Der Regierungsbunker im Ahrtal – Marienthal als „Regierungssitz“
Presse, Funk und Fernsehen haben es inzwischen mehr als gelüftet, das über 40 Jahre lang gehütete Geheimnis des Regierungsbunkers im Ahrtal. Das heißt aber nicht, dass zu diesem Thema schon alles gesagt wurde. Vor allem zur Vorgeschichte, zur Entstehung und über den „Nachlass“ dieser monströsen Anlage sollte noch einiges der Nachwelt erhalten werden.
Von Bemühungen und Plänen zur Realsierung eines „Bunkermuseums“ in einem kleinen Reststück dieses Bauwerks aus den Zeiten des „Kalten Krieges“ war ja wiederholt in der Presse zu lesen. Eine solche Präsentation würde ich persönlich als ehemaliger stellvertretender Oberbauleiter des Bunkerbaus sehr begrüßen.
Zu den Anfängen des Regierungsbunkers
In der Planungsphase des Regierungsbunkers ab 1958 firmierte das streng geheime Projekt unter dem unverdächtigen Decknamen „Anlagen des THW“, denn im ehemaligen Kloster Marienthal war ja die THW-Bundesschule untergebracht. Zu deren Übungsbereich gehörten damals zwei funktionslose Eisenbahntunnel von je circa 1100 m Länge. Sie stammten aus dem Bau einer geplanten, jedoch nie fertiggestellten strategischen Eisenbahnlinie.
Diese beiden Tunnel aus der Zeit des Ersten Weltkrieges sollten die Ausgangsbasis für den Bunkerbau bilden. Sie wurden als bautechnische Basis eingestuft für einen eventuellen kriegsnotwendigen „Ausweichsitz“ für alle Verfassungsorgane des Bundes.
Der Haupteingang „Ost/west“, 2002
Während des Zweiten Weltkrieges hatten diese Großhohlräume im Schiefergebirge der Ahrberge als Waffenproduktions- und Luftschutzräume gedient. Nach dem Krieg hatten die Alliierten dann verfügt, beide Tunnel an insgesamt 10 Stellen und an den Tunnelmündern durch Sprengung der Bruchsteinauskleidung unbrauchbar zu machen.
Es kursierten Gerüchte, wonach die Sprengungen infolge übermäßigen Rotweinkonsums der Sprengkommandos nur unzureichend gelungen waren. Dies bewahrheitete sich im Jahre 1958. Damals erstellte der Verfasser zusammen mit seinen Helfern und mit Unterstützung der THW-Schule eine Bestandsaufnahme der Tunnelanlagen. In beiden Tunnels waren außer zahllosen Kontrollen der Einhaltung des Regelprofils (alte Reichsbahn-Maße) sämtliche Besonderheiten einzumessen, wie Streckengeher-Nischen, Tropfstellen, Risse, ehemalige Maschinen-Fundamente und – an allen Sprengstellen – die geologischen Gegebenheiten der Felsformation. Die dabei gewonnen Erkenntnisse wurden zu Papier gebracht und stellten die Generalplanungs-Grundlage für den Bunkerbau dar. Für diese ersten Maßnahmen hatten die THW-Leute die zum Teil einsturzgefährdeten Sprengungsbereiche weitgehend gesichert.
Im Jahre 1959 erfolgte dann die Sanierung der lädierten Auskleidungen der Tunnelanlagen. Der Weg war nunmehr frei für weitere planerische Aktivitäten. Auch wurden die Ausschreibungen für die umfangreichen Bau- und Ausbauleistungen getätigt.
Der vom THW zugebaute Tunnelmund „Ost/west“, 1958
Natürlich galten in allen Bereichen, die mit dem Bau des Bunkers zusammenhingen, für alles Wissen und Tun strengste Geheimhaltungsvorschriften und besondere Verhaltensweisen. So wurde zum Beispiel für die Ausarbeitung der Rohbau-Blankette ein externes Büro in Köln angemietet, denn jeglicher Kollegen-Kontakt sollte während der Arbeit unterbleiben.
