„Es ist gut, daß Schluß ist.“ – Das Kriegsende 1918 im Kreis Ahrweiler

Auswirkungen des Krieges

Der Erste Weltkrieg (1914 -1918) forderte aus den Kreisen Ahrweiler und Adenau 1884 Menschenleben.1) Zu dieser schrecklichen Bilanz des Krieges kamen noch über 2000 Kriegsversehrte. Unbeschreibliches Leid verbirgtsich hinter diesen nüchternen Zahlen.

An der sogenannten Heimatfront hatten die Menschen während der zermürbenden Kriegsjahre unter den Auswirkungen des Krieges zu leiden. Das gesamte Leben wurde unter die Erfordernisse des Krieges gestellt. Die Bevölkerung erlebte den Truppenaufmarsch 1914, Soldaten- und Waffentransporte rollten den ganzen Krieg über täglich auf der Ahr- und Rheinstrecke in Richtung Westfront. Remagen, Rolandseck, Nonnenwerth, Niederbreisig, Bad Neuenahr, Ahrweiler und Adenau beherbergten Lazarette, in denen Tausende Genesung suchten.

Der Arbeitskräftemangel konnte nur bedingt durch Kriegsgefangene ausgeglichen werden, so daß vorallem in der Landwirtschaft die Hauptlast der Arbeit vielfach bei Frauen und Kindern lag.

Schulkinder wurden bei zahlreichen Sammelaktionen eingespannt. Verschiedene Lehrer sprachen von einer „Verrohung der Jugend“, für die sie das lange Fortbleiben und die fehlende Aufsicht der Familienväter verantwortlich machten. Von einer verschärften „Schulzucht“ erhofften sie Abhilfe. Allerdings fiel die Schule häufig wegen Einquartierungen oder im Winter wegen Brennstoffmangel aus. Viele Schüler fehlten zudem bei schlechtem Wetter wegen unzureichendem Schuhwerk.

Als „pädagogischen Kriegsgewinn“ sahen manche Lehrer den Umstand an, daß durch den Krieg Ereignisse des Tages mehr und mehr im Unterricht an Raum gewannen und somit „Gegenwartsunterricht“ betrieben wurde.2)

Versorgungsengpässe, Nahrungsmittelknappheit, Zwangsbewirtschaftung und ein Bezugsscheinsystem gehörten zum Alltag. Sogar die Selbstversorger auf dem Lande klagten aufgrund hoher Abgabepflicht von Landprodukten über Nahrungsmittelknappheit, jedoch konnte auf dem Lande von einer echten Notlage, wie sie auch in den kleinen Städten an Rhein und Ahr herrschte, nicht die Rede sein. In Sinzig, Neuenahr und Ahrweiler mußten zeitweilig Suppenküchen für Bedürftige eingerichtet werden. Auf der anderen Seite gab es auch Kriegsgewinnler, die sich durch Schleich- und Schwarzhandel bereicherten. Viele Güter, so z. B. Schuhwerk und Kleider waren kaum noch zu bezahlen. Im Tausch gegen Lebensmittel waren dagegen nahezu alle Güter zu haben.

Die Stimmung in der Bevölkerung wurde spätestens seit dem Hungerwinter 1916/17 immer gedrückter. Die Friedenssehnsucht wuchs, je länger der Krieg dauerte. Gegenüber dem Staat und der Verwaltung, vor allem gegenüber örtlichen Verwaltungsstellen, die mit der Erfassung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und der Lebensmittelverteilung zu tun hatten, stieg die Verbitterung.

Feld- und Gartendiebstähle nahmen in erschrekkendem Maße zu. Im August 1918 schloß der Sinziger Bürgermeister auch Unruhen in der Bevölkerung nicht mehr aus, „wenn nicht für genügend Brot und Kartoffeln gesorgt wird. Die Bevölkerung wird zwar bei jeder Gelegenheit auf die großen Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung hingewiesen, ist jedoch bei der langen Dauer des Krieges in Zukunft kaum noch ruhig zu halten.“3)

November 1918

Im Herbst 1918 grassierte die spanische Grippe in ganz Europa. Sie forderte auch bei der durch Unterernährung geschwächten Bevölkerung in unserer Region Todesopfer, deren Zahl jedoch nicht erfaßt wurde. Allein aus Denn wurde gemeldet, daß dort in kurzer Zeit 8 Erwachsene starben. Viele Schulen schlössen wegen dieser Grippeepidemie Ende Oktober bis in den November hinein.

