Kleine Effekte, große Wirkung: Beiträge eines Dorfs zur Artenvielfalt

Plittersdorf liegt in ausgedehnten Wald- und Wiesenflächen – Artenschutz ist auch eine Frage der Toleranz des Menschen

Dr. Katja Hartig und Dr. Thomas Schiffer

Die Ökosysteme, in denen Pflanzen und Tiere in komplexen Wechselwirkungen miteinander leben, sind noch nicht in allen Facetten vollständig verstanden. Offensichtlich aber haben sie glücklicherweise die Fähigkeit, Störungen zu einem gewissen Grad ausgleichen zu können. Das ist der Grund, weshalb sich beispielsweise abgeholzte Waldstücke in der Regel vollständig erholen können oder sich die Natur auch nach Bränden wieder regeneriert.

Die Fähigkeit von Ökosystemen sich anzupassen und auch mit sehr grundlegenden Änderungen, wie die Veränderung der klimatischen Bedingungen umzugehen, hängt unmittelbar mit der Artenvielfalt zusammen. Je größer die Biodiversität in einem Ökosystem, desto robuster und flexibler ist es. Leider nimmt die Anzahl der Arten seit vielen Jahrzehnten dramatisch ab, insbesondere die der Insekten. Da Insekten für die meisten Pflanzen die Bestäubung übernehmen und damit für deren Vermehrung essentiell sind, hat der Verlust unmittelbare Auswirkungen auf die Artenvielfalt der Pflanzen. Gleichzeitig stellen Insekten die Hautnahrungsquelle für die meisten Singvögel dar. Der Bruterfolg ist von der Verfügbarkeit dieser proteinreichen Nahrungsquelle abhängig.

Heidschnucken- Familie

Auch wenn der Kreis Ahrweiler mit seinen ausgedehnten Schutzgebieten und der Vielfalt unterschiedlicher Habitate grundsätzlich sehr gute Voraussetzungen für artenreiche Ökosysteme bietet, ist auch hier der Artenschwund zu beobachten. Die Förderung der Erhaltung artenreicher Wiesen, nachhaltiger Landwirtschaft und die Einrichtung von Schutzzonen sind zweifellos wichtige systematische Ansätze, um diesem Trend entgegenzuwirken. Jeder kann aber auch im Kleinen etwas zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen.

Typisches kleines Eifeldorf

Plittersdorf ist ein typisches kleines Eifeldorf, bestehend aus einer Mischung alter und neuer Bausubstanz, mit Garten- und Grünflächen, umgeben von Wiesen und Wäldern. Kleinbäuerliche Landwirtschaft gab es noch bis in die 1960er-Jahre. Insbesondere der Anbau von Kartoffeln und Buchweizen auf dem kargen Boden und die Haltung von Hühnern, Schafen, Kühen für den Eigenbedarf waren verbreitet. Mit dem Wegfall der Landwirtschaft und der Selbstversorgungen veränderte sich auch die Siedlungsstruktur. Scheunen wichen Neubauten, Bauerngärten wurden durch praktische Ziergärten ersetzt. Die folgenden Beobachtungen zeigen auf, wie trotz dieser Veränderungen kleine, scheinbar unbedeutende Ecken im Dorf einen Beitrag leisten können, damit Tierarten im Ort bleiben oder wiederkehren.

Männlicher Haussperling

Mehlschwalben

Ein Sperling kommt selten allein und eine ganze Gruppe Sperlinge kann wirklich sehr laut sein. Obwohl fast jeder von uns das typische, etwas aufdringliche Gezwitscher sehr gut kennt, ist die Anzahl der Sperlinge in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen. Auch in unserem Dorf waren die kleinen Vögel zwischenzeitlich verschwunden. Doch jetzt sind sie plötzlich wieder da, und die Ursache hierfür war auch rasch geklärt. Seit es in unserem Dorf wieder einen Hühnerstall gibt und damit genügend leicht zugängliches Futter, sind die Sperlinge wieder eingezogen, und zwar in die Büsche rund um das Hühnergelände. Aber nicht nur das Futter, sondern auch die offenen Sandflächen im Gehege sind für die Gefiederpflege der Sperlinge von großer Bedeutung. Und so sorgt die alles andere als perfekte Rasenfläche im Hühnergelände für einen passenden Lebensraum für die kleinen geselligen Vögel.

Schwalben haben es in der heutigen Zeit nicht leicht. Wir bestaunen zwar gerne ihre Flugkünste und fachsimpeln anhand ihrer Flughöhe, wann der nächste Regen bevorsteht. Allerdings finden sie nur noch wenige Orte, an denen sie ungestört brüten können. Gab es früher in jedem Ort ausgedehnte, offene Stallungen, die sich perfekt für den Bau der lehmigen Nester eignen, werden die Nester, für den inzwischen nur noch Wohnhäuser infrage kommen, selten von den Hausbesitzern geduldet. Zu unschön sind die Hinterlassenschaften unmittelbar unter dem Nest.

