„La belle Epoque“ des Bundespresseballs – Vergnügliche Erinnerungen an Bad Neuenahr 1954 – zur Sicherheit mit dem Jagdgewehr

La belle Epoque“ des Bundespresseballs

Vergnügliche Erinnerungen an Bad Neuenahr 1954 – zur Sicherheit mit dem Jagdgewehr

Prof. Dr. Antonius John

„Ich würde das leichte Jagdgewehr mitnehmen, man kann ja nicht wissen, was unterwegs passiert.“ So sagte es Walter Henkels, der Bonner Chronist, Bücherschreiber und mein Freund und Kollege. Wir verstanden uns gut, und er hatte mir, dem Bonner Redakteur des „Handelsblatt“, in nicht wenigen Fällen in den ersten Jahren der jungen Bonner Republik Zutritt in die „höheren Kreise“ verschafft und mich mit dem rechten Umgang mit dem Protokoll vertraut gemacht.

Es war im Jahre 1954, also vor 40 Jahren. Der Bundespresseball stand bevor. Am 27. November sollte er im Kurhaus von Bad Neuenahr stattfinden. Ich hatte Henkels gefragt, wie man denn wohl heil an die Ahr kommen könnte, denn in jenen Tagen und Wochen machten Autoräuber Autobahnen und Straßen in unserer Gegend unsicher. Sie hielten Kraftfahrer an, plünderten sie aus, nahmen ihnen die Fahrzeuge weg und verschwanden spurlos. Niemals ist einer von ihnen gefaßt worden. Die Polizei kam immer zu spät. Man vermutete, daß die gestohlenen Wagen in verdeckt stehende Großraumfahrzeuge umgeladen wurden. Die ganze Sache war schon recht merkwürdig. Direkte Gewalttaten wurden nie gemeldet. Und wenn man die Zeitungsmeldungen verfolgte, war nicht mehr zu unterscheiden, was nun Tatsache und was Legende war.

Franz Meyers paßte auf

Wie dem auch sei, die Verunsicherung war in jedem Fall groß. Und deshalb hatte ich ja auch Walter Henkels konsultiert. Da ich seine Bemerkung ernst nahm (was seinerseits aber so nicht gemeint war), holte ich meine französische Spezialflinte mit und legte sie getarnt auf den Rücksitz meines soeben in Stratosilber umgespritzten VW (Baujahr 1948 mit kleinem geteilten Rückfenster). Zwanzig Schuß Munition lagen griffbereit neben mir. Für den Ernstfall hätte meine Selbstverteidigungsvorsorge einige juristische Probleme aufgeworfen. Gottdank kam es auch nicht zu diesem Ernstfall. Denn NRW-Innenminister Franz Meyers hatte mit seinem Kollegen aus Rheinland-Pfalz die Sache fest im Griff. Auf der ganzen Strecke von Bonn bis Neuenahr war die Polizei beider Bundesländer in Stellung gegangen. Wenn man genau hinschaute, konnte man hinter Büschen und Bäumen aufmerksame Hüter der Ordnung ausmachen. Die Autobanditen verzichteten aber auf jegliche Aktion. Und als in der Nacht der Ball vorbei war, sammelten sich die Gäste zu geschlossenen Konvois. Der Krieg war ja erst neun Jahre vorbei, und mancher hatte noch Erfahrung, wie man Partisanentrupps entgehen konnte. Mit meiner Praxis auf diesem Gebiet machte ich wieder mal die Nachhut. Es war zwischen drei und vier Uhr morgens.

Wahlen

Dem Fest selbst taten diese Besonderheiten keinen Abbruch, es wurde ein herrlicher Ball. Meine Braut war vom fernen Westfalen nach Bonn gekommen, um sich am Nachmittag daselbst noch ein Ballkleid zu kaufen. Hier war keines mehr zu haben. Also brausten wir nach Köln zu Sauer, wo man uns zu helfen wußte. Meine spätere Frau hat mir nicht gesagt, was es gekostet hatte. Neuenahr – das war damals eine Welt für sich, etwas von der kribbelnden „Belle Epoque“. Niemals ist der Bundespresseball mit mehr Stil abgelaufen, als im Kurhaus an der Ahr in den 50er Jahren. 1954 mögen einige Politiker weniger dabei gewesen sein als üblich. Das lag daran, daß manche noch mit dem Wahlkampf in Hessen, Bayern und Berlin befaßt waren, wo am nächsten Tag die Bürger ihre Stimmzettel abgeben sollten. Trotzdem war noch reichlich Prominenz da. Theodor Heuss, der Bundespräsident, gab sich vergnügt, paffte eine Zigarre nach der anderen. Die Minister Schröder, Neumayer, Hellwege und Schäfer – wer der jüngeren Generation kennt heute noch deren Namen – zeigten sich sehr aufgeschlossen. Carlo Schmid, der Vizepräsident des Bundestages repräsentierte die Opposition und Thomas Deh-ler, der große Mann der FDP trug fast demonstrativ seine rote Nelke am Revers, als ob er den Genossen von der SPD etwas Mut machen wollte. Natürlich Diplomaten aus aller Herren Länder.

