Ein geologischer Jahreskalender für den Kreis Ahrweiler
„Der Ausbruch des Laacher See – Vulkans vor 13.000 Jahren“; „tertiäre, ca. 20 bis 25 Millionen Jahre alte Tonvorkommen in der Grafschaft“- „340 Millionen Jahre alte unterdevonische Sandsteine und Tonschiefer“: fast keine Woche vergeht, in der wir nicht in einer Zeitung oder einem Heimatblatt unseres mit geologischen Denkmälern reich gesegneten Kreises solche Formulierungen lesen.
340 Millionen Jahre – Unterdevon: das klingt nach grauester Vergangenheit. Und doch: Jeder Geologe wird uns sagen, dass dieses Zeitalter – gemessen am Alter unseres Planeten – in der jüngsten Vergangenheit liegt. Wie aber kann sich ein Laie diese Zeitverhältnisse vergegenwärtigen?
Nun, am einfachsten durch einen Vergleich mit einem erfahrbaren Zeitraum, z. B. den Tagen und Monaten eines Kalenderjahres. Allerdings – so einfach ist dieser Vergleich nicht. Nicht nur, dass exakte geologische Zeitgrenzen bislang nicht gezogen werden können und viele geologische Entwicklungen immer noch Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussion sind: auch die Festlegung des Tages, an dem das erste Kalenderblatt aufgedeckt wird, stellt ein größeres Problem dar. Geologen unterscheiden nämlich säuberlich zwischen der planetaren Phase und der geologischen Phase der Erdgeschichte. Nach unserem heutigen Wissen entstand unser Planetensystem aus kalter kosmischer Materie. Unter dem Einfluss der Gravitationskräfte begannen sich die schweren Elemente in der Vor-Erde in ihrem Inneren zu konzentrieren. Erst nachdem sich ein schwerer Kern umgeben von einem leichteren Mantel herausgebildet hatte, kann die Erde als ein geologischer Körper angesehen werden. Unser Kalenderdeckblatt müssen wir daher vor ca. 4,6 Milliarden Jahren abreißen und uns dabei klarmachen, dass im Erdjahr ein Tag der Erdgeschichte 12,6 Millionen Jahre lang ist, eine Stunde auf der Erduhr 525.000 Jahre misst, eine Minute immerhin noch 8750 Jahre und eine Sekunde knapp 150 Jahre.
140 Millionen Jahre alte Pflanzenabdrücke im Tonschiefer aus dem unteren Brohltal. Im Geokalender am 30. November
Die Morgensonne des 1. Januar geht über einem wahren Höllenplaneten auf: Die riesigen, bei der gravitativen Trennung freiwerdenden Energiemengen haben im Verein mit dem heftigen radioaktiven Zerfall im Erdinneren und einem kosmischen Meteoritendauerfeuer die Erdoberfläche in ein glühendes Inferno verwandelt, über dem eine giftige Uratmosphäre aus Kohlendioxid, Stickstoff, Edelgasen, Schwefelwasserstoff und Wasserdampf wabert. Sage und schreibe 320 Tage wird es dauern, bis aus diesem Schreckensszenarium ein Planet mit Kontinenten und Sauerstoffatmosphäre wird, in dessen Urozeanen sich erstes Leben tummelt.
Ein paar Stichpunkte mögen diese lange Periode der Erdgeschichte, die wir mangels besserer Unterteilungsmöglichkeiten bislang nur als „Präkambrium“ bezeichnen, umreißen: Mitte Februar Abkühlung der Erdoberfläche bis zur Trennung von Wasser und Land; Anfang März Erscheinen erster komplizierter organischer Strukturen, Ende März (3500 Millionen Jahre = 3500 MA) Beginn der Photosynthese mit Sauerstoffbindung an Eisen im Meer und an Land; im April Auftauchen der ersten Bakterien und Algen; im Sommer zunehmende Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre, Bildung der Ozonschicht (2000 MA); im August Auftreten der ersten Einzeller mit Sauerstoffatmung; Anfang Oktober Beginn der sexuellen Vermehrung, Aufspaltung des Lebens in pflanzliche und tierische Lebensformen (1000 MA). Am 16. November, wenn nach über 4 Milliarden Jahren das Präkambrium endet, besiedeln mit Medusen und Trilobiten schon vielzellige Lebewesen die Weltmeere.
