Wie es vor 777 Jahren zum Bau der Burg Landskron kam
— Die untere Ahr in den Kämpfen zwischen Staufern und Weifen, Königen und Erzbischöfen um l 200 —
Dieter Schewe
Wer vom Rhein kommend in das Ahrtal hineinblickt, sieht vor sich, vor dem Ahrgebirge hervortretend und scheinbar das Ahrtal abschließend, den Kegel des Landskroner Bergs, charakterisiert durch die platte Kuppe. Auch demjenigen, der auf der hohen Autobahnbrücke das Ahrtal überquert, muß dieser Kegel, von hier aus aber nicht so hoch erscheinend, ins Auge fallen, zumal als weißer Fleck auf halber Berghöhe die alte Kapelle auffällt. Diese Bergform mit dem Kegelstumpf ist mit dem Bild des Ahrtals so verbunden, daß wohl nur wenige Besucher und Einheimische sich diesen Berg ebenso rund oder spitz geformt vorstellen wie andere Berge an der Ahr, und doch muß die Bergplatte nicht von der Natur so geformt, sondern erst durch den Bau der Burg Landskron vor 777 Jahren entstanden sein. Diese Burg gehörte nicht zu jener Art von Höhenburgen, die sich im Laufe der Jahrhunderte um einen alten Kern herum allmählich erweiterten, sondern wurde damals als strategische Befestigung auf eines Königs Geheiß in einem Zug geplant und gebaut. Selbst derjenige, der sich für deutsche Geschichte interessiert, wird bei der Lage über Ahr und Rhein nicht vermuten, daß die Burg Landskron als Reichsburg der Staufer im Kampfe mit den Weifen entstanden ist und ihre Errichtung dem Gegensatz zwischen der königlichen Zentralgewalt und dem Streben der Kölner Erzbischöfe nach Selbständigkeit verdankt. Diese besondere Situation darzustellen und den Burgbau in die allgemeine und kriegerische Geschichte um die Zeit ihrer Entstehung einzuordnen, wird im folgenden versucht.
Die Vorgeschichte der Errichtung der Burg Landskron
Die Vorgeschichte beginnt mit dem Tage, an dem das Weltreich des Barbarossa-Sohnes Heinrich VI. zusammenbrach, als dieser im September 1197 in Sizilien an Fieber starb. Im März 1198 wählten die den Staufern anhängenden Fürsten dessen Bruder Philipp von Schwaben, den letzten Sohn Barbarossas, zum König; er wurde am 8. September 1198 in Frankfurt/Main gekrönt. Unter Leitung des Kölner Erzbischofs Adolf von Altena wurde dagegen am 9. Juni 1198 in Köln der Graf Otto von Poitou, der jüngere Sohn von Heinrich dem Löwen, von den rheinischen und niederlothringischen Fürsten zum König gewählt und am 12. Juli in Aachen gekrönt. Erzbischof Adolf wandte sich damit gegen eine ununterbrochene Erbfolge der Staufer, diente den Kölner Handelsinteressen und erlag dem englischen Finanzeinfluß. Otto IV. zeigte sich durch die Abtretung von Reichsgut und Reichsrechten dankbar. Der Norden, der Pfalzgraf bei Rhein, ein Bruder Ottos, mit dem Sitz an der unteren Mosel und wohl auch Sinzig und die Ahrgebiete wandten sich Otto IV. zu. Philipp von Schwaben, unterstützt von dem König von Böhmen, griff von Süden heran.
Dem Rheinland blieb der Krieg in seinem Gebiet, aber auch unter seinen Fürsten, Grafen und Städten nicht erspart. Otto IV. belagerte Aachen drei Wochen, ehe er dort »am rechten Ort vom rechten Mann«, dem Kölner Erzbischof, gekrönt wurde. Sinzig war in dieser Zeit in der Hand Ottos IV. oder hatte sich ihm angeschlossen; denn am 9. August 1198 unterzeichnete Heinrich von Sinzig, anscheinend ein Ministerialen in Aachen eine Urkunde als Zeuge Ottos IV. für das Kloster Corvey.
