Von Hochmut, Demut und allerlei Wunderwesen. Die Reliefs des Remagener Pfarrhoftores

Das Pfarrhoftor und seine Deutung

Neben der Remagener Pfarrkirche St. Peter und Paul findet sich mit dem so genannten Pfarrhoftor ein spätromanisches Bauzeugnis, wie es sich ansonsten kaum noch erhalten hat. Dabei folgt seine Architektur einem ehemals weithin üblichen Schema, das eine große rundbogige Wageneinfahrt mit einer kleinen rechteckigen Pforte für Fußgänger verbindet. Das häufig angesprochene Rätselhafte und Geheimnisvolle dieser Toranlage geht von jenen zahlreichen Flachreliefs aus, die ein Steinmetz gegen oder um 1200 aus den Kalksteinblöcken herausarbeitete. Ihren Bildern wollen sich die folgenden Ausführungen widmen.1) 

Seit dem 19. Jahrhundert setzt sich die Forschungsliteratur mit deren Bedeutung auseinander – übrigens völlig zu Recht ungeachtet der Tatsache, dass die Reliefs „ohne große künstlerische Fertigkeit“2) gearbeitet sind. Denn ihren Wert gewinnen sie ohnehin als bemerkenswertes kulturhistorisches Zeugnis der Stauferzeit. Bis heute ist es allerdings nicht gelungen, eine allgemein akzeptierte Gesamtinterpretation vorzulegen. Entweder spricht man den Darstellungen ein übergreifendes Bildprogramm ab oder zu;3) die meisten Autoren vertreten die ers­te Position, während Albert M. Koeniger in einer 1947 publizierten Schrift ein Gesamtprogramm erkennen will, in dem jedes Detail berücksichtigt wird. Sein hochinteressanter Ansatz kann hier nicht ausgiebig kritisch gewürdigt werden; es sei deshalb lediglich darauf verwiesen, dass er in den Bildern eine Darstellung von Lastern und eine Kritik an den mittelalterlichen Ständen sieht – gleichsam als Hinweis und Warnung für die Gläubigen.4)

Koeniger sah sich wie andere Interpreten mit einem Befundproblem konfrontiert: Die teilweise recht rohe Darstellung und starke Verwitterungsspuren erschweren oftmals die Beantwortung der Frage, was der Steinmetz vor 800 Jahren wiedergeben wollte. In diesem Zusammenhang soll hier unberücksichtigt bleiben, dass das Pfarrhoftor erst 1902 beim Bau der neuromanischen Kirche an seiner jetzigen Stelle errichtet wurde. Während seine ursprüngliche Lage nicht unumstritten ist, gilt die Anordnung der Reliefs den meisten Autoren als authentisch. 

Gesamtansicht des rätselhaften Remagener Pfarrhoftores, zu dem es viele Deutungen gibt.

Nach der Klärung dessen, was zu sehen ist, gilt es, sich der möglichen Bedeutung eines jeden Motivs zu widmen.5) Gemäß mittelalterlichen Denkens kannte die romanische Kirchenbaukunst zwar durchaus dekorative Elemente, die keine weitere Bedeutung hatten. Dazu gesellten sich die berühmten Wasserspeier der gotischen Kathedralen, die in Dämonengestalt – auch ohne praktische Funktion – die magischen Vorstellungen verpflichtete Aufgabe hatten, das Böse vom Gotteshaus abzuwehren. 

In den meisten Darstellungen muss man jedoch Sinnbilder sehen, die der biblischen Überlieferung und dem christlichen Heilsplan verpflichtet sind. Dazu zählt unter anderem die so genannte typologische Sichtweise, mit der man das Alte auf das Neue Testament bezog – etwa indem Christus als „neuer Adam“ seine Präfiguration (seine unvollkommenere Vorweggestaltung) im Adam der Genesis findet. 

Die Remagener Toranlage stand zweifellos an exponierter Stelle, wo man den profanen Lebensbereich verließ und sich der heiligen Sphäre näherte. An einem derartigen Schnittpunkt ist mit Darstellungen zu rechnen, die Botschaften christlicher Typologie, Allegorie respektive Symbolik enthalten. Allein indem man diese und das komplexe Gedankensystem des Mittelalters berücksichtigt, kann man sich den möglichen Sinn der Reliefs erschließen.