Das 5 1/2 Tage (570 – 500 MA) währende Kambrium läutet das Erdaltertum oder Paläozoikum ein. Mit den Ardennenmassiven von Stavelot, Rocroi und Givonne wird der erste Grundstock der Eifellandschaft geformt. In den Ozeanen findet eine förmliche Artenexplosion statt, bald besiedeln neben exotischen Lebensformen auch Korallen, Muscheln und Brachipoden den Meeresgrund. Im Ordovizium (22. bis 26. November = 500 – 440 MA) werden die Sandstein- und Wetzschieferschichten der Salmablagerungen der Ardennen sedimentiert. Kopffüßler, Schwämme, Schnecken und kieferlose Fische gesellen sich zur Meeresfauna. Ende November, im Zeitalter des Silur (27. bis 29. November = 440-400 MA) macht auch die Pflanzenwelt einen Entwicklungssprung: Die ersten Nacktpflanzen entstehen, sie beginnen schnell das öde Festland zu besiedeln.
Am letzten Novembertag tritt der Kreis Ahrweiler erstmals in die Erdgeschichte ein: Am -Südostrand- des sog. Old-Red-Kontinents werden in einem flachen Meeresbecken Unmengen von Sand und Schlick abgelagert, die den Grundstock des größten Teils der späteren Eifellandschaft bilden werden. Unter ihrem eigenen Gewicht verfestigen die Sedimente zu Sandsteinen und Tonschiefern; einzelne Schichten bewahren in ihrem Inneren die Abdrücke der ersten Festlandpflanzen, wie z. B. Zosterophyllum rhenanum im unteren Brohltal. Im weiteren Verlauf des vom 30. November bis 3. Dezember dauernden Devons (400 – 350 MA) entstehen im Bereich der späteren Eifelkalkmulden, z.B an der oberen Ahr, ausgedehnte Riffe. Gegen Ende des Devons haben Bärlappgewächse und Schachtelhalme weite Teile des Festlands erobert. Die ersten Insekten tauchen auf, Lungenfische und einfache Amphibien be-siedeln die Küsten. Der dritte Dezember endet mit einer Katastrophe für die Meeresfauna: Die in die Ozeane gespülten Pflanzenreste entziehen dem Wasser durch Fäulnis den lebenswichtigen Sauerstoff und führen zu einem massenhaften Artensterben.
Um den Nikolaustag herum setzt im Zeitalter des Karbon (4. bis 9. Dezember, 350 – 280 MA) in Mitteleuropa die variszische Gebirgsbildung ein. In ihrem Zuge werden große Teile der Eifel zu einem Gebirge aufgefaltet. Mit dem Osteifeler Hauptsattel (Hönningen – Kempenich), dem Ahrtalsattel (Remagen – Altenahr) und der Siegener Hauptaufschiebung (Namedy – Mayen – Monreal) entstehen unsere Heimat prägende Faltenstrukturen. In Klüfte und Spalten des jungen Gebirges eindringende heiße Erzminerallösungen bilden im 19 Jhdt. die Grundlage der heimischen Montanindustrie. In den Küstenwäldern am Nordrand des Gebirges, deren verkohlte Biomasse heute noch im Aachener und RuhrKohlenrevier abgebaut wird, tummeln sich riesige Insekten, aber auch die ersten ständig das Land bewohnenden Reptilien.
In der zweiten Dezemberwoche, im Perm (10. bis 13. Dezember, 280 – 230 MA), werden die mitteleuropäischen Faltengebirge in trockenheißem Klima intensiv abgetragen. Die Eifel verwandelt sich in eine flache Hochebene. Die Schachtelhalme und Baumfarne beginnen auszusterben, Nadelhölzer erobern das Festland. Der 13. Dezember endet wiederum mit einer Katastrophe: 95 % der damaligen Tierarten sterben weltweit vermutlich an den atmosphärischen Folgen des Basaltvulkanismus in der sibirischen Platte aus.
Der Bausenbergvulkan in Niederzissen erscheint trotz seines Alters von 150.000 Jahren im Geokalender erst am Silvestertag um 23.45 Uhr.
Das nun folgende, bis zum 2. Weihnachtsfeiertag dauernde Erdmittelalter oder Mesozoikum umfaßt die Trias- (230 – 195 MA), die Jura- (195 – 135 MA) und Kreidezeit (135 – 65 MA). Es geht an unserem Kreisgebiet geologisch fast spurlos vorbei. Die Hochgebiete der Ardennen und die Osteifel werden über lange Zeit als Rheinisch-Ardennische Insel vom Meer umspült; Ablagerungen sind daher in unserem Kreisgebiet nicht zu finden. Ob Saurier, die im Erdmittelalter die Herrschaft in der Tierwelt übernehmen, unsere Insel bevölkert haben, ist ungewiß; aus der Zeit des Trias sind mit dem Paratosaurus mechernichensis und dem Eifelosaurus triadicus lediglich zwei Kleinsaurier in der Eifel überliefert. In anderen Teilen der Welt erobern sie das Land, das Wasser und die Luft und entwickeln sich in der Vorweihnachtswoche zu gigantischen Riesenformen. Neben ihnen führen die ersten Kleinsäugetiere und Vögel ein Schattendasein.
