DAS DORF UND SEINE SCHULE

Von Werner Lennartz

Das Bauernkind, wie es aufwächst auf einem Hof im Dorf, ist eingebettet, einbezogen in das Ganze bäuerlichen Lebens. Spielend zwischen Wagen und Arbeitsgeräten, mit hinausfahrend aufs Feld, früh schon angeleitet, diesen oder jenen Handgriff zu tun, in Stube, Stall, Scheune und auf dem Speicher daheim, jede Arbeit sinnenhaft konkret miterlebend, wächst es in das bäuerliche Werk ein, das es einmal selbst verantwortlich auf seine Schultern nehmen muß. Jahr auf Jahr, so wie sich bei den Bäumen Ring an Ring schließt, wird es mit dem Wachstum seiner Kräfte stärker einbezogen in die Arbeit, übernimmt nach Vermögen und Können, manchmal allzu früh, seinen Platz im Betrieb. So erwirbt es in der Teilnahme, im Mittun und Mitschaffen die Erfahrungen der Jahrhunderte, wie sie zu den heutigen Gerätschaften, Werkzeugen und der Wirtschaftsweise geführt haben. Es wird einbezogen in die Gespräche um Wohl und Wehe des Betriebes, denn auch heute noch ist in den meisten bäuerlichen Betrieben die Sorge um den Fortgang der Arbeit, die Planung für den morgigen Tag, der Einsatz der Arbeitskräfte und die Überlegung über Absatz und Einkauf gemeinsame Angelegenheit aller zur Hausgemeinschaft gehörenden Glieder. Das Kind erfährt schon früh, was die Eltern, was das Bauerntum bewegt, es gewinnt im Lauschen, im Mitberaten Übersicht und Einsicht.

Kann so von einer natürlichen Hineinbildung des Bauernkindes in Werk und Tätigkeit der Väter gesprochen werden, von einem ununterbrochenen Fortbildungskurs, der sich wie selbstverständlich vollzieht und damit sich vollendet, daß der Sohn selbst den Pflug in die Hand nimmt, die Verwaltung des Hofes aus der Hand des Vaters empfängt; die Tochter an die Stelle der Mutter tritt oder im Hause eines angeheirateten Bauern die Frau wird, so wird zugleich in einem rechten Bauernhaus, da zum gemeinschaftlichen Leben eine rechte Form des Umgangs gehört, das Kind zu einer sittlichen Haltung erzogen, die sein Verhalten dem Mitmenschen gegenüber, sein Gewissen, bildet. Im Umgang miteinander — wie man ißt und trinkt, wie man sich gegenseitig verhält; daß man betet, ehe man sich dem Schlafe hingibt — wird jedes Kind erzogen.

Und ein jedes Bauernhaus hat seine Ehre, die da gewahrt bleiben muß. Es wird von den Vätern erzählt, wie sie gelebt, was sie erarbeitet, und so senkt sich früh ins kindliche Bewußtsein vorbildliches Leben ein, das verpflichtet und an dem sich das Kind emporrankt.

Die natürlichen Erziehungsfaktoren, die Arbeit, die Familie, das Haus, die Dorfgemeinschaft scheinen zu genügen, um jenes Werk der Erziehung und Bildung zu tragen, das für den Bauern zur Meisterung seines Lebens notwendig ist. Ohne Zweifel sind und bleiben sie die bedeutsamsten Träger erzieherischer Inhalte, das, was Menschen planend ihnen zur Seite stellen, kann nur dienende Aufgaben haben. Es muß aber hinzugefügt werden, daß die Formen des Umgangs, wie sie in Sitte und Brauch sich niederschlugen, nicht einfach aus der Natur sich entwickelt haben. Sie sind in Jahrhunderten gewachsen, sind Frucht einer Gesittung, wie sie durch die Lehre des Christentums in das europäische Bauerntum eingepflanzt wurde. So steht die Kirche als Träger der Botschaft vom rechten Lebenssinn inmitten des Bauerntums, von ihr aus kam das Licht, in dem sich dann der Mensch entfaltete, seine Umgangsformen Halt und Sicherheit gewannen. So gehört auch die Kirche zu jenen natürlichen Trägern der Erziehung, erlischt die Kraft ihrer Botschaft, so zerfällt auch das gemeinschaftliche Leben.