Alexanders Greifenfahrt am Remagener Pfarrhoftor

Was sicher ist: Alexanders Greifenflug

Das eindringlichste Beispiel dafür bietet das Relief unmittelbar über der rechteckigen Pforte: Dem Uneingeweihten muss es völlig unverständlich sein, während der Kenner darin ein bekanntes Motiv des Mittelalters erkennt. Dargestellt ist nämlich Alexander der Große, der in einem Behältnis sitzt und zwei Greifen Fleischhappen hinhält (hier wohl Ratten). Die Fabeltiere schnappen danach und schlagen mit den Flügeln, wodurch sich das Behältnis samt Herrscher in die Lüfte erhebt. Das Motiv entstammt einem spätantiken Roman über Alexander, der im 10. Jahrhundert vom Griechischen ins Lateinische übersetzt wurde. Dadurch verbreiteten sich die sagenhaften Geschichten des Welteroberers in ganz Europa und erfreuten sich großer Beliebtheit.6)

In Deutschland übersetzte man sie sogar ins Mittelhochdeutsche, so um 1150 im moselfränkischen Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Man schätzte Alexanders Abenteuer in fernen Ländern, wo er allerlei Fabelwesen begegnete, und seinen Himmelsflug, den er aus Neugierde unternahm. Aber aus der christlichen Perspektive sah man darin eine sündhaft anmaßende Handlung und deutete sie als Sinnbild der Superbia, also des Hochmuts und der Hoffart. Diese moralische Interpretation des Motivs nahm unter anderem um 1100 der bedeutende Theologe Rupert von Deutz vor, dessen Lehren im Rheinland wohlbekannt waren. Der Remagener Steinmetz griff deshalb auf ein weit verbreitetes Motiv zurück. Damit verwies er auf das Hauptlaster schlechthin – den Hochmut, die Wurzel allen Übels. 

Bemerkenswert ist im Übrigen die Tatsache, dass ungefähr zeitgleich mit dem Pfarrhoftor die Bauskulptur zweier Kathedralen am Ober­rhein das Motiv von Alexanders Himmelfahrt verwendet: Diese Arbeiten vorzüglicher Qualität finden sich auf Kapitellen von Chorpfeilern des Basler Münsters und als Bildfries im spätromanischen Querhaus des Freiburger Münsters. Das letztere Relief verdient besondere Beachtung, weil in seiner Nachbarschaft zum Teil die gleichen Motive wie in Remagen auftauchen – worauf unten noch eingegangen wird. 

Sirenen, Kreaturen und Laster

Rechts vom Alexanderrelief beginnt der Rundbogen des großen Tores, der aus insgesamt zehn Reliefs besteht. Der bildlose Schlussstein des Bogens stammt angeblich von der Restaurierung des Jahres 1902. Über sein ursprüngliches Aussehen weiß man nichts.

Die Darstellungen geben von links nach rechts folgende Motive wieder: eine Sirene (ein Mischwesen aus weiblichem Oberkörper, Fischschwanz und Vogelfüßen), die ein Ruder hält; eine männliche Sirene bzw. ein Mann mit einem Doppelfischschwanz; ein fischschwänziger Vogel mit einem bärtigen Männerkopf (eventuell eine Harpyie); zwei Vögel (möglicherweise Gänse) unter einer Pflanze; ein Tier, das unter anderem als Fuchs oder Hund interpretiert wird; ein Skiapode, ein Einfüßler mit einem Riesenfuß, auch als „Mann, der seinen Fuß ans Ohr hebt“ verstanden; ein Vogel mit einer Schlange oder einem Strick; ein Vogel, der an einem Fisch pickt und dessen Flügel ein bärtiges Gesicht bildet; ein Schwein mit drei säugenden Ferkeln; schließlich eine männliche Sirene, die acht Fische gefangen hat.7)

Um einen kurzen Überblick dieser bunt gemischten und im Befund nicht immer sicheren Bogenreliefs zu bieten, sei auf Koenigers Interpretation verwiesen: Er sieht die beiden untersten Sirenen als Paar, die als Symbole des Bösen auf Seelenfang sind. Die rechte Mannsirene hat deren acht schon gefangen, denn Fische gelten als Seelensymbole. Die restlichen acht erhaltenen Reliefs sieht Koeniger als Ausdruck einer um 1200 noch bekannten alten Acht-Laster-Lehre, nämlich von Hoffart, Eitelkeit, Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Völlerei und Unzucht.8)

