Goethe am Laacher See
Anmerkungen zum Neptunismus und Vulkanismus
Leonhard Janla
Seit der Stiftung des Benediktinerklosters Laach am Ausgang des 11. Jahrhunderts haben unzählige fromme Pilger, Staatsmänner, Maler und Dichter das umwaldete Seetal und die Abtei besucht. Bekannte und namenlose Wanderer kamen gerne zum Kloster am See. Zu den berühmtesten gehörte Johann Wolfgang von Goethe, der mit dem Reichsfreiherrn vom Stein am 28. Juli 1815 in Laach weilte. Ein Relief aus Weiberner Tuffstein an der Klosterschänke erinnert an diese Begebenheit. Die Goethe-Erinnerungstafel wurde von dem Laacher Bruder Tutilo Haas (+ 1956) im Jahre 1931 im Hinblick auf das 100jährige Gedenken des Todesjahres von Goethe (1932) geschaffen.
Im Jahre 1815 fand Goethe ein verödetes Kloster vor, da die Abtei 1802 im Zuge der Säkularisation aufgehoben worden war. Bis 1892, als Benediktiner aus Beuron das Kloster erneut besiedelten, wechselte Laach wiederholt die Besitzer, wobei zuletzt von 1862 -1873 Jesuiten dort wohnten. Als Folge des Kulturkampfes mußten sie Deutschland verlassen. Die heute verbreitete Bezeichnung »Maria Laach« geht aber auf sie zurück. Die Jesuiten »prägten erst den jetzigen Namen des Klosters »Maria Laach«; die mittelalterliche Klosterbezeichnung war S. Maria ad lacum gewesen, deutsch Kloster Laach (vom lateinischen lacus = der See), was der Dialekt bis heute in der schlichten Bezeichnung >Looch< beibehalten hat.2« Auch Goethe spricht noch in seinen Tagebüchern aus der Zeit der Rheinreise vom Sommer 1815 von der »Abtey Laach«. Mit dem Reichsfreiherrn vom Stein3 reiste er damals am 25. Juli 1815 mit dem Nachen von Koblenz nach Köln, wobei er in seinem Diarium notierte: »Im Nachen hinabwärts. Angelegt bei Andernach, sodann bei Linz wegen des Zolles. Drachenfels, Siebengebirg, Bonn gegen Abend. Regen. Dämmerung, Nacht.4«
Auf der Rückreise am 27.128. Juli 1815 wurde erneut in Andernach Halt gemacht, von wo aus es mit der Kutsche in die Voreifel ging. Im Reisebericht hielt Goethe stichpunktartig fest: »Mittag zu Andernach. (. ..) Nach der verödeten Abtey Laach. Gräber. See. Bruch der sog. Rheinischen Mühlsteine bei Niedermennich. Weißenthurm. Spät in Coblentz.4« Dort machte Goethe dann noch denkmalpflegerische Vorschläge. Er forderte, daß die »bedeutenden Reste der Abtei Laach mit Vorsicht und Sorgfalt hieher (Koblenz) zu retten wären.5«
Außer diesen knappen Randbemerkungen hat Goethe selbst nichts mehr zu Laach niedergeschrieben. Allerdings überliefert uns der bekannte Kunstsammler Sulpiz Boiseree“ ein Gespräch, das er am 2. August 1815 mit Goethe in Wiesbaden führte, und worin sich der Dichter erneut zu Laach äußerte. »Wunderliche Bedingtheit des Menschen auf seine Vorstellungs-Art, wie Kant sehr richtig mit Antinomie der Vorstellungs-Art ausdruckt, so muß es mir mit Gewalt abgenötigt werden, wenn ich etwas für vulkanisch halten soll, ich kann nicht aus meinem Neptunismus heraus. — Das ist mir am auffallendsten gewesen am Laacher See und zu Mennig (Niedermendig); sehen Sie; das hat mich so ruhig gelassen, daß ich wie Abt Spangenberg hätte sagen mögen: Wir wünschen der lieben Gemeinde unsere Ruhe und unseren Frieden! Da ist mir nun alles so allmählich erschienen, das Loch mit seinen gelinden Hügeln und Buchenhainen, und warum soll denn das Wasser nicht auch löcheriche Steine machen können wie die Bimssteine und die Menniger Steine? Daß das Wasser, ehe es sich gesetzt, zuletzt noch einmal große Bewegung gemacht, wie im ersten Anfang, warum das nicht? Es möchte dem Vulkanismus schwerer fallen, die Menniger Steine als Lava durchzuführen und zu erklären vollständig, wie sie geflossen und dahin gekommen. Ja, wenn von Vulkanen die Rede, wie bei Nemi in Italien, da bin ich genötigt, überzeugt und überwältigt, da glaube ich, und wenn ich einmal anerkenne und verteidige, dann will es auch was heißen; so in Böhmen, da habe ich bewiesen, wie ich mich eines Vulkans annehmen kann; aber hier hat Hamilton mehr gesehen, als zu sehen war, und den hat dann der elende Deluc, der gar nichts davon versteht , nachgeschwatzt.7« In der zitierten Passage spricht Goethe als Naturwissenschaftler8. Neben dem künstlerischen Schaffen nimmt auch die Naturforschung eine bedeutende Stellung in Goethes Tätigkeit ein. Auf seinen Reisen stellte Goethe Untersuchungen