Philipp von Schwaben gelang noch im Herbst 1198 der Übergang über die Mosel westlich von Koblenz in der Gänsfurt, und er stieß unter Umgehung Andernachs bis in die Ebene zwischen Köln und Bonn vor; Remagen und Bonn wurden verbrannt. Eigenartig ist, daß Sinzig nicht erwähnt wird. Daraus haben Sinziger Geschichtsschreiber geschlossen, daß es Sinzig nicht besser gegangen sein könne. Dabei wäre es sogar fast unverständlich gewesen, wenn Philipp von Schwaben einen Ort, in dessen Zentrum das Besitztum des Aachener Reichsstifts lag, zerstört hätte, als dessen Probst Philipp noch wenige Jahre vorher tätig war. Hinzu kommt, daß Philipp, um die Engstellen bei Andernach und Breisig zu umgehen, wahrscheinlich seinen Weg durch die Eifel genommen hat; er hat dann vermutlich oberhalb von Sinzig die Ahr überschritten. Der Brand von Remagen, das um diese Zeit noch zum Reichsgut gehörte, läßt vermuten, daß dieses von den Truppen Otto IV. besetzt gewesen war oder diesem gehuldigt hatte. Sinzig ist also auf diesem Vormarsch nicht zerstört worden.
Philipp von Schwaben konnte sich im Winter 1198 aber nicht zwischen Bonn und Köln halten. Auf dem Rückweg verheerten seine Scharen, vor allem die Böhmen, die Besitzungen des Pfalzgrafen bei Rhein, des Bruders Otto IV., an der Mosel und ließen diesmal auch das kölnische Andernach nicht aus. Von Sinzig ist auch diesmal nicht die Rede.
Im Jahre 1199 wiederholte sich der Vormarsch Philipps und der Rückweg, und ebenso erfahren wir über Sinzig nichts, auch nicht darüber, ob weifische Truppen nachrückten und für Otto IV. Sinzig einnahmen.
Während sich die Lage Philipps von Schwaben in den Jahren 1200 und 1201 verschlechtert, ändert sich gegenläufig die Haltung des Kölner Erzbischofs Adolf von Altena, der sich von Otto IV. enttäuscht sah. Insbesondere hatte dieser Weife und Sohn Heinrichs des Löwen es nicht über sich gebracht, dem Erzbischof die Gewalt über das Herzogtum Westfalen zu bestätigen.
Auch wirkten sich die Erfolge des französischen Königs 1202 gegen den englischen König Johann (ohne Land) aus, die englische finanzielle Unterstützung für Otto IV. verminderte sich oder fiel weg. Wohl deswegen verpfändete im September 1202 Otto IV., der, um Unterstützung zu gewinnen, vielfach Reichsgut beliehen oder verschenkt hat, den königlichen Hof Sinzig dem Herzog von Brabant, dem er allerdings nur zwei, höchstens fünf Jahre verpfändet blieb. Es handelt sich hierbei um die erste Verpfändung von rheinischem Krongut überhaupt. Schon 1202/3 »beginnt sich die Politik des Erzbischofs Adolf von der seiner Stadt zu trennen«. 1203/4 verläßt sogar der Pfalzgraf bei Rhein, Heinrich, seinen Bruder, Otto IV., wahrscheinlich deswegen, weil seine Gebiete an Mosel und Rhein schon zu lange durch König Philipps Scharen besetzt waren. 1204 geht auch der Erzbischof Adolf gegen eine große Geldsumme zu Philipp von Schwaben über, mit ihm wechseln die meisten rheinischen Fürsten, unter ihnen der Pfandherr Sinzigs, der Herzog von Brabant, aber nicht die Stadt Köln, die Seite. Philipp von Schwaben brach Ende Dezember 1204 mit seinem Heer vom Oberrhein rheinabwärts auf, zog über Sinzig und ging darauf ein, sich zum zweiten Mal zum König krönen zu lassen,letzteres am Dreikönigstag (6. Januar) 1205 in Aachen vom Kölner Erzbischof Adolf, also jetzt »vom rechten Mann am rechten Ort«. Dennoch hielten außer der Stadt Köln auch Sinzigs Nachbar, der Graf von Are und auch der Herzog von Limburg (Holland) an Otto IV. fest. Der Papst ließ über Erzbischof Adolf die Exkommunikation aussprechen und 1205 den Bonner Probst Bruno aus dem gräflichen Haus Sayn zum Erzbischof (Bruno IV.) weihen. Damit wurde der Krieg der beiden Könige auch zu einem der beiden Erzbischöfe. Philipp reiste nach dem 12. Januar 1205 von Aachen ab und war am 16. Januar in Andernach. Dazwischen wird er wohl in Sinzig gewesen sein und dort übernachtet haben. In dem anschließenden Krieg wurde der Rhein für die Kölner Schiffahrt gesperrt, und zwar an den Reichszollstätten Boppard und Kaiserswerth. Wahrscheinlich hatte Philipp von Schwaben dazwischen keinen geeigneten Standplatz in sicherem Besitz.
