Der Niederzissener Bunker in der Klosterstraße. Zeugnisse des Zweiten Weltkrieges in unserer Heimat
Während des Zweiten Weltkrieges entstanden auch auf dem Lande viele Bunkeranlagen zum Schutze der Zivilbevölkerung vor den Luftangriffen. Vielfach wurden die einfachen Schutzräume, Unterstände und Stollenanlagen überwiegend von den Dorfbewohnern selbst erstellt. In Niederzissen existiert noch eine solche Bunkeranlage in der Klosterstraße.
Zur Baugeschichte
Dort befand sich in der Wand des Lahars (=vulkanischer Schlammstrom) schon in den 1920er Jahren ein „Knollenkeller“. Der Bau eines zweiten Lagerkellers wurde aus unbekannten Gründen schon nach wenigen Metern abgebrochen.
1943 fassten dann aus Angst vor den Bombenangriffen mehrere Niederzissener Bürger den Entschluss, zum Schutze ihrer Familien von diesem begonnenen „Knollenkeller“ aus einen Bunker anzulegen. Vom örtlichen Bürgermeisteramt und Vertretern des Reichsluftschutzbundes im Dorf wurde der Bau beratend begleitet.
Plan des Niederzissener Bunkers in der Klosterstraße
Erste Versuche, mit Pressluft die Gänge in das Gestein vorzutreiben, wurden aufgegeben. Die Arbeiten mussten deshalb mit einfachem Gerät durchgeführt werden. Mit Kreuzhacken und Schaufeln arbeitete man sich in den Berg vor. Zum Abtransport der herausgehauenen Steine dienten Schubkarren. Der Bunker entstand in schwerer Handarbeit, an der sich Männer, die nicht zum Kriegsdienst eingezogen worden waren, Soldaten auf Heimaturlaub, Zwangsarbeiter, Kinder, Jugendliche und Frauen beteiligten. Während die Hauptgänge in Gemeinschaftsarbeit gegraben wurden, mussten die Nischen für den Aufenthalt von Familien oder Nachbarschaftsgruppen durch diese selbst den Fels geschlagen werden.
Um größere Felsbrocken herauszubrechen, wurden meist zuerst links und rechts einer abzulösenden Stelle senkrechte Schlitze geschlagen, so dass die dazwischen stehengebliebene Partie leichter herausgehoben werden konnte. Der Abraum wurde auf dem am Bunker vorbeiführenden Weg abgekippt, der dadurch um etwa 1 m höhergelegt wurde.
Die eingesetzten Kreuzhacken wurden schnell stumpf und mussten dann in die Schmiede von August Blankart (Lochs Gässchen)zum Schärfen gebracht werden.
Da der verfestigte vulkanische Schlammstrom eine gute natürliche Standsicherheit aufwies, war kein zusätzlicher Stollenausbau oder ein Abstützen notwendig. Angeblich soll man im Bunker sogar von Bomben, die über dem Bunker niedergingen, nichts bemerkt haben. Während der Arbeit standen zur Beleuchtung Kerzen, Petroleum- und Karbidlampen zur Vergfügung. Elektrische Beleuchtung gab es nicht.
Nachdem der Stollen etwa 20 m in den Fels getrieben worden war, entschied man sich aus Sicherheitsgründen für die Anlage eines zweiten Zugangs. Damit sich die beiden Stollen auch trafen, führte man Berechnungen und Vermessungen durch. Die beiden Röhren stießen wie vorausberechnet aufeinander. Lediglich in der unterschiedlichen Höhenlage war ein kleiner Fehler aufgetreten.
Die beiden Eingangsstollen knicken nach etwa 5 m nach links bzw. rechts zu den Aufenthaltsbereichen (Nischen der Familien) ab, sind aber über die Knickpunkte hinweg noch einige Meter geradeaus in den Berg hineingeführt, wo sie blind enden. Diese „Blindgänge“ waren als „Druckkanäle“ für den Fall gedacht, dass eine Bombe direkt vor den Eingängen detonieren sollte.
Zusätzlich waren die Eingänge von außen auf 2,5 m Breite mit darüber schräg angelehnten Tannenstämmen gesichert. Ein Betreten des Bunkers war somit nur seitlich des zusätzlich Druckschutzes möglich. Herangeschafft wurden die Stämme aus dem Staatswald „Buchholzer Büsch“, heute Neubuchholz, von der Organisation Todt, wobei deren Pferde eingesetzt wurden.
Die eigentlichen Bunkertüren waren etwa 0,25 cm stark, bestanden aus Holz und wurden zusätzlich zur Verriegelung von innen mit Seilen gesichert.
Da der Bunker an der Klosterstraße als einziger in Niederzissen trocken war, zog es immer mehr Menschen bei Luftangriffen hierhin. Im Norden der Anlage wurde daher auch noch ein zweiter, parallel verlaufender Gang angelegt.
Zahlreiche Niederzissener Bürger halfen beim Bunkerbau. Hierzu gehörten u.a. Julius Odenthal, Erich Flohr, Hans Orth, Alfons Fuhrmann, Matthias Maus. Ein Herr Montag, durch Kriegsumstände nach Niederzissen verzogen, führte die notwendigen Vermessungen durch.
