Der Stollen am „Alten Berg“ in Weibern

Ein Zeugnis der Heimatgeschichte ist zwar verschwunden, aber für die Nachwelt gut dokumentiert

Heinz Udo König

Der „Alte Berg“ ist eines der Abbaugebiete für Tuffstein in Weibern. Der Autor als Mitglied der Heimatfreunde Weibern und Reiner Degen aus Weibern befassen sich mit der Heimatforschung. Eines der Projekte war die Erkundung eines „alten Stollens“ aus dem Zweiten Weltkrieg. In dem heute von der Firma Mendiger Basalt betriebenen Steinbruch soll sich dieser Stollen befunden haben. Nach umgehenden Recherchen konnten wir den vermuteten Standort verifizieren und der Firma einen Hinweis auf die Stelle geben. Dies mit der Bitte verbunden, bei Freilegen des Stollens diesen dokumentieren zu dürfen. Im Jahr 2016 war es so weit. Der Eingang des Stollens wurde freigelegt.

Vermessen und fotografiert

Der aufgefundene Stollen wurde von den Heimatfreunden Weibern vermessen und fotografisch dokumentiert, um unseren Nachfahren das Wissen darüber zu erhalten. Der Stollen hatte eine Breite von 3,4 m, eine Höhe von 4,3 m und eine Tiefe von 33 m. Im Jahr 2017 wurde beim weiteren Abbau des Tuffsteins der Stollen mit abgebaut – somit ist ein weiteres Zeugnis der Heimatgeschichte verschwunden.

Zur Historie des „Stollen am Alten Berg“: Ende 1944 wurden vor dem Ortseingang von Weibern aus Richtung Wehr kommend, gegenüber dem „Alten Berg“, drei6) oder vier4) Baracken gebaut. Die Fundamente sollen nach Augenzeugenberichten noch bis in die 1960er-Jahre gestanden haben. Die Baracken waren für die Arbeiter gedacht, die gegenüber im Tuffsteinbruch einen Stollen in den Berg treiben sollten. Später sollten dann die Arbeiter, die in dem Stollensystem arbeiten sollten, dort untergebracht werden.

Die Heimatfreunde Weibern haben den alten Stollen 2016 dokumentiert, wozu auch das genaue Vermessen zählte.

Der „Alte Berg“, eines der Abbaugebiete für Tuffstein in Weibern, verschwindet. Hinter der Bauhütte ist der alte Stollen zu sehen.

Der begonnene Stollen soll ca. 30 m tief und 5 m hoch gewesen sein. Die Arbeiten wurden von verschiedenen Firmen4) durchgeführt und später von der Organisation Todt (OT) übernommen. Diese 1938 gegründete Organisation war eine nach militärischem Vorbild organisierte Bautruppe, die den Namen ihres Führers Fritz Todt (1891–1942) trug. Hintergrund dieses Stollenbaus waren der vorangeschrittene Krieg und die Bombardierungen durch die Alliierten. Um Produktionsbetriebe für Rüstungsprodukte gegen Bombenangriffe zu sichern, sollten diese in vorhandene oder in noch herzustellende Stollen, Tunnel, Höhlen usw. ausgelagert werden.

Rüstungsbetriebe in Stollen und Tunnel verlagert

So war auch in Weibern eine Produktionsoder Lagerstätte geplant. Das Vorhaben erhielt den Decknamen „Wacke“. Nach der Systematik der Bezeichnungen des Reichsministeriums für Rüstungs- und Kriegsproduktion deutet der mineralogische Name auf ein „geplantes Vorhaben“ hin5). Welchem Zweck diese Stollen tatsächlich dienen sollten und wie weit die Arbeiten vorangekommen waren, ist nach heutiger Aktenlage nicht mehr nachvollziehbar. Es konnten noch zwei Quellen gefunden werden, die je eine Möglichkeit aufzeigen, der das Vorhaben dienen sollte.

Eine Quelle, das „Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten des Zweiten Weltkrieg“ von Hans-Walter Wichert, deutet auf die Fertigung von Schrauben hin. In seinem Buch von 1993 (Seite 76) ist verzeichnet: Tuffsteinbruch Weibern – Verfügbarer Raum: 37 000 m2 – Firma: Bauer und Schaurte, Neuss – Produkt: Hochfeste Schrauben – Gesperrt: 10.5. *

Der Deckname des Stollens war „Wacke“.1)

*Gesperrt bedeutet, dass die Informationen der Geheimhaltung unterlagen und nicht öffentlich zugänglich waren.

