Vor 5O Jahren: Der Bau des Nürburgrings
Ignaz Görtz
Im Jahre 1977 begeht der Nürburgring sein 5Ojähriges Jubiläum: Am 18./19. Juni 1927 wurde die neue Rennstrecke mit dem Internationalen Eifelrennen des ADAC eröffnet.
Überlegungen zur Schaffung einer deutschen Renn- und Versuchsstrecke waren schon vor dem ersten Weltkrieg angestellt worden, die jedoch nicht zur Ausführung gelangten. Damals, im Jahre 1907, war schon der Adenauer Raum für ein solches Projekt im Gespräch.
Als Anfang der zwanziger Jahre unter einer Reihe von Rennstreckenplänen auch die Idee auftauchte, durch die Verbindung von Provinzialstraßen und Gemeindewegen rund um das Dorf Nürburg eine Rennstrecke zu schaffen, griff der damalige Landrat des Kreises Adenau, Dr. Creutz, diesen Gedanken auf. Er ging sogar über die ersten Vorstellungen hinaus, indem er eine ausschließlich dem Kraftfahrzeug vorbehaltene „Gebirgsautorennbahn Nürburg-Ring“ anstrebte. Zielstrebig verfolgte Landrat Dr. Creutz das Projekt „Nürburg-Ring“, das dem Kreis Adenau als Notstandsgebiet direkte Hilfe In Form der Arbeitsbeschaffung bringen und eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch Verkehrserschließung und Förderung des Fremdenverkehrs schaffen sollte.
Am 31. Januar 1925 wurde in Adenau ein ADAC-Club mit Dr. Creutz als 1. Vorsitzenden gegründet. Bei der Gründungsversammlung wurde der Plan „Gebirgsrennstrecke“, angesprochen, der in den folgenden Monaten in vielen Gesprächen und Beratungen mit den Vertretern des Motorsports und den zuständigen Behörden weiter verfolgt wurde. Am 18. Mai beschloß der Kreistag des Kreises Adenau, das geplante Projekt in eigener Regie im Rahmen der Erwerbslosenfürsorge durchzuführen. Am 27. September 1925 erfolgte bereits die Grundsteinlegung durch den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Dr. Fuchs, der dem Bau des Nürburgrings große Unterstützung zukommen ließ.
Zügig gingen die Bauarbeiten voran, zeitweise waren zwischen zwei- und dreitausend Menschen in den verschiedenen Bauabschnitten beschäftigt. Es gab auch Rückschläge, technische Schwierigkeiten und Fragen der weiteren Finanzierung. Aber allen Schwierigkeiten zum Trotz benötigte man nur knappe zwei Jahre bis zur Fertigstellung der Rennstrecke.
Einen guten Einblick in die Situation der zwanziger Jahre bietet der „Erläuterungsbericht zu dem Gebirgsrennstraßenprojekt im Kreise Adenau (Rheinland)“, den der Verwaltungsbericht des Kreises Adenau für 1925 unter Punkt VII „Gebirgsautorennbahn Nürburg-Ring“ wiedergibt:
„Die Kreisverwaltung, bestrebt, die traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreises und seiner Einwohner zu bessern, hat sich entschlossen, eine Gebirgsrennstraße zu
Bauarbeiten am Start und Ziel Foto: Dr. P. Wolff
bauen. Sie ist sich bewußt, daß die Ausführung dieses Projektes neben der Hebung des Fremdenverkehrs für den Kreis Adenau in weit höherem Maße Bedeutung hat für den Kraftfahrsport und infolgedessen wesentlich zur Belebung und Beförderung der deutschen Automobil- und Motorrad-Industrie beitragen wird. Der Plan ist von kraft-fahrsportlichen Vereinigungen mit Genugtuung und Freude aufgenommen worden und findet von dieser Seite wärmste Unterstützung. Vertreter der Sportverbände haben die geplante Rennstrecke, wenn sie zur Ausführung gelangt, direkt als ideal bezeichnet. Die Rennstrecke soll vollständig losgelöst von dem öffentlichen Verkehrsnetz hergestellt werden, so daß der Verkehr in keiner Weise einer Behinderung unterliegt. Das gebirgige Gelände ermöglicht es ferner, die von den Sportsleuten gewünschten Steigungen bis zu 15% hineinzubringen. Ein geeigneteres Gelände, wie das vorgesehene, dürfte sich nicht so leicht wieder finden lassen.
Man ist allmählich zu der Einsicht gelangt, daß zur einwandfreien Durchführung der größten sowohl als auch der kleineren Veranstaltungen die bisher verwandten öffentlichen Verkehrswege nicht mehr geeignet sind, da ein einwandfreies Training nicht durchgeführt werden kann, will der betreffende Fahrer nicht Gefahr laufen, sowohl sein eigenes wie auch das Leben seiner Mitmenschen zu gefährden.
