„Tach ihr Amis, sed ihr endlo do!“ Rheinischer Frühling vor 60 Jahren: Die Amerikaner treffen auf Mr. Joseph
Der 7. März 1945: die Amerikaner am Rhein! Die Nachkriegsgeborenen und deren Nachkommen wissen von dem Endkriegsgeschehen, wie es sich damals, vor nunmehr sechzig Jahren am Rhein, genauer in Remagen am Rhein, darstellte, nur aus Erzählungen und aus der Literatur. Sechzig Jahre, das ist eine lange, sehr lange Zeit. Und auch in der Erinnerung der Alten ist vieles inzwischen entschwunden oder verdrängt. Die Ereignisse um die Eroberung der Brücke von Remagen werden zwar auch heutzutage immer mal wieder ins Gedächtnis zurückgerufen, wenn im Fernsehen in der xten Wiederholung wieder der Jahre später entstandene Spielfilm „Die Brücke von Remagen“ gezeigt wird. Ein Film, der zweifellos viel Spannung besitzt, aber dennoch zu sehr Hollywood ist, um mit den tatsächlichen Ereignissen außer dem Handlungshintergrund ansonsten viel zu tun zu haben. Ein Relikt aus jenen dramatischen Remagener Frühlingstagen bewahrt jedoch bis heute den originalgetreuen historischen Vorgang am 7. März 1945. Das ist das dank der Initiative des früheren Remagener Bürgermeisters Hans Peter Kürten in den linksrheinischen Türmen der ehemaligen Eisenbahnbrücke entstandene Friedensmuseum. In den letzten Jahren komplett neu konzeptiert und neu gestaltet ist es immer wieder lohnend, diesem steinernen Zeitzeugen einen Besuch abzustatten. Viele Sommergäste am Rhein, namentlich amerikanische Besuchergruppen auf ihren „European Battlefield Tours“, machen Gebrauch davon. An Hand von eindrucksvollem Bild- und Tonmaterial zurückblicken in ein Kapitel Zeitgeschichte, das mit dem Remagener Rheinübergang amerikanischer Truppen am 7. März 1945 eine neue Epoche deutscher Geschichte einleitete, die aus dem Terror und der Diktatur eines verbrecherischen und menschenverachtenden Systems in den freiheitlich-demokratischen Staat Bundesrepublik Deutschland führte. In diesem Beitrag soll den zahlreichen Publikationen um die Eroberung der Brücke von Remagen nicht eine weitere hinzugefügt werden. Das Thema ist in der Nachkriegsliteratur hinreichend behandelt worden. Aber eine Episode in diesem zeithistorischen Kontext fehlt bisher, vielleicht weil sie zu anekdotisch anmutet. Aber gerade deshalb, so findet jedenfalls der Autor, gerade wegen ihrer zweifellos heiterer-heiternden Note sollte auch diese Remagener Episode festgehalten werden. Sie ist zugleich symptomatisch für die urrheinische Mentalität der Menschen in unserer Region, selbst in schweren Zeiten den angeborenen Mutterwitz nicht zu verlieren. „Me senn noch emol dovunn jekumme on et wid schon widde besse wäde!“
Hat sich nun diese Begebenheit, von der hier jetzt die Rede sein soll, wirklich so abgespielt, wie sie kolportiert wird? Der Autor hat vor etlichen Jahren aus Anlass einer deutsch-amerikanischen Begegnung an der Remagener Brücke den ehemaligen US-Sergeanten Alex A. Drabic aus Toledo/Ohio kennengelernt, der damals mit seiner Gruppe als erster US-Soldier die unzerstörte Brücke überquert und das rechtsrheinische Ufer erreicht hat. Man kam ins Gespräch und Mr. Alex Drabic erzählte mit einem unverkennbaren Grinsen, was er als seine damalige deutsch-amerikanische Begegnung beim Vorstoß auf Remagen in Erinnerung behalten hat. Etliche alteingessene Remagener haben dem Autor übrigens später Drabics Darstellung bestätigt. „Jo, su eß dat jedefalls späte imme widde verzällt worde.“ Kurzum: Am Morgen des 7. März 1945 bewegte sich von Meckenheim her kommend eine Vorausabteilung der Kampfgruppe B der 9. US-Panzerdivision unter dem Kommando des deutschstämmigen 1922 in Frankfurt/Main geborenen Leutnants Karl Heinz Timmerman mit ihren Sherman-Panzern vorsichtig auf der Birresdorfer Straße in Richtung der Rheinhöhen über Remagen. Es handelte sich dabei um die A-Kompanie des 27. PzGrenBtl., deren Führung der aus West Point/Nebraska stammende Ltn. Timmerman erst am Vortag übernommen hatte. Hinter einer langgestreckten Kurve der beidseitig von Wald gesäumten Straße sahen die Amerikaner plötzlich auf der linken Seite ein größeres