Nürburgring-Neubau dient nicht nur dem Rennsport
— Entwicklungskonzeption für den Tourismus vorgelegt —
Hans Habermann
Für den Bau des Nürburgringes waren bereits in den 20er Jahren nicht in erster Linie motorsportliche, sondern regionalpolitische Gesichtspunkte ausschlaggebend. Die Rennstrecke wurde konzipiert und gebaut als eine Strukturmaßnahme zur Verbesserung der Einkommensverhältnisse im schwach entwickelten Eifelraum.
Die wirtschaftliche Bedeutung, die die Rennstrecke im Laufe der Zeit erlangt hat, sei es in ihrer direkten Arbeitsplatzfunktion oder indirekt durch ihre Impulse für Handel und Fremdenverkehr, reichte jedoch nicht aus, die grundsätzliche Strukturschwäche dieses Raumes zu beheben. Die Einkommen der Bevölkerung sind weiterhin unterdurchschnittlich, fehlende Arbeitsplätze und damit verbunden ein hoher Auspendleranteil, weite, zum Teil schon unzumutbare Pendelwege, zu beobachtende Abwanderung der jüngeren und qualifizierten Arbeitskräfte sowie schwache Gemeindefinanzen kennzeichnen das Bild.
Den Bemühungen, im industriell-gewerblichen Bereich vermehrt Arbeitsplätze zu schaffen, war, bedingt durch die Abseitslage und die übrigen ungünstigen Standortvoraussetzungen, bisher wenig Erfolg beschieden. Deshalb kommt jedem Arbeitsplatz und jeder Einkommenserzielungsmöglichkeit in diesem Raum besondere Bedeutung zu.
Der nun durch die rennsportlichen Erfordernisse notwendig gewordene Neubau einer Kurzrennstrecke bietet günstige Ansatzpunkte, um die zur Stabilisierung und Stärkung der regionalen Wirtschafts- und Sozialstruktur notwendigen Impulse, insbesondere auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs, auszulösen.
Frühzeitig haben dies die politischen Gremien erkannt, und der Kreistag hat folgerichtig, über den auf den Kreis Ahrweiler entfallenden Kostenanteil für die neue Rennstrecke hinaus, 2,5 Mio. DM zur Verbesserung der Fremdenverkehrsinfrastruktur dieses Raumes zur Verfügung gestellt. Dabei waren sich alle Beteiligten darüber im klaren, daß ein vernünftiger und erfolgversprechender Mitteleinsatz eine durchdachte und von Fachleuten erarbeitete Gesamtkonzeption voraussetzt.
Mit der Erarbeitung einer solchen Konzeption wurde in Abstimmung mit der Verbandsgemeinde Adenau, die sich an den Kosten beteiligte, die Firma Steigenberger Consulting. Frankfurt/Main, ein in diesen Dingen erfahrenes Unternehmen, beauftragt.
Das umfangreiche und in drei Bänden gegliederte Gutachten wurde im August 1980 im Rahmen einer Pressekonferenz in der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz in Bonn vorgestellt. Band l befaßt sich mit dem engeren Bereich des Nürburgringes. Band II mit dem Umland und Band III mit dem Nordwestteil der Verbandsgemeinde Adenau. Im dritten Band wird unabhängig vom Rennsportgeschehen, aber unter Einbeziehung der Auswirkungen der im Bau befindlichen Autobahn A 1. die Möglichkeit für eine Fremdenverkehrsentwicklung dieses räumlichen Teilbereiches untersucht.
Wenngleich das Gutachten zu umfangreich ist. um Einzelheiten hier näher darzustellen, sollen im folgenden einige wichtige Ergebnisse und Aussagen kurz zusammengefaßt werden.
