Salzburger Musik im Advent
Wilhelm Knippler
Oft hat H. 0. Olbrich in diesen Blättern nach dem deutschen Osten gewiesen. Er wollte den „Herbergsuchern“ aus den östlichen Landen eine Brücke bauen. Ich weise hier nach dem Südosten, nach Osterreich. Eine Brücke ist hier nicht notwendig, denn die besteht bei vielen Gleichgesinnten an der Ahr und in der Eitel seit Jahren.
Ein paar Dutzend Menschen sind nicht nur angezogen von der Schönheit der Landschaft, nicht nur nachdenklich durch den Ruf „Jedermann“, nicht magnetisiert durch Skiabfahrt und Apresski, durch Höhensonne oder Urlaubsrummel, nein, alle geeint im Wunsch nach Stille, Einkehr, nach Rückfinden zu den einfachen Dingen des Lebens, zu Kinderglauben und frohen Herzen, beglückt vom Zauber des Salzburger Adventsingens.
Es war einmal, da wurde bei uns echte Vorweihnachtsmusik gesungen vom Altenahrer Kirchenchor. Doch das ist vorbei. Ein Vinzenz Ott starb einen frühen, einsamen Tod. Ein Bruno Kortemeier zerbrach auf der Orgelbank an dem weihnachtlichen Choralvorspiel eines modernen Komponisten. Wieder war Advent, aber rundum wurde laut geplärrt. Die Worte, die eine Luxemburger Ansagerin vor Jahren verkündete: „Weihnacht muß leise sein“, waren ohne Wirkung verhallt.
Da kam die Erinnerung an Veröffentlichungen von Toni Eich aus Linz, an begeisterte Berichte von Anneliese Dockter aus Adenau. Als dann noch K. H. Waggerl aus Salzburg an den Rhein kam und aus seinen Werken las, da reifte ein Entschluß. Endlich fuhr ich mit der „Adventsstammannschaft“ von der Ahr, vorbereitet durch das Silentium von zwei Krankenhausaufenthalten, für eine Woche nach Salzburg zum Adventsingen. Was wir dort erwarteten, waren zwei festgelegte Schwerpunkte, das Adventsingen selbst und Bruckners Messe in e-Moll.
Christkind in der Nußschale Christbaumschmuck aus dem Salzburger Heimatwerk, wie er in kunstfertiger Vollendung angeboten wird
Foto: Toni Elch
Das Adventsingen, von Tobi Reiser, .dem Pongauer Volksmusiker und K. H. Waggerl, dem Salzburger Dichter, seit dreißig Jahren gepflegt, ist ein Werk des unverbildeten Volkes. Hier gibt es keine blasierten Gesangsstars und keine überheblichen Solisten. Aus der Pflege des heimischen Brauchtums erwuchs die Lebensfreude, die alle Besucher stets aufs neue bezaubert.
Im Mittelpunkt jedes Salzburger Adventsingens steht das Spiel und das Singen der Hirtenbuben. Diese werden bereits im Frühjahr ausgesucht. Neben brauchbaren Singstimmen müssen sie auch gute Schulnoten vorweisen. Der heimische Volksliedchor füllt die Breite der Festspielhausbühne und verbindet meisterlich die Darbietungen der Solisten. Hier kommt die gläubige Überzeugungskraft einfacher Volksmusikalität zur Geltung, wie sie schon Bettina von Armin vor hundertfünfzig Jahren in Salzburg erlebte, die sich wunderte, daß hier „alles so einfach ist in seiner Größe“. Und so ist es bis heute geblieben. Im Advent aber kommt diese Einfachheit besonders eindringlich zum Klingen.
Zum Chor gesellten sich die verschiedenen Einzel- und Gruppenstimmen, der weiche Sopran einer Christel Klappacher oder der kräftigere Ton der Riederinger oder der Pongauer Sänger. Die fünf kleinen Sänger aus Matrei waren wie eine Neuauflage der Salzburger Trappfamilie.
Das Singen fand in den Volksinstrumenten, eine schöne Ergänzung, in den Gitarren und Zithern, der Maultrommel und dem Hackbrett des Reiser-Sextetts, ebenso im Schall der Turmbläser. Eine Steigerung erfolgte — trotz ihrer Bescheidenheit — durch virtuose Hausmusik der Gebrüder Fuchsberger oder der Familie Derschmidt.