Gleichwohl wird zu dieser Zeit Sinzig nicht von Köln besetzt gewesen sein. Am 8. September 1205 ging Erzbischof Bruno IV. mit 600 Rittern und sehr viel Fußvolk gegen die Ahr vor, verwüstete das Land — und die Weinkeltern — und zog sich, als er erfuhr, daß Philipp von Schwaben die Mosel überschritten und sich schon im Bonner Gebiet festgesetzt habe, in die Mauern von Köln zurück. Wenn Philipp im Bonner Gebiet vorrückte, muß der Überfall Brunos wohl der Ahr oberhalb von Sinzig gegolten haben.
Am 17. September 1205 zog König Philipp mit großem Heer und vielen Schiffen nach Andernach, von dort an den »königlichen Besitzungen Sinzig und Remagen« vorbei und näherte sich Bonn (oder legte in Bonn an) und lagerte am Vorgebirge. Von dort kam es vor Köln zu Kämpfen, jedoch mißglückte der Angriff auf Köln, das 1200 mit dem Bau fester Mauern auf seinen Wällen begonnen hatte. Von einer Zerstörung Sinzigs ist auch 1205 nicht die Rede. Man kann nach dem Hinweis auf »die königlichen Besitzungen« sogar vermuten, daß Sinzig und Remagen von Philipp von Schwaben bewußt verschont wurden oder in seinem Besitz geblieben waren.
Die Errichtung der Burg Landskron
1206 stieß König Philipp erneut gegen Köln vor und überfiel Otto IV. am 27. Juli 1206 bei Wassenberg nördlich von Köln. Erzbischof Bruno geriet in Gefangenschaft. Nach der Schlacht bei Wassenberg blieb das Heer »ziemlich viele Tage« in dem vorjährigen Lager am Vorgebirge. Von dort rückte König Philipp mit dem Heer in von Köln entgegengesetzter Richtung aus, ging in dem Gebiet von Remagen und Sinzig mit seinen Schiffen an Land, besetzte den Berg Gim-mich vor den Kölnern über dem Fluß Are, errichtete dort eine sehr starke Burg — zum Schaden der ganzen Provinz, wie es in einer anderen Handschrift heißt — und gab ihr den Namen Burg Landiscrone.
Der Beginn des Baus der Burg Landskrone ist also auf Anfang September 1206 anzusetzen. Diesen Zeitpunkt begründet Wirtz so: »In der Ansetzung der Zeit bin ich in der zum 13. Jahrhundert entstammenden Kölner Königschronik (Chronica regia Colon, rec. G. Waitz, S. 180) gefolgt, welche die Gründung der Burg nach der Schlacht bei Wassenberg auf den Rückzug des Königs rheinaufwärts verlegt, während die i. J. 1499 bei Koelhoff gedruckte »Cronica van der hilliger stat von Coellen« (H. Cardauns in »Chroniken der deutschen Städte« 13 S. 528) erzählt, König Philipp habe die Burg Landskron auf seinem Zuge rheinabwärts gegen den Erzbischof Bruno, und zwar i. J. 1205, erbaut. Eine in Köln geschriebene deutsche Kaiserchronik, deren Handschrift aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts herrührt, erzählt die Gründung im Anschluß an die Belagerung von Neuß ebenfalls i. J. 1205, aber auf dem Rückzuge nach Süden. Diese beiden Überlieferungen setzen also die Erbauung der Burg Landskron vor die Schlacht bei Wassenberg, verdienen aber schon aus inneren Gründen weniger Glauben als die ältere Kölner Königschronik.« Was hat König Philipp von Schwaben zur Befestigung gerade des Bergs Gimnich (Gymnich) bewogen? Dieser Berg ist als »Gimiche« bereits 853 bei einer Lagebestimmung eines Ackers genannt worden, der zwischen ihm und den Orten Pissenheim (heute Werthoven) und Einsfeld (im Bandorfer Tal westlich von Oberwinter) lag. Der Berg beherrscht das Rhein-/Ahrgebiet, liegt aber immerhin 7 km vom Rhein entfernt. Für die Sperrung des Rheins und des Rheintals würde etwa die Besetzung des Apollinarisbergs oder des Reisbergs, beide über Remagen, zweckmäßiger gewesen sein, auch wenn diese Berge nicht so hoch sind. Im Zusammenhang mit der Mitteilung von 1205, daß König Philipp auch mit Schiffen rheinwärts zog und 1206 anscheinend das Heer mit Schiffen zurückführte, muß man in Erwägung ziehen, daß in Philipps Rücken der kölnische Festungsverbund der Burgen Rolandseck und Wolkenburg noch in der Hand der Kölner war und vielleicht sogar