Sankt Viktor auf dem Berge Sankt Marien am Strom
Zur Kirchenhistorie des »Breisiger Ländchens«
Carl Bertram Hommen
Die beiden katholischen Pfarreien von Bad Breisig haben seit dem Frühjahr 1984 in dem bisherigen Regionaldekan der Region Rhein/ Mosel/Ahr, Paul Menzenbach, einen neuen gemeinsamen Pfarrherrn erhalten. Der langjährige Pfarrer an Sankt Viktor in Oberbreisig, Alex Grones, war aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand getreten. Pfarrer Karl Korbach von Mariae Himmelfahrt in Niederbreisig hatte nach schwerer Erkrankung auf seine Pfarrei verzichten müssen. Damit unterstehen beide Breisiger Kirchen, wie dies bis 1786 der Fall war, heute wieder nur einem Pfarrer. An einer solchen Regelung hatten die Kölner Erzbischöfe, deren Herrschaftsbereich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts erst am Vinxtbach endete, aus kirchen- und landespolitischen Gründen lange festgehalten. Denn Verträge über das damalige »Ländchen Breisig« zwischen dem früheren Stift Essen und dem Stift Sankt Florin in Koblenz bestimmten dies seit 1311.
Heute sieht sich das Bistum Trier wegen des Mangels an Geistlichen vielerorts dazu gezwungen, mehrere Pfarrgemeinden einem Pfarrer zu unterstellen.
Die Neuorganisation in Bad Breisig lenkt den Blick auf die wechselvolle Kirchenhistorie des »Breisiger Ländchens«. Mit der Geschichte seiner Pfarreien, der Bestellung ihrer Pfarrer und nicht zuletzt dem wechselseitigen kirchlichen Einfluß in Ober- und Niederbreisig ist über fast ein Jahrtausend hinweg auch das Schicksal der Zivilgemeinden des „Ländchens Breisig’« und ihrer Einwohner eng verzahnt. Gemeinhin datiert man den urkundlich nachweisbaren Beginn der ersten Breisiger Pfarrkirche auf das Jahr 1041 n. Chr., als am 9. April der Trierer Erzbischof Poppe im sog. Prekarie-Vertrag einer Witwe Gerbirch das Patronatsrecht über die Oberbreisiger Kirche auf Lebenszeit verlieh. Dieses Recht, den Pastor für Breisig vorzuschlagen, sollte nach ihrem Tode an das Stift Sankt Florin in Koblenz übergehen. Das Trierer Bistum bedankte sich damit für ein Gut bei Henningen an der Ahr, das die Witwe ihm geschenkt hatte.
Wenige Jahrzehnte zuvor hatte Mathilde von Schwaben, eine Enkelin Kaiser Otto l, als Äbtissin des Stiftes Essen diesem die Landeshoheit über Breisig als wesentliche Erweiterung seines Besitzes zum Geschenk gemacht. Von den Kirchenhistorikern wird heute weitgehend angenommen, daß Essen in Oberbreisig als dem Zentralplatz des Breisiger Ländchens bereits damals eine erste Kirche erbaute oder gar vorfand, daß sie aber nicht etwa Mutterkirche für andere Gemeinden war, so daß deren Kirchen von ihr abhängig gewesen seien, wie dies fälschlicherweise im Bezug auf Gönnersdorf und Lützingen behauptet worden ist. Denn der Bereich der Kölner Erzdiözese endete früher am Vinxtbach, während die südlich gelegenen Gemeinden kirchlich stets zu Trier gehörten. Der heutige Bau der dreischiffigen, gewölbten Pfeiler-Basilika in Oberbreisig, die als einzige in der Diözese Trier Sankt Viktor zum Pfarrpatron hat, wurde zu Anfang des 13. Jahrhunderts errichtet. Sie zählt bei einer Länge von nur 26 Meter und einer Breite von 17 Meter zu den schönsten und originellsten Dorfkirchen der rheinischen Spätromanik. Dies verdankt sie nicht zuletzt dem Reiz der Fresken, die aus dem 13. bis 15. Jahrhundert stammen, seit der Reformationszeit übertüncht waren und erst vor siebzig Jahren weitgehend wieder freigelegt wurden.