Der Frack war gefragt

Wer auf dem Presseball 1954 noch keinen Frack trug, würde sich in den nächsten Jahren „umrüsten“. Der Frackverleih würde Konjunktur bekommen. Ich verzichtete auf den Verleih und kaufte mir später einen Second-Hand-Frack für achtzig Mark. Vorher hatte ihn ein Industrieboß aus Düsseldorf getragen.

Ich traf beim Flanieren Walter Henkels. Er machte ein Gesicht, als ob er dabei sei, eine Art Ball-Philosophie zu begründen. Ich fragte, was er denke. „Nichts, zunächst gar nichts“, sagte er. Er schaue nur zu. Aber dieses Zuschauen schien sich zu einer Analyse zu sublimieren, an deren Ende wiederum eine Erkenntnis, wenn nicht eine Erleuchtung stand. Denn er machte sich Notizen auf der Rückseite einer Speisenkarte. Zwei Tage später konnte man in seinen Zeitungen lesen: Er, wie auch der Bundestagsvize Prof. Carlo Schmid hätten die dekolletierten Ballroben voll lobenswertem und individuellsten Geschmack in Stoff und Schnitt geschaut und die maliziösen Indiskretionen der Damen – zwar Pariser Patent, aber ohne „know how“ der H-Linie – genossen. Viele Damen waren zu lebendigen Kostbarkeiten geworden. Und Henkels fiel ein, daß seine eigene Dame ihm noch nicht die Rechnung für das Edeltextil präsentiert hatte.

Josephine Baker

Der Höhepunkt des Abends? Es war der Auftritt der legendären Josephine Baker. Begeisterungsstürme gingen durch die Räume des eleganten Kurhauses. Sie erfaßten auch mich und ich inhallierte ein wenig von der Verruchtheit der „Goldenen Zwanziger“, aus der Josephine einst hervorgegangen war. Der Bundespräsident dankt ihr für die Chansons, Josephine scheint gerührt zu sein und wünscht Gottes Segen für das deutsche Volk und seinen Präsidenten.

Und dann noch die Tombola. Die konnte sich sehen lassen. Die schicke „Borgward-lsabella“ ging an die Gattin des Ministerialdirigenten Dr. Schönleiter aus dem Bundesarbeitsministerium. Mit diesem Gewinn konnte das Ehepaar seine bereits länger geführte Diskussion über die Anschaffung eines Wagens erfolgreich abschließen. Ein Fernsehgerät gewann ausgerechnet der Chef des Kölner Fernsehens Werner Krüger. Ob er oder Bundespressechef Felix von Eckardt sich mehr geärgert haben, war nicht auszumachen. Letzterer gewann nämlich eine warme Unterhose.

Der Presseball 1954 stand unter dem Motto „Bonnfusionen“, das war auch das Stichwort für den Almanach, der seit je eine Meisterschöpfung journalistischen Witzes ist. Die Tatsache, daß die deutsche Fußballmannschaft die Weltmeisterschaft 1954 errungen hatte, spiegelte sich satirisch in den Texten wider. Da war davon die Rede, daß der Sport dem Auswärtigen Amt unterstellt und alle Berufssportler in den auswärtigen Dienst übernommen würden. Die Mannschaftskapitäne beim Fußball sollten den Rang von Legationsräten erhalten. Bei einem verlorenen Länderspiel sei der Kapitän zum Botschafter zu befördern. Dadurch werde zum Ausdruck gebracht, daß der Sport absolut gleichberechtigt ist mit anderen Ressorts der Außenpolitik. Die Mannschaftsaufstellung bedürfe vor der Veröffentlichung der Zustimmung eines Beirats zur Wahrung der konfessionellen Parität.

Flair

Das war vor genau vierzig Jahren. Seit 1951 hatte es Bundespressebälle gegeben, im ersten Jahr gleich zwei, nämlich im Januar im Bundeshausrestaurant und der zweite im November im Kurhaus in Bad Neuenahr. Bis 1958 feierte Bonn jährlich in dieser herrlichen Atmosphäre seine Bälle. Die größer gewordenen Feten konnten nach 1960 den Flair von Neuenahr nie mehr erreichen. Es war immer so, als ob sich die „Belle Epoque“ in den Sälen und dem Inventar eingenistet hätten, deren Reiz sich niemand entziehen konnte. Bad Neuenahr war die faszinierende „Belle Epoque“ des Bundespresseballs. Um das empfinden zu können, muß man in jenen Jahren dabei gewesen sein.

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Presseball 1955: Bundeswirtschaftminister Prof. Ludwig Erhard, Schauspielerin Anneliese Uhlig
(l.), Ehepaar John (r.). Im Hintergrund links Filmschauspielerin Margot Hielscher.

Ein kurzer Blick auf andere Jahre Neuenahrer Bonn-Treffs. 1955 ist für den Chronisten in besonders guter Erinnerung, da er mit seiner wenige Monate vorherangetrauten Ehefrau und der Schauspielerin Anneliese Uhlig Tischpartner von Prof. Ludwig Erhard war, dem Vater des Wirtschaftswunders und populärsten Politikers nach Adenauer. Dessen Ruf war damals bereits in alle Welt gegangen. Viel Prominenz hatte sich da eingefunden: Am Tisch des Bundespräsidenten fest etabliert sah man Carl Zuckmayer, andere kamen nur zu einem kleinen Plausch:

Vizekanzler Blücher und andere Kabinettsmitglieder. FDP-Chef Dehler war ständig auf der Tanzfläche zu sehen, Innenminister Schröder plauderte mit der Schauspielerin Marianne Koch. Die Politiker schienen von den Filmstars ausgestochen zu werden: Margot Hielscher sang den Song vom „Bei Ami“, sitzend, da Bein nach Autounfall in Gips. Barbara Rütting, Cornel Bor-chers, Ruth Leuwerik, Inge Eggers, Rene Delt-gen und viele andere zogen durch die Säle. Carlo Schmid und Heli Finkenzeller besorgten die Tombola. Finanzminister Schäffer schien zu überlegen, wie man die Gewinne staatlich abschöpfen könnte. Ein Prominenter hielt am längsten aus. Eswar„Justav“Jänicke, einst Deutschlands berühmtester Nationalspieler in der Eishockey-Mannschaft. Erblieb, bis der letzte Gast gegangen war: Das gehörte zu seinen Pflichten.

Erfungierte nämlich als Empfangschef im Casino. Ein wenig Harne aus Berlin ließ sich schon damals nicht unterdrücken. So tönte es von der Spree, es sei alles viel zu provinziell, Bonn bleibe eben ein Dort (Die Platte wird auch 1994 noch gespielt). Ein Jahr später tönte die „Welt“, daß dies nun bestimmt der vorletzte Presseball in der Provinz sei.

Krise

1956 hatten das Bedrohliche und die Düsterkeit am politischen Himmel auch Folgen für den Presseball. Bundespräsident und Regierung sahen von einer Teilnahme ab. Nur Minister v. Merkatz erschien als „Repräsentant vom Dienst“. Mit diesem Verhalten hatte man gut getan. Denn am Tage darauf erfolgte die blutige Niederschlagung des ungarischen Aufstandes und wenig später stand die Welt mitten in der Suezkrise. Politik und Journalisten hatten damals das richtige Maß für schickliche Zurückhaltung gefunden, was die ausländischen Diplomaten auf dem Ball sehr zu würdigen wußten. Manche der Gäste hörten an den folgenden Tagen im Rundfunk die erschütternden Hilferufe der Freiheitskämpfer von Budapest.

Trotzdem, der Presseball brauchte über mangelndes Interesse nicht zu klagen. Viele Landesminister, Staatssekretäre und führende Politiker aus Bundestag und Bundesrat zeigten durch ihre Anwesenheit, wie wichtig ihnen dieser Ball war. „Miss Welt“ in der Person von Petra Schürmann und das Ballett der Oper Berlin gaben dem Meeting reichlich Farbe. Die Gewinnerin des Ford verschenkte den Wagen an einen Flüchtling aus Neuenahr, und der Reingewinn des Balls ging für soziale Zwecke nach Berlin.

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Presseball 1955: Bundespräsident Theodor Heuss wird begrüßt vom Vorsitzenden der Bundes-
pressekonferenz Dr. Ferdinand Himpele und Gattin. L. hinter Heuss der Schriftsteller Carl Zuckmeyer.

Der „Alte Fritz“ war nicht geladen

1957 tauchte in den Festräumen der „Alte Fritz“ auf, obwohl er nicht geladen war. Das war ein Gag der Kreditwirtschaft, die mit diesem Auftritt den Pfandbrief populär machen wollte. Der Bundespräsident war darüber etwas indigniert und sagte zu dem Menschen in der historischen Montur: „Es ist mein Schicksal, Majestät, verkitscht zu werden. Sie haben das glücklich hinter sich gebracht. Aber Sie waren und bleiben für alle Situationen in Deutschland die Propagandafigur.“

Zwischen Deutschland und Jugoslawien waren die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Aber deutsche und jugoslawische Diplomaten saßen friedlich beieinander. Bundespräsident Heuss gewann einen Küchenherd. Wirtschaftsminister Erhard und Hildegard Knef hatten in die Lostrommel zu greifen. Moskaus Botschafter Smirnow, ein Mann mit Charme, sah man Tete äTete mit Heuss und Gerstenmaier, dem Bundestagspräsidenten. War Ungarn von 1956 vergessen? Die deutsch-sowjetischen Beziehungen schienen so zu sein, daß sie auch schon mal ein Lächeln der Gesprächspartner zuließen. Max Schmeling schaute interessiert zu. Der Chronist konnte sich bei der Tombola einen Pfandbrief als Gewinn abholen.

Heuss hatte Pech

1958. Es war am 28. November. Manche waren davon überzeugt, daß dieses der letzte Bundespresseball in Bad Neuenahr sein würde. Denn in Bonn baute man mit äußerster Kraft an der neuen Beethovenhalle. In dieser rauschenden Ballnacht glitt der Protokollchef Sigismund von Braun auf dem glatten Parkett aus. Bundespräsident Heuss ergab sich in sein Schicksal: Seine vier Lose waren Nieten, und das in seinem letzten Amtsjahr. Dafür gewann seine Schwägerin eine Kinderbadewanne. Es wird ein Geheimnis bleiben, worüber der Präsident, der Sowjetbotschafter Smirnow, Außenminister von Brentano und SPD-Chef Ollenhauer so intensiv zu bereden hatten. Die Herren stärkten sich mit rotem Sekt.

Die Republik Frankreich brachte (es war wie ein Abschiedsgeschenk) einen besonderen Glanz nach Neuenahr, nämlich in der Person der Filmschauspielerin Martine Carol. Die Gäste, da vor allem die Herren hielten die Luft an. War schon die Parade schöner Frauen überwältigend, hier aber war die Schönheit non-plus-ultra manifestiert. Die Französin lächelte und strahlte nach allen Seiten. Heuss war sichtlich angetan, Hallstein der Junggeselle, wurde ganz verlegen, als ihm die Schöne einen Kuß auf die Wange hauchte. Martine Carol beherrschte den Abend, ohne daß sie sich anstrengen mußte. Sie zog die Lose für die Hauptgewinne.

Höhepunkt und Abschied

Wollte sich Bonn diesmal in besonderer Weise von Neuenahr verabschieden? Mit viel Frack und Smoking und sogar Orden wurde das Außerordentliche des Balls unterstrichen (auch der Chronist präsentierte seinen neuen Frack). Die männlichen Teilnehmer konnten im Anblick der herrlichen Abendkleider schwelgen. Alles war da, von Baby-Doll in schrillen Farben angefangen bishin zu Brokat und Klassik. Und abenteuerliche Dekolletees! Martine Carol im Kontrastprogramm: Ein weißes Empirekleid aus Tüll, Sittsamkeit signalisierend. Dazu eine weiße Pelzstola und ein breiter Goldgürtel. Sollte es ein Symbol sein? Sollten Schönheit und Charme Frankreichs den Weg der Deutschen in das entstehende Europa schmackhaft machen? Vielleicht hat es Hallstein der geküßte EWG-Kommissionspräsident so empfunden.

Es war längst drei Uhr vorbei. Ich schleppte mein gewonnenes großes Schaukelpferd zum Wagen (Die Kinder würden sich zu Nikolaus freuen), ein paar Langspielplatten und ein schwerer Aschenbecher in Murano-Glas sowie ein Feuerzangenbowlen-Set waren die weitere Beute dieses Abends, womit der Materialist auf seine Kosten gekommen war. Aber diese rauschende Ballnacht war ja viel mehr, sie war die Rückversetzung in eine Zeit, die es gar nicht mehr gab. Sie war auch das Ende einer kurzen Epoche, in der es die „Bonner“ und die Presseleute verstanden, „wirkliche Bälle“ zu feiern. Wie sagte doch mein Freund, Vorsitzender der Bundespressekonferenz und Gastgeber des Balles Dr. Ferdinand Himpele („Fernand“): „Was wir heute erlebt haben, wird seinen Platz in der Erinnerung haben. Aber was ist die Erinnerung schon gegenüber dem Augenblick und der spontanen Harmonie? Beides ist schnell vorüber und nicht mehr einholbar.“ Ferdinand Himpele war nicht nur ein erstklassiger Wirtschaftsjournalist, er war ein musischer Mensch, Ästhet, von Geburt halber Franzose, Kosmopolit und ein Mann, der stets die Zwischentöne beherrschte. Die Pressebälle von Bad Neuenahr sind ohne ihn nicht denkbar. Er liebte die „Belle Epoque“. Er fand ein gutes Stück von ihr im Kurhaus an der Ahr.