„Gesichtskonstruktion“ am RheinAhrCampus Remagen
Im März 2005 fand am RheinAhrCampus Remagen eine internationale Konferenz zur Gesichtsweichteilrekonstruktion statt. Dieses Gebiet der Medizintechnik ist nicht nur dort nützlich, wo im Rahmen eines chirurgischen Eingriffes am Schädelknochen die Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Patienten schon vor der Operation berechnet werden soll. Darüber hinaus interessieren sich auch Anthropologen für diese Verfahren, die anhand von archäologischen Schädelfunden die Gesichter steinzeitlicher Menschen wieder entstehen lassen möchten. Im Zusammenhang mit solchen Untersuchungen waren in der Vergangenheit ja auch schon der Sachsenherzog Widukind und der Neandertaler des Rheinischen Landesmuseums Bonn als Patienten im Labor für Computertomographie in Remagen zu Gast. Das Hauptanwendungsgebiet, das auf der Konferenz in Remagen besprochen wurde, ist allerdings im Bereich der Forensik (Gerichtsmedizin) zu sehen.
Der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Professor Jürgen Stock, bei seinem Grußwort zur Tagung am RheinAhrCampus Remagen. Er wies darauf hin, dass rund 60 Tote jährlich gefunden werden, die nicht auf Anhieb identifiziert werden können. Anhand der Fingerabdrücke, des Fundortes oder persönlicher Gegenstände des oder der Toten kommt die Polizei in den meisten Fällen – früher oder später – auf eine heiße Spur. Aber es gibt eine Reihe von Fällen, wo man mit diesem klassischen Handwerkszeug auf Grenzen stößt. Und dort beginnen die Anwendungen der Gesichtsweichteilrekonstruktion als ultima ratio der Fahndung.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass es den Organisatoren vom Campus gelang, das Bundeskriminalamt als Partner für diese Veranstaltung zu gewinnen. Über 160 Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt nahmen an der Veranstaltung teil. Der Tagung am RheinAhrCampus Remagen war eine weltweite Ausschreibung zur Gesichtsrekonstruktion eines Schädelfundes der Kriminalpolizei Celle vorausgegangen. Die Kriminalpolizei rief gerade während der Vorbereitungen zur Konferenz beim Organisator an und bat um Hilfe bei einem Fall, bei dem die konventionellen Verfahren zu keinem Erfolg geführt hatten. Ein Schädel war in einem Waldgebiet bei Celle gefunden worden. Neben diesem Fund gab es an der Fundstelle keine weiteren Hinweise auf die Identität des Toten. DNA-Untersuchungen führen in einem solchen Fall meistens nicht zu einem Ergebnis, weil dazu natürlich ein Vergleich mit genetischen Proben einer vermissten Person erforderlich ist. Die Rekonstruktion des Gesichts ist dann die letzte Chance einer Identifizierung durch Freunde oder Verwandte im Rahmen einer Veröffentlichung in den Medien. 22 Teams von Neuseeland und Kanada bis zur Türkei und Finnland hatten sich um die Wiederherstellung der Gesichtszüge bemüht. Dabei waren aus wissenschaftlicher Sicht für den Studiengang Medizintechnik am RheinAhrCampus Remagen zwei Fragen von besonderem Interesse:
- Inwieweit kann der Übergang von der praktischen Modellierarbeit hin zur computerunterstützten Rekonstruktion das Rekonstruktionsergebnis verbessern und 2) inwieweit unterscheiden sich die Ergebnisse, die mit den unterschiedlichen Methoden erzielt werden. Die gerichtsmedizinische Gesichtsrekonstruktion ist bislang ein aufwendiges Verfahren, das neben forensischer Handarbeit auch künstlerische Fertigkeit verlangt. Bei dieser klassischen Methode werden die Weichteile des Gesichts mit Abstandshaltern und Wachs nachgebildet. Leider dauert dieses Verfahren zwei bis drei Wochen und das Ergebnis ist im Verlauf der Arbeit nicht gut zu korrigieren. Deswegen wird in einigen Forschergruppen, unter anderem auch am RheinAhrCampus Remagen, an der virtuellen Gesichtsrekonstruktion mit dem Computer gearbeitet. Dazu wird der Schädel mit dem Computertomographen vermessen und die dann digitalen Daten zur Weiterverarbeitung auf dem Computer gespeichert.
Professor Jens Bongartz und Professor Thorsten Buzug (Konferenzleiter) bei der Vorstellung der Gesichtsrekonstruktionen, die mit der herkömmlichen forensisch-handwerklichen Methode von den Wissenschaftlern erzielt und zur Konferenz am RheinAhrCampus Remagen eingereicht wurden.
Das Ergebnis der Konferenz zeigt, dass eine Standardisierung der Verfahren dringend notwendig ist. Zwar gibt es Ähnlichkeiten, doch keine zwei Rekonstruktionen gleichen sich völlig. Selbst die Einbettung der Wissenschaftler in ihre jeweiligen Kulturkreise ist bei einigen Gesichtern abzulesen. Dieser Versuch war der erste, um festzustellen, zu welch drastischen Unterschieden die verschiedenen Verfahren der Gesichtsrekonstruktion führen können. In einer Projektgruppe untersuchen Studierende des Studiengangs Medizintechnik derzeit, wie die Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Rekonstruktionen mathematisch zu bewerten sind. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wird der Rhein AhrCampus Remagen auf der nächsten Konferenz zur Gesichtsweichteilrekonstruktion vorstellen, die Mitte 2006 an der Universität Leuven in Belgien stattfinden wird.