Es ist verständlich, daß sich das Essener Damenstift zur Wehr setzte, als es seine Rechte in Breisig durcn das an die Herren von Sankt Florin verliehene Patronat beeinträchtigt sah — und dies vor allem, als eine 1264 folgende »Inkorporation« daraus eine rechtliche Einverleibung machte. Es dauerte danach fast fünfzig Jahre, bis Essen und das Florins-Stift — und zwar auf Vermittlung des Kölner Erzbischofs Heinrich von Virneburg — im Jahre 1311 darüber zu einem Übereinkommen gelangten. Danach sollten die beiden Stifte den Breisiger Pfarrer künftig abwechselnd bestellen, als gemeinsame Zehntherren ihm ein gutes Auskommen verschaffen und ihn dadurch in die Lage versetzen, über die notwendigen Mittel für den Gottesdienst und die übliche Gastfreundschaft zu verfügen. Andererseits mußte sich das Essener Stift, da die Pfalzgrafen ihr Amt eines Schutzvogtes als Lehen an die Herzöge von Jülich weitergegeben hatten, gegen den Versuch dieser neuen Herren zur Wehr setzen, dem Stift seinen Anteil an der Landesherrschaft zu entreißen und die Gesamtherrschaft zu erlangen. Dadurch wäre es Jülich möglich geworden, das »Ländchen Breisig« dem ihm 1348 zugefallenen Gebiet um Sinzig anzuschließen. Dem zähen Widerstand der Essener Äbtissinnen gelang es aber erst 1747, in einem Vergleich wenigstens eine gemeinsame Landeshoheit mit Jülich zu behaupten. Für den kirchlichen Bereich erwuchsen dem Essener Stift erhebliche Schwierigkeiten, als Niederbreisig nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mit Anwachsen seiner Einwohnerzahl von der Sankt-Viktor-Kirche in Oberbreisig unabhängig werden wollte. Schon bisher hatte man am Rhein in einer von Oberbreisig abhängigen Kapelle, deren Kirchenpatrone die Heiligen Nikolaus und Sebastian waren, einen kirchlichen und zugleich weltlichen Mittelpunkt gefunden. Diese Kapelle ist urkundlich erstmals 1337 erwähnt. Sie hatte einen eigenen Rektor und war im Beginn des 15. Jahrhunderts Sitz der Breisiger Märkergenossenschaft, des obersten Organs der Selbstverwaltung. Daneben gab es am Rhein eine dem hl. Donatus geweihte Kirche. Sie ist seit 1245 erwähnt, gehörte zur Breisiger Templer-Kommende und war 1312 bei Auflösung dieses Ritterordens mit der Kommende an die Johaniter/Malteser-Ordensritter gefallen.
Kirche Sankt Viktor, Oberbreisig
Beide Gotteshäuser, so muß man annehmen, schienen der Landeshoheit und vor allem den Pfarrern von Sankt Viktor in Oberbreisig bisher ausreichend gewesen zu sein für die zusätzliche religiöse Betreuung der in Niederbreisig wohnenden Bürger. Aber am 18. Mai 1654, einem Sonntag, an dem die Essener Fürstin Anna Salome die Breisiger zur Huldigung an die Gerichtsstelle befohlen hatte, legte man nach dem Festgottesdienst den Grundstein zum Bau einer größeren Kapelle. Als die Familie des Breisiger Schultheißen Meurers Oberbreisig verließ und 1670 ihr neues Haus in Niederbreisig bezog, gewann dort der Ruf nach einer selbständigen Pfarrkirche mit einem eigenen Pastor an Gewicht — auch wenn die Schultheißen-Familie sich noch 1708 in Oberbreisig unmittelbar neben der Pfarrkirche eine Grabkapelle hatte erbauen lassen, da es in Niederbreisig keinen Friedhof gab. 1717 begannen die Einwohner von Niederbreisig mit dem Bau einer großen Kirche, die sie in der Dorfmitte an der Stelle der kleinen Kapelle errichteten. Am 7. April 1719, an Karfreitag, setzte man das Kreuz auf die Spitze des wuchtigen quadratischen Turms. Anschließend begann man mit dem Bau von Chor und Langhaus, so daß die Kirche 1722 konsekriert werden konnte. (Vor wenigen Jahren wurde die Kirche, ein schmucker Barockbau, um ein Querschiff erweitert).