Neben diesen von Natur her gegebenen Erziehungsträgern stehen die Einrichtungen, die der Mensch im Laufe der Geschichte, sei es aus Not, sei es mit planender Vernunft, geschaffen hat. Im Dorfe steht die Schule. Sie ist eine menschliche Planung und hat den Auftrag, ergänzend neben jene natürlichen Erziehungsträger zu treten. Geht man durch unsere Dörfer, so verraten zumeist schon die Schulgebäude, diese oft so kalten kasernenartigen Backsteinbauten, die so gar nicht in die Bauweise der Bauernhäuser sich eingliedern, daß hier von außen eine „Welt in das Dorf eingedrungen ist. Auch das Innere dieser Häuser zeigt diesen Abstand. Diese Räume mit den zumeist klobigen unbequemen Holzbänken, den großen, weiten Fenstern, die so gar keine Heimlichkeit aufkommen lassen — wie weit sind sie doch fern der Welt der niedrigen Stuben, der Wärme der Ställe, der von Duft erfüllten Scheunen. Hier ist eine fremde Welt, eine Kluft ist aufgetan zwischen Schule und Bauernhaus.

Wie aber kann diese Kluft überwunden werden, wenn die Schule, wie oben gesagt wurde, ergänzend an die Seite der natürlichen Erziehungsträger treten soll? Damit ist die Frage aufgeworfen, wie die Schule sich wandeln muß, daß sie dem Dorfe einwachse. Das ist keine Frage der staatlichen Behörden allein, auch keine nur der Schulmeister, sondern vor allem und zuerst eine Sache des Bauerntums selbst, das sich allzu lange um die Schule nicht bemühte, ja sie als unbequemes und lästiges, dabei zwar notwendiges Stück seines Lebens hingenommen hat.

Der Bauer und seine Kinder.

Ist auch das Wort: „Ein Bündel Gras für sein Vieh ist dem Bauer lieber als eine Schulstunde für seine Kinder“, wie es in den Sammlungen bäuerlicher Spruchweisheit zu finden ist, wohl nicht von einem Bauern, viel eher von einem jener geplagten Schulmeister des vergangenen Jahrhunderts geprägt worden, so enthält es doch eine tiefe Wahrheit. Das Vieh und die Sach‘ (Acker, Weide, Haus und Hof) stehen viel stärker im Mittelpunkt des Denkens, Sorgens und Planens des Bauern als das eigene Kind. Der Acker, der Hof, das Vieh fordern den steten Dienst, alle Hände, die sich da regen können, müssen mitwirken, daß das Ganze lebt und die Seinen nähre. Dieses Ganze kommt über Jahrhunderte in die Hand des Bauern. Es ist ererbt und er hält es nur eine kurze Weile, um es dann wieder an ein neues Geschlecht weiterzugeben. Rauh, mitleidlos gegenüber menschlichem Seelenleben wird allzu leicht der Bauer. Kind bedeutet ihm Zuwachs an Arbeitskraft, die, nun wieder eingesetzt, die Kraft des Ganzen stärkt und ihm höhere Leistung abzuringen vermag. Es ist ihm selbstverständlich, daß das Kind schon zu dem Seinen, zu seinem Verstand und den lebensnotwendigen Kenntnissen findet. Jede Einrichtung, die ihm seine Kinder — das sind wertvolle Kräfte im Betrieb — für viele Arbeitsstunden entzieht, ist ihm ein vielleicht notwendiges, aber eben ein Übel. Man nimmt es hin, doch man umsorgt es nicht.

Aus dieser inneren Einstellung zur Erziehung und Bildung, die sich für den Bauern in einer gewissen Selbstverständlichkeit, in einem natürlichen Hineinwachsen und Mittun vollzieht, erklärt sich auch weithin seine Minderbewertung des Lehrers. Für diesen Beruf scheint ihm eben nicht viel Können und Vermögen erforderlich, hat er doch eben nur dies zu leisten, was er selbst an Können und Wissen besitzt, den Kindern weiterzugeben.

Eifelbauer
Photo: Horst

Wo der Verstand fehlt, da reicht es eben nicht hin und ist Hopfen und Malz verloren.

