Caesar und Demosthenes in der Eifel – Erinnerungen an die Schulzeit in der Rektoratsschule Adenau
Caesar und Demosthenes in der Eifel
Erinnerungen an die Schulzeit in der Rektoratschule Adenau
Peter Richter
Als ich im 4. Schuljahr war, brachte mir der Nikolaus neben ein paar Süßigkeiten auch ein ledernes Federmäppchen. »Das brauchst du, wenn du nach Ostern die Schule in Adenau besuchst«, sagte mein Vater. »Dort wird nur noch mit Tinte geschrieben, und deine hölzerne Griffelscheide ist dann nicht mehr nötig.« Eigentlich hätte ich im Frühjahr 1932 eineAufnah-meprüfung ablegen müssen, wie sie damals für alle vorgeschrieben war, die von der Volksschule auf eine weiterführende Schule wechseln wollten. Aber da man froh war um jeden Schüler, wurde auf die Prüfung verzichtet.Der Andrang zu einer Schule, für die die Eltern monatlich 20 Reichsmark Schulgeld an die Adenauer Gemeindekasse zu zahlen hatten und wo die Kosten für Bücher und Schreibmaterialien im Vergleich zur allgemeinen Volksschule recht hoch lagen, war in der damaligen Notzeit nicht groß. Man muß bedenken, daß es in Deutschland sieben Millionen Arbeitslose gab und der Stundenlohn bei 50 Pfennigen lag. Zudem zählte die Eifel zu den ärmsten Gegenden Deutschlands.
Die Schule
Etwas neugierig war ich schon, als »Steins Franz« mich im Auftrag meiner Eltern zum ersten Mal in die neue Schule mitnahm. Sie lag am oberen Teil des Viehmarktes. Bei den Leuten hieß sie »de Höhere Schull«, aber ihr offizieller Name war »Rektoratschule Adenau«. Am ersten Schultag mußten wir uns vor der hohen Treppe aufstellen und kamen dann in unseren Klassenraum, der gleich hinter der Eingangstür lag. Die kleine Gisela Creutz, die auch zu den Schulneulingen gehörte, konnte damals nicht ahnen, daß der Viehmarkt später nach ihrem Vater »Dr.-Creutz-Platz« heißen würde.
In dem kleinen Gebäude fanden wir uns bald zurecht. Es gab dort 3 Klassenzimmer. Ein viertes befand sich über dem angebauten Feuerwehrhaus. Man erreichte es von der halben Innentreppe aus. Die Schule umfaßte 5 Klas-senstufen. Somit mußten die beiden untersten Jahrgänge in einem Zimmer gemeinsam unterrichtet werden. Neu für mich waren die Namen der Klassen: Sexta, Quinta, Quarta, Untertertia, Obertertia. Wenn man die Schule durchlaufen habe, so wußten die Mitschüler zu berichten, könne man weiterhin nach Ahrweiler fahren. Dort gebe es dann noch Untersekunda, Obersekunda, Unterprima und Oberprima. Daß die Zählung der Klassen doch ganz anders war als in unserer Dortschule, wurde mir bald klar, als ich im Lateinunterricht lernte: Sexta bedeutet die sechste, quinta die fünfte, quarta die vierte, tertia die dritte, Sekunda die zweite und prima die erste.
An einem der ersten Schultage nahm mich meine Mutter mit zu Frau Habig, die am Marktplatz ein kleines Hutgeschärt betrieb. Dort erhielt Ich eine dunkelblaue Sextanermütze. Es war eine Tellermütze mit schwarzem Schirm und umlaufenden bunten Litzen. So konnte man an der Kopfbedeckung gleich erkennen, welche Klasse ein Schüler besuchte. Die Mützen der Quintaner waren hellgrün, die der Quartaner hellrot, die Untertertianer trugen dunkelgrüne und die Obertertianer dunkelrote Mützen.