Am 5. November 1918 wurde in der Ahrweiler Zeitung zum Zeichnen der 9. Kriegsanleihe aufgefordert mit der Mahnung: „Willst Du zögern, bis es zu spät ist?“ Wenn auch die Zweifel am Sieg zu diesem Zeitpunkt längst verbreitet waren, so kam die Niederlage des Heeres und das Kriegsende für weite Teile der Bevölkerung dennoch völlig überraschend. Deutsche Truppen standen noch tief in Frankreich und die Propaganda sprach weiterhin von Siegen.

Auf die Abdankung des Kaisers am 9. November 1918 folgte am gleichen Tag die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann. Am 11. November wurde der Waffenstillstand geschlossen. Danach mußten sich alle deutschen Truppen aus den besetzten Gebieten in Belgien, Frankreich und Luxemburg zurückziehen und das linke Rheinufer einschließlich einem 50 km breiten Streifen auf der rechten Rheinseite bis zum 4. Dezember 1918 räumen.

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Ahrweiler Zeitung vom 16. November 1918.

Mit dem Rückzug der Truppen und der amerikanischen Besetzung begannen fürdie Bewohner des Kreisgebietes ereignisreiche, hektische und dramatische Wochen und Monate. Zeitgenössische Berichte zeigen uns, wie die Phase des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs erlebt, aber auch bewertet wurde. Allgemein ist wohl die Erleichterung über das Schweigen der Waffen, für deren Sieg den ganzen Krieg über inbrünstig gebetet wurde. „Alles atmete auf und war froh, daß dem Morden ein Ende gemacht wurde. Die Leute sagten: „Es ist gut, daß Schluß ist.“4) Gleichzeitig breitete sich Angst aus vor einer weiteren Verschlechterung der Versorgung, einer Gefährdung der allgemeinen Ordnung und Sicherheit sowie der Ungewissen Zukunft.

Arbeiter-, Soldaten- und Bürgerräte

ZurAufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit wurden auch im Kreisgebiet verschiedene Arbeiter-, Soldaten- und Bürgerräte gebildet und gewählt. Sie kontrollierten die Maßnahmen der Demobilisierung, verhinderten das Chaos und sorgten für eine weiter funktionierende Verwaltung, deren Hauptaufgabe die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung war. Belegt sind solche „Räte“ u. a. in Ahrweiler, Neuenahr, Remagen, Niederbreisig, wo eine „Bürgerwehr“ aus 40 Bürgern aller Berufsstände zusammengesetzt war. Auch hatte Dernau einen aus 3 Arbeitgebern, 4 Arbeitnehmern und 7 Soldaten bestehenden Arbeiter- und Soldatenrat. In Brück finden wir einen „Bürgerschutz“, der u. a. Quartiere für durchziehende Truppen besorgte und Reisescheine ausfertigte.

Über die Aktivitäten der „Räte“ liegen nur wenige Informationen vor. Am besten unterrichtet sind wir durch Zeitungsmeldungen über den Ahrweiler Soldaten- und Arbeiterrat. Gebildet wurdeeram 12. November 1918 mit der Zielsetzung, „alle Obliegenheiten, die mit der Neuordnung der Dinge vorhanden sind im Verein mit den Behörden zu erledigen.“5) Ihm gehörten an:

„Morsch Johann, Mies Franz, Kräh Apoll., Hörsch Jos., Stockert Franz, Knieps Anton, Knieps Matth. ,Steub Anton, Kräh Michel, JülichKonst.“ Für einen Bürgerrat wurden von der Stadt vorgeschlagen der Beigeordnete „Weisgerber Karl, Gies Ferdinand, Mies Matth.“ „Eine zweite Versammlung, die von der Stadtvertretung einberufen war und die sich mit der Bildung eines Soldaten-, Arbeiter- und Bürgerrates befassen sollte, stellte sich auf den Boden der gegebenen Tatsachen, um den Frieden und die Ruhe in der Stadt nicht zu gefährden.“6)