Aus diesem Verhältnis des Bauern zu Schule und Lehrer erklärt sich zum Teil jene Leidensgeschichte, wie man die Geschichte der Landschule nennen könnte, die nun fast zweihundert Jahre währt. Um 1700, da das Land den Fürsten und Herren ein wichtiger Erwerbszweig wurde, als der Bauer seinerseits in stärkere geschäftliche Beziehungen trat mit der Stadt, erwachte das Bedürfnis nach Schulen. Die Kenntnis des Katechismus, das Wissen um das Leben des Heilandes, wie es die Pfarrer in der Christenlehre vermittelten, genügte nicht mehr, um dem Leben und seinen Anforderungen gerecht zu werden. Die moderne Zeit erforderte auch vom Bauern die Kenntnis des Lesens, Schreibens und Rechnens, so er seine Existenz behaupten wollte. Gewiß, mancher Bauer sah das ein, viele Gemeinden erkannten die Pflicht, eine Schule einzurichten, und auch die Geistlichkeit sprach ein förderndes Wort. So entstanden die ersten Schulen auf dem Lande. Sie sammelten in muffigen, dumpfen Räumen, oft in Kellern oder Scheunen, die dazu mit Bänken primitiv hergerichtet wurden, im Winter die Kinder, und ein gedungener, schlecht bezahlter Schulmeister, der meist selbst nicht mehr als die Buchstaben des Alphabets beherrschte, hämmerte mehr mit der Rute denn mit Verstand den Kindern die primitivsten Kenntnisse ein.

So begann es mehr schlecht denn recht, und der Jammer, der aus diesen Schulen drang, sowohl von den Schulmeistern wie von den Kindern, schrie nach Abhilfe. Man muß die Dokumente jener Zeit lesen, die Klageschriften der Schulmeister, die sich ihr Brot als Musikanten auf Kirmessen, als Hüter der Gemeindeherde, als Schneider, Metzger, Weber und Schuster nebenher verdienen mußten, um zu ahnen, wie bitterlich und erbarmenswürdig dieser Beginn der Schulen aussah. Die Bauern — ihnen und ihren Kindern sollte die Einrichtung dienen, denn sie hatten die Künste, die hier gelehrt wurden, notwendig, wenn sie bestehen wollten — ließen die Schulen verwahrlosen. Die Kirche, die den Schulmeister beaufsichtigte — an vielen Orten war der zweite Klingelbeutel für den Schulmeister bestimmt — hatte ihrerseits nicht wirtschaftliche Kraft genug, denn auch sie lebte ja von der Gemeinde, um die Schule zu halten. Die Klagerufe gingen also an die Fürsten und Herren, gingen an den Staat, damit er Wandel schaffe.

Um 1800 ist fast in allen deutschen Landen der Schritt vollzogen: Der Staat ist der Träger der Schulen geworden, er bestellt und beaufsichtigt die Lehrer, er regelt die Besoldung und verpflichtet die Gemeinden, für die Erstellung der Gebäude und die Erhaltung der Schulen, für ihren Betrieb die Leistungen aufzubringen.

Diese Tatsache, daß der Staat der Träger der Schule wurde, ist entscheidend geworden für Geist und Gestalt der Schule, von ihr kommt die heutige Lage, von ihr kommt die Kluft, die sich zwischen Dorf und Schule gebildet hat. Die Schule wurde nun, und zwar weil die Bauern sich selbst versagten, eine Einrichtung, die, von außen gesteuert, sich nach anderen Kräften richtete, weil eben der Staat in ihr als ihr Träger seine Zwecke zu verwirklichen suchte.

Es soll hier nicht versucht werden, ein Bild der Entwicklung der Schule zu zeichnen, wie sie im Verlaufe des vergangenen Jahrhunderts sich vollzog. Es bleibt das Verdienst des Staates, daß sie sich aus jenen unwürdigen Zuständen heraufentwickelt hat und heute immerhin den Kindern auch unserer Dörfer eine menschenwürdige Lernstätte geworden ist. Aber sie entwuchs dem Dorfe. Schon das äußere Bild, auf das wir oben hingewiesen, hebt sich aus ihm heraus. Der Lehrer wurde Beamter, er wurde hineingesetzt, und hier zeigte sich sofort eine bittere Folge dieser Entwicklung. Viele Lehrer konnten auf den Dörfern keine Heimat finden, sie blieben fremd dem Werk des Bauern und den Kindern. Nicht nur dies: weil die Landstellen schlechter bezahlt wurden, für den Lehrer mancherlei Unbequemlichkeit mit sich brachten, so wurden sie zu Strafstellen, in die man, was in der Stadt nicht taugte, abschob.

