Die ersten Landräte im Kreis Ahrweiler an der Grenze zwischen Adelsprivilegien und Bildungsbürgertum

Die ersten Landräte im Kreis Ahrweiler an der Grenze zwischen Adelsprivilegien und Bildungsbürgertum

Hans Warnecke

Wer heute im Landkreis Ahweiler lebt, kann zu Recht davon ausgehen, daß die Mitarbeiter der Kreisverwaltung sich für ihre jeweilige Aufgabe qualifiziert haben. Der öffentliche Dienst kennt von dieser Voraussetzung keine Ausnahmen. Den Nachweis der Eignung muß jeder und jede erbringen, vom Landrat bis zum Hausmeister. Dabei zählt es heute nicht zu den bei einer Einstellung notwendigen Kriterien, ob einer aus einer ganz bestimmten Familie stammt oder über nachweisbar erhebliche finanzielle Mittel verfügt. Sollten solche Dinge bei einer Personalentscheidung eine Rolle spielen, wäre die Presse und die jeweilige Opposition zu Recht an einer lückenlosen Aufklärung interessiert. Was heute wie selbstverständlich zu einer demokratisch gewählten Kommunalverwaltung gehört, ist das Ergebnis eines langen Weges, an dessen Anfang völlig andere Vorstellungen für die Besetzung etwa einer Landratsstelle standen.

Preußische Verwaltungsgrundsätze

Dieser Weg begann auch im Kreis Ahrweiler im eigentlichen Sinne nach dem Sieg über Napoleon, als die europäischen Staaten auf dem Wiener Kongreß der Jahre 1814/15 die Karte des Rheinlandes neu zeichneten. Am 5. April 1815 nahm der preußische König Friedrich Wilhelm III. das Rheinland in Besitz. Die Einteilung seiner neuen Provinz erfolgte nach bewährten preußischen Verwaltungsgrundsätzen, bei denen die Regierungsbezirke in entsprechend gro-ße’Landkreise eingeteilt wurden, wobei darauf geachtet wurde, daß alle Bewohner eines solchen Kreises in einem Tag zu Fuß zur Kreisstadt hin und zurück gehen konnten. Mit dem 14. Mai 1816 wurde der Landkreis Ahrweiler mit seiner gleichnamigen Kreisstadt so nach königlich-preußischer Entscheidung des Koblenzer

Oberpräsidenten installiert. Damit war auch für diese Gegend nicht nur die preußische Verwaltung maßgebend, sondern auch die preußische Personalpolitik und – so weit das möglich war -preußische Denkungsart und preußische Kultur. Das ist deshalb erwähnenswert, weil nun auch hier bei dem in der vorderen Eitel und im Rheintal gelegenen Landkreis Ahrweiler die gleichen Maßstäbe für die Besetzung einer Stelle -z.B. die eines Landrates – galten, wie in Brandenburg oder Ostpreußen. Denn hier sollte von nun an „für die Wahl der Landräte das altpreußische Verhältnis beibehalten werden, nach welchem angesehenen, mit dem öffentlichen Vertrauen beehrten, im Kreis angesehenen Gutsbesitzern die landrätliche Verwaltung in erster Linie übertragen werden.“ So zitierte A. Federle die Behördenverfassung der Rheinprovinz in seinem Verwaltungsbericht für den Kreis Ahrweiler für 1928, der 1929 unter der Überschrift „Die ersten Landräte des Kreises Ahrweiler“ erschien. In dieser nicht weiter kommentierten Verwaltungsvorschrift schwingt etwas von dem über einen langen Zeitraum gerade in Preußen zu beobachtenden Kampf zwischen Adel und Bildungsbürgertum nach. Während es zu Beginn des 18. Jahrhunderts eindeutig für jeden Untertan zu erkennen war, daß der Adel Privilegien genoß, die von keinem Bürger erlangt werden konnten, ist es gerade die preußische Verwaltung, die durch ihre Laufbahnbestimmungen für den Verwaltungs- und Staatsdienst diese Privilegien immer mehr abbaute. Ein so gründlicher Kenner Preußens wie Christian Graf von Krockow, hat 1992 in seinem Buch „Preußen. Eine Bilanz“ auf diese an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert sich ereignende Neugestaltung hingewiesen. Er sei deshalb hier zitiert, weil gerade die ersten Landräte des Kreises Ahrweiler typische Repräsentanten auf der einen Seite der Adelsprivilegien sind und damit doch in Konkurrenz zum Bildungsbürgertum treten müssen. Krockow sagt:
(S.92-94)