Es ging soweit, dass man kaum selbst wissen durfte, womit man es zu tun hatte. Selbstverständlich blieben auch Familie und Freundeskreis von jeglicher einschlägigen Information „verschont“. Dies war in mehr als 10jähriger Bauzeit für alle Beteiligten nicht immer ganz einfach. Zu allem Übel kam auch noch das Verbot, nicht in das Gebiet des Ostblocks, einschließlich der damaligen DDR, zu reisen. Wie man sagte, geschah dies „zur eigenen Sicherheit“, um nicht an den Grenzübergängen ausgefragt zu werden.
Großbaustelle Marienthal
Der kleine Winzerort Marienthal an der Ahr, am und im Kratzenbachtal gelegen, sollte also nun zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert Zentrum eine Großbaustelle werden. Und das mit allen zwangsläufigen Begleiterscheinungen eines solchen Projekts: Materialanlieferungen im großen Stil, Erdbewegungen, Lagerung von Baumaterial, Einsatz von vielen hundert Arbeitern im engen Ahrtal etc. Eine Material-Schwebebahn zwischen dem provisorischen Bahnanschluss Marienthal und dem zentralen Mischplatz sowie provisorische Baustraßen milderten diese „Nebenwirkungen“ nur zum Teil.
Anfang November 1959 standen die beauftragten Rohbau-Unternehmen für die östliche Hälfte der insgesamt rund 19 Kilometer langen Gesamtanlage fest. Eine ARGE (Arbeitsgemeinschaft) aus zahlreichen namhaften deutschen Bauunternehmungen wurde gebildet und die Arbeit der Ober- und Bauleitungen konnten vor Ort beginnen.
An den Wirtshaustischen der Dörfer im Ahrtal brodelten die Gerüchteküchen über dieses „Kuckucksei“, aber man hielt sich damals bei allen Äußerungen gemessen zurück, denn es kam ja auch Hoffnung auf gutbezahlte Arbeit auf. Viele Arbeiter aus dem Ahrtal fanden hier über Jahre hinweg eine lukrative Beschäftigung. Eine große Zahl wurde anschließend sogar als Personal in die fertige Bunkeranlage übernommen.
Der zerstörte
Tunnelmund „West/west“, 1958
Ein Team aus Spezialisten des Bergbaues, des Ingenieurbaues, der Klima-, Strom-, Wasser- und Abwassertechniken erarbeitete ausgereifte Vorschläge zum Ausbau der vorhandenen Bausubstanz und für die umfangreichen Ergänzungsbauwerke, die in bergmännischem Vortrieb zu erstellen waren.
Die Planungsvorgaben
Das Programm für diese kriegstaugliche Büro-, Wohn- und Versorgungsanlage, etwas anderes sollte es ja letztlich nicht werden, lautete eindeutig: 3000 Menschen sollen 30 Tage lang nach einem anzunehmenden Atomschlag ohne jede Verbindungen oder Versorgungslinien zur Außenwelt in einer geschützten Anlage leben und arbeiten können. Für den anzunehmenden Katastrophenfall, dass die Anlage teilweise zerstört werden sollte, musste jeder der fünf autarken Abschnitte ohne die Hilfe der benachbarten Anlagenteile voll funktionsfähig bleiben.
Ein Haupteingang fährt auf, 2002
Zwischen den beiden Hälften „Ost“ und „West“ des Bunkers sollte in etwa 60 m Tiefe unter dem Tunnelniveau ein fußläufiger Verbindungsgang die persönliche und technische Kommunikation möglich machen. Für zwei Personenaufzüge (notfalls Treppenläufe) in dieser Tiefe waren entsprechende Schächte abzuteufen. Für nicht auszuschließende Notsituationen sollten an 36 Stellen des bebauten Gebietes Fluchtwege mit Notausstiegen vorgesehen werden, deren „Deckel“ in unvorstellbar kurzer Zeit (Millisekunden) verschließbar waren.
