Wie die „Männer von Aran“ in die Eifel kamen. Eine Erinnerung an das Wanderkino der Sinziger Kolpingfamilie
Heutzutage, im Zeitalter der elektronischen Medienvielfalt mit Fernseher, Videorecorder und Internet nebst weltweiten Webseiten, würde man selbst im entlegensten Eifelflecken nur noch ein müdes Lächeln erzeugen, wenn an einem Samstagabend im dörflichen Wirtshaussaal eine Flimmerkisten-Vorführung angesagt wäre. Vor mittlerweile über fünfzig Jahren, damals als das Ende des furchtbaren Zweiten Weltkrieges noch seine Schatten warf und normales Leben sich erst allmählich wieder zu etablieren begann, war das ganz anders. Da wurde in den Dörfern unserer Heimatregion zwischen Rhein, Ahr und den Eifelbergen der altersschwache Buckeltaunus mit dem Wanderkino der Sinziger Kolpingfamilie gespannt erwartet, versprach sein Erscheinen doch ein wenig Abwechslung im Einerlei der langen Abende. Vor allem die dörfliche Jugend versammelte sich nahezu vollzählig, wenn die „Sinziger Flimmerkiste“ wieder einmal vorbei kam, und gewissermaßen in ihrem Gefolge beispielsweise die „Männer von Aran“ – in Waldorf und Schalkenbach, in Hohenleimbach, Jammelshoven und Wershofen, in Brück und Insul – um nur einige der vielen Ziel-orte namentlich zu nennen – oder anderswo im ländlichen Kreisgebiet Station machten. Und nicht nur sie, die „Männer von Aran“, kamen damals in die Eifel. Mit ihnen waren im Gepäck des Wanderkinos der Sinziger Kolpingfamilie noch etliche weitere Leinwandhelden aus einer bis dahin unbekannten Dokumentarfilm-Landschaft unterwegs, die den Hauch der großen weiten Welt atmete und für die Zuschauer nach Jahren der Abschottung den Blick öffnete auf das, was da draußen geschehen war und geschah.
Eine Entdeckung auf dem Dachboden
Blättern wir also einmal zurück in jene Zeit Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre. Wie hatte das begonnen mit dem Wanderkino der Sinziger Kolpingfamilie?
Es begann wie so vieles auch damals mit einem Zufall. Da hatte Fritz Marx, ein engagiertes Mitglied der 1947 wiederbegründeten Sinziger Kolpingfamilie, auf dem verstaubten Dachboden des Pfarrheims gestöbert und eine Entdeckung gemacht. In einer Ecke fanden sich ein noch aus Vorkriegszeiten stammendes Vorführgerät für 8-mm-Schmalfilme und eine Kiste mit mehreren Filmrollen. Kolpingbruder Fritz Marx nahm seinen Fund mit nach Hause, reinigte die Apparatur sorgfältig, entstaubte behutsam die Filmrollen und kündigte für den nächsten Kolpingabend eine ungewöhnliche Vorführung an.
Die Überraschung war perfekt. Da flimmerten Erinnerungen an allerlei Sinziger Geschehnisse auf der im Pfarrheimsaal provisorisch aufgebauten Leinwand vor den Augen der erwartungsvollen Zuschauer vorbei: Bewegte Bilder von Pfarrfesten und Fronleichnamsprozessionen, Streiflichter von den Sinziger Kirmessen und Martinszügen, aber auch von einem ganz besonderen Ereignis, das die älteren Kolpingbrüder noch aus Vorkriegstagen in guter Erinnerung hatten. Es war dies ein Filmbericht über eine Freilicht-Laienspielaufführung, die von den Sinziger Kolpingsöhnen sozusagen als letztes öffentliches Bekenntnis vor dem im Jahre 1938 erfolgten Verbot der Kolpingfamilie auf dem Kirchplatz durchgeführt worden war.