„Als Mittel, um aufzusteigen, Ansehen zu gewinnen und Staatsbürger zu werden, kann man die Bedeutung der Bildung gar nicht hoch genug einschätzen. Denn als höherer Beamter wurde man mit dem Adel konfrontiert, der die Landräte, die Regierungs- und Oberpräsidenten, die Minister stellte, also die Schlüsselpositionen besetzte. Dieser Adel, gerüstet mit dem Selbstbewußtsein, schon vor den Hohenzollern im Lande gewesen und zur Führung berufen zu sein, ausgestattet überdies mit einer Verhaltenssicherheit, die ihm über Generationen angezüchtet worden war, dieser Adel sah auf die Aufsteiger erst einmal herab … In dem Maße nun, in dem Bildung bedeutsam wurde, ja zum Maßstab aufrückte, gewann der Bürger-Beamte eine Waffe, um im Konkurrenzkampf nicht nur zu bestehen, sondern siegreich zu sein… Dennoch gab es ein zähes, gleichsam unterirdisches Ringen, in dem sich langsam, aber stetig die Gewichte von der Geburt zur Bildung verschoben. Mit der Formalisierung der Beamtenrechte, die allen willkommen war, weil sie vor willkürlichen Eingriffen schützte, ging die der Laufbahnvoraussetzung Hand in Hand. Examen, die auf höhere Schulbildung und auf das Universitätsstudium zurückverwiesen, wurden eingeführt und in ihren Ansprüchen mehr und mehr angehoben. Diese Hürden mußte jetzt auch, oft mit Mühe und Murren, der Nachwuchs aus dem Adel überklettern. Im Ergebnis rückten Beamtentum und Bildung immer näher zusammen, bis sie beinahe als deckungsgleich erschienen.“

Gaertner.gif (41631 Byte)

Königl. Landrat Karl von Gärtner

Die ersten Landräte

Diese bemerkenswerte Beurteilung kann fast vollständig auf die Berufung der ersten Landräte im Landkreis Ahrweiler angewandt werden. Bis auf eine Ausnahme: Die sich hier um dieses Amt bewerbenden Männer lebten nicht in dem Bewußtsein, „schon vor den Hohenzollern im Lande gewesen und zur Führung berufen zu sein.“ Sie hatten vielmehr je auf ihre Art die Franzosenzeit miterlebt und sahen sich nach dem Wiener Kongreß plötzlich als preußische Untertanen.

Um also im Jahre 1816 im Landkreis Ahrweiler Landrat werden zu können, war es nach der preußischen Bestimmung notwendig, im neugeschaffenen Landkreis erstens Gutsbesitzer zu sein und zweitens über die notwendigen juristischen und verwaltungsmäßigen Erfahrungen zu verfügen. Das bedeutete, daß der Kreis der möglichen Kandidaten denkbar klein war. Derjenige, der sich, weil er bei sich selbst diese Voraussetzungen als erfüllt ansah, um diese Stelle bewarb, war Freiherr Franz Heinrich von Gruben aus Gelsdorf. A. Federle hat in seinem erwähnten Beitrag das Leben und die Herkunft der ersten Landräte des Kreises Ahrweiler nachgezeichnet. Aus seiner Arbeit sei deshalb hier und im folgenden zitiert: „Franz Heinrich von Gruben war am 26. September 1774 in Bonn geboren und gehörte dem katholischen Glaubensbekenntnis an. An den Universitäten Bonn, Marburg und Göttingen widmete er sich den Rechtswissenschaften und anderen Studien, die er durch günstige Zeugnisse abschloß.“

Er wurde dann Assessor an einem geistlichen Hofgericht in Arnsberg in Westfalen, allerdings ohne Gehalt. Deshalb schied er 1801 aus diesem Dienst aus, um sich seiner Arbeit als Gutsbesitzer auf Schloß Gelsdorf zu widmen. Während der französischen Besatzung übernahm er das Bürgermeisteramt in Gelsdorf und zeitweise auch in Mayschoß. Die neue preußische Regierung sah in diesen unter „feindlicher“ Verwaltung übernommenen Ämtern keinen Hinderungsgrund, ihn zunächst 1816 zum Kreiskommissar zu ernennen, und ihn 1817 unter der Bedingung zum Landrat zu berufen, daß er innerhalb eines halben Jahres die große Staatsprüfung nachwiese. Das Gehalt des neuen Landrates betrug zunächst 800 Reichstaler, nach einer Intervention von Grubens wurde es 1817 auf 1000 Taler erhöht. Außerdem wurden dem Landrat 200 Taler für einen Privatschreiber bewilligt. Das Koblenzer Oberpräsidium ging – wie es das dem Freiherrn mitteilte – davon aus, daß der Wohnsitz des neuen Landrates von Gelsdorf nach Ahrweiler verlegt würde.

Bereits diese Kurzbiographie läßt erkennen, daß die von Graf Krockow aufgestellte „Bilanz“ bei der Berufung des ersten Landrates für den Kreis Ahrweiler zutrifft. Nur aus dem Adel konnte der Bewerber kommen, weil – anders als am Ende des 19. Jahrhunderts – zu Beginn der Preußenzeit noch keine bürgerlichen „Neureichen“ sich ein Gut kaufen konnten. Gleichzeitig aber besteht die preußische Regierung darauf, daß der in Frage kommende adlige Bewerber ein abgeschlossenes Studium nachweist. Er muß sich also auch durch eine Qualifikation, nicht nur durch seinen Grundbesitz ausweisen können.

Genau die gleichen Voraussetzungen wurden auch bei den Nachfolgern des ersten Landrates, der sich zusammen mit dem Kreissekretär einem Disziplinarverfahren stellen mußte, erwartet. S/e alle haben den Adelstitel, haben Jura studiert und sind Besitzer eines Gutes im Landkreis Ahrweiler. Die einzige Ausnahme macht, was den Adelstitel angeht, Peter Josef Schraut, der als Nachfolger der Landräte Freiherr von Hilgers, Landrat von 1821-1822, und Kart von Gärtner, Landrat von 1822-1840, in derZeit von 1840 bis 1849 dieses Amt innehatte und bei seiner Bewerbung ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, „daß er seit 5 Jahren im Besitz seines Gutes, also kreisansässig, sei.“ Ihm folgten Freiherr von Hövel, Landrat von 1850-1859 undRudolf von Groote, Landrat von 1859-1889. In die Zeit des letztgenannten Landrates von Groote fällt eine wichtige Entscheidung zur Neugestaltung der preußischen Kommunalverwaltung und damit eine Änderung der bisherigen Voraussetzungen für die Besetzung des Landratsamtes.

Auf dem Weg zur Selbstverwaltung

Zu Recht hat Leonhard Janta dazu im Begleitheft zur Ausstellung „175 Jahre Kreis Ahrweiler“ (S.36) geschrieben: „Einen entscheidenden Fortschritt auf dem Weg zur echten Selbstverwaltung des Kreises stellte erst die Rheinische Kreisordnung vom 30. Mai 1887 dar. Der nach dem Dreiklassenwahlrecht (Wahlverbände der größeren Grundbesitzer, Land- und Stadtbürgermeistereien) gewählte Kreistag besetzte einen Kreisausschuß, das eigentliche Verwaltungsorgan der kreiskommunalen Selbstverwaltung.“

Heising.gif (46516 Byte)

Landrat Albert Heising. In seine Amtszeit fällt der Bau des ersten eigenständigen Kreishauses, das 1894 eingeweiht wurde.

Es gab jetzt eine Mitwirkung der Bürger durch dieses Gremium, die früher, als der Landrat einfach durch den preußischen König ernannt wurde, undenkbar gewesen wäre. Bereits beim Nachfolger von Landrat von Groote beginnt mit Albert Heising (Landrat von 1889-1923) die lange Reihe derer, die aus dem Bildungsbürgertum stammten und sich wegen ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer politischen Ausrichtung für dieses Amt bewarben.

Der Blick auf die ersten Landräte des Kreises Ahrweiler zeigt bis heute, daß in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in einem langsamen Prozeß die Privilegien der Feudalzeit langsam abgebaut wurden und in zunehmendem Maße nicht mehr Herkunft und Vermögen, sondern Wissen und Können den Ausschlag für eine Bewerbung gaben. Daß damit nicht der Weg zur klassenlosen Gesellschaft beschritten war, zeigen die politischen Auseinandersetzungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit seinen von Karl Marx und Friedrich Engels vorgetragenen Parolen, die gerade im Bildungsbürgertum keine Resonanz fanden.

Umso deutlicher wird erkennbar, daß auch bei der Besetzung einer königlich-preußischen Landratsstelle am Ende die Qualifikation den Ausschlag gab und nicht mehrdie Herkunft. Der Weg dorthin endete mit dem Sieg des Bildungsbürgertums über den Adel, wenigstens in der Kommunalen Verwaltung, während im diplomatischen Dienst und im Militär diese Entwicklung erst sehr viel später ihren Abschluß fand.