Schrauben für Flugzeuge produziert

Die Firma Bauer und Schaurte wurde 1876 in Neuss gegründet und produzierte Schrauben. 1928 erfand sie die Verbus-Schraube und 1936 die Inbus-Schraube. Für die Verbus-Schraube erteilte die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt den Betriebsertüchtigungsschein. 1980 fusionierte die Firma mit den Karcher-Schraubenwerken aus Beckingen/Saar und gehörte dann als Tochterfirma zur Firma Saarstahl aus Saarbrücken. Durch den Konkurs der Muttergesellschaft Saarstahl-Werke meldete die Firma 1993 als Bauer & Schaurte Karcher GmbH Konkurs an.3)5)

Die Firma Bauer und Schaurte stellte also Schrauben her, die für Luftfahrzeuge eine Zulassung hatten. In dieser Tatsache findet man eventuell den Bezug zur nächsten Quelle, dem Bundesarchiv. Hier konnten noch drei Dokumente gefunden werden, in denen sich Hinweise auf das Vorhaben „Wacke“ in Weibern finden.

Drei Dokumente aus dem Bundesarchiv

In einem Brief vom 18.08.1944, Absender und Empfänger sind jedoch nicht eindeutig zu identifizieren (Absender dürfte der Direktor Prof. Dr. K.H. Scheumann des Instituts für Mineralogie und Petrographie der Universität Leipzig sein), mit der Feldpostnummer 0 8000 ist folgender Text zu finden: „Für rasch herzustellende stollenartige Sicherungsräume für V I oder ähnliche Raketengeschosse empfehle ich die im oberen Brohltal (Eifel) gelegenen großen und sehr mächtigen Ablagerungen von Phonolith-Tuffen, wie etwa in der Gegend von Weibern, die auch durch ihre vielgestaltigen Relief-Formen größere Einbauten gut tarnen würden. Das Gestein ist sehr leicht zu bearbeiten, aber immerhin standfest.“2).

Im zweiten Brief vom 14.11.1944, der vom Reichsminister für Rüstungs- und Kriegsproduktion, Amt Bau-Org. Todt, an das Rüstungslieferamt und die Abteilung für unterirdische Bauten gesendet wurde, wird mitgeteilt, dass der Einsatzgruppenleiter Wagner im Raum Gießen nach einem Ersatz für „Wacke“ gesucht hat. Die Abteilung Unterirdische Bauten wird gefragt, ob sie in dieser Gegend Objekte kennt2).

Im dritten Brief vom 07.12.1944, der vom Reichsminister für Rüstungs- und Kriegsproduktion, Amt Bau-OT, Amtsgruppe Technik, an die Abteilung Amt Bau-OT und nachrichtlich an das Rüstungslieferamt ging, wird dann darauf hingewiesen, dass es in der Gegend von Gießen keine Objekte in entsprechender Größe als Ersatz für „Wacke“ gebe. Die Abteilung für unterirdische Bauten suche jedoch weiter nach Objekten als Ersatz für „Wacke“2).

Schulchronik Weibern berichtet

Hier können nur noch Vermutungen angestellt werden, warum für das Objekt Wacke ein Ersatz gesucht wurde. Es dürfte jedoch, wie in der Schulchronik Weibern geschrieben, die näher rückende Kriegsfront gewesen sein, die eine Verlagerung des Vorhabens in den Raum Gießen und damit auf die andere Rheinseite verursachte. Zu dieser Zeit glaubte man, dass der Rhein die Alliierten noch aufhalten könnte. Die Schulchronik Weibern schreibt zu dem Jahr 1944 folgendes:

„Stollenbau „Alter Berg“: Durch den Krieg ist es in der Reichsindustrie fast ganz still geworden. Die ganzen Arbeitskräfte sollten auf den Kriegseinsatz umgestellt werden. Zu diesem Zweck wollte man ein unterirdisches Rüstungswerk im „alten Berg“ errichten. Unverzüglich wurde mit dem Bohren eines mächtigen Stollens begonnen. Unter der Erde sollten mehrere riesige Fabrikhallen entstehen. Mehrere Firmen arbeiteten Hand in Hand.“

Gleichzeitig wurde am Eingang des Dorfes (von Wehr aus) mit dem Bau von vier großen Holzbaracken begonnen, die in kurzer Zeit fertiggestellt waren. Man sprach von über 1.000 Arbeitskräften, die in dem neuen Werk eingesetzt werden sollten. Nachher übernahm die OT die Fortführung der Arbeiten.

Aus der Traum

Mittlerweile war der Krieg schon in eine bedrohliche Nähe unserer Heimat gerückt, so dass die Weiterführung des Werkes nicht mehr sicher genug schien. Eines Tages hieß es, die Arbeiten sind eingestellt, und der ganze Spuk verschwand aus der Gegend, Angefangenes und Bauwerk zurücklassend, sowie eine Menge Material. Aus der Traum!4)

Quellen:

  1. Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten im Zweiten Weltkrieg von Hans Walter Wichert, 1993
  2. Bundesarchiv, R3/3296 Planungen für unterirdische Verlagerungen. Einzelfälle betroffener Firmen bzw. Verlagerungsorte 1944-1945
  3. Deutsches Wirtschaftsverzeichnis
  4. Schul- und Ortschronik Weibern
  5. Wikipedia
  6. Reiner Degen