Der bestehende Arbeiter- und Soldatenrat war bereits in Aktion getreten und harte mit der Stadtverwaltung Verhandlungen geführt. Dabei einigte man sich auf die Bildung eines Wohlfahrts- und Sicherheitsausschusses. Nach außen hin lag die öffentliche Gewalt nunmehr in der Hand der Räte, wenn auch die Verwaltung das Heft weitgehend in der Hand hielt. Allerdings mußte sie sich mit der Einmischung der Räte in viele Angelegenheiten der Verwaltung abfinden. Diese verlangten u. a. bei der Stadtverwaltung Ahrweiler und auch beim Landrat Akteneinsicht, um beispielsweise die angebliche Vernachlässigung des Kreises bei der Lebensmittelverteilung zu überprüfen. Sie gingen Beschwerden nach, organisierten Quartiere, übernahmen die Beschaffung von Lebensmitteln für durchziehende Truppen, kontrollierten das Kriegsernährungsamt und stellten auf diese Weise nach eigener Einschätzung die Ernährung der Bevölkerung sicher.

An die Bevölkerung richteten sie Aufrufe zum Durchhalten und zurtreuen Pflichterfüllung. „Der Wirrwarr, der infolge des ungestümen Zurück-flutens der Heere und des Abtretens der alten Gewalten ohnedies schon herrscht, könnte nur heillos verschlimmert werden. Darum, Bürger, Arbeiter und Soldaten, haltet zu den langen Kriegsjahren auch die kommende kurze Zeitspanne von etwa 3 – 4 Wochen noch aus. Bei dem dann endlich einkehrenden Frieden haben alle die Genugtuung, an dem großen Werke mitgeholfen zu haben. Ahrweiler, den 18. November 1918.

Der Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat.“7) Schließlich schloß sich der Arbeiter- und Soldatenrat mit dem Bürgerrat zu einem Volksrat in Ahrweiler zusammen und führte zusammen mit dem Bürgermeister die Geschärte der Stadt bis zur Wahl der Nationalversammlung Anfang 1919. Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 kamen SPD und KPD auf 11,4 % der abgegebenen Stimmen, das Zentrum auf 81,7 %, sonstige Parteien erhielten zusammen 6,9 %.

In der Schulchronik von Gedingen heißt es zu dieser Wahl: „Am 19. Januar war in der Schule die Wahl zur Nationalversammlung für den Stimmbezirk Gedingen von 9 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Es war eine geheime, direkte Wahl für 12 Abgeordnete der Bezirke Coblenz, Trier und Birkenfeld. Wählen konnten alle Männer & Frauen, Jünglinge und Jungfrauen vom 20. Lebensjahr an. Von 107 Wahlberechtigten übten 104 ihr Wahlrecht aus. Alle abgegebenen Stimmen waren fürs Centrum. In derselben Weise wurde am 26. Januar zur preußischen Landesversammlung gewählt.“8)

Truppendurchzug/Einquartierungen

Ab Mitte November 1918 begann der Rückmarsch der Truppen von der Westfront. Tausende strömten durch das Ahrtal, Vinxtbachtal und Brohltal dem Rhein zu. Militärzüge transportierten Soldaten und Kriegsmaterial Tag und Nacht auf der Ahrstrecke zum Rhein. Viele Einheiten marschierten über die gerade fertiggestellte Remagener Rheinbrücke, der noch die Schienen für den Eisenbahnverkehr fehlten. Über eine von Brohl nach Rheinbrohl errichtete Pontonbrücke sollen allein 90000 Soldaten den Rhein überquert haben. Die Hauptverkehrsstraßen im Kreis waren oft stundenlang mit Truppendurchzügen völlig verstopft. Die Chronisten der Orts- und Schulchroniken haben eine Fülle an Einzelbeobachtungen festgehalten. Den von der Westfront heimkehrenden Soldaten wurde danach wohl durchweg ein festlicher Empfang bereitet. Triumphbögen überspannten die Hauptstraßen, Flaggenschmuck zierte die Häuser. Verschiedentlich waren Schilder mit Aufschriften „Unseren Siegern“, „Unseren Tapferen“ angebracht. Auf der Remagener Ludendorff-Brücke prangte das Schild „Willkomme Ihr Helden“. Für die heimkehrenden Soldaten fanden außerdem Begrüßungsfeiern statt. In der Heimat wurde eine scheinbar „siegreiche Armee“ bejubelt und die Niederlage also völlig verdrängt.