Schließlich sollten auch alle Bauwerke „übertage“ durch dichten Baum- und Strauchbewuchs möglichst unsichtbar sein.
Zur etwaigen Beweissicherung in Streitfällen bei der Abnahme und Abrechnung der Bauleistungen hatte die Oberbauleitung den Auftrag, den gesamten Bauablauf fotografisch zu dokumentieren. Diese Aufgabe wurde allein dem Verfasser übertragen. So entstanden im Laufe der Jahre mit versiegelter Kamera unter Beobachtung durch das Bundeskriminalamt mehr als 2000 Fotos, die inzwischen in irgendeinem amtlichen Archiv lagern.
Zum Bau
In der Bauzeit von 1958 bis 1972 – sie fand mit dem Abschnitt „West/west“ nahe Dernau ihren Abschluss – gab es keine spektakulären Ereignisse. Ein untertägiger „Verbruch“ und ein übertägiger „Tagesbruch“, jeweils ohne Personenschäden, gehörten zu den unvorhergesehenen Unregelmäßigkeiten. Dass trotz aller Arbeitsschutzmaßnahmen einige Todesfälle zu beklagen waren, soll aus Gründen des Mitgefühls mit den Angehörigen nicht verschwiegen werden. In allen Fällen war aber menschliche Unzulänglichkeit die Ursache.
Nach statistischer Erfahrung ist dies leider bei solchen großen und verzweigten Baustellen nicht auszuschließen.
Das Ergebnis der umfangreichen Planungs- und Bauarbeiten in den Büros der Fachingenieure und an der Baustelle war ein gitterartiges, gegen Bergwasser isoliertes teilweise zweigeschossiges Röhrensystem auf der Ebene der übernommenen alten Eisenbahntunnel. Die Ausführung erfolgte in hochwertigem Stahlbeton. Die Nutzungsbreiten liegen von zwischen 7,00 m in den Technikstollen und minimal 1,25 m in den Fluchtwegen nach übertage.
Die Übertagebauwerke liegen weit verstreut in der Ahrtal-Landschaft, manche versteckt in undurchdringlichem Baum- und Strauchbewuchs, einige aber auch, wenig getarnt, im Bereich dörflicher Bebauung.
Die Dimension der Anlage sollen einige ausgewählte Daten verdeutlichen:
So betrug die bundeseigene Grundstücksfläche für alle „Außenbauwerke 188.023 qm, die Längenausdehnung aller Bauwerke lag bei 19 km, die Fläche der unterirdischen Bauten umfasste etwa 83.000 qm, der umbaute Raum etwa 367.000 Kubikmeter.
Die 5 autarken Bauteile waren jeweils für 600 Personen ausgelegt. Eine Versorgung war für insgesamt 3.000 Personen für 30 Tage möglich.
Im Bunker befanden sich 936 Schlafräume, 897 Büroräume , 5 Großkantinen, 5 Kommandozentralen, 5 Sanitätsbereiche, Druckerei, Friserusalon, Ersatzteillager, Nahrungsmittellager, Treibstofflager, Ver- und Entsorgung für Strom, Wasser, Luft. Insgesamt wies die Anlage etwa 25.000 Türen auf.
Rückbau: Ausbau der Sanitäranlagen, 2002
Als spektakuläre Besonderheiten seien noch zu erwähnen: die 8 supermassiven gegenläufig verfahrbaren gasdichten Hauptstollen-Verschlusstore, bei deren beweglicher Funktion markerschütternde Huptöne erschallen. Schließlich gab es vor der Ausräumzeit einige der 15 bunt lackierten Schiffsdiesel – Stromgeneratoren zu bewundern und – über dem Bereich „Bundeskanzler“ den sogenannten „Papstfinger“ – eine nach dem „Ernstfall“ ausfahrbare Teleskop-Antenne von beträchtlicher Länge.
