Remagen und Deutz – Vor rund 500 Jahren wurde die Pfarrkirche dem Kloster inkorporiert
„Ora et labora“ – dieser von Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert formulierte Grundsatz abendländischen Mönchtums hat in der geistlichen wie weltlichen Vergangenheit auch unserer Gegend seine Spuren hinterlassen. Gebet, Gottesdienst und Heiligenverehrung, aber auch Landbestellung, Weinbau und Viehzucht, waren die Grundlagen klösterlichen Lebens, aus denen sich im Mittelalter ein weitverzweigtes Netz von Seelsorge und Lehenshoheit entwickelte. Auf beiden Gebieten hat die Benediktinerabtei Deutz, der die Remagener Kirche vor 500 Jahren inkorporiert wurde, ihre Spuren hinterlassen.
Schon 1003 verlieh Erzbischof Heribert von Köln der ein Jahr zuvor von ihm als Vermächtnis Kaiser Ottos III. gegründeten Deutzer Abtei das Zehntrecht in Remagen. Wahrscheinlich hatte die Kölner Kirche ihrerseits die Besitztümer durch Schenkung aus Reichsgut erhalten, zu dem Remagen als Tafelgut der fränkischen Könige gehört hatte. Der Remagener Besitz war somit Teil der „Grundausstattung“ der Abtei und umfasste neben Landbesitz auch Anteile am Münz- und Zollrecht.
1280 übertrug der Graf von Berg das ihm gehörende Patronatsrecht der Remagener Pfarrkirche dem Deutzer Kloster. Spätestens seit dieser Zeit wirkten stets Konventualen der Abtei als Pfarrer in Remagen; schon der erste, 1062 nachweisbare, Remagener Ortsgeistliche, Petrus de Swolgen, leistete dem Deutzer Abt einen Treueeid. 1495 wurde die Pfarrkirche schließlich der Abtei inkorporiert, d.h. rechtlich gesehen war der Deutzer Abt mit allen Rechten und Pflichten, vor allem aber Einkünften, Pfarrer von Remagen – ein im Pfründenwesen des Mittelalters oft geübter Vorgang, sicherten doch solche Einkünfte die Existenz der Klöster und Stifte.
Da die Abtei auch für die Instandhaltung des Kirchengebäudes zuständig war, verwundert es nicht, dass der nach dem 30jährigen Krieg bis 1674 (Schlußstein in der Turmhalle) neuerrichtete Turm der Remagener Pfarrkirche dem nördlichen Chorflankenturm der 1663 neugeweihten Deutzer Abteikirche gleicht. Auffallend ist bei beiden Türmen das Wiederaufgreifen bzw. die Wiederverwendung romanischer Bauformen bzw. -teile. Nur die geschweifte Dachhaube erinnert an die Barockzeit. Auch im Innern der Turmhalle lassen die schweren Bandrippen des Gewölbes nichts von der Heiterkeit anderer Barockarchitektur des Rheinlandes häufiger zu beobachtende Vorgehen, man vergleiche die ehemalige Jesuitenkirchen in Köln und in Bonn, habe seinen Grund im Denken der Gegenreformation: das Festhalten bzw. Wiederaufgreifen von Baustilen der Vorreformationszeit sollte die Einheit der Kirche und ihrer Traditionen über alle Spaltung hinweg betonen.
Im Innern der Kirche befindet sich in der zweiten Nische auf der rechten Seite des Chors ein wohl im 15. Jahrhundert entstandenes Fresko, das den Hl. Heribert zusammen mit dem Hl. Apollinaris zeigt. Heribert, im Bischofsornat, trägt in der Hand ein Modell der alten Deutzer Abteikirche. Die häufigen Restaurierungen des Bildes machen eine genauere Einordnung und Datierung unmöglich.