Oberwinter und Remagen nicht sicher genug schienen; dann wäre der Berg Gimnich die nächste für eine Burg infrage kommende Höhe gewesen. Die Kölner waren schon damals der Meinung, daß sich der Burgenbau gegen sie richte, aber der Bau der Burg Landskrone sollte sicherlich auch dem Schütze der Krönungsstraße nach Aachen, Sinzigs und des anderen Reichsguts im Gebiet der unteren Ahr dienen und die heutige Grafschaft beherrschen, die damals dem Grafen von Ahr-Nürburg unterstand, der noch immer zu Otto IV. hielt. Anscheinend hatte die Pfalz in Sinzig als Stützpunkt gegen Köln nicht ausgereicht. In Rheinnähe und an der Krönungsstraße gelegen, stellte die Burg Land-skron in der zweiten Linie sicherlich einen genügend starken Sperriegel gegen Köln dar. Aus der Schilderung der Geschehnisse um den Berg Gimnich kann man für Sinzig entnehmen, daß es von König Philipp nicht erobert zu werden brauchte, wie schon 1205 bei seinem Zug rheinabwärts. Vermutlich ist Sinzig schon vorher teilweise befestigt gewesen und wird auch zur Unterbringung der Ritter und Knechte sowie als Nachschubbasis für den Rheinverkehr gedient haben. Es ist auch danach zu fragen, durch welche Furt in der Ahr die Verbindung zur Landskrone ging oder ob eine Brücke gebaut wurde, weil die Furt an der Rheinheerstraße nahe der Ahrmündung zu weit ab lag. Weiter ist die Frage noch nicht geprüft, wem der Grund und Boden gehörte, auf dem die Burg und der anschließende Hof erbaut wurde, wahrscheinlich auf Reichsbesitz der Höfe Remagen oder Sinzig. Schließlich soll auch die Frage aufgeworfen werden, ob sich in dem Wechsel von der Pfalz zur Höhenburg eine allgemeine Änderung der Sicherungs- und Befestigungsmethode in der zweiten Hälfte der Stauferzeit zeigt. Der Bau der Burg Landskron ist in eine Zeit (1206/7) gefallen, in der eine große Teuerung herrschte und »es lief viel Volk zu um die Kost«. So konnte wahrscheinlich schnell und wohlfeil gebaut werden. Die Burg ist aber bis zum Tode König Philipps im Juni 1208 nicht fertig geworden; denn Otto IV. übertrug Gerhard von Sinzig Weihnachten 1208 die Sorge dafür. Gerhard brachte die Kosten für die Vollendung der Burg wenigstens teilweise aus eigenem Vermögen auf; dafür wurden ihm von Otto IV. Reichsgüter in Westum verpfändet. Einen großen Beitrag zum Burgbau werden die der Burg benachbarten Ortschaften durch Hand- und Spanndienste zu tragen gehabt haben. Auch Sinzig hat mittelbar zum Burgbau beigetragen, weil Gerhard seine Mittel aus Sinzig, vor allem aus dem Fronhof, erwirtschaftet haben wird. Als König Philipp im September 1206 die Burg auf dem Berg Gimnich errichten wollte, soll er, von der einzigartigen Aussicht hingerissen, bewundernd ausgerufen haben: »Das ist des Landes Krone!« Damit war auch der Name für die hier zu erbauende Burg gefunden, der später auf den Berg selbst überging. Diese und ähnliche Schilderungen aus der Heimatgeschichte legen, abgesehen von ihrer romantischen Darstellung, eine historisch falsche Rolle der Burg Landskron zugrunde, auch weil sie die Aufgeschlossenheit der letzten 200 Jahre gegenüber der Natur in die Welt des Mittelalters übertragen. Historisch getreu könnte König Philipp nur gerufen haben: »Hier will ich dem Lande meine Krone aufsetzen«; denn der Name Landiscrone bezieht sich nach der Quelle und der Situation allein auf die Burg, nicht auf den Berg Gimnich. Der Sinn des richtigen Ausrufes soll besagen, daß dem Lande durch die Burg sichtbar der Stempel der Krone und damit des Königs aufgedrückt werden soll. Die Burg sollte also wie die Pfalzen Barbarossas die Allgegenwart des Herrschers bis zum Rheinstrom hin erkennbar machen. In diesem Sinn war die Landskrone eine Trutzburg gegen Köln, eine Zwingburg gegen die Grafschaft und die Ahrregion von Hep-pingen bis Walporzheim und eine Wache für die Königsstraße und das Reichsgut in Sinzig und an der Ahrmündung.