Fragt man darüber hinaus, wozu denn der Mensch erzogen wurde, welches Bild vom Menschen in diesen Schulen lebte, ein Bild, das ja weniger durch Worte, denn durch die Atmosphäre sich bildet, so spürt man, und dies von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr, daß nicht der Bauer, nicht der Mensch, der eingewurzelt in einem Werk sein Leben im engen Bereich vor den Seinen verantwortet, sondern ganz andere Vorbilder das Leben der Schule formten.

Wie die Schulen sich äußerlich den Kasernen anpaßten — fast alle sind in den Jahren, da der Geist des preußischen Komis blühte, von 1870 bis 1914, erstellt —, so sangen die Lieder von preußischen Heerführern, erzählten die Gedichte und Lesestücke von großen Tagen preußischer Herrscher und Soldaten, waren die Feiern erfüllt von äußerem Patriotismus.

Vom Bauern und seiner Welt sprach man wenig, ja, war der Lehrer selbst der bäuerlichen Welt nicht verbunden, so blieb diese Welt, in der das Kind sich einmal bewähren sollte, draußen. Schaut man nun noch in die Tage, da der Nationalsozialismus die deutsche Schule und ihre Lehrer dirigierte, so stand hier der Held, der rassisch und völkisch fanatisierte Welteroberer, als das große Vorbild vor den Augen der Kinder. Wieder ein Menschenbild, wie es der Staat zu seinen Zwecken ge- bzw. mißbrauchte, in das nicht hineingenommen war der schlichte Dienst im heimischen Dorf, nicht hineingenommen das Werk des Bauern. Das Kind wurde nicht angehalten zu einem rechten Benehmen in Haus- und Dorfgemeinschaft, sondern in seinem Denken ausgerichtet auf Ziele anderer Art, die nie und nimmer dem Guten, nie und nimmer dem Wohle des Bauerntums dienen konnten. Ein Blick nach Osten zeigt heute, wie auch dort die Schule — und zwar in noch verstärktem Maße — den Zwecken der Machthaber dient, dort hat sie jetzt die Aufgabe, den leistungsfähigsten Funktionär für das Kollektiv heranzubilden, also den Totengräber des bodenverbundenen, familienhaft lebenden Bauerntums.

War es so dem Staate darum zu tun, in allem und jedem die höchste Leistung aus seinem Staatsbürger zu holen, so mußte notwendig die Landschule, in der ja oft in einem Räume alle Altersstufen zugleich unterrichtet werden, als eine minderwertige, rückständige Schule erscheinen. Sie konnte, leistungsmäßig gesehen, mit der Stadtschule, in der ein jeder Jahrgang seinen eigenen Lehrer hatte, allein unterrichtet wurde, nicht konkurrieren. Ein Wettlauf setzte ein, die Landschule versuchte mit neuen, oft erklügelten Methoden im Rennen zu bleiben, sie wurde überlastet mit Wissensstoff, der von den Kindern nach der Schulzeit wie vom Hund das Wasser abgeschüttelt wurde, da er zu ihrem Leben in keiner Beziehung stand. Fügen wir noch an, daß heute in der Ostzone überall Zentralschulen geplant werden, daß also die Schule aus dem Dorfe genommen wird, die Kinder mit Fahrzeugen zu entfernten Schulen gebracht werden, die wie Stadtschulen vielgegliedert sind, so zeigt sich das Ende dieser Entwicklung. Die Schule wird aus dem Dorf herausgenommen. Sie, die einmal um des Dienstes willen geschaffen wurde, dient nun dem jeweiligen Machthaber zur Gestaltung seiner Zwecke, zur Ausrichtung der Kinder auf Ideen und Gehalte, die in seinem Interesse liegen.Die Aufgabe der Stunde