Die Arbeit beginnt mit einer Strukturanalyse, die die Ursachen für die bisherige Entwicklung des Fremdenverkehrs im Raum Nürburgring aufzeigt. Danach haben die extrem hohen Schwankungen der Gästefrequenz das Beherbergungs- und Beköstigungsangebot einseitig auf den komprimierten Massenkonsum an den Rennwochenenden ausgerichtet. Der Massenanstrurm bei großen Rennen stellt das Gastgewerbe am Nürburgring vor schwierige Probleme. Denn: hohe Zuschauerzahlen bei den Rennveranstaltungen an einigen Wochenenden im Jahr reichen als Existenzgrundlage nicht aus. Dem entsprechend fehlen in der Region große Hotelbetriebe mit einem festangestellten Personalbestand, wie man sie eigentlich in der Nähe einer weltbekannten Rennstrecke erwarten sollte.
Dennoch wird diese Ausnahmesituation der extrem hohen Besucher-Flutwellen bei großen Rennen, zwischen denen die Umsatztiefs wochenlang unbelegter Gästebetten liegen, nicht negativ beurteilt. Vielmehr kommt das Gutachten zu dem Schluß, daß die Anziehungskraft der Motorsport-Veranstaltungen von internationalem Rang für die Fremdenverkehrsentwicklung der Region von unschätzbarem Wert ist. Allerdings müßten sich die Unternehmer dieser vom Markt her wirkenden Kräfte nur richtig bedienen.
Diese Aussage basiert auf der Erkenntnis, daß die Hocheifel für Feriengäste und Ausflügler sehr viel mehr als nur die Rennen zu bieten hat. Im Gegensatz zur industriell-gewerblichen Standortungunst ständen deutliche touristische Standortvorteile: eine ideale Erholungslandschaft, die von Industrieansiedlung noch weitgehend verschont geblieben ist, das milde Reizklima der Mittelgebirge mit ozonreichen Wäldern sowie die bequemen und schnellen Verkehrswege zu den Ballungszentren an Rhein und Ruhr. Ziel müsse es deshalb sein, den zahlreichen, motor-sportlich-orientierten Besuchern diesen hohen Erholungswert der Landschaft deutlicher zu machen und sie für einen Urlaub in dieser Region zu gewinnen. Dies habe allerdings erst dann Sinn, so das Gutachten, wenn die Struktur des Gastgewerbes auf eine erweiterte Nachfrage mit längeren Aufenthalten ausgebaut worden ist.
Die erste und nächstliegende Aufgabe sieht das Entwicklungsprogramm in der besseren Bewältigung des Massenansturmes in Stoßzeiten, verbunden mit einem reichhaltigeren gastronomischen Angebot und mit Möglichkeiten der Unterhaltung und Zerstreuung. Das heutige Angebot am Nürburgring wird als Minimalleistung klassifiziert. Was Rennbahn-Besucher und Zuschauer am Nürburgring neben dem Rennsport angeboten bekommen, sei neben den ideenreichen Angeboten bei vergleichbaren Massenveranstaltungen anderen Orts zu spärlich und dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums zu wenig angepaßt.
Die Zielprojektion sieht vor. den Fremdenverkehr, der durch die Rennveranstaltungen verursacht wird, schrittweise zum Erholungsreiseverkehr mit längeren Aufenthalten auszubauen. Voraussetzung hierzu sei dreierlei.
- Das klassische Angebot des Gastgewerbes, das Logis- und Restaurantangebot müsse quantitativ und qualitativ der Zielsetzung angepaßt werden.
- Ebenso wichtig sei es, Ferieninhalte zu schaffen, mit denen sich diese Region als Erholungsgebiet profilieren kann. Und schließlich solle eine sorgfältige räumliche Trennung von Rennsporttourismus und Ferienerholung durchgeführt werden, da beide Fremdenverkehrsarten sich miteinander nicht vertragen. Während sich die Orte, die unmittelbar an der Rennstrecke und deren Zugangswegen liegen, sich weiterhin auf den Rennsport- und Wochenendtourismus konzentrieren sollen, könnte in den Ortschaften, die weit genug von den Störquellen entfernt liegen, eine Entwicklung zum Erholungstourismus eingeleitet werden.
