Die St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler während der NS-Zeit. Zwischen Anpassung und Widerstand
Einer meiner verehrten Vorgänger im Amt des Chronisten, Johannes Roth, stellt am Patronatsfest 1975 fest, die St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler habe sich während der NS-Zeit in einer Art Untergrund oder innerer Emigration befunden. Die Schützen als Widerstandskämpfer? Spätere Redner gingen soweit zu behaupten, die Ahrweiler Schützen seien verboten gewesen. Das Vereinsleben habe nur noch an geheimen Stammtischen stattgefunden. Vor ein paar Wochen schrieb Gustav Schneider erst im „Schützenbruder“: „Die der Erzbruderschaft angeschlossenen Schützenvereinigungen wurden mit einem Betätigungsverbot belegt.“ Was ist hier Tatsache, was ist fromme Legendenbildung?
Die Gleichschaltung
Nach umfangreichem Aktenstudium in unserem neu geordneten Archiv entsteht ein sehr differenziertes Bild. Sofort nach der Machtübernahme versuchen die Nazis, alle Parteien und Vereine gleichzuschalten und nach dem Führerprinzip von oben her in den Würgegriff zu bekommen. Alle Schützengesellschaften müssen sich unter den Dachverband des Deutschen Schießsport-Verbandes stellen. Dazu heißt es im Protokoll der Verwaltungsrats-Sitzung vom 24. Feb. 1934: „Nach den neuen Bestimmungen der Erzbruderschaft vom hl. Sebastian (die Ahrweiler Schützen 1928 mit gegründet haben/ heute Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften) muß ein Vereinsführer gewählt werden, welcher die weiteren Vorstandsmitglieder ernennt. (Damit ist der VWR zunächst abgesetzt.) Als solchen Schützenführer schlägt Kassierer Eduard Kirfel den bisherigen, bewährten Hauptmann Toni Jarre vor. Der VWR beschließt einstimmig demgemäß: Herr Jarre soll der Erzbruderschaft als Hauptmann und Schützenführer benannt werden.“ Dem Wortlaut der Anordnung von oben war damit kurz und schmerzlos Genüge getan; praktisch blieb alles beim alten, denn Schützenführer Jarre beruft die alten Verwaltungsratsmitglieder wieder in ihre Ämter.
Das Verbot der Erzbruderschaft vom hl. Sebastian
Die Erzbruderschaft vom hl. Sebastian teilt in einem Schreiben vom Januar 1936 mit, dass im laufenden Jahr die Bruderschaft in den Reichsbund überführt werden solle. Man habe aber durch zähe Verhandlungen erreicht, dass der Reichssportführer die wesentlichen religiösen und traditionellen Aspekte sichern und achten will. Die Begleitung der Fronleichnamsprozession durch Schützen in Uniform, der feierliche Kirchgang am Patronatsfest und alle kirchlichen Aufzüge, Ehrendienste und Beerdigungen, Aufstellung und Segnung der Fahnen in der Kirche, die schönen alten Schützenfeste und Kirmessen, Patronatsfest und Prunkfeiern werden verbindlich zugesagt. Die Erzbruderschaft wird sogar für ihre Verdienste um das Schützenwesen vom Führer mit dem silbernen Reichsadler ausgezeichnet.
Was aber gilt das Wort eines Diktators, die Zusage eines Despoten? Nur zwei Monate später sind alle Zusagen Makulatur. Die Erzbruderschaft wird am 6. März 1936 durch die Geheime Staatspolizei verboten. 1937 wird vom Deutschen Schützenverband Vollzug gemeldet. Alle deutschen Schützenvereine sind gleichgeschaltet.
Schützenbild der St. Sebastianus-Bürgerschützen-Gesellschaft Ahrweiler, 1930
Der Weg zur Wehrertüchtigung
Damit wird auch für die Bürger-Schützengesellschaft der Boden heiß. Es folgen viele Fragebögen, die alle das Ziel einer Wehrertüchtigung haben, also die Gesellschaft zu einem Schießsportverein drängen wollen. Dazu bedarf es aber auch einer neuen Satzung, die natürlich, von oben vorgedruckt, unterschrieben werden muß. Im § 2 heißt es: „Der Verein bezweckt die leibliche und seelische Erziehung seiner Mitglieder im Geiste des nationalsozialistischen Volksstaates durch planmäßige Pflege der Leibesübungen, insbesondere des Schießsportes.“ Der Hauptmann ergänzt dazu handschriftlich: „Der Verein läßt sich zur Erreichung seiner Ziele auch die Pflege einer wahren Volksgemeinschaft, einer treuen Vaterlandsliebe, sowie die Erhaltung alter Traditionen, Sitten und Gebräuche angelegen sein.“ Man hofft so, die alten religiösen Strukturen bewahren zu können.