Einen eigentlichen Schulhof hatten wir nicht. Für Pausen und Freistunden stand uns der ganze Viehmarkt zur Verfügung. Der Teil des Platzes, wo Ochsen und Kühe gehandelt wurden, eignete sich nicht so gut für unsere Spiele, denn dort waren lange eiserne Stangen angebracht, an denen man an Markttagen die Tiere festband. Der Teil, auf dem mehrmals im Jahr der Schweinemarkt stattfand, war unser eigentlicher Spielplatz. Besonders gern hielten wir uns vor der Einfahrt zur Feuerwehrgarage und am Feuerwehrturm auf, der dort stand, wo die „Säujaß« in den Viehmarkt einmündete.
Am interessantesten waren natürlich die Markttage selbst. Dann hörten wir zu, wie Bauern und Viehhändler um einen Taler mehr oder weniger feilschten, den man für ein Stück Vieh verlangte oder zu geben bereit war. Als Taler bezeichnete man das Drei-Mark-Stück, das sich damals noch im Umlauf befand, und die Viehpreise wurden vielfach noch in Talern angegeben. Für uns war es lustig zuzuhören, wie der Verkäufer sein Tier in den höchsten Tönen zu loben wußte, während der Kaufinteressent immer neue Mängel zu entdecken schien, die den geforderten Preis als völlig überhöht erscheinen ließen. Die Schweine wurden auf Wagen oder in Kisten gleich vor den Fenstern unserer Klassenzimmer feilgeboten. Natürlich roch es nicht besonders gut, aber daran nahm in diesen Zeiten niemand Anstoß.
Obwohl er nicht direkt an unserem Schulweg lag, gingen wir an manchen Markttagen nach dem Unterricht auch noch auf dem »Kromaat«. Wir hörten uns an, wie der »billige Jakob« seine Waren mit lustigen Sprüchen und verrosteter Stimme an den Mann oder die Frau brachte. Textilien, Haushaltswaren, Handwerkszeug, dubiose Heilmittel und anderer Kram wurden lauthals angepriesen und, wie es bei den Eife-lern üblich war, nach langer Überlegung und eingehender Prüfung schließlich auch gekauft.
Die Lehrer
Die Rektoratschule hatte damals vier Lehrkräfte. Schulleiter war der Assessor August LeIImann, der auch in der Nähe der Schule am Schwallenberg sein Haus hatte. Die drei anderen Lehrkräfte waren von der Ausbildung her Mittelschullehrer: Sophia Baur, Karl Burkhardt und Heinrich Löhndorf.
Letzterer wohnte im Zigarrengeschäft Thelen, wo er wohl Geschmack an kaufmännischer Betätigung gefunden hatte, denn er gab bald den Schuldienst auf und war danach in Köln in der Tabakbranche tätig. Seine Stelle an der Schule übernahm die junge Lehrerin Martha Klein aus Barweiler. Außer diesen vier hauptamtlichen Lehrkräften unterrichtete noch ein Kaplan nebenamtlich im Fach Religion.
Mein erster Klassenlehrer war Herr Löhndorf, ein freundlicher und lustiger Mensch. Uns gefielen besonders seine Biologiestunden, denn da hieß es bei gutem Wetter häufig: Wir gehen beobachten. Die ganze Klasse zog dann den Kirchberg oder Schwallenberg hinauf, und alles. was wir an Pflanzen oder Kleintieren fanden, wurde benannt und erklärt. Auf seine Anweisung hin sammelten wir auch zu Hause alle Pflanzen, die uns interessant erschienen, und preßten sie zwischen Löschblättern in einem dicken Buch, das wir unter den Bettpfosten schoben. Die gepreßten Stücke wurden in ein Notizbuch geklebt und in der nächsten Stunde vorgezeigt. Herr Löhndorf nannte uns die Namen, die wir dann neben die gepreßte Blume schreiben und uns gut merken mußten. Wollte man in Biologie die Note »eins« haben, dann mußte man möglichst viele Seiten mit solchen Pflanzen vorweisen.
Manchmal bekamen wir unseren Klassenlehrer auch sonntags zu sehen. Obwohl er nicht mehr ganz jung und schon etwas füllig war, spielte er bei der Fußballmannschaft der DJK Adenau. Auch hier war er ganz Lehrer, denn er rief seinen Mitspielern immer zu, wie sie zu spielen hatten. Ab Quarta hatte ich Herrn Leilmann als Klassenlehrer. Er war schon äußerlich eine auffällige Erscheinung, da er einen Spitzbart trug. Damals waren nämlich die Männer durchweg um das Kinn glatt rasiert, nur einige ganz alte hatten Vollbärte. Wir lernten bei Herrn Leilmann Geschichte des Altertums und Latein, und er verstand es, uns für diese bei Schülern nicht unbedingt beliebten Fächer zu begeistern. Im ersten Weltkrieg war er bei der Artillerie gewesen. Manchmal brachten wir ihn dazu, aus dieser Zeit zu erzählen, was für uns natürlich interessanterwarais dernormale Unterricht. Ervergaß auch nicht zu erwähnen, wie nützlich ihm die lateinische Sprache manchmal gewesen sei. In östlichen Ländern, deren Sprache niemand gesprochen habe, sei ihm wenigstens die Verständigung mit dem Pfarrer des jeweiligen Ortes möglich gewesen. Das Funktionieren eines Geschützes wußte er natürlich genau zu erklären. Als ihn einmal ein Mitschüler fragte, was ein »Kanone-Deckel« sei, mußte er allerdings zugeben, einen solchen nicht zu kennen. Die ganze Klasse lachte laut auf. denn eine „Kann‘ ohne Deckel« kenne doch jeder. Herr Leilmann war ein sehr gutmütiger Mensch und nahm solche und ähnliche Scherze nicht übel. Sein Spitzname war »Ziese« oder auch »Ziep«. Das leitete sich von der englischen Aussprache des großen römischen Feldherrn und Staatsmannes C.l. Caesar ab, dessen »Commentarii de bello Gallico« zur obligatorischen lateinischen Schullektüre gehörten. In meiner Erinnerung
sehe ich Herrn Leilmann vor der Klasse auf- und abgehen, in der rechten Hand ein Haselstöck-chen haltend, auf dem das Buch lag, während er mit der linken fortwährend über seinen Spitzbart strich. »Halt, Batterie halt«, lautete das aus seiner Militärzeit stammende Kommando, wenn ein Schüler mit dem Übersetzen aufhören sollte, damit ein anderer fortfahren konnte. Eindringlich warnte er uns davor, einen »Pons« zu benutzen. Das war eine deutsche Übersetzung des „Bellum Gallicum«, die laut Titelseite »von einem Schulmann« verfaßt war. Ebenso hatte er uns schon in der Quinta immer mit ernsten Worten klarzumachen versucht, welche verheerenden Folgen es für unsere weitere Schullaufbahn haben würde, wenn wir die unregelmäßigen Verben aus der lateinischen Grammatik nicht richtig lernten.
Von Zeit zu Zeit gab es in der Schule eine kleine Aufregung. Eshieß: »DerHerrDirektorkommt!« Dr. Flam, der Leiter des Realgymnasiums Ahr-weiler – Bad Neuenahr hatte offensichtlich gewisse Aufsichtsfunktionen gegenüber der RektoratschuleAdenau, die ja auch Zubringerschule für seine Anstalt war. Er kam aber meist nur kurz in die Klasse und hörte beim Unterricht zu, wo wir Schüler besonders eifrig mitarbeiteten. Trotzdem waren wir ein wenig erleichtert, wenn der Gast aus Ahrweiler seine Uhr aus der Westentasche hervorholte und sich bald wieder verabschiedete.