Menschen, die Vögel gewähren lassen

Bei uns im Ort gibt es glücklicherweise Menschen, die die Vögel gewähren lassen und sich sogar darüber freuen, wenn erfolgreich Jungvögel aufgezogen werden. Die Beobachtung der Tiere offenbarte, dass es noch eine weitere Voraussetzung dafür gibt, dass die Mehlschwalben bei uns im Ort bleiben konnten. Ein schlammiger Weg am Waldrand mit seinen ausgedehnten Pfützen, über den sich mancher Spaziergänger gern ärgert, wird von den Schwalben aufgesucht, um den Schlamm für die Nester zu sammeln. Solche „ungepflegten und vernachlässigten“ Flächen erweisen sich auch für eine Vielzahl an Insekten und den von ihnen abhängigen Vögeln als segensreich. Schlamm ist außerdem ein begehrter Baustoff für Solitärbienen und -wespen, die damit ihre Brutkammern unterteilen und verschließen. In dem am Wegrand langsam vor sich hin modernden Totholz entwickeln sich viele Insektenlarven. Die wiederrum sind Nahrungsquelle für Vögel, wie den Grünspecht. Das leicht zersetzte Totholz wird auch gern von Wespen und Hornissen als Rohmaterial für ihre Nestbauten verarbeitet.

Schafhaltung ist inzwischen etwas für Nostalgiker. Das Fleisch lässt sich kaum verkaufen ebenso wie die Wolle. Beobachtungen einer kleinen Schafherde im Ort offenbaren aber einen ganz unerwarteten Nebeneffekt, der sich durch die Schafhaltung ergibt. Wenn man sich etwas Zeit nimmt, lässt sich dort ein reges Kommen und Gehen beobachten. Vögel jeder Art versorgen sich mit Wolle, Heu- oder Stroh zur Nestkonstruktion oder Auspolsterung. Im Dung wird nach Käfern und Würmern gesucht. Die Bachstelze nutzt die Insekten, die beim Grasen durch die Schafe aufgescheucht werden. Ein paar Krähen haben sich auf die Überreste von Futter spezialisiert und ließen sich in unmittelbarer Nähe nieder. Selbst der Habicht nutzt den Zaun als Ansitz. Das Treiben gleicht dem belebten Geschäft eines kleinen Krämeradens an der Ecke, der für jeden etwas im Angebot hat, und es zeigt sich mal wieder, dass sich der Wert mancher Dinge erst auf den zweiten Blick offenbart.

Baum ist nicht gleich Baum

Auch Baum ist nicht gleich Baum. Das zeigt die nähere Beobachtung einer großen alten Eiche, die eine Menge unterschiedlicher Vögel anlockt. Schon den ganzen Winter über nutzt der Buntspecht einen abgebrochenen Ast als sichere Befestigung seiner Fichtenzapfen, die er dann mit sichtlichem Genuss bearbeitet. Diese große und alte Eiche ist darüber hinaus für den Grünspecht und den Kleiber Nahrungsquelle und Brutstätte. Sie sind regelmäßig das ganze Jahr zu beobachten. In diesem Winter gab es sehr viele Dompfaffe, die sich die Knospen einverleiben, und auch Kernbeißer konnten beobachtet werden. Natürlich auch die bekannten Blau- und Kohlmeisen, das Rotkehlchen, im Sommer das Hausrotschwänzchen und sogar die seltenen Trupps von Distelfinken. Der Baum wird gern als Singwarte von der Amsel und der Singdrossel genutzt.

Gimpel-Männchen

Tagpfauenauge

Auch Garten- und Mönchsgrasmücke, die eigentlich eher dichte Sträucher bevorzugen, besuchen den Baum regelmäßig. Die Borke des recht alten Baumes ist grob und rissig, was für Insekten und Larven als Versteck das ganze Jahr über aber vor allem im Winter sehr attraktiv ist. Das wiederum macht den Baum für Spechte und Meisen sehr interessant. Junge Bäume und Gebüsch können diese Vorteile nur eingeschränkt oder gar nicht bieten. Sie leisten auf andere Weise einen Beitrag als Futterquelle und Rückzugsort.

Kinderstube für Schmetterlinge

Eine wilde Ecke im Garten, in der auch Pflanzen wie die Brennnessel, die Schafgarbe, der Giersch, Disteln und Löwenzahn noch eine Chance haben, wird zur Kinderstube einiger wichtiger Schmetterlingsarten, wie dem Kleinen Fuchs, dem Tagpfauenauge oder dem Landkärtchen. Glücklicherweise gibt es bei uns im Ort noch Platz für naturbelassene Winkel in fast jedem Garten, so dass man an warmen Sommertagen unterschiedliche Schmetterlinge beobachten kann.

Plittersdorf liegt inmitten ausgedehnter Wald- und Wiesenflächen und ist aufgrund der geringen Dorfausdehnung eher als Teil einer sehr abwechslungsreichen Kulturlandschaft anzusehen. Diese Einbindung lässt Artenvielfalt und entsprechende Beobachtungen zu. Nicht selten kann die scheue Wildkatze gesichtet werden oder die eher zurückhaltenden Arten wie Dachs, Fasan und sogar der seltene Schwarzstorch. Fast im wahrsten Sinn des Wortes sagen sich auf dem Dorfgelände Fuchs und (Feld-)Hase „Gute Nacht“. Das Reh-, Rot-, Schwarz- und Muffelwild gehören bereits zum Alltagsbild wie auch die majestätisch segelnden Rotmilane. Turmfalken und Mäusebussarde finden auf den Wiesen ihr Auskommen. Mit etwas Ausdauer findet man auch Feuersalamander sowie Pflanzen und Insekten, die andernorts rar geworden sind. Der Schutz von Arten ist eben nicht nur eine Frage von passenden politischen Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen, sondern auch eine Frage von Toleranz gegenüber naturbelassenen Flächen, das Besinnen auf Traditionen und die Fähigkeit, Zusammenhänge von Tier- und Pflanzenwelten zu beobachten und bewusst zu schützen. Vielleicht gehen Sie selbst mal auf die Suche nach den wilden Ecken in Ihrem Garten und erkunden, wem sie selbst einen Lebensraum bieten!