Anerkannte Autoritäten auf dem Gebiete der Volkswirtschaft und des Verkehrswesens treten seit längerer Zeit für den Bau von besonderen Automobil-Renn- und Gebirgsstraßen ein, weil sie hierin die Förderung der Automobilindustrie und die Entlastung der vorhandenen Provinzial- und Kreisstraßen, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl dem derzeitigen Automobilverkehr nicht mehr gewachsen sind, erblicken. Und gerade dem Ausbau zweckentsprechender Rennstraßen wird besondere Bedeutung beigemessen, weil die Veranstaltung von Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten zur Hebung unserer heimischen Automobil- und Motorradindustrie unerläßlich und auf nur dem Sport dienenden Straßen das Menschenleben am wenigsten gefährdet ist. Der volkswirtschaftliche Wert einer modernen Rennstrecke ist um so bedeutender anzuschlagen, als hierdurch die Möglichkeit gegeben wird, ausländische Kraftfahrzeuge in erhöhtem Maße zu Wettbewerben heranzuziehen.
Blick auf die Wendeplatte (Karusell)
Foto: Dr. P. Wolff
Der Landkreis Adenau seinerseits hat? ein großes Interesse an der Verwirklichung des Projektes aus nachstehenden Gründen:
Der Kreis, in dem außer einigen Steinbrüchen jegliche Industrie fehlt, stellt ein Überschußgebiet an Menschenkraft dar und zwar lediglich deshalb, weil der karge Eifelboden die Bevölkerung nicht zu ernähren vermag. Ein großer Prozentsatz der Nachkommenschaft ist darauf angewiesen, im rheinischen Industriegebiet sein Brot zu verdienen. Diese Erscheinung ist heute und noch auf Jahre um so bedauerlicher, als die Industrie die in den Industriezentren wohnenden Arbeiter nicht alle zu beschäftigen vermag. Industrie in den Kreis zu verpflanzen, dürfte nicht angängig sein, solange die im Reich bereits vorhandenen Betriebe nicht mit voller Belegschaft arbeiten können, und ferner auch bis zu einem gewissen Grade unmöglich sein, solange noch der Kreis des Aufschlusses durch Eisenbahnen harrt. Die einzige Möglichkeit, die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern, ist die Heranziehung eines soliden Fremdenverkehrs. Diese Möglichkeit wird durch die Rennstraße geboten einerseits dadurch, daß zu den großen Veranstaltungen tausende von Menschen pilgern, andererseits in der Welse, daß viele Leute, insbesondere Automobillisten, die die Naturschönheiten der Eifel noch nicht kennen, sie oft zum Ziele ihrer sonntäglichen Erholungsausflüge machen werden. Die Eifel mit wohl dem geringsten Fremdenverkehr in allen deutschen Mittelgebirgen verdient, zumal bei der traurigen Lage der Eifellandwirtschaft, eine Hebung dieses Verkehrs, der ihr durch die Rennstraße gebracht werden soll.
Ganz besonders Wert soll beim Bau der Rennstrecke darauf gelegt werden, daß das Landschaftsbild in. keiner Weise beeinträchtigt wird. Die Bauwerke am Start- und Zielplatz, der von der Nürburg selbst rund 2 km südlich liegen wird, sollen so angelegt werden, daß sie im Walde liegend in keiner Weise auffällig wirken. Der weitaus größte Teil der Rennstraße ist so gelegt, daß er an den Hängen wenig besuchter Täler oder an reizlosen ödlandflächen vorbeiführt. Soweit die Strecke im Landschaftsbild störend wirken könnte, ist die Anpflanzung ungleichmäßiger Waldstücke vorgesehen. Schreiende Reklameschilder werden grundsätzlich verboten. Soweit Reklame zugelassen werden darf, soll es nur im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden geschehen. Durch die vorgesehene Teerung der Oberdecke wird jede Staubentwicklung vermieden werden. Die notwendigen Brückenbauten sollen in Obereinstimmung mit den Wünschen des Herrn Provinzialkonservators errichtet werden, daß sie nicht nur das Landschaftsbild nicht beeinträchtigen, sondern möglichst zu einer Zierde der Gegend werden.
