Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr: Rund um den Wadenheimer Platz
Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr:
Rund um den Wadenheimer Platz
Hubert Rieck
Seine Hände stützen sich vorsichtig auf dem nassen Brunnenrand ab, und sein Oberkörper neigt sich weit nach vorne. Neugierig blickt ein kleiner Junge ins Innere des Brunnens. Langsam, aber stetig sinkt der Wasserspiegel. Schließlich taucht in der Brunnenmitte ein goldener Pflug auf, der fest verankert auf einem Basaltsockel steht. Eine ältere Frau packt den kleinen Beobachter plötzlich an die Schulter:
„Komm jetzt bitte, es gibt nichts mehr zu sehen. Der Brunnen ist kaputt, er ist ausgelaufen!“ Der Kleine dreht sich um und entgegnet, sichtlich genervt: „Aber Oma, das muß doch so sein, eine besondere Technik im Brunnen läßt das Wasser immer wieder ab- und zulaufen!“
Entstehungsgeschichte
Die Brunnenanlage ist das Herzstück des kleinen Wadenheimer Platzes, der sich an der Ecke Kreuzstraße/Jesuitenstraße befindet. Initiator zur Errichtung des Brunnens, die mit einer Umgestaltung des Platzes einherging, war der Vorstand der Bürgergesellschaft Wadenheim. Im Dezember 1995 konnte deren Schultes Horst Feiten, dank vieler Spender und Sponsoren, sowie der tatkräftigen Unterstützung der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, den neu gestalteten Wadenheimer Platz der Öffentlichkeit übergeben. Stolz teilte er mit, daß der Brunnenbau zu Dreiviertel von der Bürgergesellschaft finanziert wurde.
Der kleine Wadenheimer Platz mit seiner Grünfläche, den Bäumen, Hecken, Blumen, Sitzplätzen und seinem Brunnen ist eine kleine „Oase“, eine winzige „Pause“ in der bisweilen aggressiven „Stadtmusik“. Das stetig steigende innerstädtische Verkehrsaufkommen beeinträchtigt den Charakter des Heilbades immer nachhaltiger. Um so erfreulicher ist es, daß durch diesen Platz ein Stück menschlicheres Stadtleben im Kurort ermöglicht wird. Aber die Brunnenanlage lädt – jung und alt, Gäste und „Wodemer“- nicht nur zum Schauen und Verweilen ein, sondern sie gibt auch Auskunft über eine alte Sage, die zur Geschichte des Ortes Neuenahr dazugehört.Der „Goldene Pflug“
Verweilt man am Brunnen und blickt in die Casinostraße, so lenkt man seinen Blick unwillkürlich auf den das Panorama dominierenden Berg Neuenahr mit seinem markanten Aussichtsturm, dem „langen Köbes“. Am Berg Neuenahr, so die Sage, begegneten sich ein Bauer und ein Zwerg. Jener Troll verriet dem Bauern ein Geheimnis: Bei Vollmond könne man einen Schatz, dessen wertvollster Teil ein „Goldener Pflug“ sei. aus dem alten Schloßbrunnen bergen. Jedoch dürfe der Schatzsucher bei der Arbeit, was auch immer geschehe, kein Wort reden, sonst bliebe der Schatz im Besitz der Erdgeister. Mit Hilfe einer Angel zog der Bauer den „Goldenen Pflug“ heraus. Aber das Gebrüll eines Riesen versetzte ihn in solche Angst, daß er einen Schrei ausstieß. Hierauf stürzte der Pflug in die Tiefe, und der Erdboden verschloß sich. Der bis heute verborgene Schatz lasse, so erzählt man. durch seine Zauberkraft die heilenden Quellen am Fuße des Neuenahrer Berges sprudeln.
Das Herzstück des Wadenheimer Platzes:Brunnenanlage mit dem goldenen Pflug.
Der „Goldene Pflug“ verschwand einst auf dem Neuenahrer Berge, am Wadenheimer Platz taucht er nun regelmäßig wieder auf. um sodann wieder in den Fluten des Wassers zu verschwinden.
Ein gewachsenes Stadtviertel
Der Wadenheimer Platz, der um die Jahrhundertwende noch eine „Prummewiss“ war, ist mittlerweile Mittelpunkt eines gewachsenen Stadtviertels, wo es auch heute noch Verknüpfungen verschiedener Lebens- und Arbeitsbereiche gibt. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, dieses Neben- und Miteinander verhindern auch. daß dieser Platz steril, künstlich und öde wirkt. Er bedarf weder – wie so manch großer, aufwendig „verplanter“ Platz – künstlicher Aktionen, die ihn in eine stimulierende „Reizzone“ verwandeln, noch falsch herausgeputzter „Niedlichkeit“. Er gehört zu diesem Lebensraum, der auch nicht frei von „Ungereimtheiten“ ist: Der „Charme“ der waschbetongrauen öffentlichen Toilettenanlage hält sich in Grenzen; drei Spielhallen und Sonnenstudios in der benachbarten Jesuitenstraße markieren Veränderungen des gewachsenen Umfeldes.