Trotz dieser Initiative, mit der man die wachsende Bedeutung von Niederbreisig unterstrich, sollte es noch sechs Jahrzente dauern, bis das Generalvikariat der Erzdiözese Köln, zu der Breisig damals wie alle Kirchengemeinden nördlich des Vinxtbaches gehörten, den Wünschen der Niederbreisiger Einwohner nach völliger Selbständigkeit nachgab. Sorgsam dosiert löste das Erzstift das heikle Problem in zwei Schritten. Zunächst führte man 1783 in Breisig eine Kirchenvisitation durch. Der Generalvikar berief sich dabei auf die Vorschriften des vor 200 Jahren durchgeführten Tridentinischen Konzils. Darin war festgelegt, »daß an jenen Orten, wo das Christliche Volk wegen Entlegenheit und beschwerlichen Wegen zu ihren Pfarrkirchen zur Beiwohnung des Gottesdienstes und zum Empfange der hl. Sacramente nicht hinkommen kann, die ordinarii locorum neue Pfarreien auch wider den Willen der Rectoren errichten sollen.«
Damals war der Geistliche Johannes Heinrich Daheim kurz zuvor dem siebzig Jahre alten und kränklichen Pfarrer von Oberbreisig Egidius Franz Jaumollet als Coadjutor beigegeben und zugleich als Administrator zum Rektor der Kirche in Niederbreisig bestellt worden. Der Tod von Pastor Jaumollet am 25. März 1784 erleichterte dem Erzstift eine Lösung für Niederbreisig. Zunächst erweiterte Generalvikar Johann Philipp von Horn-Goldschmid die Befugnisse der dortigen neuen Kirche. Er gestattete ihr am 21. Mai 1785 einen eigenen Taufstein und die Anlage eines Friedhofs, so daß seitdem in Niederbreisig die Kinder getauft und die Toten beerdigt werden konnten. Schon im Frühjahr 1786 wurde Niederbreisig dann zur selbständigen und von Oberbreisig unabhängigen Pfarrei erhoben und erhielt einen eigenen Pfarrer. In dem Erlaß des Kölner Generalvikars vom 3. März 1786, in dem er diese Regelung eingehend erläuterte und begründete, wird ausdrücklich festgestellt, man habe bei der Kirchenvisitation im Jahre 1783 »mit Überzeugung wahrgenommen, daß die Seelsorge der beiden Ortschaften Ober- und Niederbreisig sehr vielen Beschwärnissen und Gefahren sowohl in Rücksicht auf die Pfarrgenossen als auch auf den Pastoren selbst ausgesetzt seyn, zumalen da Oberbreisig von Niederbreisig ziemlich weit entlegen, der steile Weg zu der in Oberbreisig auf einem Berge gelegenen Pfarrkirche zu Winterszeit wegen Schnee und Eiß, besonders wo noch ein Bach von obsnaus hinunter fließt, sehr gefährlich seyn, indem zu Winterszeit die kleinen Kinder nicht ohne Gefahr zur hl. Tauf, die Todten nicht ohne große Beschwärnis zur Begräbnis auf Oberbreisig hingebracht, die Kranken auch von dem in Oberbreisig residierenden Pastorn nicht ohne die nemliche Gefahr, ohne Hl. Sacramen-tum hinzuscheiden, besorget werden mögen.«
Kirche Maria Himmelfahrt, Niederbreisig
»In Erwägung all dieser Umstände finden Wir uns genöthiget« — so heißt es in der Entscheidung des Generalvikars weiter— »auf wiederholtes Ansteen der Eingesessenen zu Niederbreisig, auf Veranlassung und Zuthun der Durchlauchtigsten Fürstin zu Essen als Landesfrauen daselbst und dermaliger Patronin der Breisiger Pfarrei, diese in zwo Pfarreien dergestalten zu vertheilen, daß
