Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr: Kurhaus und Kurtheater im Wandel der Zeiten
Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr:
Kurhaus und Kurtheater im Wandel der Zeiten
Hubert Rieck
Zunächst ein leises, kaum hörbares „Let the sunshine …“, das sich alsbald zu dem lauten, eindringlichen Appell steigert: „Let the sunshine in!“ Viele im Publikum summen diese Melodie, klatschen, „gehen mit“, Kurgäste und Einheimische sind begeistert von einem Musical, das vor über 25 Jahren in New York Premiere hatte und sich dort anschickte, das Theaterleben am Broadway völlig durcheinanderzuwirbeln. Das Musical „Hair“ endet mit minutenlangen „stan-ding ovations“, Jugendliche laufen zur Bühne. Die Akteure der Broadway Musical Company gewähren Zugaben, schütteln Hände, lachen. So geschehen im alt ehrwürdigen und noblen Kurtheater des Kurhauses zu Bad Neuenahr. Diese Musicaltruppe aus New York ist seit Jahren ein überaus erfolgreicher Aktivposten im Veranstaltungskalender der Kurverwaltung Bad Neuenahr. Jedoch bietet die Kurverwaltung viele unterschiedliche Programmfacetten in ihrem 1905 eröffneten Hause. Das Spektrum reicht von exzellenten Konzerten der „Klassischen Philharmonie, Telekom Bonn“ über Gastspiele diverser Tourneetheater bis zu festlichen Weihnachtskonzerten, z. B. mit der US-Opernsängerin Deborah Sasson oder dem US-Star AI Martino.
Die Broadway Musical Company aus New York gastierte mit dem Musical „Hair“.
Die Anfänge
„Das neue Kurhaus wird am nächsten Sonntag den 4. Juni 1905 dem Betrieb übergeben. Das neue Kurtheater spielt zum ersten Male am 5. Juni 1905″, so die ganzseitige Mitteilung in der zeitgenössischen Kur- und Fremdenliste. Nach ca. 1 1/2 jähriger Bauzeit wurde das mit einem für die damalige Zeit sehr hohen Kostenaufwand von rund einer Million Goldmark erbaute Kurhaus mit Kurtheater, Konzertsaal, Lese-, Spielräumen und Restaurants dem Kurbetrieb übergeben. Doch hinter dieser sachlich, nüchternen Feststellung verbirgt sich weit mehr: Das Heilbad Neuenahr hatte im Jahre 1903 schon 10.046 „echte Kurgäste“ und setzte, aufgrund seiner rasanten Aufwärtsentwicklung, zum Sprung in die erste Reihe der renommierten Heilbäder, wie Baden-Baden, Karls- und Marienbad an. Die große Welt ging zur Kur und ins Bad, mehrwöchige Badereisen galten um die Jahrhundertwende, neben der medizinischen Notwendigkeit, gerade in gesellschaftlicher Hinsicht als chic und modern. Die priviligierte Kurgastklientel, Adlige und zunehmend wohlhabendes Bürgertum, erwarteten in ihrem Badeort ein gehobenes Ambiente. Das 170m lange, im leichten Neo-Barockstil errichtete Kurhaus war zum einen ein Repräsentationsbau, der der aristokratischen und bürgerlichen Selbstdarstellung diente, zum anderen war er aber auch funktional bestimmt. Mittelpunkt der Bauanlage ist der große Fest- und Theatersaal, um welchen sich die übrigen Räume gruppieren. Lese-, Billard- und Spielsäle befanden sich ahr-abwärts an der ruhigeren Lage außerhalb des Verkehrs des Kurhotels. An der Südseite liegt der Haupteingang mit der Besonderheit einer Zweiturmfassade, einem prächtigen Vestibül mit Treppenaufgang zum Foyer mit dahinterlie-gendem Fest- und Theatersaal. Gartensaal sowie Terrassen in südlicher und westlicher Richtung bildeten mit dem Ensemble von Musikpavillon, Parkanlage sowie Kursanatorium und -hotel ein wichtiges Zentrum des Heilbades. Dort sah man, wurde gesehen, lauschte der Musik, flanierte und promenierte.
Kontroverse
Der Kölner Oscar Schulz gewann den Architektenwettbewerb für das Kurhaus, und nach seinen Plänen wurde mit den Bauarbeiten im November 1903 begonnen. Sein Konzept einer Zweiturmfassade zur Betonung des Eingangsbereiches war in Deutschland sehr selten anzutreffen, in Frankreich hingegen wurden verschiedene Repräsentationsbauten in diesem Stil gestaltet, z. B. das 1878 von dem Architekten der Pariser Oper, Charles Garnier, errichtete Grand Casino von Monte Carlo.