Der Hobby-Filmer Kaplan Heinz
Der Autor aller dieser lokalen Schmalfilmstreifen war, wie man sich angesichts der Reprisen rasch erinnerte, der vor dem Krieg in Sinzig tätige Kaplan Heinz gewesen. Als begeisterter Hobbyfilmer hatte er in den dreißiger Jahren alles aufgenommen, was ihm an lokalen Sinziger Ereignissen sehens- und bewahrenswert erschien.
So weit so gut! Doch wie kam es über diesen ersten kolping-internen Sinziger Flimmerkasten-Erfolg des wiederentdeckten Schmalfilm-Archivs des Kaplans Heinz hinaus dann zu den ausgedehnten Filmreisen der Kolpingsöhne ins Ahr- und Eifelland? Nun, die altersschwache Vorführ-Apparatur des ehemaligen Sinziger Kaplans hatte gar bald ihren Geist aufgegeben. Guter Rat war teuer, bis sich der Verfasser dieser heutigen Heimatbuch-Geschichte, damals in den ersten Nachkriegsjahren selbst aktives Mitglied der Sinziger Kolpingfamilie, seiner guten Kontakte zum amerikanischen Armee-Hauptquartier in Heidelberg erinnerte. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war er dort nämlich im Jahre 1946 eine Zeitlang tätig gewesen.
Die Kontaktierung eines befreundeten amerikanischen Presse-Offiziers in Heidelberg brachte den erhofften Erfolg, nämlich eine Empfehlung an das in Koblenz bestehende Amerika-Haus. Dort erklärte sich der Leiter dieser US-Informations-Einrichtung bereit, der Sinziger Kolpingfamilie leihweise ein komplettes mobiles Tonfilm-Equipment nebst entsprechendem Filmmaterial zur Verfügung zu stellen. Einzige Bedingung: Ihr dürft eure Filmvorführungen nicht auf Sinzig beschränken, sondern müsst damit im Lande, sprich in eurem Heimatkreis Ahrweiler, über die Dörfer ziehen. Kolpingsohn Fritz Marx, von seinem Handwerks-Beruf her technisch begabt, avancierte nach einem Schnellkurs im Amerika-Haus Koblenz zu einem nahezu professionellen Filmvorführer, der Verfasser zum Organisator. Was fehlte – und was auch die Amerikaner nicht leisten konnten – das war die erforderliche Mobilität. Ein Auto musste her, um das Sinziger Kolping-Wanderkino letztlich auf den Weg zu bringen. Doch auch hier fand sich eine Lösung. Der Agentur-Chef der gerade erst im Kreis Ahrweiler als Lokalausgabe „Rhein-Ahr-Rundschau“, eingeführten Kölnischen/Bonner Rundschau, Josef Dreesbach aus Remagen, war willens, seinen buckligen Ford Taunus nebst Zeitungsfahrer Sepp unentgeldlich für die Filmfahrten bereitzustellen. So konnte die erste Wanderkino-Reise ins Eifelland alsbald beginnen – und als erste mit an Bord – wie gesagt – waren die „Männer von Aran“.
Bei denen handelte es sich um die Leinwand-Akteure eines spannenden dokumentarischen Spielfilms des amerikanischen Filmautors und Regisseurs Robert Flaherty. In ihm schilderte der in den Vereinigten Staaten berühmte Filmemacher aus Hollywood das gefahrvolle Leben von Fischern auf drei weltverlorenen Inseln vor der Westküste Irlands im Nordatlantik. Der Film erlangte bei amerikanischen Filmfreunden schon vor dem Kriege Kultcharakter und diese Einschätzung gilt inzwischen weltweit bis heute.
Amerikanische Kultfilme
Aber das Archiv des Koblenzer Amerika-Hauses barg noch viele weitere filmische Schätze, die das Sinziger Kolping-Wanderkino in der Folge regelmäßig einem begeisterten Publikum in den Dörfern der Eifel nahebrachte. Dazu zählten weitere nicht weniger berühmte Flaherty-Filme wie etwa „Nanuk der Eskimo“ und die Film-Triologie „Louisiana-Legende“.
