschen Saunabund die Zeitschrift „Die Sauna“ und im gleichen Jahr das Buch „Die Sauna, 12 Jahre medizinische und technische Erfahrungen“. In der Bundesrepublik gab es bald so viele Saunabetriebe, gute und auch unvorschriftsmäßige, daß es an der Zeit war, zur Ausbildung von Saunameistern weitere entsprechende Schulen zu gründen. So entstanden bald im Bundesgebiet mehrere Saunameisterschulen.

Wegen beruflicher Überbeanspruchung in seinem Sanatorium und der Entwicklung neuer Pläne für die Gesundheitsvorsorge übergab Dr. Karsten 1950 den Vorsitz an seinen Saunameister-Schüler Dr. med. Schle-vogt. Später übernahm dann Dr. Fritzsche den Vorsitz.

Die Sauna ist heute in der Bundesrepublik bis ins kleinste Dorf verbreitet. So konnte in den letzten Jahren überall in der Bundesrepublik geerntet werden, was Dr. Karsten in den schweren Kriegs- und Nachkriegsjahren mitgesät hat und was in Kripp seinen Anfang nahm.

Schon vor nun 40 Jahren sagte Dr. Karsten der Sauna eine große Zukunft voraus. Doch blickt er heute mit Besorgnis auf diese Entwicklung, damit sie nicht abgleitet in den nur kosmetischen oder modischen Zweck. Es gilt für den Saunapionier Dr. Karsten heute, wo bereits 2,5 Millionen Bundesbürger saunabaden und wo der Siegeslauf der Sauna in der Bundesrepublik nicht mehr aufzuhalten ist, in unserer umweltfeindlichen Zeit doppelt, die Sauna als einen zünftigen, der einfachen gesundheitsfördernden Badekultur dienenden Beitrag zu erhalten.

„Ich bin glücklich“, sagt Dr. Karsten, der sich u. a. auch für die Schaffung eines Gesundheitszentrums zwischen Remagen und Kripp einsetzt, in seiner bescheidenen Art, „daß ich zur Eingliederung der Sauna als Volkssauna in Sport, Gesundheitserziehung und Rehabilitation, als Heilsauna in der Medizin einen Beitrag liefern konnte.“

Die Geschichte der Kripper „Ursauna“ ist umrankt von einer Reihe von Anekdoten, wie sie von Dr. Karsten immer wieder erzählt werden. Als Ersatz für viele wohl die ergötzlichste:

„Die Sauna war es, die das Sanatorium (eine staatlich anerkannte Privat-Krankenanstalt) vor einer langzeitigen Beschlagnahme durch die Amerikaner im Jahre 1945 rettete.

Hohe amerikanische Offiziere hatten bereits in den Räumen des Sanatoriums ihr „Headquarter“ aufgeschlagen. „You must move ‚ the house in three hours“, so hieß der Räumungsbefehl.

Schon war mein Pferdewagen mit den nötigsten Habseligkeiten, mit dem letzten Rest Knäckebrot, einem Faß Sauerkraut zwischen Ölbildern und Wertsachen gepackt. Was konnte die Ausweisung aus meiner langjährigen ärztlichen Wirkungsstätte noch verhindern?

Da kam mir ein Gedankenblitz: die Sauna! Ob man die amerikanischen Offiziere in ihrer Siegerstimmung nicht zu einem heißen Saunabad animieren konnte? Meine 18jährige Tochter wagte den Vorstoß. „My father has a turkish bath“, stammelte sie, nachdem wir in der Eile vergeblich im Wörterbuch nach einer englischen Übersetzung für das Wort „Sauna“ gesucht hatten. Jedoch der Funke zündete bei einem sympathisch aussehenden amerikanischen Offizier. „Turkish bath?! Doktor come here, wonderful, today we will have a turkish bath.“

„Yes“, stammelte ich, „but l must move the house“.

„No, no“, kam es zurück, „it’s good!“

Mit einem hoffnungsvollen Stoßseufzer der Erleichterung wurde der Pferdewagen wieder abgeschirrt, und ich machte mich mit meinem treuen, alten Hausmeister selbst daran, die Sauna mit dem von dem Amerikaner hergeschafften Holz zu heizen. Nach sechs, von mir bewußt in die Länge gezogenen Stunden konnte ich melden: „Die Sauna ist fertig!“

Flankiert von Texassoldaten mit aufgepflanztem Bajonett und gefolgt von Offizieren marschierte ich durch den Park zu den Saunahäuschen. Mit meinem kümmerlichen Englisch konnte ich natürlich nicht den mir anfangs mißtrauenden Offizieren die Badevorschriften erklären. So brachte es der Zufall, daß ich im Saunaschwitzraum Badegäste vorfand — nackt, mit Stahlhelm!! Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. „That is not good“, stotterte ich. Die trockene Saunahitze von 90—100 Grad brachte die Offiziere rasch, auch ohne mein Dazutun — zum „Helm ab“. Schon bei den ersten Schweißtropfen zeigten sie sich wohlig-heiter. In Siegerlaune schlugen sie sich mit den Birkenbüscheln und sangen Broadway-Melodien. Als dann draußen im Luftbad nach dem Eimerguß und Tauchbecken Atem- und Bewegungsübungen an die Reihe kamen, da waren sie schon so gelöst, daß sie ohne weiteres die Kommandorufe des deutschen Arztes befolgten. Und so bewahrheitete sich der alte finnische Spruch: „In der Sauna verraucht der Zorn, und die Galle trocknet ein!“

So war also der Krieg in jenen Tagen: Vor wenigen Tagen noch deutsche Offiziere, die Niederlage ahnend in der Sauna, und heute an der gleichen Stelle die Sieger.

Zum Schluß wollte ich nach alter gesundheitlicher Gewohnheit den Vitamin-C-haltigen Hagebuttentee reichen. Da gab es zuerst wieder Zweifel. Ich mußte zuerst trinken, dann tranken sie mit Behagen und fragten nach der Teesorte. Ich stotterte: „Hägeböttentee“. Seit dieser Zeit wird in unserer alten Sauna begeistert „Hägeböttentee“ verlangt.

Die amerikanischen Soldaten wären am liebsten jeden Tag in die Sauna gegangen. Ich mußte ihnen erklären, daß das nicht gut für ihre Gesundheit sei. Doch in den nächsten Wochen gab es noch zwei- bis dreimal ein Saunabad. Von der Rekordhitze über 100 Grad in der Sauna wurde natürlich stolz in die Heimat berichtet.

Ich konnte als „Saunameister“ in den Gartenhäuschen wohnen bleiben. Als Anerkennung erhielt ich viele Pakete kostbaren Tee, mit dem ich den unmittelbar in der Nachbarschaft vor Hunger schmachtenden deutschen Kriegsgefangenen des Remagen-Kripper Lagers kleine Hilfen zukommen lassen konnte.“