„Zeit fällt von den Fassaden“
Die Häuser um den Wadenheimer Platz sind von unterschiedlichen Baustilen geprägt. Sie bilden aber dennoch ein gewachsenes Ensemble, wenngleich auch hier mehr oder weniger geglückte und mißglückte Fassadenveränderungen festzustellen sind. Doch insbesondere einige wenige noch erhaltene Jugendstilhäuser – aus der ersten Blütezeit des Heilbades vor 1914 – laden den Betrachter zu einer kleinen „Augenreise“ ein.
Weiß man um die Geschichte der Menschen, die in den Häusern lebten, so der Schriftsteller Herbert Rosendorfer, dann „fällt die Zeit von den Fassaden“. So lebten eine Reihe von jüdischen Mitbürgern bis zur Verfolgung durch die Nationalsozialisten rund um diesen Platz. Im Haus Nr. 18 in der Kreuzstraße betrieb die Familie Lichtendorf ein renommiertes Weißwaren- und Bekleidungsgeschäft; Max Voss hatte im Haus 23 eine gutgehende Metzgerei. In der Jesuitenstraße 28 lebten Karl Friesem und seine Gattin „Nettchen“, die ein Anstreichergeschäft führten. Unweit ihres Hauses befand sich in der Tempelgasse, der jetzigen Wadenheimer Straße, die jüdische Synagoge, die am 10. November 1938 der Brandstiftung durch Nationalsozialisten zum Opfer fiel.
Die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens mit den Mitbürgern jüdischen Glaubens erlosch jäh in der Zeit des Nationalsozialismus:
Verfolgung, Emigration, Deportation oder Tod in den Vernichtungslagern…
Karl Friesem und „sein Nettchen“ waren für die Neuenahrer „Originale“, denn Karl Friesems Fahrkünste auf dem Motorrad waren „berühmt“, zumal einige gewagte Bremsversuche in einer benachbarten Scheune endeten. Neben dem Anwesen Friesem lebte, in einem heute zum Abriß stehenden Fachwerkhaus“, „das Original“ Neuenahrs: Pläät Schneider. DieGeschich-ten des Neuenahrer „Lügenbarons“ waren in der Region fast so bekannt, wie diejenigen des berühmten Freiherrn von Münchhausen: So brü-stete Pläät Schneider sich damit, im Kriege 1870/71 im Besitz eines Gewehrs mit ledernem Lauf gewesen zu sein, um damit auch „ums Eck“ schießen zu können. Eines Tages arbeitete er, so eine weitere Geschichte, in Berlin beim Kaiser als Hofanstreicher. Als Pläät Schneider die Küche seiner Majestät „weißen“ sollte, erschien plötzlich der Kaiser höchst persönlich, um sich nach dem Stand der Anstreicherarbeiten zu erkundigen. „Na, Meister Schneider, wie geht’s voran?“ fragte besorgt seine Majestät. „Gut, sehrgut, mein Kaiser! Aber ich habe eine Frage! Soll ich auch hinter dem Küchenschrank weißen?“ Majestät überlegte kurz und’sagte preußisch exakt: „Das Tünchen hinter dem Schrank ist nicht notwendig, Meister Schneider!“
Dort wo sich heute in der Kreuzstraße neben dem „Neuenahrer Hof“ ein Parkplatz der Klinik Dr. Bauer befindet, stand das kleine Haus eines weiteren Neuenahrer Originals, des Bauern Hannes Jungbluth, „Kirsche Hannes“ genannt. Wenn Hänftes morgens seinen Ochsen vor den Karren spannte, so kam sein „Oaß“ erst langsam „in die Gänge“. Auf dem Weg die Jesuitenstraße hinauf, setzte beim Zugtier nun eine verstärkte Verdauungstätigkeit ein. Die vom Ochsen zwangsläufig auf die Jesuitenstraße „gesetzten“ Fladen, „verschönerten“ die Straße und die Eingangsbereiche der renommierten Hotels „Hamburger Hof“ und „Kaiserhof“. Bäuerliches Leben neben eleganten Flaniermeilen für betuchte Kurgäste, einfache Fachwerkhäuser neben stilvollen Repräsentationsbauten und prächtigen Fassaden, Ackerflächen neben Parkanlagen, diese Gegensätze waren auch noch in den 20er und 30er Jahren im Heilbad Neuenahr anzutreffen.
Sitzt man heute am Wadenheimer Platz, so kann es ein, daß man mit wohlwollendem Schmunzeln beobachtet, wie kreativ Kinder den Brunnen in ihr Spiel miteinbeziehen. Es kann auch sein, daß man für einige Augenblicke sich der Sage vom „Goldenen Pflug“ oder auch vergangener Lebensgeschichten aus „Wodom“ erinnert. – Ja, dann gewährt einem dieser Platz eine winzige, aber schöne Pause in der lauten Stadtmusik. Hat man besonders viel Glück, dann verebbt der Lärm der Jesuiten- und Kreuzstraße, dann riecht man keine Autoabgase, hört keinen hämmernden Rap-Rhythmus aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug.
Schließlich vernimmt man sogar das so beruhigende Plätschern des Brunnenwassers. Diese Momente sind nicht sehr häufig, aber zum Glück gibt es sie noch. Anmerkung:
- In der Nacht vom 3. auf den 4. August 1996 brannte das Gebäude aus bisher ungeklärten Ursachen ab. Alsbald wurde die Brandruine abgerissen. Auf dem Gelände soll ein Neubau mit Eigentumswohnungen entstehen