Herausforderung an die Ingenieurkunst
Vier Großbrücken entstehen im Zuge der linksrheinischen Autobahn A 61 allein auf dem Boden des Kreises Ahrweiler
Wolfgang Pechtold
Als Ende der zwanziger Jahre eine passable Trasse für die rechtsrheinische Autobahn Köln — Frankfurt gefunden schien, protestierten die Militärs entschieden .gegen die Linienführung: „Sie hält nicht den mittleren Artillerieabstand zum Rhein ein“, hieß es; anders ausgedrückt: sie war mit (französischen) Kanonen vom linken Rheinufer aus zu beschießen. Die Generalstäbler setzten sich mit ihren Bedenken durch…
Daß unter solchen Voraussetzungen große Querspangen des Straßenverkehrs durch die Eifel, durch das Aufmarsch- und Bereitstellungsgebiet vor rden Grenzen des „Erbfeinds“ Frankreich nicht erwogen wurden, liegt auf der Hand.
Trotzdem wäre es ungerecht, nur den strategischen Aspekt als Ursache dafür anzusehen, daß die Verkehrs- und wirtschaftspolitisch so zwingend logische Magistrale bis in unsere Tage ungebaut blieb. Die Topographie ist geprägt von den vielen Seitentälern des Rheins, die es zu überqueren gilt. Sie stellten finanziell und technisch hohe Anforderungen an die Straßenbauer. Allein In den Grenzen des Kreises Ahrweiler mußten vier Großbrückenbauten geplant und bewältigt werden, die eine Herausforderung an die Ingenieurkunst bedeuteten. Das gilt besonders für die Ahrtalbrücke zwischen Bad Neuenahr und Heppingen, rund 1,5 Kilometer lang, bis zu 55 Meter hoch, mit 66 Millionen Mark veranschlagt. „Die Vorschubtechnik ist hier in ihre Grenzbereiche gelangt“, würdigte der Leiter der Straßenneubauabteilung Mayen, Dr. Siemers, das Verfahren, mit dem die Pfeileröffnungen von 100 Metern und mehr überwunden werden. Und das Brückenbauunternehmen durfte dezent darauf hinweisen, daß Vorschubgerüste von 110 Meter Länge und rund 2 000 Tonnen Gewicht bislang nirgends sonst in der Welt benutzt worden seien. Natürlich kann man Stahlbetonbrücken bauen, indem man vom Boden aus bis in Höhe der Querträger auf den Pfeilern Gerüste baut, darauf Verschalungen montiert, zwischen Außen- und Innenschalung Armierungsstahl anbringt und dann Beton hineinpumpt. Bei Höhen und Spannweiten, wie sie die vier Brücken im Kreis aufweisen, wäre ein solches System allerdings von Zeit- und Geldaufwand her indiskutabel.
Knapp einen Kilometer lang und bis zu 55 Meter hoch: die Talbrücke Bengen der A 61. Das Vorschubgerüst diente zunächst dem Bau der westlichen Brückenbauhälfte, wurde dann auf dem nördlichen Widerlager (hinten) gedreht und lief auf der östlichen Pfeilerbahn wieder zurück
Die Vorschubtechnik, wie sie im Ahrtal und mit mehr oder minder großen Abweichungen bei Bengen und im Vinxttal angewendet wurde, bedient sich einer Hilfskonstruktion, die über die Pfeilerbahn Brückenfeld um Brückenfeld vorrückt.
Das Vorschubgerüst als Träger, darunter fest montierte Betoniergerüste — so sah mit Abweichungen die Technik im Ahrtal, bei Bengen und im Vinxttal aus.
Sie zu errechnen, verlangte die angestrengte Arbeit ganzer Konstruktions- und Statikbüros monatelang. Sie zu erklären, ist mit einem freilich hinkenden Beispiel am ehesten möglich: Maschinen oder andere Schw9rlasten werden gern auf zylindrischen Rollen vorwärtsbewegt — zwei tragen die Last, die dritte wird wieder untergelegt. Das System des „obenlaufenden Vorschubge-rüsts“, dem Erfinder zu Ehren „nach Maurer“ benannt, setzt nun unter die „Last“ Vorschubgerüst oder Rüstträger drei Gleitschemel, die dank sinnreicher Hydrauliken verstellbar sind. Das Prinzip, vereinfacht:
Alle drei Gleitschemel können, am Rüstträger hängend, entlang der Pfeilerbahn hin-und herfahren. Solange zwei von ihnen fest auf dem „Boden“, dem Widerlager oder später dem zuletzt betonierten Stück stehen und der Schwerpunkt des Rüstträgers samt Betoniergerüst zwischen den tragenden Schemeln liegt, kann nichts passieren, nichts abkippen. Das Gerüst ist dann, wie die Techniker sagen, „stabil“. Um den Rüstträger und das Betoniergerüst auf ein neues Brückenfeld vorzuschieben, bedarf es eines genau kalkulierten Manövers mit den drei Tragschemeln. Bei Gerüstgrößen und Spannweiten, wie sie im Ahrtal mit Rücksicht auf das Quellgebiet der weltberühmten Apollinaris-Brunnengesellschaft erforderlich waren, müssen selbst Windkräfte bei den Kalkulationen einbezogen werden.
