Sparrezepte aus dem Ersten Weltkrieg
Sparrezepte aus dem Ersten Weltkrieg
Dr. Karl August Seel
Der Zweite Weltkrieg ging vor 50 Jahren zu Ende. Viele erinnern sich an die erlebten Gefahren für Leib und Leben: die Gefahren als Soldaten an der Front und solche an der „Heimatfront“ durch Bombenkrieg und Tierflieger, an Zerstörung, Ausgebombtsein, Evakuierung und Flucht. Lebhaft im Gedächtnis haften noch die Not und Sorge, auch in den anschließenden Nachkriegsjahren. Allzuoft war Schmalhans Küchenmeister, Hunger nicht unbekannt. Lebensmittelmarken, Bezugsscheine, Beziehungen, Schlangestehen, Tauschhandel, Schwarzer Markt, Zigarettenwährung, Mauscheln und Fringsen hatten einen hohen Stellenwert im täglichen Leben.
Bereits zu Anfang des Krieges begann die Rationierung mit Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen. Selbst in der Verwaltung des Mangels zeigte sich noch der politische Aberwitz jener Zeit, wie er sich beispielhaft in der Wortschöpfung „Reichskleiderkarte“ dokumentiert1). Bis zur Währungsreform 1948 – insgesamt 10 Jahre – dauerten diese Mangeljahre. Im Haus der Geschichte in Bonn sind die damaligen Lebensumstände eindrucksvoll präsentiert, ein Besuch lohnt sich.
Vergessen ist heute jedoch, daß auch im Ersten Weltkrieg große Notlagen im täglichen Leben auftraten und bewältigt werden mußten. Hauptleidtragende war vor allem die städtische Bevölkerung. Unsere Väter und Großväter erzählten von den „Kälberzähnen“, dem „Fußlappengemüse“ und den immer holzigen gelben Kohlrüben, die sie als Soldaten an der Westfront wochenlang als Verpflegung erhielten. „Kälberzähne“ waren große Graupen, „Fußlappengemüse“ ein Trockengemüse aus Weißkohl.
Der Winter 1917 ist als der „Hungerwinter“ in die Geschichte eingegangen. In der Literatur und der Geschichtsschreibung hat er aber kaum Erwähnung gefunden. Nur Erzählungen der Müttergeneration jener Zeit, Suppenmarken, Kartoffelbezugsscheine2) und die überlieferten Sparrezepte künden davon.
In einem Schulheft aus Bodendorf, geführt und angelegt als Kochbuch, finden sich mehrere Einlageblätter mit Sparrezepten aus jener armen Zeit.
Haferflockenauflauf
In 3/4 Liter Milch (bzw. Mager- oder entsprechend verdünnter kondensierter Milch) kocht man langsam 150 gr. Haferflocken mit etwas Salz & Zucker gar. Als Gewürz nach Wunsch Zitronenschale oder Vanille. Abgekühlt schlägt man ein Ei – das Weiße als Schnee – daran und bäckt den Auflauf 3/4 Stunde in der Form. Als Beigabe Kompott oder Saft. Besonders wohlschmeckend ist der Auflauf, wenn man ihn über Apfelkompott in der Form bäckt.
Haferflocken mit Wasser, Salz & Tomatenmark gekocht, mit gehackten Fleischresten vermengt und in der Form gebacken, ergeben ein sättigendes Einzelgericht. Statt des Eis kann auch Eiersatz verwendet werden. Daheim. 8.12.17 Nr. 10
Kaffeeersatz
Brotrinden, möglichst Weiß- und Schwarzbrot gemischt, werden gesammelt, in 1/4 cm lange Stücke geteilt, getrocknet u. aufbewahrt bis eine größere Menge vorhanden ist. Dann werden die getrockneten Brotrinden möglichst unter Beifügung eines, wenn auch nur winzigen Bruchteils Butter in der Bratpfanne unter ständigem Rühren gebrannt. Die größten Stükke werden in der Kaffeemühle gemahlen und möglichst mit etwas gebrannter Zichorienwurzel vermischt. Bei Bereitung des Getränkes ist darauf zu achten, daß das Brotrindenmehl nicht nur mit kochendem Wasser übergossen wird, sondern zum Kochen gebracht wird. Zu dem Behufe füllt man das Gefäß zunächst mit der halben Wassermenge und gießt nach dem Aufkochen die zweite Hälfte über den Absud. Dadurch wird das Getränk abgeschreckt. Das Mehl setzt sich an den Boden, das Getränk kann klar vom Bodensatz abgegossen werden. Daheim, 8.12. 17 Nr. 10
Getreidekaffee
Getreide vor dem Rösten sorgfältig waschen, Wenn beim Rösten die Kömer eine hellbrauneFarbe haben und angenehm riechen werden sie mit gemahlenem Zucker überstreut, was Glanz & Farbe verleiht. Als Würze kann man am besten Feigen oder. in Ermangelung solcher, einige Mohrrüben, die man in kleine 4eckige Stücke schneidet u. wie die Getreidekörner braun röstet und mit Zucker glasiert.
Käse selbst hergestellt
Man nimmt Quark, auch solcher von Buttermilch ist verwendbar, nur muß man darauf acht haben, daß der Quark ganz fest ist, so daß man die Masse schneiden kann. Wenn der Quark nicht ganz fest ist, fangen die Käse vor der Zeit an zu laufen. Bekommt man den Quark nicht so fest, so muß man ihn nochmals nachpressen. Dazu legt man ihn in einem Tuche auf ein Sieb und beschwert ihn gut mit einem Teller, auf den man ein Stein oder Plätteisenbolzen legt, bis das übrige Waser abgelaufen ist.
Man verwendet den Quark zu Käse am besten, wenn er 3-4 Tage alt ist. Er wird mit etwas Kümmel & Salz gewürzt. Recht gut schmecken die Käse auch, wenn 1 Prise Paprika dazu kommt. Man formt aus der Masse nun die Käse rund oder länglich; man muß sie ungefähr doppelt so groß machen, als man nachher die fertigen Käse haben möchte,da sie sehr zusammengehen. Die geformten Käse legt man auf ein Brett. Noch besser ist es, wenn man ein paar Strohhalme zwischen Brett & Käse legt, damit die Käse auch von unten Luft haben. Nun müssen sie 3-4 Tage trocknen. Wenn sie sich von außen fest und trocken anfühlen, kommen sie in einen Topf (am besten flachen Steintopf), den man mit einem feuchten Tuch überbindet und an einen trockenen, laufwarmen Orte aufbewahrt. Jeden Tag sieht man nach und badet jeden einzelnen Käse in lauwarmem Wasser: gut tut man, wenn man das Wasser mit dem Finger etwas einreibt. Natürlich darf man den Käse nicht im Wasser liegen lassen, das Eintauchen genügt. Kontrolliert man die Käse nicht jeden Tag, so fangen sie an zu schimmeln.
Nach 8-14 Tagen sind die Käse gut, das richtet sich nach der Temperatur, in der die Käse aufbewahrt werden. Je wärmer, umso schneller reifen die Käse. Läßt man sich die Mühe jeden Tag nicht verdrießen, so ist der Erfolg sicher & es gibt guten Käse. Bayern 191726/11 Nr. 45
Kochkäse
Gut ausgelaufene, nicht zu zarte Dickmilchmatte (auch Buttermilchmatte läßt sich verwenden) wird in einer zugedeckten Schüssel 3-4 Tage in der Küche hingestellt und zwar ungesalzen. Ist die Matte etwas angefault – sie muß öfters umgerührt werden – so wird sie mit einer Messerspitze Butter, Kümmel u. Salz nach Geschmack und 2-3 Messerspitzen kohlensaures Natron unter stetem Umrühren gekocht, bis sie ganz zart und fast flüssig ist, in eine mit Wasser ausgespülte Schüssel geschüttet und kalt gestürzt.
Selbstbereiteter Essig
Alle Obstreste, die beim Einmachen von Früchten Birnen, Äpfeln, Beerenfrüchten oder unreifen Tomaten entstehen, werden zerkleinert, am besten in der Fleischhackmaschine zu Brei gemahlen. Auf diesen Obstbrei wird soviel laues Wasser gegossen, daß es damit bedeckt ist. So bleibt der Brei 2 Tage stehen und kommt dann in einen Seihbeutel. Ohne zu pressen muß der Saft ablaufen. Der Rest wird nochmals mit etwas Wasser ausgespült. Dieser Saft wird in ein offenes Gefäß gefüllt bis zu dessen Rande und so für einige Wochen zum Gären an einer warmen Stelle aufgestellt. Das Gefäß kann mit einem leichten Gazetuch bedeckt werden, so muß die Luft Zutritt zur Flüssigkeit haben. Tritt nicht bald lebhafte Gärung ein, so kann diese durch Hinzugabe von einigen Löffeln Zucker hervorgerufen werden. Ist die Gärung vorüber, wird der Essig von der Hefe ab in ein anderes Gefäß gezogen, dies wird leicht verschlossen und der Essig bleibt in diesem noch einige Wochen, um dann in Flaschen gefüllt zu werden. Diese werden fest verkorkt und verpicht am kühlen Orte aufbewahrt. Bayern 5/11 1717 Nr. 42
Silberputz
Stearin-Öl und Wiener Kalk.
Erst mit Öl einreiben, dann mit Kalk. Eine Weile liegen lassen und dann abreiben. Sollten noch Flecken vorhanden sein, dann dasselbe noch einmal.
Seife
Auf 1 kg reines Fett oder 2kg Fettabgang nimmt man 1/2 kg kaustisch Soda, auch Seifenstein genant und 3 Liter Regenwasser. Wird zusammen in 1 Kessel gekocht. Man läßt die Masse langsam unter ständigem Rühren kochen, doch darf sie nicht überlaufen. Geschieht dies doch, so gieße man etwas bereitstehen-des Regenwasser nach. Nach 1 1/2 Stunden muß die Masse wolkig und sämig sein, als wenn man gute Seife zum Waschen aufgelöst & gekocht hat. Ist dies nicht der Fall und zeigt sich etwas unzersetztes Fett oben, so ist der Seifenstein nicht scharf genug und muß noch etwas von demselben zugesetzt werden. Hat die Masse 2 Stunden gekocht, so muß sie gut sein. Der Beweis davon ist folgender. Man rührt eine Weile nicht im Kessel und beobachtet nur, ob durch die dicke Seifenmasse, die unter derselben gebildete braune Lauge klar in die Höhe steigt und durchsprudelt.
Nun gießt man die Seifenmasse in eine Waschwanne, welche vorher gewässert war, damit sich die Seife nicht zu fest anhängt. Am anderen Tage schneidet man die abgekühlte Seife in der Wanne in Stücke und legte sie zum Hartwerden an einen luttigen Ort.
Die Schreiberin der Rezepte war aus Bodendorf, ist aber unbekannt. Kein Eintrag im Kochboch oder auf den Einlagezetteln geben einen Hinweis auf ihren Namen. Eindeutig ist die Datierung; alle Rezepte sind im November und Dezember des Hungerwinters 1917 niedergeschrieben.
Mit „Daheim“ und „Bayern“ sowie den Nummern der Rezepte istdie Herkunftsquelle, wahrscheinlich ein Buch oder eine Zeitschrift, angegeben. Dort, wo diese Angaben fehlen, wurden offensichtlich mündlich weitergegebene Rezepturen festgehalten.
Einige Hinweise in der Schulchronik von Bodendorf belegen indirekt die Not dieser Zeit, selbst im ländlicheren Bereich. Lehrer Mies, der Schulchronist von 1894-1928, berichtet.3)
1916 „Im allgemeinen war der Gesundheitszustand unter den Kindern bis jetzt ziemlich gut, so daß man an eine Unterernährung nicht denken konnte. Die Kinder wurden fortwährend belehrt über die Notwendigkeit mit Lebensmittel sparsam umzugehen.“ 2 Zentner getrocknete Brennesseln werden gesammelt. 1917 Bei einem Festgottesdienst zu Kaisers Geburtstag (27. Januar) werden die Kinder „auf die wirtschaftliche Lage und Mahnung, die Maßnahmen und Vorschriften der Regierung inbezug auf die Lebensmittel genau zu befolgen“ hingewiesen. Wegen Mangels an Brand fällt die Schule im Februar aus, in den Städten werden alle öffentlichen Anstalten,Theater und Kinos geschlossen, die Rheinschiffahrt eingestellt. 1918 Im Sommer wird, unter Anleitung der Lehrer, Laubheu gesammelt, getrocknete junge Austriebe und Blätter von Eichen.Insgesamt werden über 200 Zentner zusammengetragen und zu einer Sammelstelle in Neuenahrtransportiert. „Dort wurde es verpackt, verladen und nach den Kriegsschauplätzen gebracht, um als Futter für die Pferde verwendet zu werden. „Ebenfalls haben die Schulkinder unter der Anleitung von Lehrer und Lehrerin Brennesseln gesammelt, eine beschwerliche Arbeit. Die getrockneten Stengel wurden gebündelt und abgeliefert zum Zwecke aus den Fasern der Brennesseln Leinwand herzustellen. Etwa 60 Ztr. wurden hier gesammelt. Ferner wurden noch allerlei Krauter gesammelt wie Brombeerblätter, Feldhuflattich; ebenfalls abgeliefert, um daraus einen Kaffeeersatz herzustellen.“
Das Bild zeigt die Teilnehmerinnen eines Koch-und Haushaltslehrgangs, der im Winter 1916 in der Gastwirtschaft Rhein-Ahr, heute Oberbillig, durchgeführt wurde. Eine der jungen Damen hatwahrscheinlich die Sparrezepte aufgeschrieben. Die Kochschule hat sich hier zum Abschlußfoto im rückseitig gelegenen Hof versammelt. Die Schülerinnen sind vor 1900 geboren, die meisten namentlich bekannt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme sind alle noch unverheiratet außer Frau Maria Lorscheid, deren Mann als Soldat an der Front stand. Sie ist – sitzend zweite von links – mit ihren Kindern Katharina (1912) und Peter (1909) abgebildet. Im Kreise ihrer Mitschülerinnen hatte sie eine Art von Vertrauens- und Aufsichtsfunktion. Katharina Steinborn, geb. Lorscheid, kann sich heute noch gut an alles erinnern.
Kochschule in Bodendorf, 1916.
Der Kurs wurde offensichtlich mit Hilfe des Kreises Ahrweiler durchgeführt. Die Kochlehrerin, aus Schleswig-Holstein gebürtig, ihr Name heute jedoch vergessen und eine Aufsichtsperson stehen im Türrahmen. Der Mann hatte beim Lehrgang eine Aufgabe, die man heute mit Ernährungsberater umschreiben würde. Er war häufig bei dem Unterricht anwesend und Prüfer beim Abschlußexamen. In der Kochschule wurde nicht nur Kochen vermittelt, sondern ebenso Kinder- und Gesundheitspflege und Haushaltsführung. Der Kursus dauerte drei Monate und wurde im Winter abgehalten. Der Unterricht begann morgens und endete nachmittags.
Zwei weitere Kochkurse in Bodendorfsind durch Bilder belegt. Einer fand 1926 in der Pension Lorscheid statt, Kochlehrerin war die Dame aus Schleswig-Holstein wie auch 1916. Der dritte bekannte Lehrergang wurde 1931 durchgeführt, diesmal in der „Fabrik“, dem Bruchsteinhaus in der Hauptstraße 138.
Dieses Haus hat eine wechselvolle Geschichte. Es wurde um 1835 von Dr. Müller, dem Vater des im 19. Jahrhunderts berühmten rheinischen Dichters Wolfgang Müller zu Königswinter gebaut. In der Weinlese waren hier mit dem Dichter häufig seine Freunde der Düsseldorfer Malschule zu Gast, aber auch der Struwwelpeter-Hoffmann und der junge Bismarck.Anmerkungen:
- Janta, Leonhard: Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz, Studien zu Vergangenheit und Gegenwart, Bd, 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler 1989. S 18-21
- Ebda S. 283-285
- Schulchronik Bodendorf: begonnen 1895, geführt bis 1962
Auskünfte und das Foto verdankt der Autor Frau Katharina Steinborn, geb. Lorscheid, Bad Bodendorf