Ob diese punktgenaue Zuordnung der mittelalterlichen Intention entspricht, mag hier generell angezweifelt werden. Aber zweifelsohne verweisen die Darstellungen des Rundbogens auf negative, dem Bösen verpflichtete Aspekte. Sie sind im Großen und Ganzen zwei wichtigen Quellen entnommen, nämlich dem Physiologus und so genannten Bestiarien, die in jener Zeit weit verbreitet waren. Das erstgenannte Werk ist ein antikes Naturkundebuch, das reale und fantastische Tiere, Pflanzen und Mineralien beschreibt und – im christlichen Sinn – allegorisch deutet. Darin folgten ihm die Bestiarien, die als illustrierte Tierbücher ebenfalls beschreiben und auslegen. Beide Quellen können allerdings derart mehrdeutig sein, dass sie Interpretationen erheblich erschweren.

Männliche Sirene mit acht Fischen am Remagener Pfarrhoftor

Die Sirenen und ähnliche Mischwesen sah man jedenfalls als Sinnzeichen des Dämonischen, die gerade romanische Baumeister gern in Kapitellen und an Portalen der Kirchen darstellten.9) Dort sollten sie als Personifikationen des Bösen mit dem Blick nach Außen die von dort drohenden Dämonen abschrecken. Zudem lehnte man sich in ihrer Deutung an die bekannte Episode des Odysseus-Abenteuers an und sah sie als Symbole weltlicher Verführung. Fabelwesen solcher Art fanden sich im Übrigen auch in der Alexanderdichtung; deshalb tauchen sie in der Bauplastik in dessen Nachbarschaft auf. Ein Beispiel dafür findet sich nicht nur in Remagen, sondern ebenso im Freiburger Münster. Dort präsentiert sich gegenüber Alexanders Greifenflug eine Gruppe von Fischsirenen.

Inwieweit die Flachreliefs eindeutig einzelnen Todsünden zuordenbar sind, dürfte letztlich bei der angesprochenen Mehrdeutigkeit mittelalterlicher Symbolik nicht zu klären sein. Sicherlich ordnete man das Schwein den Lastern der Unmäßigkeit und Wollust zu. Der vermeintliche Skiapode (Einfüßler) galt als Symbol der Trägheit, konnte aber seinen einzigen Fuß auch schlichtweg als Sonnenschutz benutzen und somit für den Sommermonat August stehen.

Aber der Rundbogen als Ganzes verweist mit seinen zehn Reliefs zweifellos auf die Bereiche des Unchristlichen, Unerlösten, Dämonischen und Lasterhaften, vor dem sich die Gläubigen zu hüten hatten. Er stellt sich somit dem Alexandermotiv und dessen Superbia-Symbolik zur Seite.

Schwein mit drei säugenden Jungen, Flachrelief am Remagener Pfarrhoftor

Ein Remagener Samson?

Obwohl der Erhaltungszustand des rechten unteren Flachreliefs schlecht ist, lässt es sich doch mit Gewissheit identifizieren. Es stellt nämlich einen langhaarigen Mann dar, der mit einem Tier, wahrscheinlich einem Löwen, ringt. Dieses Motiv bezieht sich auf den Löwenkampf des alttestamentarischen Helden Samson, der in einem Figurenfragment von Maria Laach ein zeitnahes herausragendes Kunstwerk als Vergleichsobjekt hat. Nach der oben erwähnten typologischen Deutung gilt Samson als Präfiguration Christi; sein Sieg über den Löwen verweist auf dessen Überwindung des Teufels.

Ein weiteres Mal lässt sich der romanische Bildfries des Freiburger Münsters mit dem Pfarrhoftor vergleichen. Auch dort wird dem hoffärtigen Alexander ein auf Christus verweisender Löwenbezwinger gegenübergestellt. Man kann ihn als Samson oder David auffassen, vielerorts ist ihre Darstellung nicht zu unterscheiden. Der Sinngehalt und Bezug auf den Heiland ist jedoch beiden gleich.

Wer ist der siegreiche Krieger?

