Das Lebenshilfehaus in Sinzig – mehr als eine Wohnstätte

Als das LEBENSHILFEHAUS in Sinzig, die regionale Wohnstätte für Menschen mit geistiger Behinderung für den Kreis Ahrweiler, im Heimatjahrbuch des Jahres 1994 vom damaligen und heutigen Vereinsvorsitzenden Gerd P. Jung vorgestellt wurde, mussten noch Bilder eines Modells abgedruckt werden und der Autor fragte vorsichtig in die Zukunft, wie sich das Werk des jungen Vereins wohl entwickeln würde. Der historische Blick zurück in die kurze Zeitspanne von 1994 bis heute lohnt sich sowohl für den Verein als auch für den Kreis Ahrweiler, weil beide kooperativ einen beachtlichen Zugewinn an Lebensqualität für Menschen mit geistiger Behinderung und deren Familien entwickeln konnten, denn inzwischen hat die Wohnstätte ihre Arbeit längst aufgenommen und sich mit ihren Angeboten bewährt.

Regionalisierung, Integration, Normalisierung
Bis zur Eröffnung der Wohnstätte am 1. Juni 1994 mussten Menschen mit geistiger Behinderung, die nicht mehr in ihren Familien leben konnten bzw. dies nicht wollten, Wohnplätze außerhalb des Kreises suchen. Seither ist diese Versorgungslücke geschlossen, wobei der Kreis kräftig mitgeholfen hat, vor allem aber betroffene Eltern im Ehrenamt engagiert den Bau und die Inbetriebnahme des Hauses realisierten. Die 37 Plätze sind fast ausschließlich mit Einwohnern des Kreises Ahrweiler belegt, ein Zeichen dafür, wie dringend notwendig dieses regionale Wohnangebot ist. Doch nicht nur von den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie deren Familien, ist das LEBENSHILFEHAUS akzeptiert, sondern auch von der Bevölkerung wird es positiv angenommen. Die Einbindung in die Region und in die Stadt Sinzig ist geglückt und es zeigt sich heute, wie richtig die Entscheidung war, diese Einrichtung mitten in ein Wohngebiet zu plazieren. Es gibt ein ganz normales nachbarschaftliches Leben und die Behinderten profitieren von der vorhandenen Infrastruktur: viele erledigen inzwischen alleine ihre Besorgungen in der Stadt Sinzig, haben sich in freier Arztwahl für Haus- und Fachärzte entschieden und besuchen alle Festivitäten der Gemeinde. Wer nur mit Aufsicht in den Ort kann, wird von den Betreuerinnen und Betreuern des Hauses begleitet, um auch für diesen Personenkreis den entscheidenden Standortvorteil zu erschließen: Integration in das kleinstädtische Milieu und damit in die Gesellschaft. Die Lebenshilfe strebt mit ihrem Integrationskonzept für die Menschen mit geistiger Behinderung einen Zustand an, der für viele nicht behinderte Menschen gar nichts „so Besonderes“ ist. Die Rede ist davon „ganz normal zu leben“: d.h. einen Arbeitsplatz haben, ein eigenes Zimmer, Freunde und Freundinnen, einem Kegelclub oder einem Sportverein angehören und ähnliches mehr.

Der Klangkreis des Lebenshilfehauses spielt beim Sommerfest

Fördern durch Fordern
Um am sozialen Leben innerhalb und außerhalb der Wohnstätte teilhaben zu können, ist es wichtig, die vorhandenen Kompetenzen der Bewohner und Bewohnerinnen genau zu ermitteln und diese Stärken weiter zu fördern. Es wird ein gemeinsamer Förderplan erstellt, der die individuelle Förderung systematisch angeht. Dies kann bei einer stärkeren Behinderung z.B. darin bestehen, sich alleine ein Brot zu schmieren; bei einer leichteren Behinderung steht eventuell die Eigenverwaltung des Taschengeldes und des Arbeitseinkommens auf einem eigenen Girokonto im Mittelpunkt der Arbeit. Grundsätzlich gilt bei allem Bemühen: die größte Zufrieden Bemühen: die größte Zufriedenheit eines Menschen erzielt er durch die Dinge, die er oder sie sich selbst erarbeitet.

Neben den Pflichten und freiwilligen Tätigkeiten, die in den gruppengegliederten Wohnbereichen anfallen, bezieht das engagierte Team im LEBENSHILFEHAUS die vielfältigen Freizeitangebote zielgerichtet in die Förderarbeit ein. Hierzu zählen musisch-gestalterische Möglichkeiten ebenso wie körperorientierte Arbeit, kognitive Entwicklungsimpulse u.v.a.m..