an, machte Beobachtungen und vervollständigte seine großen mineralogischen Sammlungen. Mit Chemie, Biologie, Botanik und Optik setzte er sich auseinander, vor allem aber interessierte ihn die Entstehung der Gesteine und der Erdoberfläche. Bis in die Dichtungen hinein ist dies ablesbar. Die Diskussion der geologischen Frage, bei der es im 18. und frühen 19. Jahrhundert zwei unterschiedliche Auffassungen gab, kann auch in Goethes Faust II verfolgt werden. Im Hymnus auf das Wasser heißt es dort: »Alles ist aus dem Wasser entsprungen!! Alles wird aus dem Wasser erhalten!9« Goethes Grundüberzeugung als Neptunist wird hieran deutlich. Er glaubte mit den Hauptvertretern dieser geologischen Richtung, daß die Gesteine und die Erdrinde in der Hauptsache durch Wasser entstanden seien. Wenn auch die Vorstellungen der Neptunisten schon zu Goethes Lebzeiten vielfach widerlegt wurden, so blieb Goethe dennoch dieser »Schule« treu. Die Vulkanisten oder Plutonisten, die sich am Anfang des 19. Jahrhunderts immer mehr durchsetzten, bekämpften Goethe heftig. Obwohl er ihre Argumente vielfach nicht widerlegen konnte, so ließ er dennoch nicht von der Idee des Neptunismus ab, da ihm alles Laute, Revolutionäre, das ja mit dem Vulkanismus zwangsläufig verbunden ist, völlig zuwider war.10
Kloster Laach, 1831 (Lith. N. Ponsart)
Daß nach dem Tode des führenden Neptunisten Abraham Gottlob Werner (1749 – 1817) viele seiner Anhänger sofort zu den Plutonisten überliefen, empörte Goethe. In einem Brief gab er seinem Unmut darüber Ausdruck.
»Alles eilt, wieder zu den Fahnen des Vulkanismus zu schwören, und weil einmal eine Lava sich säulenförmig gebildet hat, sollen alle Basalte Laven seyn, als wenn nicht alles Aufgelöste durch wässrige, feuerige, geistige, lufige oder irgends eindringende Mittel in Freiheit gesetzt sich go schnell als möglich zu gestalten suchte. Wenn ich Zeit finde, setze ich hierüber mein Glaubensbekenntniß auf11.« Freilich war Goethe nicht so engstirnig, daß er sich den Argumenten der verhaßten Richtung ganz verschloß. Besonders im hohen Alter nahmen seine Vorwürfe gegen den Plutonismus ab. In seinen Äußerungen zum Laacher See klingt dies schon an. Er weiß zwar von den Erklärungen der Vulkanisten, jedoch will er die Möglichkeit, daß die Deutungsversuche der Neptunisten richtig sein könnten, nicht ausschließen.
Inzwischen hat die Geologie die Entstehung des Laacher Sees weiter erklärt, wobei Goethes Vorstellungen nicht bestätigt werden konnten.
Danach stellt der Laacher See ein würmkaltzeitliches Einbruchsbecken dar.12 Vor 70 000 bis 30 000 Jahren führte vulkanische Tätigkeit in der Umgebung des heutigen Sees zu einem Massendefizit, also zu einem Hohlraum unter dem jetzigen Seegebiet. Durch die Tätigkeit der Randvulkane brach das Gebiet schließlich ein und es enstand ein Becken. In einer 2. Phase, vor 12 000 bis 10 000 Jahren vor unserer Zeit, ist dann die eigene vulkanische Tätigkeit des Laacher Gebiets feststellbar. Dabei wurden Bimse aus dem Laacher Becken herausgeschleudert, die heute im Neu-wieder Becken abgelagert sind. Als die Bimse aus dem Laacher Becken ausbrachen, kam es zu einer Erweiterung des vulkano-tektonischen Beckens. Die mitgerissenen basaltischen Gesteine lagerten sich in den Bimsschichten ab. An den Hängen des Brohltals finden wir heute Traß, der von Tuffen, die stark verfestigt sind, gebildet wird. Traß entstand aus einem glühenden Gemisch von heißen Gasen, Aschenwolken und Wasserdampf. Durch Kondensation wurde diese Mischung zu einem Schlammstrom verbacken, der sich an der Erdoberfläche absetzte. Als dieser Schlamm vom Laacher Becken aus auf die Hänge gespült wurde, verfestigte das stark kohlensäurehaltige Grundwasser diesen zu Traß. Das Becken des Laacher Gebiets füllte sich schließlich hauptsächlich mit Grundwasser. Der erbitterte Kampf zwischen Neptunisten und Vulkanisten im 18. und frühen 19. Jahrhundert, an dem auch Goethe beteiligt war, führte zur Herausbildung der neueren Geologie als wissenschaftlicher Disziplin, der wir auch die oben grob skizzierten Ergebnisse verdanken. Wenn Goethe auch »irrte«13, so verstand er es aber doch zu fragen. Die Erscheinungen und Vorgänge in der Natur beobachtete er und stellte sie in einen größeren Zusammenhang. Der Bedingtheit seines eigenen Denkens war er sich dabei bewußt.