Philipp von Schwaben und Otto IV. auf der Burg Landskron
Im Spätherbst 1206 unterwarf sich Köln vor dem drohenden Hunger infolge der dreiseitigen Absperrung dem König Philipp. Der weifische König Otto IV. zog sich nach dem Verlust seines Hauptstützpunktes Köln nach Braunschweig zurück. Im Januar 1207 und am 8. April 1207 hielt sich König Philipp in Sinzig auf. Bei dem ersten Zeitpunkt, nach der Oktav der Erscheinung des Herrn (6. Januar), beging König Philipp feierlich einen Hoftag mit einigen . Fürsten. Dort unterwarfen sich die Kölner auf Intervention und in Begleitung des Herzogs von Brabant. Spätestens bei dieser Gelegenheit muß der Herzog von Brabant die Pfandschaft über Sinzig aufgegeben haben, wahrscheinlich aber schon 1204 oder 1205.
Am 8. April 1207 kam dann König Philipp mit einigen Fürsten wiederum nach Sinzig hinunter, vielleicht von der Burg Landskron, und nahm von den Vorstehern und Befehlshabern von Köln die Genugtuung und den Friedensschwur entgegen, und Köln erlangte so die Gnade des Königs. Um den Palmsonntag 1207 reiste König Philipp nach Köln und feierte dort nach großem Empfang neun Tage lang das Osterfest. Bei dieser Gelegenheit wird am 30. April 1207 erstmals Gerhard von Sinzig im Gefolge des Königs genannt, der der erste Herr der Burg Landskron geworden war. Im September 1207 zieht dann König Philipp an dem »predium regium Sinze-che« (königliches Gut Sinzig) vorbei nach Süddeutschland.
Anläßlich der Heerfahrten und Reisen König Philipps von 1206 – 1208 wird viel später auch ein Besuch der Königin »Maria«, der Gemahlin König Philipps, auf der Landskrone geschildert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Königin nach Beruhigung der Lage, also 1206 nach der Schlacht bei Wassenberg, Sinzig und die Landskrone besucht hat, aber sicherlich hat sie nicht, wie ihr in den Mund gelegt, gesagt: »Wie herrlich ist doch deutsches Land! Aber schade, daß die deutschen Menschen so uneinig sind !«» Mit größerer Wahrscheinlichkeit könnte man behaupten, daß sie im Herbstwind auf die Baustelle der Burg Landskron sich nach südlichen Gefilden gesehnt hat. »Maria« hieß zu dieser Zeit in Wirklichkeit Irene Angelos, war in Konstantinopel aufgewachsen und eine Tochter des byzantinischen Kaisers Isaak Angelos, der sie mit dem Normannenkönig Roger II. von Sizilien verlobte (verheiratete?). Als Kaiser HeinrichVI. 1194 das sizilische Erbe seiner Gemahlin Konstanze deren Verwandten entriß, war Roger II. kurz vor seinem Vater Tankred verstorben. Irene geriet in Gefangenschaft. Anläßlich der Aufdeckung einer Verschwörung ließ Heinrich VI. die Grablegung von Vater Tankred und Sohn Roger aufbrechen, um an die Kronen heranzukommen, und den Leichnam des Vaters nachträglich köpfen. Irene entging dem Mord an der normannischen Herrschaftsschicht und wurde 1197, ohne daß ihr Vater, der byzantinische Kaiser, gefragt wurde, mit Philipp von Schwaben verheiratet. Vermutlich war sie nach dem Tode Rogers II. und den schrecklichen Erlebnissen bei den Hinrichtungen ihrer angeheirateten Verwandten über diese Wendung heilfroh, aber daß sie Interesse an deutschen Verhältniss gewann, ist nicht anzunehmen. Walter von der Vogelweide hat sie als »Rose ohne Dornen« zu Weihnachten 1199 wie auch König Philipp in der Hoffnung auf ein Lehen besungen und als er kein Lehen bekam, Philipp zwei Jahre später geschmäht.
Vom 25. Mai bis zum 2. Juni 1208 weilte König Philipp zu Pfingsten in Aachen, wo er einen Hoftag abhielt. Am 3. Juni 1208 war er in Düren. Wahrscheinlich ist er von dort aus über Burg Landskron/Sinzig nach Bamberg gereist. Dort wurdeeram 21. Juni 1208 aus persönlicher Rache ermordet, ohne daß er die Fertigstellung der Burg Landskron erleben konnte. Königin »Maria« floh danach auf den Hohenstaufen, kam dort mit einem Kind vorzeitig nieder und starb mit diesem.