Der amerikanischen Militärregierung ging es damals in den ersten Nachkriegsjahren nicht nur in ihrer eigenen süddeutschen Besatzungszone, sondern darüber hinaus im ganzen von den Westalliierten besetzten Deutschland, und namentlich bei der deutschen Jugend, um ein groß angelegtes Reeducations-Programm. Der deutschen Bevölkerung sollte nach den Jahren der hermetischen Abgeschlossenheit in der NS-Diktatur demokratisches Bewusstsein nahegebracht werden. Dabei spielte neben den politischen Umerziehungs- und Bildungsbemühungen durch vielfältige Publikationen, Vorträge und Seminare in den Amerika-Häusern vor allem auch die Filmarbeit eine große Rolle. So war es selbstverständlich in diesem Sinne nicht ohne Selbstzweck, dass auch der Sinziger Kolpingfamilie vom Koblenzer Amerika-Haus so großzügige Unterstützung für ihre Aktivitäten gewährt wurde.
„Welt im Bild“ und „America Today“
Das Filme-Paket, mit dem das Kolping-Team Woche um Woche auf Vorführ-Tour ging, bestand demgemäß nicht nur aus Kultur-, Dokumentar- und Spielfilmen – wie beispielweise auch Charlie Chaplins eindrucksvollem Anti-Hitler-Film „Der große Diktator“ – sondern es wurde auch die jeweils aktuelle Wochenschau gezeigt. „Welt im Bild“ und „America Today“ hießen diese vom US-Information-Service verbreiteten Vorabfilme, und es ist durchaus nicht abschätzig gemeint, wenn dazu heute vermerkt werden muss, dass es auch hierbei darum ging, das Kinopublikum im amerikanischen Sinne zu beeinflussen. Die westdeutsche Bevölkerung sollte eben unter Einsatz publizistischer Mittel an die Werte amerikanischen Demokratieverständnisses herangeführt werden.
Für die Amerikaner war dies eines der absoluten Essentials ihrer Besatzungspolitik, die Basis für eine allmähliche Wiedergewinnung deutscher Souveränitätsrechte im Rahmen der späteren Bundesrepublik Deutschland. So gelangte auch erst im Februar 1950 die frisch gegründete „Neue Deutsche Wochenschau“ als eine eigene deutsche Aktualitäten-Produktion in die bundesdeutschen Kinos.
Festzug der Sinziger Kolpingfamilie zu ihrem 25-jährigen Jubiläum im Jahre 1950
Um diese Zeit endeten dann auch die Aktivitäten des „Flimmerkasten-Teams“ der Sinziger Kolpingsöhne. Nach der Währungsreform im Sommer 1948 war der Alltag in der Bundesrepublik wieder so normal geworden, dass auch in den Eifeldörfern der Weg in die nächstgelegenen Kinos am Wochenende zur Selbstverständlichkeit wurde. Eines Flimmerkisten-Aufbaus in den Wirtshaus-Sälen bedurfte es nicht mehr. Und als dann ab 1952 das öffentlich-rechtliche Fernsehen als neues überall zugängliches Unterhaltungsmedium in die Wohnstuben Einzug hielt, war die allabendliche Entspannung im häuslichen Familienkreis ohnedies garantiert.
Erinnerung an Sepp und seinen Buckel-Taunus
Wir aber, die „Sinziger Wanderfilmer“ von ehedem, das Team um die Kolpingsöhne Fritz Marx, Paul Drenk, Engelbert Grün und Karlheinz Grohs, denken noch immer mit großer Freude und – wer mag es verdenken – auch mit einem Hauch nostalgischer Melancholie an jene Nachkriegs-Aktivitäten zurück. Auf jeden Fall aber bedarf es dabei abschließend einer dankbaren Erinnerung an unseren stets hilfsbereiten und unermüdlichen Fahrer Sepp, der den asthmatischen Buckel-Taunus bei Wind und Wetter sicher über mitunter nicht eben fahrfreundliche Eifelwege steuerte.
Übrigens: Der Sepp! Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Wir haben niemals den Nachnamen dieses aus dem Osten heimatvertriebenen jungen Mannes erfahren, den es als Zeitungsfahrer nach Remagen verschlagen hatte. Für uns war er immer einfach nur: – Der Sepp aus Remagen!