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Amerikanisches Patrouillenboot in Remagen, 1919.

Durch Niederbreisig zogen „schier endlos bespannte Kolonnen, Artillerie, Train, Pioniere etc. mit Pferden, Feldküchen, Kriegsmaterial aller Art, Schlachtvieh u. s. f.. Die Kolonnen zogen geordnet unter Führung ihrer Offiziere geschlossen, einzeln lückenlos bis zu 1 Stunde lang mit ihren geschmückten Fahrzeugen durch die Hauptstraßen, die reichlich beflaggt und mit Ehrenpforten geschmückt waren. Dazwischen schoben sich immer wieder Fußtruppen, die mit fröhlichem Gesang und teilweise unter ihrer Militärkapelle einzogen. Alle wurden von den Einwohnern jubelnd begrüßt. Durchweg konnte man ein gutes Aussehen derTruppenwahrnehmen. Eine dankbare Abwechslung in das militärische Getriebe wurde der Bürgerschaft zuteil, indem einzelne Kapellen konzertierten…“.9) Die Einquartierung wurde von den örtlichen Behörden sowie den Arbeiter-, Soldaten- und Bürgerräten organisiert. Sie erfolgte in Massenquartieren, Schulgebäuden, Sälen, Scheunen und Ställen. Zwischen Zivilbevölkerung und Soldaten entwickelte sich ein lebhafter Handel. Heereseigentum, Lebensmittel, Mäntel, Schuhe und Stiefel wechselten mitunter für wenig Geld oder im Tausch gegen Lebensmittel und Wein die Besitzer. Aus entlegenen Dörfern kamen Menschen an die Bahnstationen, um solche kleinen Geschäfte zu machen, aber auch aus reiner Schaulust. Besonders aus kleineren Dörfern, so z. B. aus Herschbach wird über Disziplinlosigkeit und fehlendem Gehorsam durchziehender Truppen geklagt. „Sie stehlen den Leuten das Heu, Stroh und Korn in den Scheunen, um es den Pferden zu geben. Hier in der Schule vernichteten sie das Kaiserbild und stahlen Schulbücher und Hefte, Feder, Kreide und Tinte….“10)

Zahlreiche Schulgebäude mußten nach Masseneinquartierungen renoviert und gründlich desinfiziert werden, weil sie völlig verlaust waren. Daß es zu Auswüchsen kam, ist bei der großen Anzahl der durchziehenden Truppen nicht verwunderlich. Allein das Dort Wassenach hatte am 1.12.1918 1000 Soldaten mit 500 Pferden unterzubringen, am 3.12. sogar 2000 Soldaten und 600 Pferde.“‚ In Sinzig mußten täglich bis zu 4000 Mann untergebracht werden.12)

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Amerikanisches Tanks (Panzer) in Walporzheim/Ahr, 1919

Amerikanische Besatzung

Als die militärische Räumung des linken Rheinufers vollzogen war, erwartete die Bevölkerung die nachrückende amerikanische Besatzungsmacht mit großer Ungewißheit und Spannung. Ab 7. Dezember zogen die ersten amerikanischen Truppen durch das Ahrtal. 4000 Mann Kavallerie trafen am 8. Dezember in Remagen ein, Sinzig wurde mit 2800 Soldaten belegt, in Neuenahr waren vom 11. Dezember an bis zur Jahresmitte 1919 zwischen 5000 und 9000 Mann Besatzung. In Ringen zeitweilig 4000, in Alten-ahr über 2000, in Niederbreisig 4000 und in Niederzissen 3000 amerikanische Soldaten. Auf den Wiesen bei Sinzig standen eine Zeitlang bis zu 40000 Maulesel. Außerdem richteten die Amerikaner dort neben einem großen Fuhrpark sogar einen kleinen Militärflugplatz ein.13) Von Breisig nach Hönningen schlugen die Amerikaner eine Pontonbrücke, auf der die US-Armee ebenso wie auf der Brohler Pontonbrücke und der Remagener Rheinbrücke den Strom überquerte.