Goethe-Erinnerungstafel in Maria Laach
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse in allen Bereichen des Lebens nehmen heute zwar ständig zu, sie sind aber kaum noch rezipierbar. Es ist darum zweifellos richtig: » . . . wir wissen mehr über die Welt als irgendeine Zeit vorher, aber >wir< heißt in keinem Fall >ich<.“«
Was uns vielfach abhanden kam, ist die Fähigkeit zu naiver Neugierde, zum Betrachten, Innehalten und dem wachen Interesse an allem, was uns umgibt.
Anmerkungen:
- Diese Auskunft verdanke ich dem Archivar des Klosters Maria Laach, Herrn Pater Emmanuel von Severus, O. S. B.
- Bogler, Th. P.: Maria Laach. Vergangenheit und Gegenwart der Abtei am Laacher See. München o. J.. S. 7
- Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757 -1831): Die Selbstverwaltung der Provinzen, Kreise und Gemeinden geht auf die Reformvorschläge dieses Staatsmannes, Schriftstellers und Geschichtsforschers zurück. Der Reichsfreiherr besaß in Bodendorf/Landskrone Besitzungen, die er aber versteigern ließ.
- Goethes Werke, W A IM. Abt., Tagebücher Band 5 (1813 – 1816)
- Goethes Werke, W A 34, Über Kunst und Altherlum, S. 97
- Sulpiz Boisseree (1783 -1854): Kunstgelehrter und Kunstsammler, der durch sein Werk »Geschichte und Beschreibung des Doms von Köln« den Weiterbau des Doms maßgeblich anregte. Zu der Zeit als Goethe Laach besuchte, war Boisseree Besitzer des Apollinarisbergs in Remagen.
- Goethes Gespräche in 4 Bänden, 2. Band 1805 – 1817, Artemis Verlag Zürich 0. J.. S. 1029 Siehe auch: Sulpiz Boisseree, Tagebücher Band 1, Darmstadt 1978. S. 226 Hamilton, Sir William: 1730 – 1803 (Altertumsforscher und Geologe) Als Altertumsforscher nahm er großen Anteil an der Lntdeckung von Pompeii und Herculaneum. Seine Forschungen über den Vesuv und Ätna faßte er in dem Werk »Observations on mount Vesuvius, etc.« zusammen (London 1772) Deluc, Jean Andre: 1727 – 1817 (franz. Geologe und Meteorologe)
- Goethe-Handbuch, hrsg. von Julius Zeitler. III. Band. Stuttgart 1918
- Faust II, Akt II, Szene 7
- Stiehler, August Wilhelm: Goethe und sein Verhältnis zum Neptunismus und Vulkanismus. In: Deutsches Museum 1855, S. 124 -137.
- Brief an Leonhard vom 9. Januar 1819. WA IV. Abt. Briefe 31, S. 52
- Die Erläuterungen zur Entstehung des Laacher Sees verdanke ich Herrn Herbert Weber, Bonn. Siehe auch: Hopmann, Frechen, Knetsch: Die vulkanische Eifel. Wittlich 1951.
- Leo Stausberg: Hier irrt Goethe. In: Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler 18. 1961 S. 59 f. Für lange Zeit ging es um den Nachweis von Irrtümern in Goethes Schriften. Der Ausspruch »Hier irrt Goethe« des Goethe-Philologen Düntzer, dessen Abhandlungen mitunter auch verächtlich »Düntzereien« genannt wurden, war berühmter. Diesen Ansatz zeichnete im Zeitalter des Positivismus eine Sammelwut und >Schnüffelei< aus, die aus heutiger Sicht nur noch belächelt werden kann. Stausberg knüpft im Titel seines Aufsatzes an diese Wissenschaftsrichtung an. In seiner Darstellung verkürzt er das Goethazitat und weist damit den .Irrtum, nach. Dabei macht das Gespräch deutlich, daß Goethe sich der Problematik seiner Aussage bewußt war. Dali er trotzdem überzeugter Neptunist war, habe ich aufzuzeigen versucht.
- Blumenberg, Hans: Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Frankfurt/Main 1980, S. 17