Die Zuhörer vereinten sich nicht nur mit allen Mitwirkenden zum Schlußgesang, ihre Herzen sangen auch mit! Anneliese Dockter hat recht, wenn sie sagt: „Die glockenhellen Stimmen Salzburgs schwingen ins Herz. Und das spürt jeder: Hier ist etwas, das nicht der Schnellebigkeit unsrer Zeit zum Opfer fällt. Welch ein Wert!“
Unser Aufenthält in Salzburg währte nur fünf volle Tage, aber mitunter zählt ja im Leben ein Tag mehr als sonst mehrere oder gar Wochen!
Salzburgs Sprache ist eben Musik, von allen Menschen verstanden, alle verbindend. Und das klingende Salzburg spendete zum Adventsingen noch reichliche Zugaben aus seinem Oberfluß, ob es nun das volltönende Geläute von zwölf Altstadtkirchen war oder das Perlen des Glockenspiels am Mozartplatz. Waggerl sagt: „Wer könnte Salzburg sehen, ohne Musik im Ohr zu haben?“ Diese Musik aber klingt am reinsten in Mozart.
Hier, in der Getreidegasse, wurde Mozart geboren, hier entstanden seine Jugendwerke, die ersten Konzerte und Sinfonien. Hier steht der Hammerflügel und das Clavichord, auf dem er die Zauberflöte und das Requiem komponierte.
Im Tanzmeisterhaus am Makartplatz wohnte Mozart vom 17. bis 25. Lebensjahr, als er erzbischöflichen Frondienst leisten mußte, eingestuft am Fürstenhof wie ein Lakai! Hier aber schuf er innerhalb von drei Jahren hundert unsterbliche Werke!
Es blieb nicht beim Besuch dieser‘ Gedenkstätten, Salzburgs Zugaben waren größer. In der Franziskanerkirche erklang vor Michael Pachers goldglänzender Madonna Mozarts Krönungsmesse. Noch eine Steigerung stand in St. Peter bevor, in der ehemals die c-moll-Messe erstaufgeführt wurde, wobei Konstanze, Mozarts Frau, den Solosopran sang. Draußen auf dem Petersfriedhof ruht das Nannerl, Mozarts Schwester. Wir aber hörten, wie man es nur in Salzburg erleben kann, Mozarts Schwanengesang, das erschütternde Requiem.
Man durfte sich an die Worte Hugo von Hofmannsthals erinnern: „Hier mußte Mozart geboren werden, im Herzen Europas, zwischen Nord und Süd, Berg und Ebene, zwischen dem Heroischen und Idyllischen, zwischen Städtischem und Ländlichem, zwischen Uraltem und Neuzeitlichem, dem barocken Fürstlichen und dem lieblich ewig Bäuerlichen. Mozart ist der genaue Ausdruck von alledem!“
Nur kurz noch die Erwähnung des vorgesehenen Restprogramms: Bruckner im Dom. Wir hatten den Domchor a cappella gehört in einer Messe von Gastoldi. Nun aber am 8, 12. erklang die majestätische e-moll-Messe des Meisters von St. Florian, dazu das achtstimmige Ave Maria. Der Dom war besetzt auf allen zehntausend Sitzplätzen. Was uns Weithergekommenen aber Bewunderung abnötigte, war die große Anzahl von jugendlichen Besuchern.
Mehrere Phänomene begegnen sich in Salzburg: das genial-Virtuose, das einmalig Schöpferische Mozarts, das Zuherzengehende der dortigen Volksmusik und die starke Musikalität aller Bewohner der Stadt. Was aber den harmonischen Vielklang vollendet, das ist die Bereitschaft und Übereinstimmung der Salzburgfahrer und ihr warmer, herzlicher Kontakt mit den Mitwirkenden des Adventsingens.
Der Salzburger Volkslied-Singkreis Landa Ruprecht, links K. H. Waggerl t am Lesepult
Foto: Bildarchiv Eifelverein
Über den Tod des Dichters hinaus klingen Waggerls mahnende Worte:
„Soll man wirklich glauben dürfen, daß der Lärm unserer Tage noch nicht alle Menschen abgestumpft hat, daß noch viele zugänglich sind für ein behutsames, unaufdringliches Bemühen um die Werte des Gemütes? —
Es sind allein die Kräfte des Herzens, die uns vielleicht noch einmal werden retten können!“