In ihrer Entwicklungskonzeption kommt die Gutachtergruppe zu dem Schluß, daß es nicht genüge, eine motorsportliche Hochleistungsanlage zur Austragung internationaler Wettbewerbe zu schaffen und die Plätze auf den Tribünen zu vermehren. Zum zeitgemäßen Ausbau des Nürburgringes gehöre vor allem die bessere Betreuung der Zuschauer und ein reichhaltiges gastronomisches Angebot. Dementsprechend enthält die Arbeit präzise Angaben für den Einsatz moderner Gaststätten-Betriebsanlagen und Organisationsmittel. Darüber hinaus werden jedoch auch Vorschläge für die individuelle Betreuung von Autoausflüglern und Busreisegruppen aus dem In- und Ausland gemacht, die bei einer Ahr- und Eifelrundfahrt auch den Nürburgring besuchen.
Ebenso ausführlich wird ein ergänzendes Unterhaltungsprogramm bei der Rennstrecke behandelt. So wird ein Angebot präsentiert, das unabhängig von den Rennveranstaltungen den Besuch des Nürburgringes lohnend machen und auch Angebote für Kinder und solche Begleitpersonen enthalten soll, die dem Rennsport wenig Interesse entgegenbringen. Der Maßnahmenkatalog reicht von Vorschlägen für die Anlage von Campingplätzen bis zu einem Hocheifelpark mit einem Freilicht-Dorfmuseum und einem Rennsportmuseum, in dem nicht nur Trophäen gezeigt werden, sondern in dem die Besucher das Abenteuer am Steuer eines Rennwagens in Simulatoren nacherleben können.
Schließlich werden für den Bereich „Erholungsurlaub“ unterschiedliche Entwicklungssysteme behandelt und in ihren Erfolgsaussichten gegenübergestellt. Die Planergruppe kommt dabei zu dem Schluß, daß die Fremdenverkehrsentwicklung am Nürburgring nur mit Hilfe eines Großprojektes beschleunigt werden kann. Ein solches Pilotprojekt, das als Initialzündung wirken soll, müsse groß genug sein, um beispielhaft in die ganze Region auszustrahlen und Maßstäbe für die künftige Weiterentwicklung zu setzen. Um eine bedarfsgerechte touristische Infrastruktur, die neben Hotels, Restaurants und Gastwirtschaften auch Kommunikations- und Unterhaltungseinrichtungen. Sportanlagen, Einkaufsläden usw. beinhalten muß, rentierlich zu machen, müsse insgesamt eine Schwerpunktbildung angestrebt werden.
Neben zahlreichen Detailbeschreibungen, bis hin zur Ausstattung von Restaurants und Anregungen zur Gestaltung von Ferienprogrammen, enthält das Gutachten Analysen zur Nachfrageentwicklung, Marketing-Strategien und Hinweise zur zeitlich-finanziellen Programmdurchführung.
Nun ist mit der Ausarbeitung schöner Pläne bekanntlich nur ein halber Schritt getan. Wichtig ist die Realisierung. Daß es nicht bei der Planung bleiben soll, sondern alles daran gesetzt wird, den Überlegungen Taten folgen zu lassen, hat der Kreistag auf seiner Sitzung im September 1980 deutlich gemacht und die Bildung einer Arbeitsgruppe beschlossen. Sie soll die Fülle von Informationen, die die „Fremdenverkehrsplanung Nürburgring“ beinhaltet, auswerten und Realisierungsmöglichkeiten beurteilen. Dabei geht es vor allem darum, geeignete Träger zu finden, organisatorische Schützenhilfe zu leisten, Zuschuß- und Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen, die Investitionschancen dem Fremdenverkehrsgewerbe transparent zu machen und allgemein zu koordinieren.