Gebäude. Davor stand unbeweglich ein älterer Mann und sah ihnen entgegen. Die Panzer stoppten, bildeten einen Halbkreis und richteten ihre Gefechtstürme drohend auf Gebäude und Mann. Es dauerte eine ganze Weile, bis vier GI’s aus einem der hinteren Panzer ausstiegen und mit ihren Maschinenpistolen nach allen Seiten sichernd auf den Mann zugingen. Sergeant Alex Drabic war einer von ihnen. Er verstand kein Deutsch und wusste nichts mit dem anzufangen, was der Mann ihnen zurief. Der Mann, das war offenbar der alte Herr Josef Allmang, Inhaber des an der Birresdorfer Straße über Remagen gelegenen bekannten Ausfluglokals „Waldschlösschen“. Alex Drabic sprach jedenfalls später bei seiner Unterhaltung mit dem Autor von einem Mr. Joseph. So habe er den Namen jenes Mannes in Erinnerung. Sergeant Drabic fühlte sich, seiner Erzählung nach, bei dieser Begegnung am Morgen des 7. März 1945 sehr unsicher, war überaus nervös und fuchtelte mit seiner MP vor Herrn Allmang herum. Der jedoch habe keinerlei Nervosität gezeigt, sondern stattdessen seinen für Drabic unverständlichen Wortschwall wiederholt. Das währte einige Minuten, bis schließlich Leutnant Timmerman seinen Führungspanzer verließ und nicht weniger vorsichtig, ebenfalls seine Maschinenpistole schussbereit im Anschlag, hinzutrat. Der fließend deutsch sprechende Leutnant Timmerman beherrschte zwar nicht die rheinische Mundart, aber er mutmaßte jedenfalls, was Josef Allmang ihm und seinen Kameraden gestenreich zu verstehen gab. „Tach, ihr Amis. Sed ihr endlich do. Wo blievt ihr dann su lang. Ech hann schon de janze Morje ob üch gewaad!“ (Ins Rheinische rück-übersetzter Original-Wortlaut Josef Allmang.) Leutnant Timmerman überwand seine Überraschung und sagte: „Sind Sie allein hier? Sind keine deutschen Soldaten im Haus? Keine Waffen oder andere militärische Sachen?“ „Ne, ne“, antwortete Josef Allmang. „Nix Soldate. Die senn längs fott. On em Huus senn nur ming Frau on de Kende.“ Und dann fügte er mit einer einladenden Handbewegung hinzu: „Kutt doch erenn on dann trinke me zuiech e jood Flächje Wing. Dann könnt ihr wiggerfahre, do ronde wo de Rhing eß.“ „Und, sind Sie der Einladung gefolgt und haben was getrunken?“ hat sich der Autor bei Mr. Drabic erkundigt. Der hatte immer noch sein heiteres Grinsen im Gesicht. „Ja“, sagte er, „haben wir, nachdem wir vorher das ganze Haus von unten bis oben durchsucht hatten. Und von dem Wein haben wir natürlich auch erst dann getrunken, nachdem der Mister Joseph die von ihm geöffneten zwei, drei Flaschen vorgekostet hatte.“ Soweit also die Episode, die der Veteran Alex Drabic bei seinem Nachkriegsbesuch an der Remagener Friedensbrücke dem Autor zum Besten gab. Die Beiden, der Autor und er, haben sich angesehen, gegenseitig auf die Schulter geklopft und schallend gelacht. Deutsch-amerikanische Begegnung 1995! Dem Autor fiel dabei spontan eine andere Geschichte aus dem urrheinischen Mentalitätsfundus ein, die zwar schon lange zurückliegt, aber in Köln bis heute noch immer wieder schmunzelnd erzählt wird. Als Anno 1794 französische Revolutionstruppen auf Köln vorrückten, riefen ihnen etliche Kölsche Funke, die auf den Bastionen der Stadtmauer Wache standen, lautstark entgegen: „Sed Ihr dann knatsch verdötscht, Ihr Jecke. Hürt op ze scheße. Siht Ihr dann net, dat he Minsche stonn!“ Doch zurück zu jenem frühlingshaften Märztag 1945. Da ist nämlich noch etwas passiert. Bei ihrem weiteren Vordringen von der Höhe hinunter in den Remagener Ortskern und weiter bis zur Brückenrampe hat einer von Leutnant Timmermans Panzern am Remagener Bahnhof gestoppt und das Bahngelände durchsucht.
„Wir haben einen deutschen General gefangengenommen“, meldeten die GI’s voller Stolz über Funk zurück bis hin ins Hauptquartier des Kommandeurs der 9. US-Panzerdivision, Generalmajor John W. Leonard, in Bad Münstereifel.
Nur – es war kein deutscher General! Es war vielmehr der ganz und gar unmilitärische Remagener Bahnhofsvorsteher, den die unbedarften Amis wegen seiner Dienstkleidung und seiner goldbetressten Dienstmütze tatsächlich für einen General gehalten hatten.