Nunmehr fand Otto IV. in Deutschland allgemein Anerkennung, zumal er sich mit der minderjährigen Tochter Philipps verlobte, also wieder eine welfisch-staufische Allianz anstrebte. Der Übergang vom Stauten zum Weifen wird schnell vonstatten gegangen sein. Otto IV. übertrug wahrscheinlich, als er 1208 das Weihnachtsfest in Bonn feierte, Gerhard von Sinzig die Fertigstellung der Landskrone. Dieser wird nochmals 1209 als Zeuge in Urkunden der Erzbischöfe von Trier und Köln genannt. Im Oktober 1209 wird Otto IV. in Rom zum Kaiser gekrönt und schlug von da an — obwohl Weife — wieder die Richtung der staufischen Italienpolitik ein. Gerhard von Sinzig wird Otto IV. nicht nach Italien begleitet haben. Aber 1212, nach der Rückkehr von Otto IV., den der Pabst 1211 mit dem Kirchenbann belegt hatte, nahm Gerhard von Sinzig an einer Musterung Ottos IV. über den ihm verbliebenen Anhang teil und ist am 30. November 1212 Zeuge in König Otto IV. Zollprivileg für die Kölner Bürgerschaft. Schließlich besucht Kaiser Otto IV. am 15. Dezember 1212 die Burg Landskron und erteilt der noch heute bestehenden Kapelle unterhalb der Burg einen Schutzbrief und befreit sie von Abgaben, um zu verhindern, daß irgendjemand künftig ein Vogteirecht beansprucht, ein offensichtlich gegen den Staufer Friedrich II. gerichtetes Zugeständnis. Ob Kaiser Otto IV. bei dieser Gelegenheit Sinzig aufgesucht hat, muß offen bleiben. Otto IV. erlitt am 27. Juli 1214 durch den französischen König Philipp II. August in Nordfrankreich eine Niederlage und zog sich nach Verlust seiner niederrheinischen Anhänger 1214 und 1215 endgültig nach Braunschweig zurück, wo er 1218 starb.»Nach 8 Jahren verwüstender Fehden (1198 -1206) kam so das Rheinland zur Ruhe«, faßt Levison die Zeit der Kämpfe zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV. zusammen.
Was bedeuteten diese und die folgenden Jahre mehrfachen Flaggenwechsels für die Ahrgegend und Sinzig? Dies macht die Übersicht deutlich.
Die untere Ahr und Sinzig in den Kämpfen zwischen dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto IV. 1198 -1215
Zugehörigkeit | Ursache | |
vor 1198 | staufisch | |
Juni – August 1198 | welfisch | Heinrich von Sinzig bei Otto IV |
Okt. – Nov. 1198 | staufisch | Vor- und Rückmarsch Philipps Zerstörung Remagens |
Anfang 1199 | welfisch? | |
Mitte – Ende 1199 | staufisch | Vor- und Rückmarsch Philipps |
1200 – 1202 | welfisch | |
ab Sept. 1202 | brabantisch-welfisch | Verpfändung Sinzigs an Brabant |
1203 | brabantisch-welfisch | Verpfändung Sinzigs an Brabant |
1204 | brabantisch-welfisch | Verpfändung Sinzigs an Brabant |
1205 | staufisch | 2. Königskrönung Philipps Verwüstung der Ahr oberhalb Sinzigs durch Köln (8.9.) Vormarsch Philipps (17.9.) |
1206 | staufisch | Schlacht bei Wasserberg (27.7.) Bau der Landskron (September) |
1208 – 1213 | welfisch | Otto IV |
ab 1215 | staufisch | Auftreten Friedrichs II. |
Die Bewohner der unteren Ahrregion und besonders die Sinziger Einwohnerschaft haben die Jahre 1198 bis 1212 und dann bis 1215 sicherlich als ständiges Wechselbad zwischen staufisch und welfisch empfunden, ohne nach den eigenen Wünschen gefragt worden zu sein.
Aus der Aufstellung ergibt sich auch, daß — anders als von Remagen — eine Zerstörung Sinzigs in den Quellen nicht mitgeteilt wird, obwohl dies im Schrifttum des letzten Jahrhunderts behauptet worden ist. Aber auch wenn man die Annahme bezweifelt, daß Sinzig in den Jahren 1198 bis 1212 zerstört wurde, so besagt dies keineswegs, daß Sinzig durch die Kämpfe nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es hat sicherlich Einquartierungen im Winter, Gewalttaten und kleinere Überfälle, Zerstörung der Häuser außerhalb des Ortskerns und Verwüstungen von Feldern und Weinbergen gegeben. Andererseits muß der Kern Sinzigs, soweit er doch durch Kriegshandlungen getroffen worden sein sollte, jeweils schnell wiederhergestellt worden sein, weil bis zur Errichtung der Burg Landskron die Könige und/oder ihre Gäste dort gewohnt haben.
