Als „Vater Rhein“ sein Bett verließ . . .
Rheinhochwasser 1980
Rainer Kresse
„Wer am Wasser lebt, muß mit nassen Füßen rechnen!“
Die Erkenntnis ist nicht neu und die Menschen am Rhein haben so ihre Erfahrungen, was die nassen Füße betrifft. Seit Jahrhunderten werden sie mit „schöner Regelmäßigkeit“ immer wieder von den Fluten heimgesucht. Im Frühjahr hält es „Vater Rhein“ nicht in seinem Bett. Mit schmutzigen graubraunen Fluten tritt er über die Ufer, setzt die Promenaden unter Wasser, überschwemmt Felder und Äcker, legt für Tage den Verkehr auf den wichtigsten Verbindungsstraßen lahm, blockiert den Fährbetrieb. Der gewaltig angeschwollene Strom unterspült die Uferbefestigungen, höhlt Mauern aus, läßt Wege unter Schlammassen verschwinden.
Die Anrainer am Rhein allerdings haben sich seit langem auf die Launen des geschichtsträchtigen deutschesten aller deutschen Ströme eingestellt. Sie kennen ihn, beobachten ihn mißtrauisch und lassen sich nur selten von dem „alten Vater“ überraschen.
Da ist zum Beispiel Heinz Albert. Seit 1945 betreibt er das Hotel „Anker“ in Bad Breisig. Direkt an der Promenade, an einer der tieferen Stellen des Ufers, also quasi in exponierter Lage, gehört sein Hotel zu denen, die in jedem Jahr mit dem Hochwasser zu tun haben. Im Jahre 1980 „klopfte“ der Strom gar zweimal an die Tür. Die Schäden des „gewöhnlichen“ Hochwassers vom Februar waren gerade so ziemlich bereinigt, da stand der Rhein in den Pfingsttagen schon wieder auf der Uferstraße. Überrascht wurden viele, Heinz Albert nicht.
Hochwasser in Remagen-Oberwinter
So wie andere Leute Nachrichten hören, verfolgt er in Zeiten größerer Niederschläge die Wasserstandsmeldungen. In Zweifelsfällen greift der Hochwasserspezialist auch selbst schon mal zum Telefon und erkundigt sich beim Wasser- und Schiffahrtsamt Koblenz nach Entwicklungen und Tendenzen. Und Albert führt Buch. Fein säuberlich hat er über Jahre hinweg die wichtigsten Pegelstände von Rhein und Mosel und den kleineren Nebenflüssen notiert. In Schulheften hat er aufgeschrieben wann, wo und wie schnell die Flut kam.
Eine wichtige Hilfe fürZeiten akuter Notfälle. Anhand seiner Hochwasser-Buchführung kann Heinz Albert nämlich mit ziemlicher Genauigkeit vorhersagen, wann die Situation für das Rheinufer und damit für ihn und sein Hotel „Anker“ beginnt, gefährlich zu werden. Dafür hat er schon in trockenen Zeiten Vorsorge getroffen.
Abgesehen von baulichen Maßnahmen, die er in den letzten Jahrzehnten durchgeführt hat, hat er sich noch einiges einfallen lassen, um sein Haus hochwassersicher zu machen. Das fängt bei höhergelegten Heizungs-, Strom- und Wasserinstallationen im Keller an, geht weiter über die jederzeit verfügbaren Pumpen und endet nicht beim festen Kachelboden und der schnell abnehmbaren Holzverkleidung der Wände.
Gerüstet für den Ernstfall sind wie Albert viele am Rhein, besonders die Hoteliers und Gastronomen, die dem Strom ja auch ein gut Teil ihres Einkommens verdanken, denn letztlich ist es der Rhein, der die Touristen zu Tausenden in die Kur- und Ausflugsorte bringt. Fremdenverkehr mit Ausflüglern, Kegelclubs und Gesangvereinen — das allerdings ist die einzige Art von Überschwemmung, die am Rhein nicht gerade ungern gesehen wird.
Die Tageszeitung wurde auf dem Wasserweg zugestellt
Nicht zuletzt das Geld, das die Besucher am Rhein lassen, ermöglicht es den Menschen an seinen Ufern, mit dem Rhein zu leben.
Die Schäden, die die alljährlichen Hochwasser in den betroffenen Gemeinden hinterlassen, gehen in die Hunderttausende, zumal wenn die Fluten so heftig und langanhaltend sind wie im Jahre 1980, als die Bürger am Rhein im Februar mit dem schwersten Hochwasser der vergangenen zehn Jahre fertig werden mußten und nur wenige Wochen später der Strom erneut über die gerade frisch gesäuberten und neu angelegten Ufer trat.