Um den Heiligabend herum hat die Landflora ihre heutige Artenvielfalt erreicht. Laubwälder verdrängen die Nadelbäume, am Boden breiten sich erste Grasteppiche aus. Die nach Aufbrechen des Superkontinents Pangäa auseinanderdriftenden Kontinente rücken langsam auf ihre heutige Position vor, Indischer und Atlantischer Ozean öffnen sich. Da trifft die Erde in der Nacht vom 26. zum 27. Dezember wiederum ein verheerender Klimaschlag: Vulkanische Gase und Stäube, die bei der Entstehung des indischen Dekkan-Basaltplateaus in die Atmosphäre abgegeben werden, lassen in Verein mit den Emissionen eines gewaltigen Kometeneinschlags auf der Halbinsel Yukatan für Jahre auf der Erde die Durchschnittstemperaturen sinken. Dem sind die wechselwarmen Saurier nicht gewachsen: Sie sterben aus.
Am ersten Arbeitstag nach den Weihnachtsfeiertagen beginnt die Erdneuzeit oder Känozoikum. Fast in täglichem Wechsel lösen sich die Tertiärzeitalter Paläozän (65 – 55 MA), Eozän (55 – 37,5 MA), Oligozän (37,5 – 22 MA) und Miozän (22 – 5 MA) ab. Säugetiere erorbern die Herrschaft auf dem Land, in der Pflanzenwelt übernehmen die Blütenpflanzen die Vorherschaft. In tropisch warmen Klima verwittern die oberflächennahen Unterdevongesteine unserer Heimat tiefgründig zu Ton, der wie z. B. in der Grafschaft vielerorts heute noch abgebaut wird. Am 29. Dezember, im Oligozän, beginnt das Rheinische Schiefergebirge wieder aufzusteigen. An Verwerfungsrändern sinken die Kölner Bucht und das Neuwieder Becken ein. Die Nordsee stößt in der Kölner Bucht bis nach Bonn vor; aus den sumpfigen Küstenwäldern entstehen im Laufe der Jahrhunderttausende die mächtigen Lagen der rheinischen Braunkohle. Begleitet wird der Aufstieg des Rheinischen Schiefergebirges von einem intensiven Basaltvulkanismus (Hohe Acht, Nürburg, Steinbergskopf, Kahlenberg). Der Rhein, der am 29. Dezember noch bei Brohl entspringt, verlagert seinen Ursprung Stück um Stück bis zum Ende des Tertiärs im Pliozän (5 – 2,2 MA) am späten Silvesterabend ins Alpenvorland. Seine Mündung verschiebt sich mit dem Meeresrückzug aus unseren Breiten um die Wende Miozän/Pliozän weit nach Nordwesten.
Vier Stunden vor dem Jahreswechsel trifft die Erde eine weitere Klimakatastrophe: Das Pleistozän (2,2 Mill. -10.000 Jahre) setzt dem tropischen Klima des Tertiärs ein Ende. Von nun an beherrscht ein häufiger Wechsel ausgeprägter Kalt- und Warmzeiten das Klima in unseren Breiten. In den Kaltzeiten vereisen weite Teile Nord- und Mittel-europas und der Alpen. Den Kreis Ahrweiler erreichen die Gletscher jedoch nicht, er gehört zum Periglazialgebiet mit Dauerfrostboden, in dem Flugsande aus den Gletscherrandlagen mächtige Lößablagerungen bilden. Die Ufer des Rheins und seiner Nebenflüsse werden durch die in den Tauperioden massenhaft anfallende Flußschotter terrassiert. Mammut, Wollnashorn und Elch fristen in der Kältesteppe ihr kärgliches Dasein. Doch in den Warmzeiten ist das Klima wärmer als heute, am Rhein tummeln sich Wald-elefant, Nashorn und Nilpferd, wärmeliebende Pflanzen wandern aus dem Mittelmeerraum ein.
Zwischen 22 und 23 Uhr verlagert sich der Ursprung des Rheins endgültig in die Alpen hinein. Neues Ungemach droht aus der Tiefe: Unter der Osteifel gibt ein sog. Hot Spot stoßweise Material aus dem Erdmantel an die Oberfläche ab und begleitet die letzten anderthalb Stunden der Erdgeschichte mit furiosen Feuerwerken: Die ersten Tufferuptionen im Kempenich-Weiberner Raum finden gegen 22.40 Uhr (0,7 MA) statt; die Hannebacher Ley eruptiert um 23.06 Uhr; der Phonolith-Kegel der Olbrück bricht gegen 23.13 Uhr durch, um 23.45 (0,15 MA) speit der Bausenberg Aschefontänen in die Luft. Fünf Minuten vor Mitternacht, wenn die ersten Sektflaschen entkorkt werden, erlebt der Kreis Ahrweiler mit der Weichsel-Eiszeit die letzte Kaltzeit. Ein fürchterlicher Donnerschlag signalisiert knapp eineinhalb Minuten (13.000 Jahre) vor dem Jahreswechsel das letzte geologische Großereignis in unserem Kreisgebiet: Der Laacher-See-Vulkan detoniert und erstickt halb Europa unter einer gigantischen Aschendecke.
