Titus Reinarz – Steinerne Kunst im Zeichen des Schmetterlings
Wer den Bildhauer Titus Reinarz im Löhndorfer Domizil aufsucht, erkennt gleich am Schneckengehäuse als Türknauf, dass dort ein Künstler wohnt. Atelier und Werkräume künden selbstredend von der künstlerischen Praxis, im grünen Außenbereich springen Werke ins Auge, und im über 20 Jahre lang mit Ehefrau Gisela restaurierten Fachwerkhaus, das schon 200 Jahre auf dem Buckel hat, akzentuieren sie die Ausstattung – unaufdringlich, aber unübersehbar. Bronzen vom Vogel, Weintrinker und eine Schale mit neckischen Faunen schmücken das Esszimmer. An den Wänden hängen Keramikreliefs aus grobem Ton. Der Künstler hat sie abgeschliffen, „damit Formen und Flächen scharf stehen“. Profunde Handwerklichkeit ist ein Kennzeichen all dieser Arbeiten, da Reinarz sie mit größter Sorgfalt plant und ausführt. Natürlich ruht die Glasplatte des Wohnzimmertisches auf keinem x-beliebigen Sockel, sondern auf einem vom Künstler mit formschöner Vertiefung gestalteten Steinquader. Da hinein sind kleine Objekte gebettet, durchs Glas zu sehen und doch geborgen. Harmonie als Ergebnis eines Spannungsprozesses, dieses Gestaltungsprinzip liegt sämtlichen Werken des gegenständlichen Künstlers zugrunde. So auch einer Tänzerin, deren schwerer Körper durch in je andere Richtung weisende Arme und Beine leichter wird. Ein Falter auf ihrer erhobenen Fußsohle macht die überwundene Erdanziehung vollends sinnfällig.
Dem Gast fällt auf, dass etwa neben kleinen handschmeichlerischen Bronze-Trauben, die vom Anfassen an den erhabenen Stellen reizvoll aufgehellt sind, viele der Metallarbeiten nicht die gewohnte Bronzepatina tragen. Sie erscheinen grünlich, bläulich-türkis oder bräunlich. Reinarz lässt nur in Italien gießen, südlich von Carrara, wo der Bronzeguss Tradition hat und der Gießer die Patina per Lötkolben und Säuren erzeugt. Ein Schlüsselerlebnis gab den Anstoß: Als die vom Bildhauer in einer Propstei neu geschlagenen Kapitelle auch farbig gefasst wurden, fiel die Wirkung von purem Stein und bemaltem Kapitell so ausgeprägt verschieden aus, dass er, vom Ergebnis („Die Farbe verändert die Aussage“) beeindruckt, seine Bronzen seitdem in erweiterter Farbigkeit präsentiert.
Der Bildhauer Titus Reinarz
Künstlerischer Weg – Maria Laach, Köln, Rom, Löhndorf
War Titus Reinarz’ künstlerischer Weg vorgezeichnet, als er – Sohn von Bildhauer Johannes Reinarz und seiner Frau Inge – 1948 in Bad Honnef zur Welt kam? Zielstrebig jedenfalls begann der 16-Jährige in Maria Laach bei Hans-Gerhard Biermann und Theodor Bogler eine Steinmetz- und Bildhauerlehre. Nach den Gesellenjahren in Gossau/Schweiz studierte er von 1968 bis 1976 an den Kölner Werkschulen, Fachhochschule für Kunst und Design, Fachbereich Bildhauerei und Bauplastik, unter den Professoren Kurt Schwippert und Hans Karl Burgeff, dessen Meisterschüler er ab 1974 war. Zwischen 1981 und 1992 wirkte der ehemalige Student selbst als Dozent an der Fachhochschule für Kunst und Design. 1986 wurde er Stipendiat der Villa Massimo, Rom, in Olevano Romano südlich der Stadt. Was aber führte ihn 1992 nach Löhndorf? Reinarz ist die Entscheidung leicht gefallen: Die Nähe zur Steinindustrie, Maria Laach und Mendig (Tuff) wie Selters im Westerwald (Trachit) waren ein Grund, die Möglichkeit auf dem Land Leben und Arbeiten an einem Ort zu verbinden, ein weiterer.
Mit eigenem Atelier in Löhndorf freischaffend, kreiert der Künstler freie Arbeiten allein aus seinem Gedanken- und Formenschatz heraus und übernimmt private und öffentliche, meist kirchliche Auftragsarbeiten. Basalt, Basaltlava, Tuff, Udelfanger Sandstein, zuweilen in Verbindung mit Carrara-Marmor, dienen ihm zumeist als Werkstoff. Daraus entstehen Brunnen, wie der in Basaltlava ausgeführte Clemensbrunnen an der Nordseite von St. Kunibert, Köln, oder der gestufte Europa-Brunnen mit Tier- und Pflanzenmotiven für den Sinziger Marktplatz, dessen krönende Europa-Figur man auch als Bronze-Darstellung auf Marmorsäule und Basaltbasis in der Europäischen Akademie in Ahrweiler antrifft (Dauerleihgabe der KSK Ahrweiler). Wasserspeier an Kirchen sind zu nennen, Kreuzblumen, Kapitelle, Heiligen-, Tier- und Teufelsfiguren sowie Altäre, Tabernakel und Ambonen für kirchliche Innenräume. Reinarz hat schon ganze Chorräume ausgestaltet, so für die Kirche von Grevrath-Oedt, für Neu-Garzweiler oder Frauwüllesheim. Immer legt er Wert darauf, die Werke an die Maße und Proportionen des architektonischen Umfeldes anzupassen, „nur so können sie sich überzeugend einfügen“. Und weil die beste Zeichnung die Räumlichkeit nicht ersetzen kann, liefert er bei Auftragsarbeiten ein „dreidimensionales Modellchen“. Völlig unverständlich bleibt ihm daher, wie Priester in Amerika, wo seine Werke übrigens in einer Galerie in Denver/Colorado vertreten sind, ihre Kirchenausstattung nach Fotos auswählen.
Im vergangenen Jahr betrat der Künstler Neuland, als er – eher untypisch für einen Bildhauer – erstmals Kirchenfester entwarf. „Als Quereinsteiger hat man den Vorteil, dass man nicht den ganzen Ballast der Zunft mitschleppt“, erklärt Reinarz. Zuständig fühlt er sich allemal, denn „Zeichnen muss ein Bildhauer auch und mit Farbe umgehen können“. Für die gelb und orange-roten Fenster in Aphoven war ihm die international arbeitende Bonner Firma für Glasmalerei Georg Linden ein guter Partner.
Tänzerin, Bronze von Titus Reinarz aus dem Jahre 1997
Werke im Kreis Ahrweiler
Wenn Titus Reinarz auch durch Werke und Ausstellungen überregional bekannt wurde, so macht er sich keinesfalls im heimischen Raum rar. Landrat Dr. Jürgen Pföhler nannte ihn zu Recht „eines unserer Aushängeschilder“. Er stellte fest, dass er „mit seinen Werken den Kreis Ahrweiler ungemein bereichert und sich darüber hinaus international einen Namen gemacht hat.“1) Neben dem Europabrunnen auf Sinzigs Marktplatz hat er einen Gedenkstein für die Sinziger Juden geschaffen. In seinem Wohnort Löhndorf ist der Künstler gleich mehrfach präsent: zum Beispiel mit dem Ochsenbrunnen, einer den Löhndorfer Schulkindern gewidmeten Basalt-Skulptur und auf dem Friedhof mit Grabsteinen figürlicher Darstellungen wie Pieta und Lamm. In der KSK-Filiale Westum weist ein von ihm gearbeitetes Relief unverkennbar lokale Bezüge auf. Den Bildsymbolen nachspürend, kann man in ihm lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Über die Zugänglichkeit von Reinarz Schaffen wird ohnehin noch zu sprechen sein.2) Im Ortsteil Bad Bodendorf gibt es, nahe dem Standort einer ehemaligen Kapelle, einen in Basalt geschlagenen Gnadenstuhl. Und in der Kapelle des kleinen ans Remagener Krankenhaus Maria Stern angebauten Klosters zeugen Altar, Tabernakel und ewiges Licht ebenso von seiner Kunst wie der Brunnen mit Muschel und Wurzel-Jesse-Relief im Garten. Auch für die Franziskanerinnen auf der Insel Nonnenwerth war Titus Reinarz tätig: Künstlerisch gestaltete Schrifttafeln mit bildnerischen Darstellungen sind auf dem Friedhof zu sehen.
Zur Arbeitsweise
Reinarz zeigt immer wieder Menschen, Tiere, Pflanzen. Er arbeitet figürlich aus tiefer Überzeugung. „Bildhauerei ist Bildsprache, Sprache ist Mitteilung, Sprache ist kulturelle Leistung, somit ist Bildsprache unabdinglich“, sagt er. Das klingt nach kühler Logik, ein wenig auch nach Dogma. Ein andermal erklärt er sich zum gleichen Thema poetischer: „Ein Bild geht über die Augen direkt in die Seele. Da kann ich Botschaften transportieren, die praktisch jeden erreichen“. Reinarz ist als Person und Künstler von besonderer Gradlinigkeit. Er verbiegt sich nicht, um zu gefallen. Gisela Reinarz, mit der Kunst ihres Mannes sehr verbunden, hält dem Künstler den Rücken frei. Sie kennt sich ganz genau aus in seinem Schaffen, übernimmt für ihn die geschäftliche Abwicklung und unterstützt seine Arbeit, indem sie kommentiert, „wenn er einmal einen toten Punkt hat“. In Gesprächen zieht er sie oft hinzu, wohl wissend und respektierend, dass sie in ihrer freundlichen verbindlichen Art die Kommunikation bereichert. „Ohne meine Frau hätte ich es in der Gesellschaft schwerer“, gibt er denn auch unumwunden zu.
Reinarz gegenständliche Arbeitsweise hat nichts mit plattem Naturalismus gemein: „Das Gegenständliche ist eine abstrakte neue Welt mit vielschichtiger Aussage. Die Vielfältigkeit resultiert aus der Sprache. Wenn man die Sprache lernt, kann man verstehen und das geistige Angebot für sich selber nutzen“. Pater Drutmar Cremer, Prior der Abtei Maria Laach, zugleich Leiter der dortigen Kunstwerkstätten und des Kunstverlages, attestiert Reinarz die „theologische Kenntnis und die Kraft, die christliche Botschaft des Glaubens umzusetzen in überzeugende Formen“. Er spricht von „narrativer Theologie“. Generell kennzeichnet laut Dr. Erwin Minwegen „Symbolbereitschaft“ die Reinarzschen Schöpfungen.3) Dies gilt auch für die zahlreichen Tierdarstellungen, in denen des Künstlers starke Affinität zur Natur manifest wird. Was da kreucht und fleucht auf dieser Erde, hat er mit viel Liebe durch sinnlich durchmodellierte Formen ins Bild gesetzt. Der Fuchs auf einem großen Basaltlava-Briefkasten ist vom Gesicht mit den vollen Wangen bis zur Spitze des buschigen Schwanzes mit Vergnügen zu betrachten. Reinarz´ Gehäuse tragende Schnecken sind bodenhaftende Sympathieträger für Geduld und Langsamkeit in einer der Beschleunigung huldigenden Zeit. Eine riesige Weinbergschnecke, gleichsam Mutter aller dieser Weichtiere, steht etwa an der Raststätte Cloerbruch am Karster Kreuz, wo ehemals ein großes Sumpfgebiet war. Eine Grille aus Weiberner Tuff ist sprungbereit. Nicht nur der spitzwinkligen Beine wegen erscheint das ganze Tier wie Natur gewordene Mechanik. Aber auch wieder märchenhaft, denn Reinarz stellt die Gelenke als Blätter dar und lässt das Grillenhaupt wie das eines Mütterchens mit Haube erscheinen. Ein stets wiederkehrendes Motiv – Reinarz verwendet es sogar im Briefkopf und für Visitenkarten – ist der durch seine Leichtigkeit bezaubernde Schmetterling. Als christliches Symbol steht er für die Metamorphose vom irdischen ins geistige Leben, hilft also sich zu besinnen in der Frage: Wo stehe ich? Abheben, leicht sein, das stimmt zweifelsfrei euphorisch. Wen nimmt’s wunder, dass Fortuna, die Glücksbringerin mit überquellendem Füllhorn in der Linken, neben diesem großen Glück rechterhand auch das kleine, einen Schmetterling, hält. Wenn der Künstler die Segensreiche auf gewölbten Untergrund gestellt hat, so nicht nur der Komposition wegen, sondern auch, „weil das Glück wankelhaft ist“, wie er lächelnd anmerkt.
Satyr, Bronze von Titus Reinarz aus dem Jahre 1983
Es erstaunt, wie künstlerisch vielfältig dieser Mann arbeitet, wie tatkräftig, beharrlich und überlegt er ans Werk geht. Doch weder Schaffensreichtum, noch Seriosität, noch handwerkliche Versiertheit, die gleichfalls ein Merkmal seiner Arbeit ist, machen allein die Qualität seines Tuns aus. Titus Reinarz hat außerdem seine eigene Bildsprache im Dreidimensionalen entwickelt. Wie er seine Bilder aus dem Stein freisetzt, mit gebogenen Graten, schwachen Einbuchtungen, geraden Kanten und voluminösen Wölbungen, ist unverwechselbar. Ob er, was durchaus vorkommt, relativ eckig formuliert oder verstärkt organische Formen einsetzt, immer kommt ein echter Reinarz dabei heraus. Und obwohl er seine an die reale Erscheinung angelehnten Darstellungen in die ihm eigene Form „gegossen“ hat, bergen sie viel Freiheit für individuelles Einsehen und persönliche Entdeckungen. Wird die Bilder-Überflutung durch die Medien nicht zu einer Abnutzung der Wahrnehmung führen, die das Kunstwerk nicht mehr würdigen kann? „Bildhauer hat es schon vor 2000 Jahren gegeben und wird es auch noch in 2000 Jahren geben“, glaubt Reinarz fest an die Durchschlagkraft seiner künstlerischen Ausdrucksmittel.
Schmetterling,
Zeichnung von Titus Reinarz, die er u. a. auf seinen Visiten-karten verwendet.
Anmerkungen:
- Siehe im Internet unter www.kreis.aw-online.de/pressedienst/2710.html 4k
- Titus Reinarz hat sich oft an der BBK-Aktion Offenes Atelier beteiligt. Wer seine Werke kennen lernen will, kann sich auch in dem unter Anmerkung 3) erwähnten Buch oder im Internet auf der Homepage des Künstlers www.titus-reinarz.de einen Überblick verschaffen.
- Alle nicht anders ausgewiesenen Äußerungen stammen aus dem Buch Titus Reinarz Bildhauer mit Beiträgen von Konrad Adenauer, P. Drutmar Cremer, Hiltrud Minwegen u. a., Bonn 1998. Die Aussagen über und die Zitate von Titus Reinarz gehen auf Atelierbesuche der Autorin beim Künstler in den Jahren 1996 bis 2002 zurück und sind teilweise in verschiedenen von ihr verfassten Zeitungsbeiträgen enthalten: Tag des offenen Ateliers bei Titus Reinarz, Sinziger Zeitung, Nr. 37/96, 12. September, S. 14; Bildhauer Titus Reinarz lud in sein Atelier nach Löhndorf ein/Der Teufel und die Maus…, Rhein-Zeitung 13. 9. 1996; Bronzerelief mit lokalen Bezügen/Titus Reinarz arbeitet Westumer Geschichte in Kunstwerk auf, Rhein-Zeitung 12. 4. 1996; Tag des offenen Ateliers/Die Farbe verändert die Aussage/Der Künstler Titus Reinarz…, Sinziger Zeitung, Nr. 41/2000, S. 47; Ein Besuch im Künstler-Domizil/Vielfältige Spuren des Schaffens…, Sinziger Zeitung Nr. 39/2001, S. 15.