Während sich die Interpreten des Samson­reliefs einig sind, ist die Bedeutung der Darstellung auf dem gegenüberliegenden Pfeiler des Bogentores höchst umstritten. Sie zeigt anscheinend einen mit Schild und Speer Bewaffneten, der auf einem nicht genauer identifizierbaren Wesen mit menschlichem Antlitz steht. Waffenrock und Helm des Ritters bzw. Adligen ähneln auffallend zeitgenössischen Kölner Siegelbildern, die Heilige wie Gereon und Georg in der um 1200 üblichen Kleidung zeigen.10) Das impliziert jedoch nicht zwingend einen aktuellen Bezug, da dem Mittelalter eine durchgehend historische Trachtauffassung fremd war und man Gestalten der Vergangenheit mit der eigenen zeitgenössischen Kleidung versah.

Deshalb bieten sich mehrere Deutungen des Motivs an: Üblicherweise will man darin den Erzengel Michael erkennen, der den Drachen – hier in menschlicher Teufelsgestalt – besiegt. Ungewöhnlich wären der fehlende Nimbus und nicht erkennbare Flügel; außerdem scheint der Heilige die Speerspitze wie triumphierend nach oben zu richten, anstatt damit wie üblich auf den Besiegten einzustechen. Koeniger sieht das Relief als Kritik am Ritterstand an, denn in seiner Deutung schändet ein Krieger die Gebeine eines Toten – dieser Interpretation mangelt es letztlich an Vergleichsdarstellungen.

Aber das Motiv könnte auch eine symbolische Szene ausdrücken, nämlich den Sieg der Tugend über das Laster, womöglich sogar den Triumph der christlichen Demut (Humilitas) über den Hochmut (Superbia), der seinen Ausdruck in Alexanders Greifenflug findet. Diese Deutung wird durch mittelalterliche Darstellungen gestützt, die Humilitas mit Speer und Schild bewaffnet auf Superbia stehen lassen.11) Der symbolische Kampf zwischen Laster und Tugenden wurde bevorzugt durch eine militärische Metaphorik dieser Art verdeutlicht. 

Schließlich könnte man in dem siegreichen Krieger den allbekannten David bei seinem Sieg über Goliath sehen; denn sie gehörten zu den bekanntesten symbolischen Darstellungen der Niederlage der Superbia (Goliath) durch die Humilitas (David).12) Der Held ist nicht als Hirtenjunge gekleidet, sondern wie ein Adliger um 1200. Und die seltsame Darstellung des liegenden Riesen verweist auf seine langen Extremitäten und betont den Kopf, den David noch abschlagen wird. Eine Stütze dieser Interpretation ist zudem das durchaus übliche gemeinsame Auftreten Samsons und Davids. Als Beispiele dafür seien die Mosaiken von St. Gereon in Köln genannt, die aus dem 12. Jahrhundert stammen und heute in der dortigen Krypta zu sehen sind. 

Die im Spätmittelalter populäre Armenbibel (Biblia pauperum), die typologisch aufeinander bezogene Bildgruppen zeigt, verdeutlicht den Zusammenhang zwischen David, Samson und der Heilsgeschichte: Davids Sieg über Goliath und Samsons Niederringung des Löwen verweisen danach aus dem Alten Testament auf Christus in der Vorhölle, wo er Verdammte erlöst.13)

Der Mann im Bottich

Von den drei Reliefs der linken Türseite sollte das mittlere einen Winzer in einer Weinkufe darstellen und ein schlichtes Monatsbild des Oktobers sein. Bereits Koeniger machte darauf aufmerksam, dass es sich diese Interpretation zu einfach macht. Denn der vermeintliche rheinische Winzer hat eine Tonsur und trägt keinen Bart, was ihn als Geistlichen identifizierbar macht. Zudem ist sein Oberkörper unbekleidet und er hat den rechten Arm erhoben, was deutlich an eine Taufszene gemahnt. Dieses Bild findet übrigens eine „bemerkenswerte Entsprechung“14) an einem Würfelkapitell des Kölner Schnütgen-Museums, das wahrscheinlich aus St. Severin stammt. Allerdings ist die Kölner Darstellung um eine „koboldartige Gestalt“ erweitert, die sich dem Bottich nähert.