AbgestuftesWohnkonzept
Die aktivierende und fördernde Betreuung im LEBENSHILFEHAUS lässt sich am Wohnkonzept verdeutlichen. Es wird unterschieden:

  • Der reguläre Platz im Wohnheim, der als Dauerwohnplatz für den Personenkreis infrage kommt, der für längere Zeit oder auch für immer (auch Seniorenplätze) auf ein hohes Maß an Betreuung und Pflege angewiesen ist; hierzu gehören auch Menschen mit schwerer geistiger Behinderung. Die regulären Wohnheimplätze können aber auch im Sinne eines Clearing-Prozesses eine Durchlaufphase für die Aufnahme in eine Trainingswohnung sein.
  • Inzwischen verfügt des LEBENSHILFEHAUS schon über eine interne und eine externe Trainingswohnung. In diesen Wohnungen werden etwas leistungsfähigere Bewohner und Bewohnerinnen auf ein selbständigeres Wohnen vorbereitet, falls es hierfür eine positive Prognose gibt und diese Menschen dies auch wollen.
  • An die Trainingswohnungen schließen sich Außenwohngruppen an. In ganz normalen Wohnungen leben die Menschen mit geistiger Behinderung und werden bedarfsgerecht von Fachkräften des Hauses betreut. Sie leben in der Sicherheit, nicht ganz alleine auf sich gestellt zu sein, genießen aber gleichzeitig die Freiheit des selbständigen Wohnens.
  • Eine letzte Stufe im Wohnkonzept ist das sogenannte Betreute Wohnen, alleine oder in einer Gruppe. Die Personen in einer solchen Maßnahme sind schon in der Lage, weitgehend alleine ihr Leben zu gestalten, bedürfen aber noch der Kontrolle und besonderer Hilfestellung bei Planungen, geschäftlichen oder behördlichen Angelegenheiten.

Jubiläumsfeier im Lebenshilfehaus Sinzig

Für das LEBENSHILFEHAUS ist es das Ziel, für jeden der Menschen mit geistiger Behinderung, die sich an den Verein oder an die Wohnstätte wenden, die individuell geeignete Wohnform anzubieten oder zu entwickeln. Mit dem abgestuften Wohnkonzept trägt die Lebenshilfe langfristig zur Kosteneinsparung im Sozialhaushalt des Kreises bei, da das Wohnen in Außenwohngruppen oder im Betreuten Wohnen geringere Kosten als die Plätze in der Wohnstätte verursacht.

Kurzzeitplätze 
Ein besonderer Service des Hauses, der sich großer Beliebtheit erfreut, sind die Kurzzeitplätze. Wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung nur vorübergehend nicht in seiner Familie betreut werden kann, weil die Eltern und Verwandte krankheitsbedingt ausfallen oder alleine Urlaub machen möchten, dann springt das LEBENSHILFEHAUS mit dieser Kurzzeitmaßnahme ein. Denkbar ist aber auch mal ein Schnupperbesuch auf einem Kurzzeitplatz, wenn ein Interessent gerne mal erleben will, wie es wäre im Heim zu leben.

Das LEBENSHILFEHAUS als Begegnungsstätte 
Die Wohnstätte beherbergt inzwischen auch die Geschäftsstelle des Vereins und ist so zu einer Begegnungsstätte geworden. Es gibt eine Vielzahl von Freizeit- und Förderangeboten für Menschen mit geistiger Behinderung, die nicht im LEBENSHILFEHAUS wohnen, sowie Fortbildungen und Vorträge, mit denen sich der Verein an die betroffenen Eltern und die Fachöffentlichkeit wendet. Die Geschäftsstelle vermittelt Beratung und Hilfen auf vielen Ebenen. Insbesondere die „Mobile häusliche Frühförderung“ ist hier zu nennen, aber auch die „lntegrative Spielgruppe für Kinder mit und ohne Behinderung“ oder der „Offene Aktionskreis für Integration“.

Die Zukunft 
Der Trägerverein und das LEBENSHILFEHAUS werden weiterhin die satzungsgegemäßen mäßen Ziele konsequent verfolgen. Hierzu zählen: 

  • Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, die Akzeptanz gegenüber den Anliegen der Menschen mit geistiger Behinderung zu erhöhen; 
  • die frühe Integration von Kindern mit geistiger Behinderung und Unterstützung der betroffenen Familien; 
  • der weitere Aufbau aller ambulanten und mobilen Hilfen die notwendig sind, um ein selbständiges Leben zu erhalten oder zu ermöglichen;
  • der schrittweise, bedarfsgerechte Ausbau der vorhandenen Wohnangebote, damit Warteliste vermieden werden. Neben dem Einsatz von Spendenmitteln und Vereinsbeiträgen wird der Verein die stetige Verhandlungen mit den öffentlichen Stellen (Stichwort: Einsparungen im Sozialhaushalt) führen müssen, um hinreichende Mittel für die Arbeit zu erhalten, um mit dem Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung, die sonst keine Lobby haben, ein Leben so normal wie möglich, aufbauen oder erhalten zu können. Die Bedeutung dieser Arbeit haben schon viele Bürgerinnen und Bürger im Kreis Ahrweiler erkannt, was sie durch ihre Mitgliedschaft und ihr ehrenamtliches Engagement für die Lebenshilfe zeigen. Der Verein der Lebenshilfe hofft, dass der Zuspruch und die Unterstützung durch die Bevölkerung weiterhin anhalten.