Bei der Auftragsvergabe berücksichtigte Architekt Oscar Schütz nicht nur renommierte auswärtige Firmen, z. B. für die eisernen Dachbinder des großen Saales und der Bühne die Maschinenfabrik Humboldt in Köln-Kalk sowie für die elektrische Beleuchtung die Kölner Filiale der Siemens-Schuckert-Werke. Vielmehr profitierten auch einheimische Handwerker vom Bauprojekt: Die Dachdeckerarbeiten gingen an den Neuenahrer Adam Jacquemien, die Bauschreinerarbeiten wurden den Schreinermeistern Bernhards und Ritter in Neuenahr und Georg Geschier in Ahrweiler übertragen.
Blick auf das Hauptportal des Kurhauses mit der charakteristischen Zweiturmfassade, Postkarte um 1912.
„In allen seinen Teilen ist das neue Kurhaus mit einem Geschmack und einer Vornehmheit ausgestattet, daß sowohl die Verwaltung wie auch der Architekt mit Stolz auf ihr Werk blicken können“, so der Journalist Albert Drossong in der renommierten „Illustrirte Zeitung“ aus Berlin am 21. Juni 1906. Doch hatte sich Oskar Schütz, der in Neuenahr ebenfalls 1903 das architektonisch reizvolle Gebäude der „Adler-Apotheke“ konzipierte, auch mit harter Kollegenkritik auseinanderzusetzen. Der Redaktionsleiter der Fachzeitschrift „Deutsche Bauhütte“, Architekt F. Rud. Vogel aus Hannover spricht in seinem Beitrag vom 15. März 1906 über das Kurhaus Neuenahr von „aufdringlicher Pracht“, „Übertreibungen“ und einem Mangel „an klarer Disposition des Grundrisses“. Vogel kritisiert ferner, die beiden Treppentürme erdrückten und verhüllten den dahinterliegenden Theatersaal. Er setzt dagegen: „Gegenüber dem Palaststil verlangt die moderne architektonische Entwicklung des Aufbaus, daß die einzelnen Gebäudeteile des Grundrisses auch äußerlich zum klaren Ausdruck kommen. Solche Forderung wird weder hinsichtlich des oberen Musiksaales, noch der über dem kleinen Konzertsaal gelagerten englischen Kirche erfüllte. Der Journalist Karl Loris bringt das Kalkül des damaligen Kurdirektors Felix Rütten auf den Punkt, indem er 1906 ebenfalls in der „Deutschen Bauhütte“ ausführt:
„In allen seinen Teilen ist das neue Kurhaus mit einem Geschmack und einer Vornehmheit ausgestattet, daß die Aktien-Gesellschaft Bad Neuenahr und die Kurdirektion ihre Hauptabsicht, die Anziehungskraft des Landes durch ein opulentes Hauptbauwerk zu vermehren, erreicht haben.“
Die Intendanz Doerner
Mit dem Bau des Fest- und Theatersaals, der rund 1000 Sitzplätze im Parkett und auf dem umlaufenden Balkon bietet, war die Absicht verbunden, daß Bad Neuenahrsich auch künstlerisch mit anderen großen Kurorten messen konnte. Als Leiter des nur in der Kursaison (Mai bis Ende September) bespielten Hauses verpflichtete man den Intendanten des Koblenzer Stadttheaters August Doerner. Sein Koblenzer Ensemble, ergänzt durch Künstler mit „Stückeverträgen“, boten ein umfangreiches Repertoire aus Schauspiel, Operette und Oper an. Die erste Spielzeit begann am 5. Juni 1905 mit Lessings „Minna von Barnhelm“. Die Preise reichten von 4. – Mk bis 1. – Mk. Komödien und Lustspiele beherrschten den Spielplan des Schauspiels, bei Operette und Oper spannte sich der Bogen vom „Zigeunerbaron“ über „Car-men“ bis zu“Rigoletto“. Es gab aber auch sogenannte „Volksvorstellungen“, insbesondere für die Einheimischen, zu bedeutend ermäßigten Preisen. So spielte man 1907 als „Volksvorstellung“ Schillers „Räuber“, wobei sich die Preise zwischen 1 Mk. und 0,25 Mk. bewegten.
Die Kritiker waren zumeist gnädig gestimmt, und so schrieb die Ahrweiler Zeitung am I.Juni 1907: „Das Ensemble genügt höchsten Ansprüchen, läßt die Zuhörer mit fieberhafter Erwartung an den Lippen der Darsteller hängen.“
Intendant Doerner griff auch häufiger auf Künstler von anderen Bühnen zurück. So engagierte er 1907 u. a. den Sänger Emil Wehrhahn vom Theater des Westens in Berlin, die Schauspielerin Ella Kobal vom Thaliatheater in Hamburg und den Schauspieler Richard Kirch, „1. Held und Liebhaber“ vom Frankfurter Schauspielhause. Besonders intensiv warb das Kurtheater für ein einmaliges Gastspiel der Tänzerin Helga Dumont am 27. Juni 1907: „Frl. Dumont, die Gastspiele in Paris, London, New York mit beispiellosem Erfolg absolvierte, ist unter bedeutenden pekuniären Opfern von Herrn Direktor Doerner für dieses Gastspiel gewonnen“…
Zeitaufnahme
Der Erste Weltkrieg unterbrach 1914 abrupt den Aufstieg des Heilbades. Unmittelbar nach Kriegsausbruch wurden auch im Kurhaus und Kurhotel Lazarette für deutsche Soldaten eingerichtet. Dieses wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg, wobei der Theatersaal als Bekleidungsdepot zweckentfremdet wurde. Die zahlreichen Soldatengräber auf dem Friedhof in Bad Neuenahr sind noch heute mahnende Zeugen des Leidens und Sterbens, das sich tagtäglich auch in dem zu einem Lazarett umfunktionierten Kurhaus ereignete.
Die 15. US. Armee unter General Leonard T. Gerow errichtete 1945 um das Kurviertel eine großräumige Sperrzone, da sie dort ihr Hauptquartier etablierte. Am 10. Juli 1945 übernahmen die Franzosen die hiesige Besatzungszone. Der Konzertplatz zwischen Kurhaus und Kursanatorium wurde desöfteren als Ausbildungs- und Paradeplatz genutzt. Den Franzosen diente der große Kurhaussaal für Feierlichkeiten, aber auch für besatzungspolitische Aktionen. So fand die Eröffnungsfeier der Pädagogischen Akademie 1946, die eine reformierte, vom Ungeist des Nationalsozialismus befreite und somit demokratische Lehrerbildung gewährleisten sollte, unter dem Patronat der französischen Militärregierung im Theatersaal statt.
An eine Wiederaufnahme des Kurbetriebs war zunächst nicht zu denken, da zum einen die Kur-AG Bad Neuenahr unter die Vermögenssperre der Militärregierung fiel. Zum anderen mußten die Menschen sich auf ein Leben im Mangel einrichten, „Kuren“ waren „Luxus“, den man sich nicht leisten konnte.
1947 unterspülte das Hochwasser der Ahr Teile der Fundamente des Kurhauses. Der Gartensaal in westlicher Richtung, die Neuenahrer nannte ihn „Kegelbahn“, stürzte ein. „Das wird nie mehr was!“ so urteilten viele Einheimische. Doch es kam anders: Im August 1948 wurde nach harten politischen Verhandlungen die Genehmigung für die Errichtung einer Spielbank erteilt. Dazu wurde das Kurhaus in östlicher Richtung zur Ahr hin balkonartig erweitert. Die auf das Casino gesetzten Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Durch die reichlich fließenden Geldzuwendungen von Seiten der Spielbank, eine kluge Investitionspolitik der Kur-AG, den Fleiß und den Aufbauwillen der Menschen wurde das Heilbad Neuenahr wieder lebensfähig.
In den 50er Jahren feierten die Bonner Journalisten mit der Polit- und Filmprominenz im Festsaal des Kurhauses die Bundespressebälle, die in den 60er Jahren von den „Madame-Bällen“ abgelöst wurden.
Konzerte, Tanzturniere, Tagungen, Seminare, Fest- und Parteiveranstaltungen, Spielstätte für Tourneetheater, Restaurant, Bar, Geschäftszeile und Casino, dies alles bietet das Kurhaus heute seinen Gästen. Neben den Kurgästen nehmen auch viele Bürger der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler das von der privaten Kur-AG veranstaltete und finanzierte abwechslungsreiche Kulturangebot im Kurtheater wahr.
Der Gebäudekomplex ist auch nach 90 Jahren in einem guten Bauzustand. Der Eingangsbereich des Casinos wurde 1994 aufwendig neu gestaltet. Verbesserungswürdig erscheint jedoch an der Ahrseite die häßliche, aus Kunststoff gefertigte Sichtblende eines Notausgangs sowie die unterschiedlich und damit völlig unhistorische Farbgebung der Dacheindeckung. Kurhaus und Kurtheater, als ein wichtiges Element, im Ensemble mit Kursanatorium und -hotel sowie den 1993 für 43 Millionen Mark errichteten Ahrthermen, sind auch weiterhin wichtige Aktivposten des Heilbades Neuenahr.
Anmerkungen und Literatur:
Dieser Beitrag ist dem am 12. Mai 1995 verstorbenen Heimatkenner und Neuenahrer Original Philipp Bichler gewidmet, der Im Kurhaus von Bad Neuenahr aufwuchs, da seine Eltern dort in einer Dienstwohnung lebten.
Mein herzlicher Dank gilt Ingrid Fick von der Kurverwaltung Bad Neuenahr und Hans-Jürgen Ritter, deren heimatgeschichtliche Sammlungen ich einsehen und auswerten durfte, Ferner danke ich vielen Zeitzeugen, besonders Peter Witsch und Klaus Rieck.
Bothe. Rolf (Hrsg.): Kurstädte in Deutschland, Berlin 1984, Janta, Leonhard/Rieck. Hubert: Bad Neuenahr • Aus drei Dörfern entstand ein internationales Heilbad. In: Wasserlust – Mineralquellen und Heilbäder im Rheinland. Köln/Bonn 1991. Ruiand. Josef: Bad Neuenahr. Köln 1993. Simon. Petra/Behrens. Margrit: Heilbad. München 1988.