Was das alles bedeutet, muss wohl im Detail ungeklärt bleiben. Koeniger ging mit seiner Interpretation zweifelsohne zu weit, nach der die Weinkufe auf die unübliche Taufe mit Wein verweist. Der Geistliche oder Mönch folge demnach einem häretischen Ritus, den das Bild kritisiere. Ikonographische Vergleiche zeigen allerdings, dass Taufszenen in einem Fass in der romanischen Kunst nicht ungewöhnlich waren. Sie verweisen üblicherweise lediglich auf die christliche Taufe und intendieren keinen Hintergedanken. Der Geistliche im Bottich ist deshalb offensichtlich als Täufling anzusehen und verdeutlicht symbolisch den Aufnahmeritus in die christliche Gemeinschaft. Mit dem damit verbundenen Glaubensbekenntnis wendet er sich insbesondere von der Hauptsünde der Superbia ab. Die Taufe soll ihn gegen das Böse feien – ob in Gestalt des Kölner Kobolds oder als Fabelwesen des Remagener Torbogens.

Was macht der Mann mit dem Baum?

Auch das linke untere Relief bereitet erhebliche Deutungsprobleme. Anscheinend zeigt es „einen Mann, der sich an einem Baum zu schaffen macht“, was man auch gern als Winzer beim Rebenschneiden und darum als Monatsbild des März interpretierte. 

Allerdings scheinen zwei weitere Deutungsmöglichkeiten eher der angesprochenen Darstellungsweise des Mittelalters zu entsprechen und somit plausibler zu sein: Die eine sieht in dem Bild den „alten Adam“ mit dem Lasterbaum, der typologisch auf den „neuen Adam“ Christus mit dem Tugendbaum verweist. Die zweite erinnert daran, dass Samson nicht nur als Löwenbezwinger, sondern auch als kraftvoller Baumausreißer dargestellt wurde. Beide Erklärungen beziehen sich jedenfalls stimmig auf die anderen Reliefs des Pfarrhoftores.

Mann einen Baum ausreißend, Detail am Remagener Pfarrhoftor

Der jagende Reiter

Dem oberen linken Relief viel Aufmerksamkeit zu widmen, scheint müßig zu sein. Denn der hornblasende Reiter mit einem Hund, der wohl zur Jagd ausreitet, kann alles Mögliche bedeuten und findet in der romanischen Bauskulptur unzählige Entsprechungen: ein Jäger ohne genaueren symbolischen Hintergrund, ein Sinnbild des Bösen wie des Guten, ja sogar Christus selbst. Der Jäger allein bietet somit keine Entscheidungshilfen. Auch dass er die Zügel mit der Rechten hält und in der „bösen“ Linken das Horn hat, hilft nicht weiter, denn dieses Motiv wechselt beliebig und findet sich beispielsweise auch in der berühmten Manessischen Liederhandschrift. 

Löwen, Drachen und anderes Getier

Ebenso mehrdeutig steht es um den Löwen, dessen Relief zumindest seit 1902 über Alexanders Himmelfahrt zu sehen ist. Gemäß Physiologus kann das Raubtier sowohl Christus als auch den Teufel symbolisieren; im Mittelalter diente der Löwe zudem als Herrschaftssymbol. Die verbleibenden Darstellungen wie Drache und Basilisk sollen hier unerwähnt bleiben. Sie dürften insgesamt zum apotropäischen (Unheil abwehrenden) Portalschmuck zu rechnen sein.

Das Pfarrhoftor als Gesamt-Kunstwerk?

Was bleibt als Fazit der vorausgegangenen knappen Bemerkungen? Bietet das Pfarrhoftor eine beliebige Bilderreihung oder folgt es einem bestimmten Schema? 

Ohne dass jede einzelne Bedeutung zu beweisen wäre, scheint den Darstellungen doch ein Konzept des Gegensatzes von Hochmut und Demut zugrunde zu liegen, von teuflischer Superbia und christusbezogener Humilitas. Sie folgen letztlich der Lehre des heiligen Augustinus, die im Wesentlichen während des Mittelalters ausschlaggebend blieb.15) Dementsprechend ringen Gut und Böse um die göttliche Ordnung, den ordo, in den Formen der Demut und des Hochmuts. Mit diesem heilsgeschichtlichem und moralischem Ringen muss sich der Gläubige auseinandersetzen, daran erinnern ihn die Reliefs des Pfarrhoftores. 