Hauptmann Jarre meldet nach oben, dass die Ahrweiler Schützen über keine eigene Waffen noch über einen Schießstand verfügen, erhält aber am 20. Januar 1937 die Mitteilung, dass die Bürgerschützen nun offiziell als Mitglied des Deutschen Schützenverbandes gelten. Da Ahrweiler im Kreis der größte Schützenverein war, sollen wir auch Führungspersonal stellen. So wurde der Schützenbruder Josef Mertens zum Unterkreis-Schützenführer vorgeschlagen. Josef Mertens erhielt ein Schreiben, in dem seine Ernennung abgelehnt wurde, weil „Ihr Verein sich bisher im sportlichen Schießen nicht betätigt hat. Es wird befürchtet, daß bei Ihnen das sportliche Schießen nicht in dem Maße gefördert würde, wie dies heute gefordert wird. Heil Hitler, Hörter“
Ende 1938 wird den Bürgerschützen der Schießstand „Hinter Girenzheim“ der so genannte SA-Schießplatz zugewiesen. Gleichzeitig muss jeder Schützenbruder unter 45 jährlich an mindestens 2 Schießübungen teilnehmen. Bei diesen Schießübungen, die im Rahmen die Winter-Hilfswerkes für alle offen standen, gewann in der Regel Hanni Kreutzberg, die Mutter von Professor Dr. Bernhard Kreutzberg.
Der Kampf um die Fronleichnamstradition
1938 aber wird es wirklich ernst. Die Begleitung der Fronleichnamsprozession durch die Schützen, nachweislich seit dem 15. Jahrhundert in Ahrweiler jährlich der Höhepunkt des Schützenjahres, wird verboten. Dennoch gelingt es Hauptmann Jarre vom damaligen Kreisleiter Meink eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Der Eklat ist da. Die Geheime Staatspolizei schaltet sich ein. Bürgermeister Eiden versucht schlaumeierisch die Angelegenheit zu bagatellisieren. Er schriebt an die Gestapo: „Am Fronleichnamstage ziehen die Schützengesellschaften vor dem Auszug der Prozession zu den Stadttoren und erweisen hier lediglich beim Durchzug der Prozession eine Ehrenbezeugung. Ein Begleiten ist früher nicht in Frage gekommen und ist auch in diesem Jahre nicht geschehen. Die Schützengesellschaften feiern am Fronleichnamstage ihr Schützenfest ohne jeglichen Einfluß von kirchlichen Stellen. Er ist bereits vor dem Kriege ein starker Kampf von Seiten der kath. Geistlichkeit geführt worden, die Schützengesellschaften in Ahrweiler zu bewegen die Fronleichnamsprozession zu begleiten. Dies wurde immer wieder abgelehnt. Auch die Bewegung in den Jahren 1925 – 1930 die Schützengesellschaften von Ahrweiler der Erzbruderschaft anzuschließen sind stets fehl geschlagen.“ Das ist natürlich eine Lüge des Bürgermeisters, wahrscheinlich um seine eigene Situation zu verbessern. Aber mit einer solchen Argumentation kann man die Gestapo, die sicherlich auch in Ahrweiler ihre Informanten hatte, nicht überzeugen.