An das Bauerntum werden in dieser Stunde seiner Geschichte höchste Anforderungen gestellt. Nicht nur, daß der Kampf um die wirtschaftliche Existenz eine umfassende Kenntnis moderner rationeller Wirtschaft fordert, eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen wissenschaftlicher Forschung, es ist zugleich, da es innerhalb des Volkes in die Minderheit gekommen, von ihm eine aktivere Teilnahme am politischen Leben gefordert. Die überlieferten Formen, wie sie noch die Väter hielten, sind weithin zersetzt, so muß das heutige Bauerntum versuchen, ein neues Verhältnis zum Geist, zu den tragenden Ideen der Zeit, zu gewinnen. Das Bauerntum braucht eine Schule, die all diese Fragen in sich hineinnimmt, um bereits im Kinde die Voraussetzungen zu legen, damit es auf ihnen aufbauend in die Lage versetzt wird, wenn seine Stunde kommt, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

So ist die Aufgabe gesetzt, die Schule heimzuholen, ihr jene Stelle zu geben, die ihr für die Gestaltung der Zukunft bäuerlichen Wesens zukommt. Das Bauerntum bedarf heute einer Schule, die in Einrichtung und Lehre sich verantwortlich eingliedert in die großen Lebensfragen des Bauerntums, den Kindern die Grundlagen legt, ihnen das Wissen und die Haltung übermittelt, die sie zur Gestaltung ihres Lebens, zur Bewältigung ihrer Lebensaufgabe notwendig haben. Sie kann und darf hier nicht neben der Familie und dem bäuerlichen Werk stehen, eine eigene Melodie spielen, sie muß ergänzend in lebendigem Miteinander ihre Arbeit in und mit der Dorfgemeinde zu erfüllen streben.

Versuchen wir diese Aufgabe im einzelnen zu umreißen, wie sie in dieser Stunde der Schule des Bauerntums gesetzt ist, so ergibt sich zwangsläufig und undiskutierbar:

1. Daß die Schule mehr als zuvor mit allem Ernst und Nachdruck die elementaren Fertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens zu vermitteln hat, da sie unab-dinglich geworden sind. Hier aber muß sie stärker, als es bis heute an den meisten Landschulen geschah, die Verhältnisse des Landes — etwa im Rechnen — beachten, muß das Leben hineinnehmen in den Raum, damit das Kind auch in der Schule die Aufgaben bewältigen lerne, die ihm das Leben einmal stellt.

2. In den Realfächern müssen die Fragen, wie sie heute das Bauerntum bewegen, in ihm lebendig sind, stetig gesehen werden. Von ihnen gehen die Impulse aus, die dann den Stoff bestimmen, der vor den Augen des Kindes entfaltet wird. Es geht darum, daß der Blick des Kindes die Zusammenhänge begreift, in denen bäuerliches Werk und Leben steht. Ob in der Naturkunde die Pflanzenwelt, wie sie auf dem Acker und den Wiesen heimisch ist, ob in der Geschichte die Geschehnisse, wie sie auf dem heimischen Boden spielten, oder auch das Schicksal des Dorfes oder des Bauerntums bestimmen, in der Erdkunde die bäuerlichen Siedlungsformen, die Arbeitsweisen der Bauern in den verschiedenen Ländern aufgezeigt werden, die Verflechtung des wirtschaftlichen Geschehens in der Zeit: immer geht der Blick vom Hofzaun in die Welt. ^Nicht Wissen darf von außen systematisch aufgelastet werden, es ist immer die Beziehung herzustellen, die das eigene Leben zu den Erscheinungen, Kräften, Gestalten und Sachverhalten hat.

Die Schule ist in allem Unterricht zu einer Vorschule bäuerlichen Lebens zu gestalten. Das bedeutet nicht, daß sie den Blick verengt, nur der Weg, den sie geht, ist anders geworden. Sie spürt im kindlich überschaubaren Raum die Fragen auf, führt vom Hof aus in die Welt. Nicht so, wie es die Schule bisher weithin sichtbar getan hat über den Leitfaden, das Realienbuch — es war ja nur ein Auszug aus dem Lehrbuch der höheren Schule, dieses wieder ein Auszug aus denen der Hochschule — zu einem toten Allerweltswissen, das den Bezug zur Wirklichkeit entbehrte. Aller Unterricht gehorcht den Grundsätzen volkstümlicher Bildung, die vom konkreten Raum ausgeht und sich Zug um Zug kindgemäß die Welt in ihrem Gefüge erobert.