Was die Rennstrecke selbst und die Herstellung anbetrifft, soll es sich um eine Länge von 29 km handeln. Hervorzuheben ist, daß die Rennstrecke ausschließlich als solche gebaut, und der Verkehr auf den öffentlichen Straßen in keiner Weise durch die Rennstrecke behindert und eine Sperrung nicht notwendig wird. Die Breite der Straße ist auf ca. 10 Meter mit den entsprechenden Mehrbreiten in den Kurven vorgesehen. Am Start und Zielplatz soll die Straße auf ca. 15—20 Meter erbreitert werden. Zur Überquerung der Provinzialstraßen werden Eisenbetonbrücken als Oberführungen hergestellt. Gemeindewege werden durch Holzbrücken über die Bahn geleitet. Kleinere Wasserläufe sind durch Durchlässe aus Bruchsteinmauerwerk zu führen. Die zur Trockenhaltung erforderliche Entwässerung erfolgt durch Rohrgräben, Sickergräben und Sickerschlitze. In der Bodenbewegung soll nach Möglichkeit Massenausgleich in Ab- und Auftrag gesucht werden. Das zu verwendende Befestigungsmaterial soll, falls in den auszuschneidenden Profilen nicht genügend brauchbare Felsmassen sich vorfinden, aus benachbarten Steinbrüchen entnommen werden. Bei hohen Anschüttungen von Hängen werden, um Abrutschungen zu vermeiden, Abtreppungen vorgenommen. Die Böschungen sollen nach Möglichkeit mit Mutterboden bedeckt Oder mit Grassamen eingesät werden. Die Straßendecke erhält eine Packlage von 20—25 cm Stärke und eine Kleinschlagdecke von 10—12 cm.
Als besonderer Vorteil ist in Betracht zu ziehen, daß ganz in der Nähe der projektierten Rennstraße sich an verschiedenen Stellen hervorragende Basaltbrüche befinden, so daß der Transport des Materials keine Schwierigkeiten verursacht.
Nicht unerwähnt bleiben darf die Tatsache, daß infolge der bei diesem Projekt gegebenen Möglichkeit zur Ausnutzung des vorhandenen Geländes nur zu einem ganz geringen Prozentsatz nutzbares Ackerland berührt wird und daß die Gemeinden, die sich sämtlich für das Unternehmen erklärt haben, zu 85—90 % Besitzer der in Frage kommenden Wald- und Ödlandflächen sind. Die beteiligten Gemeinden haben sich überwiegend bereits dahin ausgesprochen, das benötigte Gelände kostenlos oder gegen entsprechende spätere Beteiligung an dem Unternehmen herzugeben.
Wie bereits mehrfach betont, stellt das Unternehmen einen hohen volkswirtschaftlichen Wert dar. Hervorzuheben ist besonders die Tatsache, daß der Bau der Rennstrecke in hohem Maße menschliche Arbeitskraft beansprucht und im Verhältnis hierzu geringen sachlichen Aufwand bedingt.
Die Finanzierung des Unternehmens ist im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge als große Notstandsarbeit sichergestellt.
Durch das Unternehmen haben sich zum Schluß des Kalenderjahres rund 1896 Erwerbslose aus dem Kreise Beschäftigung gefunden. Insgesamt sind der Arbeitslosigkeit bis dahin durch die Beschäftigung an diesem Bauwerke rund 1970 Personen entzogen. Vier Firmen sind mit dem Ausbau beschäftigt. Bis zum 31. 12. 1925 dürfte, rund V< der gesamten Bauarbeiten fertiggestellt sein.“
Die Erwartungen, die die Förderer des Projektes „Nürburgring“ — hier wären vor allem Landrat Dr. Creutz, der Oberpräsident der Rheinprovinz Dr. Fuchs, der Abgeordnete Heß und der Minister für Volkswohlfahrt Dr. h. c. Hirtsiefer zu nennen — mit dem Bau dieser Renn- und Versuchsstrecke verknüpften, gingen voll in Erfüllung.
Kurzfristig wurde damals die Zahl der Arbeitslosen reduziert, viele Landwirte fanden einen Nebenerwerb, bestehende Gewerbebetriebe konnten ausgebaut, neue errichtet werden. Die Verkehrserschließung des Eifelraumes und die Förderung des Fremdenverkehrs wurde vorangetrieben. Die Baukosten, die sich bis zur Fertigstellung auf 14 Millionen Reichsmark beliefen, kamen größtenteils der heimischen Wirtschaft und den Menschen dieser Landschaft zugute.
Im Verlauf der 50 Jahre seines Bestehens hat der Nürburgring als Versuchsstrecke für die Kraftfahrzeugindustrie und als Rennstrecke für den Motorsport nichts an Anziehungskraft eingebüßt. Die wirtschaftliche Ausstrahlung auf die gesamte Region dürfte im Laufe der Jahre noch gewachsen sein.
Hunderttausende von Zuschauern kommen zu den vielen motorsportlichen Veranstaltungen. Das ganze Jahr über besuchen Touristen die weltweit bekannte Rennstrecke, die nicht nur die Attraktivität des Raumes Adenau erhöht, sondern die Wirtschaft des weiteren Umlandes, besonders im Bereich des Fremdenverkehrs, nachhaltig belebt.
Quellen:
Verwaltungsbericht des Kreises Adenau für 1925. — Festschrift 25 Jahre Nürburgring, 1952. — Heimat-Jahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1953. —
Heimat-Jahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1975 (Wirtschaftsfaktor Nürburgring)