Gerhard I. von Sinzig-Landskron
Die Verbindung zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV., zwischen Otto IV. und dem Staufer Friedrich II., zwischen Sinzig und Burg Landskron wird durch Gerhard von Sinzig (Gerhard l von Landskron) hergestellt, der für alle drei Herrscher tätig war. Gerhard l. tritt von 1207 bis 1236 in Sinzig sowie in Köln, Aachen und rheinaufwärts auf. Er wird in Urkunden der Jahre 1207, 1209, 1212, 1214, 1215, 1216, 1219, 1220, 1222, 1223, 1225, 1226 und 1227 genannt. Nimmt man an, daß Gerhard l, als er Ostern 1207 mit König Philipp in Köln weilte, etwa 30 Jahre alt war, so wäre er 1227 50 Jahre alt geworden. Während Wirtz vermutet, daß sein Vater ebenfalls den Namen Gerhard trug, weisen Frick-Zimmer daraufhin, daß Heinrich von Sinzig, dessen Name 1198 auf einer Urkunde erscheint, auch als Vater in Frage kommt. Während, auf Gerhard l. noch vier weitere Gerhards folgen, ist dieser Name vorher in Sinzig nicht erwähnt. Es muß daher an die Möglichkeit gedacht werden, daß Gerhard nicht aus Sinzig stammt, sondern aus einem südlicheren Gebiet. Gerhard hat auch Verbindung zum Trierer Erzbischof gehabt, der mit ihm zusammen in Urkunden der Jahre 1209,1223 und 1227 genannt wird. Es wäre im Hinblick auf den Namenswechsel von Heinrich zu Gerhard auch nicht unverständlich anzunehmen, daß der 1198 bei Otto IV. weilende Heinrich von Sinzig von Philipp von Schwaben als Schultheiß von Sinzig abgesetzt worden ist oder von sich aus bei Otto IV. geblieben ist und König Philipp einen Ministerialen aus seiner nächsten Umgebung mit dem Bau der Burg Landskrone und der Burgrafschaft beauftragt hat. So würde Gerhard auch der mehrfache Wechsel des Dienstherrn zwischen Stauten und Weifen von 1198 bis 1206 erspart geblieben sein, der sich sonst schwer mit der Begleitung König Philipps am 30. 4. 1207 in Köln vereinbaren ließe; dies läßt sich auf eine Erprobung und einen AufstiegGerhards im Kriege gegen Otto IV. schließen. Nicht umsonst weist später der Staufer Friedrich II. in seiner Urkunde vom 18. September 1214 auf die Treue und Liebe hin, die Gerhard l. dem Staufenkönig Philipp zu dessen Lebzeiten erwiesen hat, also bis 1208.
Gerhard von Sinzig war wohl von Anfang an von König Philipp als Burggraf an die Spitze der Burgmannschaft gestelltworden und behielt dieses Amt auch unter Otto IV. bei. Ihm ist die Übergabe der Burg 1208 an den Weifen Otto IV. durch die Verpfändung der Reichsgüter in Westum erleichtert worden, zumal dieser Wechsel von allen Adligen mitgemacht wurde. Diese Güter sind anscheinend nie wieder eingelöst worden und später von der Burg Landskron an Gerhards Hof in Sinzig gelangt. Mit der Übernahme der Burggrafschaft war Gerhard von Sinzig verpflichtet, auf der Burg Wohnung zu nehmen, hatte also ab 1206 in Sinzig nur noch einen »Nebenwohnsitz«. Der Fronhof wurde zwar ebenfalls von Gerhard verwaltet, blieb aber im Reichsgut, wenngleich die Unterscheidung allmählich immer schwieriger geworden sein wird. Mit dem Fronhof ist das Amt des königlichen Gutsverwalters, des Schultheißen oder des Meiers verbunden gewesen, oder umgekehrt war der königliche Meier zugleich Verwalter des Fronhofs. Ob Gerhard um die gleiche Zeit (1207/8) auch schon dieses Amt innehatte, ist nicht bekannt, jedenfalls besitzt er es spätestens seit dem Jahre 1215.
Burg Landskron und Sinzig
Zu der Errichtung der Burg Landskrone hat das bisherige Heimatschrifttum ein für die untere Ahr und Sinzig günstiges Ereignis und in der Burg Landskron sozusagen eine Fortsetzung der Sinziger Pfalz gesehen. Dabei brachte dieser Burgenbau die am stärksten einschneidende politische Veränderung für Sinzig in der Stau-ferzeit.