- zu Niederbreisig auch eine besondere Pfarr errichtet und dieser auch ein besonderer Pfarrer vorgesetzt werden solle;
- da die Gemeinde zu Niederbreisig eine besondere neue geräumige, mit allen Nothwendigkeiten versehene Kirche hat«, auch erklärt habe, sie in Zukunft aus eigenen Mitteln voll zu unterhalten und, wenn notwendig, zu reparieren, »wird besagte Kirch zur Pfarrkirche mit Taufstein und Kirchhof erhoben.«
Ihr wurde ein genau umschriebener besonderer Pfarrbezirk mit Friedhof zugewiesen. Aus der alten Breisiger Gesamtpfarrei wurden gleichzeitig Thal Rheineck »diesseits der Bach« — nur dieser zu Breisig gehörende Teil nördlich des Vinxtbaches war kölnisch, der zum Burgberg hin gelegene Ortsteil mit der seit 1718 bestehenden Kapelle zu Ehren des hl. Karl Borromaeus jedoch trierisch – sowie der Rudelberg und der Tempelhof der Kirche in Niederbreisig zugeteilt. Zwei Marienstätter Höfe und der Ortsteil von Gönnersdorf nördlich des Vinxtbaches blieben dagegen bei Oberbreisig. Die bisherigen Einkünfte der Pfarreibereiche sollten »in zwei gleiche Teile eingeteilt und ein jeder Pastor die Halbscheid davon für seine congruo genießen.« Was das Patronatsrecht über die Breisiger Pfarreien betreffe, solle es »auch in Zukunft bei dem Turnus alternativo bestehen bleiben, als daß Ihre Königliche Hoheit die Fürstin zu Essen dermalen beide Pfarreien zu vergeben habe, bei nachkünftiger Vacatur aber die Collation von beiden dem Stift zu St. Florin in Koblenz zukommen solle«.
Am 1. Oktober 1786 schließlich nominierte Fürstäbtissin Maria Cunegunda, die letzte Essener Äbtissin, den dreißig Jahre alten Vikar Peter Josef Thelen als ersten Pfarrer für »Mariae Himmelfahrt« in Niederbreisig, an der er 36 Jahre bis zu seinem Tode am 16. Juli 1822 wirkte, Eine Woche nach der Ernennung von Pfarrer Thelen erhielt der bisherige Coadjutor Daheim, seit Jaumollets Tod Pfarrverwalter an Sankt Viktor, den die offizielle Geschichte der Pfarreien in der Trierer Diözese einen »unruhigen und streitbaren Herrn« nennt, die Bestellung zum Pfarrer in Oberbreisig. Pastor Menzenbach ist der zehnte Pfarrherr an Mariae Himmelfahrt in Niederbreisig und zugleich der 34. namentlich bekannte Pastor an Sankt Viktor in Oberbreisig, der in der offiziellen Geschichte dieser bis 180E zum Kurkölnischen Ahrgau-Dekanat, dann bis 1824 zur Diözese Aachen und seither zu Trier gehörende Pfarrei verzeichnet ist. Zu seinen Vorgängern zählte mit Johann Anton Calmund (geb. 1763, gest. 1843) der einzige Geistliche, der aus Oberbreisig selbst stammte, hier von 1811 bis 1826 amtierte und nach seiner Pensionierung auch wohnen blieb. Diese Liste der Breisiger Geistlichen beginnt 1287 mit dem »Pleban« Heinrich, der die Pfarrei als Stellvertreter für den namentlich nicht bekannten Inhaber betreute. Der zweite Pfarrherr an Sankt Viktor, der Wormser Propst Adolf von der Mark, dagegen war selbst als sog. Personatist lediglich Inhaber dieser Pfründe. Die Pfarrstelle war ihm, wie damals vielfach üblich, als dem vom Stift Essen vorgeschlagenen Geistlichen zugefallen; er ließ sie jedoch von einem anderen Geistlichen verwalten. Zwei Jahre nach seiner Ernennung wurde er Bischof von Lüttich.