Die Gestapo stellt fest: Der geschlossene An- und Abmarsch der Schützenvereinigungen zur bzw. von der Kirche ist grundsätzlich nicht gestattet. Die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen und Prozessionen ist nicht statthaft. Für das Mitnehmen der alten Vereinsfahnen bedarf es einer gesonderten Genehmigung. Die alte Uniform darf nur mit Genehmigung des Kreisschützenführers getragen werden. Dann müssen alle militärischen Rangabzeichen und Ausrüstungsstücke wie Epauletten, Achselstücke, Säbel, Schärpen etc. entfernt werden.“ Anstelle der alten Vereinsfahne tritt nun die Reichbund-Fahne, die von Eugen Kreutzberg-Renschausen gestiftet und von Nikolaus Kriechel den Schützen voran getragen wird. Wir haben also von 1938 an die Situation, dass es zwei Fähnriche gibt, beide mit Sitz und Stimme im VWR. Der Streit eskaliert weiter. Namens des Gaues Mittelrhein des Deutschen Reichsbundes für Leibessport erhält die Bürger-Schützengesellschaft eine offizielle Verwarnung. Jarre wendet sich nun schriftlich an den Chef des Führungshauptamtes Obergruppenführer Jüttner. Er erklärt ihm die Geschichte der Ahrweiler Schützen und bittet ihn um Unterstützung der alten Traditionen. Es gelingt Toni Jarre, Beispiele zu finden, wo auch Ausnahmegenehmigungen für die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession erteilt worden sind, so z. B. in Neuss und in Korschenbroich. Es gelingt ihm aber nur, eine Genehmigung zur Teilnahme in Uniform an Sterbeämtern und Beerdigungen zu erhalten.
Im Oktober 1939 schreibt Toni Jarre an Hitler persönlich. Natürlich bleibt der Brief ohne Antwort.
Der Austritt des ehemaligen Bürgermeisters und Schützenkönigs Dr. Pomp
Es hat in der Vergangenheit auch Vorwürfe gegen den damaligen Verwaltungsrat gegeben, dieser sei gegenüber den Nazis willfährig gewesen. So habe man den ehemaligen Bürgermeister Pomp, Schützenkönig von 1928, auf Verlangen der Partei aus der Gesellschaft gedrängt. Die Fakten sehen anders aus. Dr. Pomp wurde 1933 von den Nazis aus dem Bürgermeisteramt entfernt. Ein Jahr später schreibt der enttäuschte Dr. Pomp an alle Ahrweiler Vereine und erklärt aus allen seinen Austritt. Der Verwaltungsrat aber beschließt, die Kündigung nicht zu akzeptieren, und Pomp als früheren Schützenkönig auch weiterhin als Mitglied zu führen.
Das Vereinsleben in den letzten Kriegsjahren
Beim Patronatsfest 1944 gab es natürlich auch Ehrengäste. Einer war der damalige Landrat Dr. Simmer, der andere der Kreisleiter Schlieker. Sie erklärten sich in einer Grußadresse spontan zu Mitgliedern der Schützengesellschaft. Diese für die Schützen unangenehmen Spontaneintritte kamen dem Verwaltungsrat sichtlich ungelegen. Beide Anträge haben sich durch Nicht-Bearbeitung selbst erledigt. Jedenfalls befinden sich beide Herrschaften, Landrat und Kreisleiter, nicht in den Protokollen und im Mitgliederbuch unter den 10 Neuaufnahmen des Jahres 1944.
Das Gesellschaftsleben nahm selbst in der Kriegszeit seinen gewohnten Lauf. Das Patronatsfest wurde jährlich mit Kirchgang aber ohne Uniform gefeiert, die großen Schützenfeste allerdings nur bis 1937, am Fronleichnams-Sonntag fand in der Regel die jährliche Generalversammlung statt. Neueintritte wurden bis 1944 getätigt, Beerdigungen in Uniform begleitet. Für die Teilnahme gab es für jeden Schützenbruder eine Flasche Wein. Beim verstorbenen Schützenkönig Mies standen die Schützenbrüder in Uniform Totenwache. Der Weinbau ging seinen gewohnten Weg. Allerdings mussten die Schützen im Krieg die Hälfte der Trauben an die Wehrmacht abführen. Ende 1944 beschloss der Verwaltungsrat in Anbetracht der näher rückenden Front, das Patronatsfest 1945 ausfallen zu lassen. Zur Entschädigung sollte jeder Schützenbruder vier Flaschen Wein, im Winzerverein abzuholen, bekommen. Für Schützenbrüder, die bei der Wehrmacht waren, wurden Bons ausgegeben.
Zusammenfassend kann ich feststellen: Die Ahrweiler Schützen waren niemals verboten. Sie haben auch nicht im Untergrund gewirkt. Sie versuchten aber mit allen ihnen damals zur Verfügung stehenden Mitteln, an der Fronleichnamstradition festzuhalten. Allein das ist aller Ehren wert.
Anmerkung:
Leicht abgeänderter Festvortrag des Chronisten der St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Hans-Georg Klein am Patronatsfest 2005.
Quelle:
Schützenarchiv Nr. H 03; H 04