3. Die Schule hat auf dem Weg über das Kind wertvolle Dichtung, volkhaftes Erzählgut, echtes Liedgut, das dem bäuerlichen Leben gemäß ist, dieses Leben deutend begleiten kann, in die Dorfgemeinschaft einzubringen und es in Fest und Feier gestaltend in die Mitte des Lebens der Dorfgemeinschaft zu stellen. Ihr Auftrag ist es, aus ihrer Enge, aus ihrer Isoliertheit herauszutreten und sich mitformend in das Ganze des Lebens zu stellen. Gerade in dieser Stunde ergibt sich hier eine der bedeutsamsten und notwendigsten Aufgaben. Zwar lernen die Kinder in der Schule Gedichte, gute Gedichte und Lieder zuweilen, aber sie lernten sie für sich eben schulmäßig ohne Beachtung der Bedürfnisse, die im Leben des Dorfes, der Familien gegeben waren. So gingen sie nicht in das Leben ein, wurden vergessen, wurden nicht zur gestaltenden Kraft. Es ist aber not, so Volk wachsen soll in seinem innersten Leben, daß der Umgang der Menschen miteinander durch die Begegnung mit den lebendigen Gütern des Geistes Wärme und Fülle erhalte, damit der Mensch in der Ehrfurcht die Formen seines Umganges präge. So ergibt sich die Aufgabe schon für die Schule, die aber für alle Erziehung auf dem Lande, auch für den Erwachsenen, eine stetige bleibt, das dem bäuerlichen Menschen Gemäße zu suchen, das erfreuen, erheben, fesseln und Leben deuten kann.

4. Ein Haus des Dorfes, in das Leben hineingenommen wird und von dem wieder Leben ausstrahlt, muß die Schule werden. Erst dann kann sie mit Recht eine Bildungsstätte genannt werden. Sie stellt Sich in das Leben, in dem sie eingesenkt ist, aus dem die Kinder kommen, in das sie wieder hineingehen. Damit erhebt sich die gewichtigste Forderung: sie muß wieder zu einer Stätte echten und rechten Umgangs werden. In ihr müssen die Kinder so miteinander leben, daß die hier gefundenen Umgangsformen vorbildhaft: für das spätere Leben sein können. In ihrer heutigen Gestalt, in ihrer Einrichtung, dem Klassenraum mit dem erhöhten Lehrerpult, den das Kind an die Plätze bindenden Bänken, kann geherrscht, regiert, befohlen werden. Doch lebendiger Umgang, so wie er in der Familie, in der Dorfgemeinschaft sich vollzieht, hat hier keinen Raum.

Die Klassenräume, wie sehr das dem gewohnten Denken fremd sein mag, müssen zu Wohnstuben werden, in denen die Kinder nun gehalten von einer Aufgabe — eben zu lernen, Wissen und Umsicht zu gewinnen — vorbildlichen Umgang miteinander pflegen. Ob es darum geht, die Türen recht zu schließen, recht zu grüßen, dem Kameraden zu helfen, den Raum behaglich und gediegen miteinander zu gestalten, den Raum rein zu halten, so wie es später auch im Leben gefordert wird, all dies hat die Schule zu pflegen. Nur auf diese Weise, wenn schon das Kind zu rechter Ordnung und Sitte unvermerkt angehalten und an sie gewöhnt wird, wie es vordem im rechten Elternhaus der Fall war, kann auch das Bauernkind die Grundlagen finden, um einmal seine Umwelt, sein Haus in einer Form zu gestalten, die das Dasein erhellt und bereichert.“

5. In dieser Aufgabe ist bereits eine weitere enthalten. Echtes Gemeinschaftsleben, das im rechten Umgang miteinander sich erweist, gründet auf und bezieht seine Kräfte aus dem Glauben. Übernimmt also die Schule familienhafte Formen, so stellt sie sich in allem in die gläubige Gemeinschaft, in der auch das Dorf wurzelt, und lebt mit den Kindern aus ihrem Geist. Das fordert aber zugleich, daß sie in einer lebendigen und lebensnahen Weise sich um die Erweiterung und Vertiefung des religiösen Wissens und Lebens bemüht. Es ist recht eigentlich ein neues Gesetz, das hier über die Schule aufgerichtet wird.