Bis zum Neubau der Pfarrkirche 1900/04 hing über der Kanzel ein barockes Ölbild des bedeutenden Deutzer Abtes Rupert (1075/80-1129/30). Dieser, aus dem Gebiet des heutigen Belgien stammend und um 1106 in Lüttich zum Priester geweiht, gehörte seit 1116 zum Konvent des Klosters Siegburg, das ja ebenfalls eng mit der Remagener Geschichte verknüpft ist. 1120 wurde er Abt in Deutz und als solcher in den Investiturstreit verwickelt. In dieser Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser um das Recht der Bischofsernennung strebte Rupert eine ausgleichende Haltung an. Rupert von Deutz trat vor allem als Autor geistlicher Werke hervor, unter denen besonders seine Bibelkommentare sowie eine großartige Erklärung der Liturgie des gesamten Kirchenjahres Beachtung verdienen. Umstritten ist seine Einwirkung auf die bildende Kunst seiner Zeit; eine Einflußnahme auf die Ikonologie des Remagener Pfarrhoftores wurde postuliert. Als Rupert 1129/30 starb, bestatteten ihn seine Mitbrüder in der Krypta ihrer Abteikirche. Obwohl nie kanonisiert, blieb die Verehrung des „beatus Abbas Tuitiensis“ selbst über die Säkularisation der Abtei 1803 hinaus lebendig.
Kurioserweise entstand nicht nur die neue Remagener Pfarrkirche (1900-04), sondern auch die Deutzer Pfarrkirche Neu-St. Heribert (1892-96) nach Plänen des Düsseldorfer Architekten C.C. Pickel. Mittelpunkt des weltlichen Besitzes der Deutzer Abtei in Remagen war der Fronhof auf dem Gebiet der heutigen Wohnanlage „Am Annakloster“, im Volksmund „Chinatown“ genannt. Dieser Fronhof verwaltete nicht nur den Remagener Besitz der Abtei, sondern zeitweise auch die Einkünfte aus Wadenheim (heute Bad Neuenahr) und Vehn (bei Löhndorf). Interessanterweise wurden bei den Bauarbeiten für die Wohnanlage an dieser Stelle römische Siedlungsreste freigelegt, die auf die Existenz einer der bei Römerlagern häufig zu findenden Handwerkersiedlungen auch vor den Toren des Castrum Ricomagus verweisen. Die Lage des Fronhofs an eben dieser Stelle wird so zum weiteren Beleg für die römisch-fränkische Siedlungskontinuität in Remagen.
Die Gebäude gingen nach der Säkularisation in Gemeindebesitz über und wurden als Back- und Arresthaus, sowie für den Gendarmerieposten, genutzt. Erst 1864 mußten sie dem Neubau des At. Anna-Klosters weichen. Bis nach dem II. Weltkrieg war das alte, 1509 bezeichnete, Tor erhalten, das auf seitlichen Reliefs einen Bischof, vermutlich den Hl. Heribert, und mehrere Wappen zeigte. „Frongasse“ und „Fronkreuz“ an der Alten Strasse halten bis heute die Erinnerung an den Deutzer Fronhof, und damit 500 Jahre Remagener Geschichte, wach.
Der 1900 – 1902 von dem Architekten A.C. Pickel erbaute neuromanische Teil der Remagener Pfarrkirche St. Peter und Paul.
Literatur:
Clemen, Pual (Hrsg.): Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Bd. 17,1. Abteilung, Düsseldorf 1938, Nachdruck 1984, S. 526 ff.
Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Nordrhein-Westfalen Bs. 1, Rheinland (bearbeitet v. R. Schmitz-Ehmke), München, 1967, S. 406 f.
Fischer, Balthasar: Rupert von Deutz, ein vergessener Heiliger Alt-Remagens, in: Peters, Joh. (Hrsg.): Neue Kirche am alten Tor, Remagen, 1952.
Lexikon für Theologie und Kirche: Herder, 1986, Band 3, S. 310/11, Band 9, S. 104-06.