Heil- und Gewürzpflanzenanbau – Ein neues Fachgebiet an der Landes- Lehr- und Versuchsanstalt Bad Neuenahr-Ahrweiler
Heil- und Gewürzpflanzenanbau
Ein neues Fachgebiet an der Landes-Lehr-und Versuchsanstalt Bad Neuenahr-Ahrweiler
Margit Dehe
Seit 1991 sind die Heil- und Gewürzpflanzen als ein neues Fachgebiet an der hiesigen Landes-Lehr- und Versuchsanstalt für Landwirtschart, Weinbau und Gartenbau, Bad Neuenahr-Ahrweiler, aufgenommen. Die Tätigkeit in diesem Fachgebiet erstreckt sich auf ganz Rheinland-Pfalz in Beratung und Versuchswesen. Im Kreis Ahrweiler vollzieht sich noch kein nennenswerter Anbau. In Rheinland-Pfalz sind 1992 insgesamt 72,5 ha Heil- und Gewürzpflanzen im Anbau. Die Kulturen im einzelnen:
Senf | 8,0 ha |
Koriander | 6,0 ha |
Fenchel | 11,5ha |
Gelblein | 12,0ha |
Kümmel | 23,0 ha |
Johanniskraut | 2,0 ha |
Salbei | 3,5 ha |
Liebstock-Pimpernellwurzeln | 0,5 ha |
Bockshornklee, Schabziger Klee | 2,5 ha |
Basilikum, Majoran, Thymian | 2,0 ha |
Zitronenmelisse, Pfefferminze | 1,0ha |
Ringelblume | 0,5 ha |
Bei richtiger Ausnutzung der Vielseitigkeit dieser Pflanzengruppen und Einhaltung bestimmter Voraussetzungen werden aus ökonomischer und ökologischer Sicht heraus den Heil- und Gewürzpflanzen als Marktnischen für einzelne Betriebe gute Chancen eingeräumt.
Als Heil- oder Arzneipflanzen bezeichnet man Arten, die sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe meist bekannter, pharmakologisch spezifischer Wirkung in verwertbarer Konzentration einhalten und deshalb auf Krankheiten von Mensch und Tier eine lindernde oder heilende Wirkung ausüben.
Als Gewürze bezeichnet man naturbelassene Teile einer Pflanzenart, auch getrocknet und/ oder mechanisch bearbeitet, die wegen ihres aromatischen oder charakteristischen Geschmackes oder Geruches als würzende oder geschmacksverbessernde Zutaten zur menschlichen Nahrung geeignet und bestimmt sind. Zu den Hauptwirkstoffgruppen in diesen Pflanzen zählen z. B. ätherische Öle, Bitterstoffe, herzwirksame Glykoside, Saponine, Alkaloide, Harze, Flavonoide, Gerbstoffe, Fette und Öle.
Verwendung finden Heil- und Gewürzpflanzen in frischer, vor allem aber in getrockneter Form als sogenannte Drogen, wobei man Blütendrogen (z. B. Arnika, Ringelblume, Kamille), Blattdrogen (z. B. Pfefferminze, Zitronenmelisse, Salbei), Krautdrogen (z. B. Brennessel, Johanniskraut), Körnerdrogen (z. B. Fenchel, Kümmel, Dill) und Wurzeldrogen (z. B. Baldrian, Eibisch, Engelwurz) unterscheidet. Die rund 50 bis 60 Arten, die unter unseren Standortbedingungen kultivierbar wären, gehören einer Vielzahl von Pflanzenfamilien an.
Gründe für einen zunehmenden Anbau
Das allgemein stark angestiegene und weiter zunehmende Interesse an einer feldmäßigen Kultivierung der Heil- und Gewürzpflanzen ab Ende der siebziger Jahre hat verschiedene Ursachen. Ein wichtiger Gesichtspunkt dürfte das seit 1978 gültige neue Arzneimittelgesetz sein, das den Qualitätsbegriff bei der Rohware für die Herstellung von Phytopharmaka besonders betont. Ab 1990 müssen für alle Arzneimittel die entsprechenden Wirksamkeits-, Unbedenklichkeits- und Qualitätsnachweise erbracht werden.
Streng genommen können die hohen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes eigentlich nur noch durch einen kontrollierten, gezielten und planmäßigen Anbau erfüllt werden. Billigware, die leider immer noch häufig importiert wird, dürfte es künftig schwer haben. Auch wild gesammelte Rohware kann im Hinblick auf unbekannte Kontaminationen (Pflanzenschutz, Autoabgase, Industrieabgase usw.), Verfälschungen, Heterogenität im Wirkstoffgehalt durch unterschiedliche Entwicklungsstadien und verschiedene Ökotypen diesem Anspruch nicht gerecht werden. Diesem Tatbestand tragen viele Firmen aber immer noch nicht genügend Rechnung, da Wildsammlung häufig von vornherein mit „gesund“ und „natürlich“ assoziiert werden.
Dabei wirkt sich auch eine immer strengere Naturschutzgesetzgebung einschränkend auf die Wildsammlung im In- und Ausland aus, wovon z. B. so bekannte Heilpflanzen wie Gelber Enzian oder Bergarnika betroffen sind. Nach der Bundesartenschutzverordnung darf das Ernteprodukt bestimmter Pflanzen, wie z. B. die Wurzeln von Gelbem Enzian, grundsätzlich nur noch dann importiert werden, wenn es nachweislich aus gezieltem Anbau stammt. Dennoch kommt gegenwärtig wohl noch die Hälfte der benötigten Rohware aus meist ausländischer Wildsammlung.
Ein weiterer Grund für die Zunahme des inländischen Anbaues ist darin zu sehen, daß bei der Abnehmerseite aus dem Pharma- und Würzmittelbereich teilweise Klagen über Schwierigkeiten bei der Importware aufgetreten sind, wobei vor allem Qualitätsprobleme, Verunreinigungen, Pflanzenschutzmittelrückstände sowie Lieferausfälle nach Witterungskatastrophen bzw. aus politischen Gründen angeführt werden.
Trotz des allgemein gestiegenen Interesses und derzunehmenden Bedeutung der Heil- und Gewürzpflanzen wird der weitaus überwiegende Teil der Rohware nach wie vor importiert. Aus den Angaben des statistischen Bundesamtes kann etwa eine jährliche Importmenge an Heil- und Gewürzdrogen von 160.000 Tonnen im Wert von 548 Millionen DM ermittelt werden. Für diesen hohen Anteil sind in erster Linie rein klimatische Gründe, aber auch die immer noch vorherrschende Unkenntnis vieler Firmen über die hiesigen Anbaumöglichkeiten, lange traditionelle ausländische Geschäftsverbindungen, eine gewisse Schwerfälligkeit, eingefahrene Gleise zu verlassen, sowie vor allem das häufig niedrigere Preisniveau ausländischer Drogen und der manches Mal plötzlich auftretende Bedarf großer Posten einheitlich aufbereiteter Ware bei einer Vielzahl von Arten maßgeblich.
Anbau- und Absatzprobleme
Beschäftigt sich ein Landwirt ernsthaft mit dem Gedanken, Heil- und Gewürzpflanzen zu kultivieren, so muß er sich darüber im Klaren sein, daß er viele Probleme zu bewältigen hat.
Das beginnt bereits bei der großen Artenzahl mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen an Standort und Mechanisierung. So erfordert z. B. Knoblauch einen schweren Boden, während er für Wurzelfrüchte wie Baldrian oder Angelika unbedingt siebfähig sein muß. Liebstöckel oder Enzian gedeihen durchaus an kühleren Standorten, während für Thymian oder Salbei nur wärmere Lagen geeignet sind.
Auch die Erntetechnologie kann je nacn Fruchtart sehr unterschiedlich sein. So zählen Fenchel und Kümmel zu den Mähdruschfrüchten, Petersilie, Pfefferminze oder Zitronenmelisse müssen als Blattfrüchte mit speziellen Grüngutern-tern geerntet werden, und für Wurzelfrüchte wie Gelber Enzian, Alant oder Engelwurz werden spezielle Rodegeräte mit entsprechendem Tiefgang benötigt.
Diesen vielen Pflanzenarten stehen aber nur sehr begrenzte Kapazitäten im Bereich von Züchtung, Anbauforschung und Beratung gegenüber. Der Anbauer ist in den meisten Fällen tatsächlich immer noch auf heterogenes Wildmaterial angewiesen – mit all seinen Nachteilen bezüglich mangelnder Keimfähigkeit der Samen, Heterogenität im Bestand mit erschwerter Pflege und Ernte, ungleichmäßiger Blüte und Abreife sowie schwankendem Wirkstoffgehalt. Das benötigte Saatgut ist vor allem bei ausgefallenen Arten, z. B. Brennessel, Eibisch oder Schmalblättrigem Sonnenhut, nur bei wenigen Spezialfirmen in geringen Mengen zu relativ hohen Preisen zu beziehen, wobei Reinigungsgrad, Keimfähigkeit und Triebkraft oftmals unzureichend sind.
Speziell für bestimmte Arten ausgewiesene Pflanzenschutzmittel gibt es kaum, obwohl natürlich auch bei Heil- und Gewürzpflanzen Krankheiten, Schädlinge und Unkräuter auftreten, die sehr schnell eine Kultur gefährden oder vernichten können. Die Unkrautbekämpfung führt zu großen Arbeitsproblemen, da Unkräuter wegen der häufig nur langsamen Jugendentwicklung der Kulturarten diese schnell überwachsen und bei Blattfrüchten in Verbindung mit einer maschinellen Ernte sehr leicht zu gravierenden Qualitätseinbußen führen können. Der Handarbeitsaufwand für die Bestandspflege, aber auch für die Ernte von Heil- und Gewürzpflanzen kann daher schnell in einen Bereich gelangen, der nicht mehr zu bewältigen ist. Ein Arbeitsstundenanfall von 1800 und mehr pro Hektar ist in manchen Kulturen durchaus nicht aus der Luft gegriffen.
Spezialmaschinen für die Drillsaat von häufig sehr feinem Saatgut bzw. für die Ernte sind nur bei wenigen Firmen zu bekommen oder sind ausschließlich als Eigenkonstruktion einzelner Landwirte vorhanden. Erschwerend für die Aufnahme solcher Sonderkulturen wirkt sich auch die teure und arbeitsaufwendige Aufbereitung des Erntegutes aus. Dazu ist das Waschen zu zählen, das besonders bei Wurzelfrüchten wie Baldrian zu Abwasserproblemen führen kann. weiterhin das Zerkleinern, Trennen und vor allem das wirkstoffschonende Trocknen bei Temperaturen zwischen 40° C und 60^ C auf speziellen Trocknungsanlagen bis hin zum Rebeln, Mahlen und Absacken je nach Vermarktungsweg und Verwendungszweck. Selbst wenn zu Beginn des Heil- und Gewürzpflanzenanbaues noch mit Übergangslösungen gearbeitet werden kann, so müssen bei einer stärkeren Betonung des Anbaues doch zwingend die entsprechenden Maschinen und Geräte im Investitionsbereich von mindestens einigen hunderttausend DM angeschafft werden.
Voraussetzungen für den Anbau
Wie bereits mehrfach betont, haben die Absatzsicherung und die Information über potentiell benötigte Arten noch vor dem Anbau absolute Priorität.
Grundsätzlich kommen als Abnehmer nicht nur Pharma- und Gewürzmittelfirmen, sondern auch die Kosmetik- und Fettstoffindustrie. Spirituo-senfabriken. Großbäckereien, Wurstfabriken. Großküchen. Lebensmittelketten. Drogerien, Apotheken oder Bioläden in Frage.
Außerdem haben nur Produzenten mit konkreten Vorstellungen und nicht nur vagen Absichtsbekundungen Aussicht auf Erfolg. Als günstig hat sich dabei der probeweise Anbau möglichst vieler Arten auf kleinen Parzellen erwiesen, um Produktmuster anbieten und erste Erfahrungen vor Ort selber sammeln zu können. Wegen des notwendigen Wirkstoffgehaltes und der tatsächlichen Identität der benötigten Droge wird die Abnehmerseite sicherlich nur selten bereit sein, einen Vertrag „ins Blaue hinein“abzuschließen. Erst wenn der Anbauer über konkrete Abnehmerwünsche hinsichtlich der Pflanzenarten verfügt. sollte er sich Gedanken machen, ob diese Kulturen auch in seine Betriebsstruktur passen, und wie der Anbau durchgeführt werden kann,
Eine weitere Grundvoraussetzung für die Aufnahme von Heil- und Gewürzpflanzen sollte der Zusammenschluß bei Anbau, Aufbereitung und Vermarktung sein. Nur dadurch können die teuren Spezialmaschinen richtig ausgenutzt bzw. überhaupt erst angeschafft werden, und die Aufbereitung kann einheitlich so gestaltet werden, wie es der Abnehmer verlangt (z. B. Feuchtegehalt, Stengelanteil. Feinwurzelanteil, Zerkleinerungsgrad). Durch die Verteilung des Anbaues auf mehrere Landwirte können gleichzeitig verschiedene Arten in den von der Abnehmerseite gewünschten größeren Mengen kultiviert werden, obwohl der einzelne seine Erfahrungen auf zunächst noch kleineren Flächen sammeln kann.
Bedeutsam ist ebenfalls der Erfahrungsaustausch innerhalb einer Gemeinschaft, auch im Hinblick auf landtechnische Entwicklungen. In Rheinland-Pfalz haben sich die Landwirte in der Agrimed organisiert.
Eine wichtige Aufgabe wird weiterhin darin bestehen, Produzenten und Abnehmer endlich vom Nutzen eines langfristigen und partnerschaftlichen Vertragsanbau mit einem mittleren. von starken Schwankungen des Weltmarktes unabhängigen Preisniveau zu überzeugen. Gerade kleinen und mittleren Familienbetrieben könnte daraus eventuell die einzige Möglichkeit erwachsen, ihre bäuerliche Existenz noch weiter zu erhalten. Realistisch betrachtet zählen die Heil- und Gewürzpflanzen zu den „Marktnischen“ und sollten daher als eine unter mehreren möglichen, aber immerhin schon praktizierten Alternativen zur Lösung der derzeitigen Probleme in der Landwirtschaft betrachtet werden.
Ökologische Aspekte
Zum Schluß soll noch kurz auf den ökologischen Aspekt der Heil- und Gewürzpflanzen eingegangen werden.
So ist ein verstärkter Anbau dieser Pflanzen allein schon durch ihre Artenvielfalt sehr sinnvoll und besonders geeignet, getreidestarke Fruchtfolgen im Sinne des Integrierten Pflanzenbaues aufzulockern.
Verschiedene Arten wie Zitronenmelisse, Salbei oder Johanniskraut werden mehrjährig angebaut und verhindern dadurch Erosion und Nährstoffauswaschungen.
Ein weiterer Aspekt, der eines Tages durchaus an Bedeutung gewinnen kann, ist die Steigerung des Erholungswertes einer Landschaft durch den Anbau von Blütenpflanzen wie Sonnenhut, Arnika, Johanniskraut oder Blauer Malve, die außerdem als vorzügliche Bienen- und Schmetterlingspflanzen geeignet sind.