Knapp 35 Sekunden Erdgeschichte liegen zwischen diesen Zeugnissen der Menschheit: Keramik, Steinbeilfragment aus der Jungsteinzeit (o.), Schieferdachziegel, Keramik (u.) aus der Römerzeit. Fundort: Niederzissen, Ölmühle.
Und der Mensch in unserem Kalender ? Die ersten Primaten verlassen an Silvester um die Mittagszeit im fernen Afrika ihre Waldreviere. Erste Spuren am Mittelrhein hinterläßt der Homo erectus gegen 22.40 (0,7 MA). Die Bauern der Bandkeramik besiedeln unsere Heimat kurz nach Beginn der letzten Erdminute. Das, was wir Geschichte nennen, spielt sich in den allerletzten Sekunden ab: 15 Sekunden vor Mitternacht siedeln die Treverer in unserem Raum, eine Sekunde später wird Jesus Christus geboren, wieder eine Sekunde später herrscht der römische Friede, entstehen prächtige Villen und Städte an Ahr und Rhein. Doch 2 Sekunden später besetzen schon die Franken das Land. 6 Sekunden vor Mitternacht, wenn die Glocken zu schwingen beginnen, um das neue Jahr einzuläuten, werden im Hochmittelalter mit Olbrück, Nürburg und Landskrone prächtige Burgen errichtet. 3 1/2 Sekunden später verwüstet der 30-jährige Krieg das Land; die französischen Revolutionstruppen übernehmen in der vorletzten Sekunde die Herrschaft. Am Beginn der allerletzten Sekunde verlassen viele Menschen ihre verarmte Heimat zu Fuß und zu Pferde, nicht anders als ein paar Sekunden zuvor die geschlagenen römischen Legionärstruppen. Am Horizont dämmert aber schon eine neue Zeit: Dampfboote paddeln auf dem Rhein, Eisenbahnzüge schnaufen durchs Rheintal, Telegrafen übertragen die neuesten Nachrichten. Am Ende dieser winzigen Sekunde der Erdgeschichte, wenn die Glocken dröhnend das neue Jahrtausend verkünden, hat der Mensch schließlich wieder zu seinen Urformen zurückgefunden: Doch auf einen winzigen Klick mit dem elektronischen Faustkeil des 21. Jahrhunderts flimmern jetzt Bilder, die von einem Spielzeugauto Minuten vorher auf unserem Nachbarplaneten aufgenommen wurden, auf unserem heimischen Bildschirm.
Weiterführende Literatur:
- T.H. van Andeel, Das neue Bild eines alten Planeten, 1989 Rasch und Röhring, Hamburg
- G. Bosinski, Eiszeitjäger im Neuwieder Becken, 1992, LA für Denkmalpflege Rheinland Pfalz, Amt Koblenz Abt. Archäologische Denkmalpflege (= Band 1, Archäologie an Mittelrhein und Mosel)
- P. Giese (Hrsg.), Geodynamik und Plattentektonik, 1995, Spektrum der Wissenschaft, Verlagsgesellschaft, Heidelberg
- R. Hohl (Hrsg.), Die Entwicklungsgeschichte der Erde, 1985, Verlag für Kunst und Wissenschaft, Leipzig
- N. A. Jassamanow, Geologie: Exkursion zur Erde, 1991, Spektrum der Wissenschaft, Verlagsgesellschaft, Heidelberg
- W. von Koenigswald, W. Meyer, Erdgeschichte im Rheinland, 1994, Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München
- W. Meyer, Geologie der Eifel, 1993, Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart
- J. Reader, J. Gurche, Aufstieg des Lebens, 1986, Interbook Verlagsgesellschaft, Hamburg
- H.-U. Schmincke, Vulkane im Laacher See-Gebiet, 1988, Doris Bode Verlag, Haltern
- R. Schönenberg, J. Neugebauer, Einführung in die Geologie Europas, 1997, Rombach Wissenschaft, Freiburg i. B.
- K. Skupin, E. Speetzen, J. g. Zandstra, Die Eiszeit in Nordwestdeutschland, 1993, GLA Nordrhein-Westfalen
- R. Walter (Hrsg.), Geologie von Mitteleuropa, 1995, Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart