125 Jahre Dr. von Ehrenwall’sche Klinik in Ahrweiler
125 Jahre Dr. von Ehrenwall’sche Klinik sind gleichbedeutend mit 125 Jahren kontinuierlicher und unermüdlicher Aufbauarbeit und Etablierung einer privaten psychiatrischen Klinik im Rheinland. 1877 noch innerhalb des mittelalterlichen Mauerberings von Ahrweiler gegründet, entwickelt sich die Klinik mit dem Bau des Haupthauses vor dem Obertor Ahrweilers 1882-1888 bis in die heutige 4. Generation baulich und medizinisch kontinuierlich weiter. Im Rahmen einer Sonderausstellung des Museums der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler im Weißen Turm wurde die Geschichte der Klinik anlässlich des 125-jährigen Klinikjubiläums zusammen mit einem von Werner Mertens angefertigten Videofilm über die Klinik einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Mit derzeit 260 fest angestellten Mitarbeitern und 215 Patientenbetten ist die Klinik über ihre bauliche Tätigkeit hinaus bis heute ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler geblieben.
Zur Entwicklung der Psychiatrie
Im 19. Jahrhundert entstand die Psychiatrie als Wissenschaft. Zahlreiche medizintechnische Erfindungen und bahnbrechende Publikationen wie die von Wilhelm Griesinger 1845 in Stuttgart herausgegebene „Pathologie und Therapie der psychiatrischen Krankheiten“ führten zu einer neuen Auffassung von psychischen Erkrankungen. Erstmals wurde der psychisch erkrankte Mensch in Europa überhaupt als Patient anerkannt.
Die Klinikgründung im Jahre 1877 fällt in einen allgemeinen Gründungsboom von privat geführten „Irrenanstalten“ mit drei bis maximal 20 Patienten, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen hatte.
Einen Eindruck von der imposanten Anlage der Ehrenwall’schen Klinik vermittelt dieser Ausschnitt aus einem Panorama von 1906.
Die Entwicklung der rheinischen „Privat-Irrenanstalten“ ist im Wesentlichen von den beiden Zentren Bonn und Siegburg und den beiden Persönlichkeiten Friedrich Nasse1) und Maximilian Jacobi2) ausgegangen. Ihr Wirken und Denken hat die gesamte Psychiatrie im Rheinland lange Zeit beherrscht und beeinflusst. Der Weg zum psychiatrischen Krankenhaus im modernen Sinn ist bestimmt vom Mangel an ätiologischen Kenntnissen, d.h. dem Wissen über die Ursachen der psychischen Erkrankung, und unspezifischen Behandlungsmethoden. Er wird aber auch begleitet von Menschen, die mit großer Selbstlosigkeit und dem Einsatz ihrer ganzen Familie für die Verbesserung der Lebensqualität und Heilung schwerkranker Menschen kämpften.
Während allerdings Anfang des 19. Jahrhunderts in Ländern wie England bereits die zwanglose Unterbringung der Patienten diskutiert wurde und Verbreitung fand, stand in Deutschland noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Schutz der Bevölkerung vor den „Irren“ im Vordergrund. Da immer wieder darüber diskutiert wurde, ob den Geisteskrankheiten organische Erkrankungen zugrunde lägen oder sie eher als eine Folge eines sündigen Lebensstiles zu betrachten seien, blieb auch die Frage, wer rechtlich gesehen für die Aufbewahrung dieser Menschen zuständig sei – Richter, Mediziner oder die Kirche – lange Zeit ungeklärt.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war von ärztlicher Seite die Anerkennung des psychisch Gestörten als Kranker vollzogen, die rechtliche Seite blieb aber weiterhin problematisch. Erst 1888 wurde für die Privatkliniken im gesamten Preußen eine einheitliche Regelung getroffen, welche die Einweisung der Kranken durch den Kreisarzt vorsah. Die Verwendung von Begriffen wie Geistesschwäche und Geisteskrankheit statt „Blödsinnigkeit“ oder „Wahnsinn“ werden rechtlich erst in dem 1900 in Kraft tretenden Bürgerlichen Gesetzbuch verbindlich.3)
Die Anfänge der Klinik
Vor diesem in aller Kürze skizzierten medizingeschichtlichen Hintergrund stehen die Anfänge der Dr. von Ehrenwall’sche Klinik. Der Gründer Dr. Carl von Ehrenwall – er wurde 1901 zum Sanitätsrat, 1912 zum Geheimen Sanitätsrat ernannt- baute seine Klinik ganz im Sinne des von ihm verehrten Wilhelm Griesinger4) ab 18825) im Pavillonstil mit 118 Betten vor dem Obertor Ahrweilers auf. Seinen Patienten ermöglichte er eine annähernd familiäre Lebensweise unter ärztlicher Aufsicht und je nach Schwere der Erkrankung eine Rückkehr in ihr gewohntes soziales Umfeld. Die Patienten, auch Pensionäre genannt, stammten überwiegend aus adligen und wohlhabenden bürgerlichen Kreisen, obwohl die Klinik mit der Gründung des Westsanatoriums 1913 in der Walporzheimer Straße 30 (ehemaliges Arbeitsamt) auch für Patienten der Reichsversicherungsanstalt offen stand. In den Villengebäuden fanden die „Pensionäre“ ihrem gehobenen Lebensstil gemäß entsprechend ausgestattete Räumlichkeiten vor. Die zur damaligen Zeit modernen Beschäftigungstherapien wie Kunst- und Bewegungstherapie waren fester Bestandteil der Behandlung. Ausgedehnte Park- und Waldanlagen zwischen den Gebäuden bis hin zum Silberberg ermöglichten kurzweilige Spaziergänge im Freien und boten für die oft sehr musisch begabten Patienten ein die Sinne und Lebensfreude anregendes Ambiente.
Der Gründer und seine Nachfolger
1855 in Ahrweiler geboren, studierte Carl von Ehrenwall Medizin in Würzburg und Breslau und erhielt seine neurologische Ausbildung in den „Irrenanstalten“ von Leubus und Eichberg sowie nach Staatsexamen und Promotion 1879 als Assistent von Professor Oscar Berger in Breslau.6) Bereits während dieser Ausbildungszeit eröffnete Carl von Ehrenwall zusammen mit dem ehemaligen Klosterbruder der Alexianer in Neuß a. Rh.7), Martin Schadde, und dem praktischen Arzt Dr. Eberhard Feltgen die „Privat-Irrenanstalt“ in der Oberhutstraße 16 in Ahrweiler mit anfänglich 6 Patienten. Die Anstalt umfasste insgesamt drei Häuser, jeweils eines für männliche und weibliche Kranke sowie ein Privathaus. Mit seiner Approbation 1880 übernahm Carl von Ehrenwall zusammen mit seiner Frau Anna, geb. Sturm, die Leitung der Anstalt und begann mit den Planungen für seinen Klinikkomplex. Im Laufe der Jahre enstanden Haupthaus, Kurmittelhaus, Schwimmbad, Villa Sophia, Villa Maria, Villa Griesinger, Ökonomiegebäude, technische Anlagen, ausgedehnte Park- und Waldanlagen. Die letztendlichen Dimensionen des Unternehmens resultierten aus der medizinischen Entwicklung allgemein und der speziellen Versorgungssituation vor Ort und waren von Dr. Carl von Ehrenwall zu Beginn seiner Tätigkeit sicherlich nicht vorhersehbar gewesen. Von Anfang an beabsichtigt aber war das Schaffen einer durch die italienische Kunst inspirierten ästhetisch perfekt gestalteten Gesamtanlage, was durch die zahlreichen erhaltenen Panoramadarstellungen und Architektenpläne belegt wird. Das Erbe fällt nach dem Tode Carl Alexander von Ehrenwalls am 16. Juni 1935 in die Hände seiner jüngsten Tochter Sophie, da Joseph, der einzige Sohn, im 1. Weltkrieg gefallen war. Zusammen mit ihrem Ehemann Dr. Emil Marx gelang es ihr, das Unternehmen über die für die Psychiatrie schwere Zeit des Nationalsozialismus von 1933-45 zu retten und die ihnen zur Behandlung anvertrauten Menschen vor dem Zugriff der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik zu schützen. Stand das Bewahren des Erbes bei Sophie und Dr. Emil Marx im Vordergrund, so begann mit der dritten Generation um Dr. Marianne8)und Dr. Otto Smolenski eine rasante Modernisierungs- und Renovierungsphase der baulichen Gesamtanlage, die bis heute andauert. „Der Ehrenwall baut“ ist ein durchaus gängiger Begriff in Ahrweiler, Investionen in Millionenhöhe flossen der Ahrweiler Wirtschaft zu. Mit der 1972 getroffenen Weichenstellung, dem Eintritt in den Krankenhausplan des Landes Rheinland-Pfalz, erhielt „der Ehrenwall“ den Status eines staatlich anerkannten Krankenhauses, das in den Landeskrankenhausplan integriert wurde. Dr. Otto Smolenski gelang es als medizinischem Leiter der Klinik in zahlreichen Vorträgen und Beiträgen im Kreis Ahrweiler auf die Bedeutung einer gezielten medizinischen Versorgung psychisch Kranker aufmerksam zu machen und die Behandlung mit Psychopharmaka einzuführen.