Die Sinziger werden vielleicht zuerst die Errichtung der Burg Landskrone wegen der dadurch gewonnenen Sicherheit begrüßt haben. Auch werden die Zuwanderung von Bauarbeitern u. ä. und die Vermehrung der Geldmittel durch die Bauausgaben zuerst mittelbar den Einheimischen zugute gekommen sein. Die Erbauung der Burg Landskron brachte, abgesehen von geforderten Hand- und Spanndiensten, eine Belebung für die Sinziger Wirtschaft mit sich, wenngleich die Entfernung zwischen Sinzig und Landskrone für die damaligen Verkehrsverhältnisse einschließlich der Überbrückung der Ahr hinderlich war. Allerdings erforderte die Besetzung der Burg Landskron es auch, daß eine Reihe von Sinziger Einwohnern mit Gerhard aus der Stadt auf die Burg zog. Auch die Burgmannen hatten die Pflicht, ständig auf der Burg zu wohnen. Daß diese sich dort schon von 1208 an aufhielten, ersieht man daraus, daß Friedrich II. in einem Brief von 1214 verspricht, »die Verwandten und Freunde Gerhards, die von König Philipp als Burgmannen auf Landskron eingesetzt sind, in derselben ehrenvollen Stellung dort zu belassen«. Wieviele Personen dies waren — Gerhards Großfamilie und andere Ministeriale aus Sinzig — müßte man aus dem Fassungsvermögen der Burg errechnen können. Während Gerhard l. im Fronhof oder im Einenberger Hof in Sinzig noch einen Zweitwohnsitz hatte, wohnt sein Sohn Gerhard II. anscheinend nur noch auf der Burg.
Nachteiliger als der Abzug von Personen war für Sinzig aber noch, daß an Gerhards Person auch das Amt des Schultheißen gebunden wurde und er es auf die Burg Landskron mitnahm. Damit entfiel allmählich die Einbindung des Schultheißen in das alltägliche dörflich-städtische Leben Sinzigs und in der späteren Folge dann auch die Rechnungsführung; denn Friedrich II. übertrug Gerhard das Schultheißenamt mit allen Verrechnungen gegen eine jährliche Abgabe. Andererseits mag auch gerade die räumliche Trennung des Schultheißen von Sinzig eine Lücke gelassen haben, ohne die sich in den folgenden Jahrzehnten eine Mitwirkung der Bürger bis zur späteren Ratsverfassung nicht hätte entwickeln können.
Langfristig war die Gründung der Burg Landskron für Sinzig sogar sehr von Nachteil. Durch die Burg Landskron war die Pfalz Sinzig als Rastplatz für die Könige auf der Krönungsfahrt, als Stützpunkt für königliche Aktionen und als Sicherung des Reichsguts in der Rhein/Ahrregion überflüssig geworden. Damit erlahmte auch das politische Interesse des Königs an dem Ort Sinzig und wurde auf die Landskrone übertragen. Schon 1212 wird dies an und bei dem Besuch Otto IV. auf der Landskrone deutlich, als er der dortigen Kapelle den Schutzbrief ausstellte.
Im Gegensatz zu der Auffassung der Heimatliteratur, die im Bau der Burg Landskron den Höhepunkt der Entwicklung Sinzigs zu sehen geneigt ist, muß man erkennen, daß dies der Anfang vom Ende war, genauer, daß Sinzig dadurch seines Lagevorteils verlustig ging und im Laufe des nächsten Jahrhunderts von einer (zeitweiligen) Königsresidenz zu einem Landstädtchen absinken mußte, das später am Rande eines Landesfürstentums (Jülich) lag.
Die Verbindung der Staufer und Weifen mit dem unteren Ahrtal und der Burg Landskron ist damit noch nicht beendet. 1214 erscheint der spätere staufische Kaiser Friedrich II. vor der Burg Landskron und 1215 wird diese ihm von Gerhard von Sinzig kampflos übergeben. 1242 zieht der junge staufische König Konrad IV. von hier aus gegen die Besitzungen des Kölner Erzbischofs Konrad von Hochstaden an der Ahr und verwüstet Ahrweiler, während der Gegenschlag sich nur gegen den Rand von Sinzig , aber nicht gegen die Burg Landskron richten kann.
Von den Nachfolgern Gerhards l. und den ein- und angeheirateten Verwandten wurde die Burg Landskron auch unter der Herrschaft der Jülicher Herzöge bewohnt. 1682 wurde sie zerstört. Ihre Ruinen zeugen noch heute von den hochfliegenden Plänen der Staufer, aber auch von deren Interesse am Süden, an Italien und Sizilien, das einer dauerhafen Herrschaft am Mittelrhein nicht dienlich war.
Der Bau der Burg Landskron, der zu der Abflachung des Bergkegels führte, prägt aber noch und gerade durch die Abtragung das Bild des Ahrtals vom Rhein aus.
Vorstehende Untersuchung wird im größeren Zusammenhang veröffentlicht werden („Sinzig in der Stauferzeit«). Hier sind auch die Quellenhinweise zu finden.