Ein Stahlbetonbrückenkörper ist ein Hohlkörper. Um ihn zu gießen, bedarf es einer Außen- und einer Innenschalung. Die Außenschalung hängt, fixiert an seitliche Haltestangen, am Vorschubgerüst. Sie kann nicht immer ihre Form behalten, denn natürlich sind die Pfeilerköpfe im Wege, wenn sich Rüstträger und Betoniergerüst vorwärtsbewegen. Deshalb ist die Außenschalung in Segmente unterteilt, die vor der Pfeilerpassage öffnen und danach wieder schließen. Die Innenschalung, in schmalen Segmenten zusammenklappbar konstruiert, wird vom jüngsten zum neuen Betonlerfeld mit einem Mini-Dieselbähnchen transportiert, das im Hohlkörper des Brückenüberbaus Platz hat.
Vorschubgerüst oben, das galt für Bengen und Ahrtal. Im Vinxttal wurde eine interessante „unter der Brücke hängende“ Variante demonstriert, die an den Rechenschieber denken läßt. Zuerst wird jeweils, wenn ein Feld von Pfeiler zu Pfeiler gegossen werden muß, die mittlere Zunge ausgefahren, bis sie auf dem nächsten Pfeiler aufliegt. Dann folgen die beiden seitlichen Träger, die an Kranwagen hängen. Von diesen Kranwagen läuft einer auf der „Rechenschieberzunge“, der andere auf dem zuletzt betonierten Oberbauteil. 38,50 bis 50 Meter betrugen die Pfeileröffnungen im Vinxttal. Die Brückenbauer brauchten höchstens 14 Tage für jedes der Felder.
Trotz der Rekorde, die im Zusammenhang mit den Vorschub-Tonnen im Ahrtal und beim geglückten Unternehmen vor Bengen, das Vorschubgerüst nach Fertigstellung einer Fahrbahnseite kurzerhand auf dem nördlichen Widerlager zu drehen (Gewicht: 800 Tonnen), um es auf der zweiten Pfeilerbahn in entgegengesetzter Richtung zurücklaufen zu lassen, blieb am verblüffendsten die Technik, die für die Brohltalbrücke im Zuge der A 61 erwählt wurde: das Taktschiebeverfahren. 660 Meter lang, bis zu 55 Meter hoch wurde die Brücke. Das Prinzip: Fertigbeton-„Fabrik“ mit entsprechend genormten Schalungen auf dem südlichen Widerlager: in ihr wurden 25 Meter lange „Takte“ des Brückenkörpers gegossen und von Hydrauliken hinaus auf die Pfeilerbahn geschoben: zunächst ein 25-Meter-Stück, das Richtung Pfeiler wanderte, dann ein daranbetonierter zweiter Abschnitt, der zusammen mit dem ersten vorwärtsgepreßt wurde, dann ein dritter… Was zuerst im Süden aus Stahl und Beton geformt wurde, ist nun das nördlichste Brückenstück. Und nicht nur das: die Brohltalbrücke beschreibt auch noch eine Kurve, also wurde „um die Ecke“ gepreßt.
Fast gebrechlich wirkt die Vorschubmontage der Ahrtalbrücke aus dieser Perspektive. Der Anschein trügt: Der 110 Meter lange Rüstträger und das daran hängende Betoniergerüst wiegen 2 000 Tonnen. Deutlich zu erkennen, daß der Schnabel des Vorschubgerüsts „frei schwebt“, daß die 2 000 Tonnen also dem nächsten Pfeiler entgegenbewegt werden: Mit dem Pfeiler ist die Betonierstellung erreicht, ein neues Stück Brückenkörper kann gegossen werden
Fotos: Vollrath
Daß bei zu großen Pfeilerdistanzen Hilfspfeiler gebaut und anschließend wieder gesprengt wurden, verdeutlicht die derzeitigen Grenzen dieser Technik. Das Tempo des Systems „Zahnpastatube“ (Dr. Siemers) verblüffte andererseits.
Von der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen bis zum Autobahnzubringer Sinzig/ Löhndorf beträgt die Distanz 15 Kilometer. Davon sind drei Kilometer Brückenbauten. Die Mayener Straßenneubauer hatten denn auch einen durchschnittlichen Autobahnkilometerpreis von 12 Millionen Mark einkalkuliert, also 180 Millionen Mark. Die Straßenneubauabteilung Andernach und ihr Leiter Opper rechnete mitten in der Bauzeit für den Rest der Lücke zwischen Löhndorf und Bassenheim 10 Millionen Mark pro Kilometer oder 350 Millionen Mark insgesamt vor. Der Kreis Ahrweiler hat Investitionen in solchem Ausmaß nie zuvor erlebt. Ob er überhaupt Chancen hat, irgendwann diese Werte übertroffen zu sehen…?