Als „inoffizieller Bunkerwart“ kann Herr Rudolf Dröslich bezeichnet werden. Er war es auch, der den anrückenden amerikanischen Truppen am 8. März 1945 mit einer weißen Fahne entgegenging, um die kampflose Übergabe Niederzissens anzuzeigen!
Leben im Bunker
Der Bunker bot Platz für etwa 300 bis 400 Menschen. Jede Familie, Nachbarschaft oder Gruppe hatte ihre eigene Nische. So etwa auch die Franziskanerinnen sowie weitere Bewohner der nahegelegenen Klosterniederlassung der Waldbreitbacher Schwestern. Allerdings blieben diese nur bis zur Anlage des zweiten Stollens und zogen dann in einen anderen Bunker um.
Der Bunker war nur kärglich eingerichtet. Alles musste im Bunker selbst gezimmert werden, da die Stollen zu eng waren, um größere Gegenstände hineinzutransportieren. Das „Mobiliar“ in den Nischen bestand allenfalls aus einer Bank, die zunächst aus dem Fels gehauen und dann mit einem Brett belegt wurde, einem roh gezimmerten Tisch und einer Ablage.
Betten gab es aus Platzgründen nicht. Zum Schutz vor der Kälte wurden Decken und Mäntel verwendet. Allerdings wurde es wegen der zahlreichen Menschen im Bunker schnell warm, so dass außer den etwas Wärme spendenden Lichtquellen keine Heizung notwendig war. Es war oft geradezu stickig im Bunker und die hygienischen Verhältnisse können nur als katastrophal bezeichnet werden. Toiletten gab es nicht. Zur Verrichtung der Notdurft wurden Plumpsklos in nahegelegenen Häusern aufgesucht oder Gebüsch im Umfeld. Verschiedene Bewohner brachten vor ihren Nischen Holztüren an, die jedoch aus Sicherheitsgründen (Brandgefahr) wieder ausgebaut wurden.
In den Stollenwänden waren auch zwei Bildstöcke eingearbeitet, vor denen viele beteten. Zeitzeugen erinnern sich daran, dass Pfarrer Lehnen im Bunker eine Messe gelesen hat.
Das Grabungswerkzeug blieb aus Sicherheitsgründen im Bunker. Falls man bei einem eventuellen Volltreffer verschüttet werden sollte, hätte es zum Retten der Opfer dienen können.
Bis Ende 1944 wurde der Bunker nur bei Fliegeralarm aufgesucht. Erst in den letzten Kriegsmonaten blieben viele auch über Nacht oder sogar tagelang im Bunker. Zum Kochen und Essen liefen viele im Schutze der Dunkelheit nach Hause. Allenfalls Getränke, Tee oder Malzkaffee in Kannen und Brote wurden in den Bunker gebracht.
Landwirte mit Vieh blieben, um die Tiere bei eventuellen Bränden zu retten, auch bei Fliegeralarm auf ihren Anwesen. Sie verließen sich auf ihre privaten Schutzbauten, die viele Niederzissener zusätzlich angelegt hatten. Diese Splittergräben oder kleinen Bunker mit nur einem Eingang hätten aber nur wenig Schutz gegen Bombeneinschläge geboten. Außerdem gab es noch weitere Luftschutzeinrichtungen, so z.B. an der Straße am Bausenberg und im Bereich der alten Gemeindeverwaltung an der Kapellenstraße. Dieser Luftschutzraum mit einem Ausgang zum heutigen Parkplatz des Gasthauses Ratsschenke wurde „Beamtenbunker“ genannt.
Um das Leben in den Bunkern ranken sich viele Erzählungen, Anekdoten. Es wurde dort viel gebetet, geweint, aber auch geschimpft und gefeiert. Die meisten sehnten das Ende des Krieges und der Luftangriffe herbei, um endlich wieder ruhig schlafen zu können. Ohne nennenswerte Zerstörungen ging für die Menschen in Niederzissen im März 1945 der Krieg zu Ende.
Der Bunker wurde in der Hauptsache in Handarbeit in den Fels gegraben. Blick in eine Bunkernische mit Bildstock am Eingang
Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Bunker Kindern und Jugendlichen als Abenteuerspielplatz und gelegentlich als Liebesnest. Er wurde deshalb verschlossen. Als die Anlage aus der Kriegszeit anlässlich des 30- und 35-jährigen Jubiläums der DRK-Ortsgruppe Niederzissen in den Jahren 1992 und 1997 kurzfristig zur Besichtigung geöffnet wurde, stieß dies auf großes Interesse bei der Bevölkerung. Viele Besucher, darunter auch zahlreiche Familien, die an den Stollen und den Nischen im Berg mitgearbeitet hatten und darin während des Krieges bange Stunden und Tage voller Angst verbracht hatten, besichtigen die Bunkeranlage. Seit Sommer 2000 ist der Bunker im Rahmen des Vulkanparks Brohltal/Laacher See wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.
Anmerkung:
Der Verfasser dankt den Herren Heinz Schröder und Hans Orth für die Informationen zu diesem Beitrag.