Die Haltung der amerikanischen Besatzungstruppen gegenüber der Zivilbevölkerung wird zumindest in der Anfangszeit durchweg als korrekt und loyal beschrieben. Aus amerikanischen Armeebeständen erhielt die Bevölkerung zusätzliche Lebensmittelrationen, Speck, Mehl, Butter. Amerikanische Militärkapellen kon-zertrierten verschiedentlich auf öffentlichen Plätzen. Die Bevölkerung konnte sich frei bewegen. Abends zogen allerdings Wachen auf, die in den besetzten Orten patrouillierten. An jedem Haus mußten für eventuelle Kontrollen die Namen aller Bewohner auf einem Zettel an der Haustür ausgelistet werden.

Da heimkehrende deutsche Kriegsgefangene häufig überschwenglich begrüßt wurden, ließ die amerikanische Besatzung nur die persönliche Familienbegrüßung zu. „Die Rückkehr solcher Gefangener darf keine Veranlassung geben zu offiziellen Empfängen, Prozessionen, öffentlichen Versammlungen oder sonstigen Demonstrationen irgendwelcher Art.14) Auch mußten Ehrenbögen, Kränze und Fahnen etc. aus dem Straßenbild entfernt werden, da sie durchaus als Provokation der Besatzungsmacht gedacht waren.

Aus Oberwinter liegt folgender Bericht vor: „Unser Ort wurde so stark mit Einquartierungen belegt, daß in manchen Häusern mehr Soldaten lagen, als das Haus selber Einwohner zählte. Auffallend war die große Zahl der Deutsch-Amerikaner bei diesen Truppen. Dank dessen, daß der Oberkommandant selbst ein Kind des Westerwaldes war, der in früher Jugendzeit mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert war, gestaltete sich das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Besatzung erträglich. Das änderte sich aber, als am 7. April 1919 die Regenbogendivision nach Amerika zurückfuhr und Teile der 4. amerikanischen Division unseren Ort belegten. Diese übten ein strengeres Regiment u. die Folge davon war, daß es zu manchen, wenn auch kleineren Konflikten zwischen Bürgerschaft und Besatzung kam, wobei mehrere Bürger unseres Ortes nach unseren Begriffen eigenartige Strafen erhielten, wie Papierschnitzel u. Zigarrenstummel auflesen, Abortreinigen und Straßenfegen. (…) Recht unangenehm wirkte die Paßkontrolle, welche die Amerikaner besonders streng handhabten auf der Grenzstation ihrer Zone in Rolandseck. In der an Lebensmitteln knappen Zeit verschlossen sie die Grenze ihres Gebietes besonders schart für die Ausfuhr von Lebensmitteln in das englisch besetzte Gebiet. In Rolandseck wurden alle Koffer, Schachteln der Reisenden nach Lebensmitteln durchsucht u. vorgefundene abgenommen. Es war ergreifend und gleichzeitig erzürnend zu sehen, wie Leute, denen der Hunger im Gesicht zu lesen war. Frauen, Greise und Kinderaus der Industriegegend u. den Großstädten das Wenige, das sie sich auf der Grafschaft u. dem Maifeld mühsam erhamstert und oft stundenweit zur Station geschleppt hatten, abgeben mußten, dabei natürlich oft bittere Tränen vergießend.15)Damalige Erklärung der Niederlage