Mit dem insgesamt herausgesprengten Haufwerk wurde der mittlere Abschnitt des Kratzenbachtales so aufgefüllt, dass hier eine große Ebene, der Sonne zugewandte Bewirtschaftungsfläche für die staatliche Weinbaudomäne entstand, in den Augen der Steilhang-Winzer ein ungewöhnliches Filetstück. So manches Tröpfchen ist dort inzwischen schon gereift. Für den dadurch auch verschwundenen Fischzuchtteich wurde ein Stück bergauf ein größerer Ersatzteich angelegt, der ein idyllisches Biotop entstehen ließ.
Das Ende des Regierungsbunkers
Am 9. Dezember 1997 beschloss das Bundeskabinett, den „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ aufzugeben, so dass ab diesem Zeitpunkt die streng gehüteten Geheimnisse der Anlage offengelegt werden konnten. Gesucht wurden Interessenten für neue, auch völlig andere Nutzungen des Bunkers. Voraussetzung war, dass sie zu einer
langfristigen Unterhaltung des Bauwerks in der Lage waren. Die europaweit aufgelegte Werbekampagne verlief jedoch erfolglos. Man scheiterte an den aktuellen Sicherheitsrichtlinien und Umweltgesetzen (Stichwort Brandschutz), deren Befolgung zu unvertretbar hohen Investitionskosten führen würde.
Also nahm das Schicksal seinen Lauf. Es blieb dem Eigentümer, der Bundesrepublik Deutschland, nichts anderes übrig, als den kompletten „Rückbau“ auszuschreiben.
Seit Jahresbeginn 2002 wird nun die „Zweckruine“, die inzwischen auch kriegstechnisch überholt ist, „abgewickelt“.
Hinter hohen Bretterzäunen auf dem ehemaligen Zentralplateau wird der herauszuholende Gesamtinhalt der Räume, inclusive Wand- und Schutzanstriche sowie Bodenbeläge, peinlich genau sortiert und vorschriftsmäßigen Entsorgungsverfahren zugeführt.
In großem Verantwortungsbewusstsein sollen auch für fernste Zeiten unserer Nachwelt keine schadstoffbelasteten Bergwässer zugemutet werden, denn die zurückbleibenden Großhohlräume unter den Weinbergen werden sich in den kommenden Jahrhunderten zwangsläufig mehr oder weniger mit Sickerwasser füllen und in etwa die Funktion von Karst-Höhlen übernehmen.
Bis zum Jahre 2005 sollen bauliche Spuren der Gesamtanlage, sofern sie in der Landschaft sichtbar sind, unter neuer Begrünung verschwunden sein. In Anbetracht der z. T. meterdicken Massenbeton-Übertage-Bauwerke in hochfester Betongüte wird sich, falls deren Beseitigung infrage kommt, so manche Abbruchmaschine die Zähne ausbeißen.
Der Verfasser blickt zurück auf eine etwa 10jährige Mitarbeit an einem bis dahin wohl beispiellosen Projekt und Objekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
In der Rückschau kommen aber auch mitunter leise Zweifel auf, ob das alles so richtig, notwendig und zweckmäßig war. Die Geschichte lehrt uns aber an zahlreichen Beispielen, dass „Drohgebärden“ und „Säbelrasseln“ schon immer zum Kriegshandwerk und zur Vorbereitung von Kriegen gehörten. Der Regierungsbunker entsprach einer solchen, wenn auch kostspieligen Drohhaltung.
Noch ein Letztes: Der Verfasser verbürgt sich dafür, dass an dem Gerücht, es sei auch ein geheimer unterirdischer Gang zu damaligen Bundeshauptstadt Bonn hergestellt worden, kein Wörtchen wahr ist.