Alexanders Greifenflug und der Sirenen- und Lasterbogen verweisen deutlich auf die Superbia und ihr Umfeld. Die Deutung der unteren Reliefs als (von rechts nach links) Samson – Sieg der Humilitas über Superbia bzw. Davids über Goliath – Taufszene – „Adam“ mit Baum bzw. Samson stellt den Motiven des Bösen die der Humilitas und den Sieg des Guten gegenüber; nach mittelalterlicher Typologie beziehen sie sich auf Christus, die wahre Verkörperung der Humilitas. 

Dadurch verdeutlicht sich umso mehr die christlich-mittelalterliche Herkunft des Remagener Denkmals. Aber unabhängig davon bleibt das Pfarrhoftor für den Betrachter ein faszinierendes und geheimnisvolles Zeugnis aus einer fernen Zeit, die uns vertraut und fremd zugleich erscheint.

Literatur:

  • Appuhn, Horst. Einführung in die Ikonographie der mittelalterlichen Kunst in Deutschland. Darmstadt 1985 (3. Aufl.).
  • Broscheit, Felicia. Figürliche Darstellungen in der romanischen Bauornamentik des Rhein-Maas-Gebietes. Köln 1990.
  • Budde, Rainer. Deutsche Romanische Skulptur 1050-1250. München 1979, S. 90f.
  • Dinzelbacher, Peter (Hg.). Sachwörterbuch der Mediävistik. Stuttgart 1992.
  • Hempel, Wolfgang. Übermuot diu alte … Der Superbia-Gedanke und seine Rolle in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bonn 1970.
  • Kath. Kirchengemeinde St. Peter & Paul (Hg.). Das romanische Pfarrhoftor in Remagen und seine Deutungen. Remagen 1992.
  • Keller, Hiltgart L. Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst. Stuttgart 1991 (7. Aufl.).
  • Kirschbaum, Engelbert (Hg.). Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 1-8. Rom 1968-1976.
  • Koeniger, Albert M. Die Rätsel des romanischen Pfarrhoftores in Remagen. München-Pasing 1947.
  • Die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. Bd. 2. Düsseldorf 1938 (Nachdruck 1984), S. 548-551.
  • Legner, Anton (Hg.). Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik. Bd. 2. Köln 1985, S. 47ff.
  • Lerch, Harry. Ein „Beichtspiegel“ in Stein. Geheimnisse und Zeichen am Pfarrhoftor Remagen. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1990, S. 60ff.
  • Plotzek, Joachim M. Mirabilia mundi. In: Legner, Anton (Hg.). Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik. Bd. 1. Köln 1985, S. 107-111.
  • Sachs, Hannelore u.a. Christliche Ikonographie in Stichworten. München 1975.

Anmerkungen:

  1. Vgl. dazu die Einführungen bei Budde 1979 und in den Kunstdenkmälern des Kreises Ahrweiler, Bd. 2.
  2. So etwa Budde 1979, S. 90.
  3. Überblicke zur älteren Literatur bieten: Broscheit 1990, Anmerkungen S. 306; Budde 1979, S. 91; Kath. Kirchengemeinde St. Peter & Paul 1992; Koeniger 1947; Die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. Bd. 2, S. 548.
  4. Koeniger 1947. Einen Überblick seiner Deutung verschaffen Lerch 1990 und Kath. Kirchengemeinde St. Peter & Paul 1992.
  5. Hier sei generell auf die entsprechenden Hilfsmittel zur mittelalterlichen Ikonographie und auf die jeweiligen Lexikonartikel verwiesen: Appuhn 1983, Keller 1991, Kirschbaum 1968-1976, Sachs 1975.
  6. Bezüglich der mittelalterlichen Literatur sei auf weiterführende Literaturangaben verzichtet. Einen ersten Einblick verschafft Dinzelbacher 1992.
  7. Vgl. dazu u.a. Die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler, Bd. 2, S. 550 und die Grafik in Kath. Kirchengemeinde St. Peter & Paul 1992, S. 9. Zu Darstellungen von Fabelwesen allgemein auch Plotzek 1985. 
  8. Koeniger 1947.
  9. Dazu auch Broscheit 1990, S. 127ff.
  10. Legner 1985, Bd. 2, S. 47ff.
  11. So Kirschbaum 1968-1976, Bd. 5, S. 387.
  12. Hempel 1970, S. 199.
  13. Appuhn 1983, S. 16.
  14. So Broscheit 1990, S. 304ff., die ausdrücklich darauf verweist.
  15. Dazu etwa Hempel 1970, S. 10ff.

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