Die Niederlage, das Ende der Monarchie, der Umsturz der alten Ordnung, und die Besatzung bedeuteten einen gewaltigen Einschnitt mit einer Fülle an Veränderungen im Leben jedes einzelnen. Für diese Ereignisse suchten die Menschen nach Ursachen und Erklärungen. So wurden als Ursache für die Niederlage u. a. der Menschen- und Materialverlust im Stellungskrieg und die feindliche Übermacht verantwortlich gemacht, aber auch das „Drückeberger-“ und das „Reklamationswesen“ angeführt. Zu den Erklärungsmustern gehörte ferner noch der angebliche „sittliche und religiöse Verfall“ im Heer sowie die negative Stimmung in der Bevölkerung. In der Schulchronik von Oberdüren-bach vermerkte der dortige Lehrer u. a. folgendes, was symptomatisch für damalige Deutungen erscheint: „Daß die trübe Stimmung der Heimat, die in tausend Kanälen zur Front abfloß, auch zersetzend auf die Armee eingewirkt hat, ist begreiflich. Das ist um so mehr der Fall, als der über vier Jahre dauernde Krieg, die Nerven aller unserer braven Krieger, denen zur Erholung eine längere Ruhepause nicht gewährt werden konnte gewaltig mitgenommen und deren Widerstandskraft erschöpft hatte. Die trübe Stimmung unter den Soldaten, die immer mehr zutage trat, wurde noch geschürt durch die umfangreiche Propaganda der Sozialdemokratie, die in der Heimat wie bei den Ersatztruppenteilen und in dem Etappengebiet den fruchtbaren Boden fand und mit allen Mitteln die Lockerung der Disziplin im Herrn betrieb… der Waffendienst paßte den Soldaten nicht mehr.“16)

In diesen Ausführungen klingt die „Dolchstoßlegende“ an, die zu einer schweren Hypothek für die Weimarer Republik wurde und das Aufkommen der Nationalsozialisten begünstigte. Die Vertreter und Verbreiter der „Dolchstoßlegende“ – allen voran Ludendorff – behaupteten. Deutschland sei nicht im Felde durch einen äußeren Feind besiegt worden, sondern die Heimat sei der „siegreichen Armee“ gleichsam durch einen Dolchstoß in den Rücken gefallen. Der politischen Linken, aber auch Jesuiten, Juden und Freimaurern wurde unterstellt, sie hätten die militärische Niederlage zu verantworten und trügen darum auch die Schuld am „Schmachfrieden“. Wie weit verbreitet diese Erklärungsmuster waren, belegen viele lokalgeschichtliche Quellen.17)

Anmerkungen:

  1. vgl. Janta. Leonhard: Vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Weimarer Republik. In: Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz Bad Neuenahr-Ahrweiler 1989 S.22 ff Für diesen Beitrag wurden als Quellen benutzt: Die Ahrweiler Zeitung 1918 (Mikrofilm im Kreisarchiv), verschiedene Orts- und Schulchroniken (u a. Brück Denn. Dernau. Herschbach. Niederbreisig. Oberdurenbach. Gedingen. Oberwinter). Berichte der Bürgermeister und des Landrats IKreisarchiv Ahrweiler 01 -829|.
  2. Schulchronik Niederbreisig (Kopie im Kreisarchivl
  3. Kreisarchiv Ahrweiler 01-829
  4. Schulchronik Denn (Kreisarchiv 043-03)
  5. Ahrweiler Zeituhg vom 14. November 1918
  6. Ebenda
  7. Ahrweiler Zeitung vom 18. November 1918
  8. Schulchronik von Oedingen (Stadtarchiv Remagen)
  9. Chronik Niederbreisig
  10. Chronik Herschbach (Kreisarchiv 043-061
  11. Gemeindeverwaltung Wassenach (Hrsg.): 1139-1989 Wassenacher Dofichronik. Wassenach 1989. S. 71 
  12. Kleinpass. Hans: Sinzig von 1815 bis zur Gebietsreform 1969. In Sinzig und seine Stadtteile – gestern und heute Sinzig 1983 S.168f.
  13. Janta S. 24
  14. Schulchronik NIederbretsig
  15. „Gemeinde Knegschronik- Oberwinter (Stadtarchiv Remagenl
  16. Chronik Oberdurenbach (Kopie im Kreisarchiv)
  17. Vgl.  u. a. Stadtverwaltung Remagen (Hrsg.): Chronik der Stadt Remagen 1879-1931, Remagen 1984 S 38 ff.

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