Dennoch ist dieses Gesetz uralt. Es ergibt sich aus den Lebensinteressen des Bauerntums selbst. Nachdem es sich einmal versagt hat, d. h. ja nichts anderes, als daß es aus materiellen Gründen seines kostbarsten Besitzes, seiner Kinder, vergaß, ihre Erziehung anderen überließ, muß es heute die Schule wieder heimholen.

Winzerin von der Ahr
Photo: Horst

Positiv kann es aber in dieser Stunde, wo es diese schwierige Aufgabe angreifen muß, sehen, daß die Lehrerschaft selbst auf dem Wege ist, die Schule umzugestalten, daß hier also m Gemeinschaft ein Werk angefaßt werden kann. Die Reformbewegung, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg entstand, hat den Begriff der dorfeigenen Schule geprägt, um damit zu sagen, daß sie heimverlangt in die echte, sich aus dem Wesen der Sache selbst ergebende Aufgabe. Eben aus dieser Bewegung kommt die Klage, wie schwer gerade der bäuerliche Mensch zu gewinnen ist, wenn es darum geht für die Erziehung seiner Kinder Opfer zu bringen. Es kann aber die dorfeigene, die bäuerliche Schule nicht Gestalt werden, wenn nicht der Bauer selbt mit Hand anlegt, damit die Schule ins Dorf zurückkehre. Fragt man nach dem, was man von ihm erwarten muß, da es ja um die Zukunft des Standes geht, wäre zu sagen:

1. Daß er sein Interesse der Schule zuwende, erkenne, wie es in ihr um das Heil seiner Kinder geht und damit um die Zukunft seines Hofes und des Bauerntums.

2. Daß er mithelfe, aus einer Einsicht in das, was not tut, die Kasernen umzugestalten, damit sie zu bäuerlich geprägten Wohnheimen werden, in denen in schlicht und sorglich eingerichteten Stuben seine Kinder dem Leben entgegenreifen.

3. Daß er mitsorge und es als Anliegen empfinde, daß in seiner Schule die Mittel zur Hand sind, die Einrichtung besorgt wird, die in dieser Stunde der Geschichte einen lebendigen und die Kindern fördernden Unterricht gewährleisten. Die Entfaltung der Technik, die Notwendigkeit, wissenschaftliche Ergebnisse auch für das Bauerntum fruchtbar zu machen, erfordern heute auch für die Landschule einen erheblichen Aufwand für die Beschaffung geeigneter Lehr- und Lernmittel. Eine Bücherei, die nicht nur dem Kind, sondern auch den Erwachsenen dienen kann, dürfte in keiner Landschule fehlen. Das müßte dem Bauerntum Ehrensache sein.

4. Daß die Eltern in ganz anderer Weis’e als bisher selbst Anteil nehmen am Leben ihrer Schule, hineinschauen in ihre Arbeit, kritisieren und dem Lehrer „Wege finden helfen, damit er ihrem Leben und ihren Fragen in seiner Arbeit gerecht werden kann.

5. Daß die Gemeinde den Lehrer heimhole in ihren Raum, ihn teilnehmen läßt an den Fragen und Nöten, die sie beschäftigen und über die sie Klarheit suchen. Nur so, daß er sich umhegt weiß und ernst genommen, vermag er ja auch selbst seiner Aufgabe gerecht zu werden.

Es ist damit gegeben, daß die Schule nicht beschlossen sein darf, so die Stunde der Entlassung gekommen ist. Die Anforderungen, die vom Leben heute an den Bauern gestellt werden, sind so, daß über den Bereich der Schule hinaus dann, wenn der Mensch in die Jahre kommt, wo das Leben ernst wird, weitere Wege aufgetan werden müssen, damit er Kenntnisse erwerben, seine Einsicht in Welt und Leben vertiefen kann. Die Schule bleibt Mittelpunkt — wenn, ja wenn der Lehrer nicht nur Pauker war, Beamter, der seinen Dienst ableistete, sondern mit im Raum des Dorfes steht, und nur durch sein Wissen, seine Einsicht, sein Vermögen, zu gestalten, ein Stücklein Leben erhellen kann. Gute, ja beste Lehrer aufs Dorf, so sorge das Dorf, daß dem Lehrer das Scheiden schwer, das Berufenwerden und Kommen aber als ein Geschenk und eine Ehre erscheint.