Mit Dr. Christoph Smolenski, der mit seiner Frau Dr. Susanna 1983 in die Klinik eintrat und in den 1990er Jahren deren Leitung übernahmen, sind die Zeichen weiterhin auf eine Klinikpolitik ausgerichtet, die der neuesten medizinischen und gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt. Die 1999 in Betrieb genommene Tagesklinik „Haus Mühle“ ermöglicht eine psychiatrisch-psychotherapeuthische Behandlung des Patienten ohne stationären Aufenthalt und stellt einen unverzichtbaren Behandlungsfaktor im Kreis Ahrweiler dar, ergänzt durch die psychiatrische Institutambulanz, die in dem neuen Ambulanzgebäude mit Notfallaufnahme ihren Platz gefunden hat. Im Jubiläumsjahr bietet „der Ehrenwall“ ein komplettes psychiatrisch-psychotherapeutisches Angebot, dessen medizinische Kompetenz durch Kooperationsverträge mit dem Krankenhaus Maria-Hilf weiter ausgebaut wurde9) und wird: Seit zwei Jahren betreut die Klinik die Schlaganfalleinheit im Krankenhaus Maria Hilf durch neurologische Spezialisten. Im Oktober 2002 wird mit dem gleichen Haus ein psychosomatisches Angebot eingerichtet.
Teilansicht der Ehrenwall’schen Klinik, 2002
Anmerkungen:
- F. Nasse gründete seine Klinik 1847 in Berlin und vertrat eine Behandlung der Patienten ohne Zwangsmittel.
- M. Jacobi gründete seine Abteilung für psychisch Kranke 1825 in Siegburg und hielt die Anwendung von Zwangsmitteln für nicht unumgänglich.
- Leibbrand-Wettley, Annemarie: „Die Stellung des Geisteskranken in der Gesellschaft des 19. Jhs.“: In: Artelt, Walter: Der Arzt und der Kranke in der Gesellschaft des 19. Jhs.“, Stuttgart 1967, S. 50-69. (Symposion Frankfurt a. M. 1963).
- Wilhelm Griesinger (1817-1868) war in Friedrichshafen, Tübingen, Kiel und Berlin tätig, war Direktor der medizinischen Schule in Kairo und Leibarzt des Vizekönigs von Ägypten. Seit 1854 Prof. für Medizin. Gründete in Berlin das „Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheit“.
- Die Grundsteinlegung des Haupthauses erfolgte am 8. März 1882, im November 1882 war der Zentralbau bereits fertiggestellt.
- Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und Psychisch-Gerichtliche Medizin, Berlin, Leipzig 1927, S. 174; Kreuter, Alma: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater, Bd. 1, München, Paris 1996, S. 281/282.
- Die „Heil- und Pflegeanstalt St. Alexius“ in Neuß a.Rh. ist nach Erlenmeyer eine der frühesten Heilanstalten des Rheinlandes.
- Die Enkelin Carl von Ehrenwalls, Frau Dr. Marianne Smolenski, geb. Marx übernimmt nach dem Tode ihrer Mutter 1967 die wirtschaftliche Leitung der Klinik.
- Die Fakten zur aktuellen Situation sind der Rede Dr. Christoph Smolenskis anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „125 Jahre Dr. von Ehrenwall’sche Klinik – 125 Jahre Psychiatrie im Ahrtal“ am 21.7.2002 entnommen.
Literatur:
- Bellin, Karen: Der Aufbau des medinzinischen Betreuungssystems für psychisch Kranke in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jhs. In: Psychiatrie, Neurologie, medizinische Psychologie, 1989.
- Bodamer, Joachim: Zur Entstehung der Psychiatrie als Wissenschaft im 19. Jh. In: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie, 21. Jg., Nov. 1953, Heft 11.
- Erlenmeyer, Albrecht: Beiträge zur Geschichte der Rheinischen Privat-Irren-Anstalten und ihrer Gründer. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und Psychisch-Gerichtliche Medizin. Berlin/Leipzig 1927, S. 139-198.
- Haisch, Erich: „Unterbringung und Pflege der „Geisteskranken in der Vergangenheit“, S. 3142. „Die Entwicklung der psychiatrischen Behandlungsmethoden“, S. 3155. Geisteskrankheit und Rechtspflege“, S. 3168. In: CIBA-Zeitschrift Nr. 95, Bd. 8, Wehr/Baden 1959.
- Leibbrand-Wettley, Annemarie: Die Stellung des Geisteskranken in der Gesellschaft des 19. Jhs. Studien zur Medizingeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Bd. 1., Stuttgart 1967.
- Schriften der Dr. von Ehrenwall´schen Klinik Ahrweiler: Dr. von Ehrenwall´sche Klinik 1877 – 1977. Entstehung und Entwicklung der Dr. von Ehrenwall´sche Klinik 1976. Zur Entstehung der Villa Griesinger später Schlößchen Klinik genannt, 1988.
- Seidler, Eduard: Geschichte der Medizin und der Krankenpflege. Stuttgart 1966 (Kohlhammer).