Der Unterricht
Vier Lehrpersonen für fünf Klassen, das bedeutete, daß alle Lehrkräfte neben den Fächern, die sie studiert hatten, auch fachfremd unterrichten mußten. Trotzdem hatte ich später nie den Eindruck, daß wir etwa weniger gelernt hätten als andere Schüler an personell und sachlich viel besser ausgestatteten Schulen. Es gab bei uns keine Fachräume und weder Sekretärin noch Hausmeister. Die Schule hatte nicht einmal ein Lehrerzimmer, und so spazierten unsere vier Lehrer in der großen Pause nebeneinander vor dem Schulhaus auf und ab, aßen ihre Butterbrote und unterhielten sich. Der Schulbetrieb war ja gut zu übersehen. Die ganze Schülerschaft umfaßte rund 55 Jungen und Mädchen, also im Durchschnitt 11 Schüler pro Klasse. In unserem Dorf hatte es im einzig vorhandenen Klassenraum weit mehr Schüler gegeben als hier in der ganzen Schule. Der auffallendste Unterschiedder neuen Schule im Vergleich zur alten waren die Fremdsprachen. Für uns Jungen gab es drei, die wir nun zu lernen hatten: Ab Sexta Latein, ab Quarta Französisch und ab Untertertia Englisch. Die übrigen Fächer hatte es auch in der Einklaßschule gegeben, aber manche hatten hier andere Namen. So sagte man statt Naturkunde Biologie, statt Naturlehre Physik, statt Sprachlehre Grammatik, statt Rechnen hieß es nun Mathematik, statt Raumlehre Geometrie. Überhaupt schien man es hier mit den Fremdwörtern zu haben, die damals in der Volksschule bewußt vermieden wurden. Das galt vor allem für den Grammatik- und den Mathematikunterricht. Als Quintaner hatte ich durchaus Verständnis für meinen jüngeren Bruder Heinrich, der als frisch gebackener Sextaner zur Erheiterung meiner Quinta-Genossen im Mathematik-Unterricht »radieren« statt »addieren« und »divitzidieren« statt »dividieren« sagte. Manchmal verhalf uns auch die Ähnlichkeit mancher Wortformen mit Vertrautem aus der täglichen Umgebung zum besseren Behalten. So spielten in der lateinischen Grammatik der Quinta die drei Verben VELLE (wollen), NOLLE (nicht wollen) und MALLE (lieberwollen) für uns eine schwierige und ungeliebte Rolle. »Welle Knolle malle« machten wir daraus als mnemotechnisches Hilfsmittel. Knollen (Futterrüben) mahlen auf einer von Hand zu bewegenden »Krawelsmüll« gehörte für viele von uns, die zu Hause Landwirtschaft hatten, zum allabendlichen Pflichtenkreis.
Die Schüler der Rektoratschule kamen hauptsächlich aus Adenau. Daneben waren manche wie ich aus den Dörfern der Umgebung, soweit der Schulweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewältigen war. Schließlich stammte noch ein Teil der Schüler aus Ortschaften entlang der Bahnstrecke zur Oberahr bis etwa in die Gegend von Ahütte. Alle auswärtigen Schüler kamen aus ein- oder zweiklassigen Volksschulen. Für sie war es nichts Ungewohntes, daß hier Sexta und Quinta gemeinsam in einem Raum unterrichtet wurden. Auch sonst mußte man Klassen zusammenfassen, etwa in Erdkunde, Kunsterziehung, Musik und Religion. Aus pädagogischer Sicht sehr problematisch war die Organisation des Französischunterrichtes. Da der Lehrplan für die Mädchen keinen Lateinunterricht vorsah, war für sie Französisch die erste Fremdsprache. So unterrichtete man kurzerhand die Mädchen der Sexta mit den Jungen der Quarta zusammen in einer Französischgruppe. Für Herrn Burkhardt, der an der Schule für Französisch und Englisch zuständig war, bedeutete das eine nicht geringe pädagogische und didaktische Aufgabe.
Ähnlich schwierig war der Turnunterricht, der ebenfalls von Herrn Burkhardt erteilt wurde. Hierzu waren die Jungen aller fünf Klassen zusammengefaßt. In der Regel marschierten wir zur Vereinsturnhalle auf dem »Jassepösch«. Hin und wieder machten wir auch die weiten Wege zum Schwimmbad „on de Ex« oder zum Fußballplatz »op Hietsteen«.
Viele von uns, vor allem die Adenauer, trieben auch Freizeitsport. Das führte unter den Schülern zu einer gewissen Polarisierung: hie DJK -hie DT, je nachdem, ob man zur kirchlichen »Deutschen Jugendkraft« oder zurweltanschau-lich neutralen „Deutschen Turnerschaft« hielt. Ähnliche Gegensätze gab es natürlich auch noch auf anderen Gebieten. So hielten es die einen bei den Rennen auf dem Nürburgring mit Mercedes, während andere sich leidenschaftlich als Anhänger der Auto-Union bekannten. Entsprechend waren Triumph oder Niedergeschlagenheit, wenn wir uns am Montag nach dem »Eifelrennen« oder dem »Großen Preis von Deutschland« wieder trafen. Natürlich waren Rudolf Caracciola auf der einen und Bernd Rosemeyer auf der anderen Seite unsere Großen aus der Reihe der Idole, die man in jungen Jahren verehrt.
Der Schulweg
Mein Schulweg, der in den vier Grundschuljahren nur wenige Meter betragen hatte, war nun sehr lang geworden. Es mußten jetzt immerhin 3 km bei einem Höhenunterschied von 100 m bewältigt werden. Eine kurze Zeit lang ging ich diesen Weg, der mir als sonntäglicher Kirchweg vertraut war, zu Fuß. Bald aber kaufte mir mein Vater bei „Beckesch Pitte“ in der Kollengasse ein Fahrrad. Ein Jahr lang fuhr ich täglich allein nach Adenau zur Schule. Dann aber kamen mein Bruder und unser Nachbar »HunnetsJupp« dazu. Die Straße von Wimbach nach Adenau war noch nicht asphaltiert, sondern bestand aus groben Steinen, die man mit der Dampfwalze in die Erde eingedrückt hatte.
Damals sah man noch häufig die »Steenklöp-pe« oder »Kißklöppe« am Straßenrand sitzen.
Sie hatten einen kleinen kompakten Hammer mit langem Stiel in der Hand, kniffen die Augen wegen der umherfliegenden Splitter bis auf einen kleinen Spalt zu und zerschlugen die Eifeler »Bruchsteen« unter Ausnutzung der Schieferstruktur in kleine Brocken.
»Lieber Gott, wäre ich doch Steinklöpper geworden! Dann sähe ich abends wenigstens das Häufchen Steine als Erfolg meiner Bemühungen.« So sagte einmal ein Kaplan zu uns, den wir wegen seiner lustigen Sprüche sehr mochten. Dabei streckte er in gespielter Verzweiflung die Arme zum Himmel, weil er glaubte, daß seinen Bemühungen, uns theologisches Wissen beizubringen, allzu wenig Erfolg beschieden sei.
Ähnlich gering waren auch die Erfolge des Straßenwärters, den wir auf dem Schulweg häufig trafen, wenn er versuchte, unsere Kreisstraße einigermaßen in Ordnung zu halten. Wir nannten ihn Demosthenes, nach dem redegewaltigen Athener Volksführer, von dem wir im Geschichtsunterricht gehört hatten. Das Wort verstanden wir aber als »de Moß-Hennes«. Soweit wir nämlich sehen konnten, bestand seine Arbeit hauptsächlich darin, den Dreck, den der Regen zwischen den Steinen herausgewaschen und in den Straßengraben befördert hatte, mit Hilfe einer Schaufel wieder auf die Straße zu werfen. Das behinderte uns manchmal mit unseren Rädern, denn wir hatten eine bestimmte Spur herausgefunden, wo wir am besten fahren konnten, ohne von den herausstehenden rauhen Steinen allzusehr durchgeschüttelt zu werden. Dabei spielte es keine Rolle, daß wir manchmal in der Mitte, manchmal ganz rechts und gelegentlich auch am äußersten linken Straßenrand fuhren. Autos gab es nur ganz selten, und somit waren wir Radfahrer morgens die schnellsten und häufig auch die einzigen Verkehrsteilnehmer. Er ging bergab, und in 7 Minuten war der Schulweg geschafft. Dafür brauchten wir aber mittags über eine halbe Stunde, ehe wirwiederzu Hause ankamen, denn übergroße Teile des Weges mußte das Rad geschoben werden. Besonders an heißen Sommertagen waren wir froh, wenn wir daheim ankamen und beneideten die Mitschüler nicht, die noch weiter nach Barweiler fahren mußten.
Im Winter war der Schulweg manchmal besonders beschwerlich. Wenn wir dienstags und donnerstags schon gegen 7 Uhrfahren mußten, weil wir an diesen Tagen Schulmesse hatten, war es noch dunkel. Zwar gab es in unserem Dorf einige Straßenlampen, aber ich kann mich nicht erinnern, daß sie jemals gebrannt hätten. Mit der Fahrradbeleuchtung gab es immer Schwierigkeiten. Dynamos hatten wir nicht. Diese kannte man noch kaum zu dieser Zeit. Unser Schulkamerad Jupp plagte sich mit einer Karbidlampe ab, die nur selten richtig funktionierte. Mein Bruder und ich hatten Lampen mit einer Kohle-Zink-Batterie, die wenig Licht lieferte und nach kurzer Zeit leer war. So fuhren wir meistens ohne Licht, wenn es nicht gerade stockdunkel war.
Auch Eis und Schnee machten uns manchmal zu schaffen. Unsere Straße wurde weder geräumt noch gestreut. Lediglich vor einigen wenigen Häusern hatten die Leute »Kaaf«, Asche oder mit der »Preiselsmaschien« gehäckseltes Stroh ausgestreut. Das war uns aber gar nicht recht, weil die Dorfstraße nachmittags unsere wichtigste Schlittenbahn war. Trotz allem kann ich mich nicht erinnern, daß wir wegen des Wetters einmal die Schulmesse, geschweige denn den Unterricht versäumt hätten. Wir warteten ja immer sehnsüchtig auf Schnee, bedauerten die nach unserer Meinung zu milden Winter und ließen uns von den Älteren erzählen, wie kalt und schneereich die Winter doch in ihrer Jugend gewesen seien.
Aber nicht nur Regen und Schnee wuschen die Straße aus. Vor manchen Häusern war sie auch deshalb so rauh, weil das Brauchwasser kurzerhand auf die Straße geschüttet wurde. Es gab zwar in jedem Hauseine Wasserzapfstelle, aber nicht überall einen Spülstein, durch den das verbrauchte Wasser abfließen konnte. So bekam ich einmal auf meinem morgendlichen Schulweg den Inhalt einer Waschschüssel mitten ins Gesicht, weil die Hausfrau sie ohne nach links und rechts zu schauen, wie gewohnt im hohen Bogen durch die offene Haustür schüttete, während ich mich in schneller Fahrt auf der abschüssigen Dorfstraße genähert hatte. Aber ich hatte ja noch 2,5 km Schulweg vor mir, und bis Unterrichtsbeginn war alles längst wieder trocken.
Solche Erlebnisse sind heute kaum mehr vorstellbar. Vieles hat sich in sechs Jahrzehnten verändert. Aus der Rektoratschule wurde ein Progymnasium und inzwischen ein Vollgymnasium, das in einem modernen Neubau mit allen heute üblichen Facheinrichtungen untergebracht ist.
Die kleine Schule am Adenauer Viehmarkt aber hat uns, die wir dort in den 30er Jahren Schüler waren, wichtige Impulse und Anregungen für unsere geistige und menschliche Entwicklung gegeben. Gern und dankbar denkt man heute an das heimelige Gebäude mit seinen vier Lehrpersonen zurück. Sowohl die Grundschule als auch die Rektoratschule, die wir Kinder vom Dorf durchlaufen haben, bezeichnet man heute gern als »Zwergschulen«, wobei ein herabsetzender Unterton mitschwingt. Ich meine, zu Unrecht. Wir ehemaligen Schüler verdanken beiden Schularten solide Lerngrundlagen, die uns im späteren Leben sehr zugute kamen.