Gegen Hochwasser hilft keine Versicherung. Wenn eine Gesellschaft schon bereit wäre, entsprechende Sicherheiten zu bieten, so wären die Beitragskosten so hoch, daß sie in keinem Verhältnis zum erzielten Nutzen stehen. Aufgrund dieser Tatsache ist Vorbereitung und Vorsorge das einzige Mittel, sich gegen Eventualitäten zu versichern. Um noch einmal Heinz Albert zu zitieren: „Auf Hochwasser muß man sich vorbereiten, wenn weit und breit nix davon zu sehen ist. Wenn das Wasser mal da ist, ist es zu spät. Dann geht nämlich alles wahnsinnig schnell.“
Wie schnell es geht, wenn das Wasser kommt, merkten auch bei der letzten Flut wieder einige Gastronomen, zum Beispiel in Bad Breisig und Remagen. Obwohl sie von der stets gut informierten Ortspolizeibehörde telefonisch gewarnt worden waren, schafften sie es nicht alle, ihre Keller rechtzeitig zu räumen, verderbliche Lebensmittel in Sicherheit zu bringen oder auch den Pkw aus der Garage zu fahren.
So kam dann was kommen mußte: Fertige Spießbraten dümpelten sanft über die Promenade, das Auto versoff — gut geparkt an sicherem Ort — und Bierfässer schwammen unter der Kellerdecke.
Die Rheinanwohner nehmen das Hochwasser mit viel Fatalismus hin, eine Beobachtung die alle Jahre aufs Neue gemacht werden kann und die in den Erzählungen der Alten immer wieder auftaucht.
Da wird von Skatspielern berichtet, die so lange auftrumpften und dem Wasser Kontra boten, bis es ihnen um die Knöchel spielte. Und auch dann wurde die Runde nicht abgebrochen — die Skatbrüder zogen einfach in den ersten Stock, reizten und ramschten oben weiter und ließen den ..Vater Rhein einen guten Mann sein“.
Berichtet wird aber auch von den Beispielen des selbstlosen Einsatzes und der Hilfe für Bedrängte, die vom Wasser eingeschlossen und in bittere Not geraten waren. Das Hochwasser um die Jahreswende 1926/27 zählt wohl zu den verheerendsten, unter denen der Landstrich zwischen Brohl und Remagen leiden mußte. Damals, so erinnern sich noch alte Herren, die als junge Burschen dabei waren, galt es. Menschen aus höchster Gefahr für Leib und Leben zu retten.
Mit Mörtelkübeln. Waschzubern. Nachen und Kähnen wurden die Eingeschlossenen aus ihren Häusern in den engen Gassen geborgen, wurden Kinder mit Milch und Nahrungsmitteln, alte Menschen mit Decken und Heizmaterial versorgt. Das Wasser hatte zum Beispiel in Bad Breisig die Biergasse und die Schmittgasse bis hoch zur Zehnerstraße hin überflutet. Es war unmöglich, trockenen Fußes zu den Häusern zu gelangen. Helfen konnten nur die Nachbarn.
Solidarität und spontane Hilfeleistung sind damals wie heute noch die besten „Waffen“ im Kampf gegen das Hochwasser und seine Folgen.
Die Fluten jener vergangenen Zeiten waren zum großen Teil unkontrollierbarer und noch weniger berechenbar als heutzutage. Nicht zuletzt der Bau der zahlreichen Moselstaustufen in den vergangenen Jahrzehnten hat dazu beigetragen, daß „moderne Hochwasser“ eher kalkulierbar sind und nicht mehr solche Katastrophen werden, wie es in früheren Tagen die Regel war.
Auch die Fürsorge für die vom Hochwasser bedrängten Menschen ist heute nicht mehr dem Zufall überlassen. Dafür sorgen die Männer der Freiwilligen Feuerwehren und des Technischen Hilfswerkes. die in ungezählten Stunden im Einsatz waren — und die es wieder sein werden — wenn es die Situation erfordert. Sie bauten Stege, sicherten Wege und hielten die Versorgung aufrecht. THW und Feuerwehren lieferten Sandsäcke an und halfen Dämme errichten, bauten Fenster aus. damit sie nicht von den Fluten zerdrückt wurden und pumpten schließlich die Keller wieder aus und reinigten die Straßen vom Schlamm, noch ehe er festtrocknen konnte, sobald der Strom in sein Bett zurückgekehrt war.
Nach dem Hochwasser: Nässe und viel Schlamm
Fotos: Görgler
Die Feuerwehr und die Männer vom THW, das waren die „Mädchen für alles“ in den Zeiten, da Nachbarschaftshilfe auch in unseren Tagen großgeschrieben wurde. Sie beschafften Lebensmittel per Boot und Nachen, brachten wichtige Medikamente herbei und halfen der Post und den Zeitungszustellern Briefe und die Morgenzeitung trotz Wasser möglichts pünktlich an die Empfänger auszuliefern.
Manche Post allerdings hätte mancher Empfänger lieber später, wenn nicht gar am liebsten überhaupt nicht erhalten: Während nämlich noch das Wasser die Grundmauern und Keller umspülte und die Hausbewohner noch den entstandenen Schaden abzuschätzen versuchten, flatterte ihnen, per Boot gebracht, der Steuerbescheid ins Haus. So geschehen in einem bekannten Kur- und Badeort am Rhein.
Jedoch, das sei hinzugefügt, in Ausnahme- und besonderen Härtefällen sollen sich die Steuerbehörden durchaus großzügig gezeigt haben, was Aufschub und Stundung betraf.