Wunder in Glas und Mosaik
Eine Werkstatt auf der Insel Nonnenwerth • Kunst vom Eiland im Strom
VON HARRY LERCH
DREI MOSAIKPLATTEN AUS EINEM KREUZWEG VON SCHWESTER ELMA KÖNIG, NONNENWERTH
Seht euch um, sagt der Kalendermann, blickt umher in eurem Lebenskreis, und ihr werdet Wunder sehen über Wunder, die der Tag euch bereithält. Sie müssen nicht einmal „aus der großen Welt“ kommen — nein, sie werden in Werkstätten geschaffen, die nicht weiter entfernt sind als das nächste Dorf. Künstler arbeiten darin und geben ihr Werk nach draußen, in eine Kirche etwa oder in ein großes Krankenhaus, an einen Kreuzgang oder in eine Krypta. Es sind Werkstätten, in denen Sammlung ist und Stille, weil alles, was groß an uns herantritt, dieser schöpferischen Stille bedarf. In solche Werkstätten soll keiner eintreten wie zu einem Besuch, noch weniger aus einer sanften, gutmütigen Neugier — stört diese Ruhe nicht!
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Es war vor einem Jahr in Remagen, als wir einer Künstlerin begegneten, die die Kutte der Franziskanerinnen von Nonnenwerth trägt. An jenem Tag trat das Farbgeheimnis eines gläsernen Teppichs ans Licht. Es war die Geburtsstunde eines hohen Fensters. In seinem Symbolreichtum, in Entwurf und Farbenklang war es entstanden in einem stillen, hohen, von Licht erfüllten Atelierraum auf der klösterlichen Insel im Strom, auf Nonnenwerth.
„Gedichte sind gemalte Fensterscheiben …“ sagt Goethe, und, ohne diesem schönen und weisen Worte Gewalt anzutun, darf man es umkehren. Diese „gemalte Fensterscheibe“, die uns im Kloster St. Anna bestürzte, klang in der Ordnung der Farben wie eine große Wortverherrlichung dessen, den es an und über den Altären verherrlichen heißt.
Fenster sind ein Innen und ein Außen, sie verbinden, immer führend lenkt ihre Höhe das Auge nach oben in die Pracht und Inbrunst der Farben. Jedermann kann dieses Fenster besehen in St. Anna zu Remagen, und es ist eine Stunde, die Gewinn hat und heilsam ist, weil Farben die kranke Seele heilen können.
Wenn wir bei diesem hohen Chorfenster noch verweilen wollen: es ragt schmal und hoch auf im Chor, als Wunder eines schimmernden Teppichs aus Glas, in einer gezügelten Kraft, die aufs Innerste hinweist und an ein Geheimnis rührt. In diesem Mittelfenster — in der Kunstwerkstätte Maier (Bad Neuenahr) von werkgerechten Händen gefügt — ist die Heiligung des Lebens dargestellt, das nach oben strebt. Was die Sphären erreichen wird, ist nicht der Leib, sondern die Seele, und die strebenden Seelen fliegen als Vögel nach oben, gewinnen eine Stille weitab über der Erde, in der sie kaum noch den eigenen Flügelschlag vernehmen. Dieser leise Flug nimmt still unser Auge mit in die Höhe. Die höchsten droben unter dem gotischen Vierpaß, die Gott am nächsten sind, tragen schon den Schein der Heiligung ums Haupt. Der Schluß im Fenster oben ist auch der weisen Weltordnung Schluß mit drei Hostien der Dreieinigkeit. Und der Quell des Lebens sprudelt empor als Fensterornament, die Traube ebenso als Gleichnis unseres Weinstocks wie der Eucharistie.
Die Farben, die Farben! Sie sind eingewoben wie in einen kostbaren Gobelin, sie spielen, suchen Nachbarschaften, die sie kräftigen oder noch zarter schimmern lassen. Gerauchte Tönungen von Grau verschwistern das Blau und Rot — viele graue Tönungen, wie sie unsere Eifellandschaft überschweben an Nebeltagen, an Schiefergestein und Felsenwand über dem Weinberg.
Als das Fenster festgefügt war ins Gestein der Chorwand, trat die Künstlerin wieder zurück, nachdem ihre zeichnende Hand, ihr Wissen um Farbengeheimnisse und das Auffinden der Symbole das Werk getan hatten und seine sakramentale Kraft hervorlebte im Licht.
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Und dennoch können wir ihren Namen nicht im Schweigen belassen, weil er schon weit reicht in rheinische und niederländische Provinzen. Die Frau im Gewand der Franziskanerinnen von Nonnenwerth ist Schwester Elma König. Und wenn wir uns dieser Farberinnerungen an eines ihrer Kirchenfenster nicht erwehren können, so bedarf das eigentlich einer Korrektur. Denn, mehr noch als im spröden Glas, das von biegsamen Bleiruten gefaßt wird, arbeitet sie in Mosaik. Da treten Bildgeheimnisse noch stärker hervor.
Arabisch musauik heißt „geschmückt“, und daher rührt dieser Name. Die Paläste von Saba und Karthago, von Rom und Byzanz waren in Mosaik geschmückt. Schlagen wir eine Seite der Weltenchronik auf, so sehen wir, daß zuerst die Fußböden mit Marmorscheiben geziert wurden — so genau, daß sogar Speisereste nachgebildet waren und als oikes asa-rotos — „ungekehrter Fußboden“ eine Kuriosität der Kunstgeschichte sind. Jahrhunderte haben Böden, Wände und Decken mit Mosaiken geschmückt, bald wurden Bilder daraus mit Göttern und Heiligen, und es bedarf rühmenden Wortes, wenn diese Kunst auf der klösterlichen Insel im Strom eine Heimstatt gefunden hat.
Wir besuchten Schwester Elma in ihrem Atelier. Die Hast des Tages klingt ab beim Warten aufs Fährboot, und die heilsame Ruhe der Insel ist Vorbereitung. Im Kreuzgang des Klosters, auf dem Weg zum Atelier, verhält der Schritt, weil es aus dem Halbdunkel glänzt und schimmert und glüht von vielhundert Farben: wir stehen vor dem wandhohen Mosaik der „Immaculata“. Der Halbbogenfries rundet ein hohes, breites Mosaikfeld ab, in dem die Madonna aufragt als Beschützerin des Eilands. Sie tritt auf die Schlange, deren Zunge rot schlängelt, und mit ihrem weiten Mantel beschirmt sie den Klosterbau. Er liegt zu ihren Füßen, breit hingelagert der Trakt der barocken Kirche links und angegliedert rechts das gestreckte Haus der vielen Fenster. Das Siebengebirge dämmert hügelig hinter dem Mantel auf, und das Gewand führt die Augen auf zu den schützenden Händen.
Schutzmantelmadonna im Kreuzgang des Klosters Nonnenwerth als Beschützerin der Insel im Strom
Fotos: Segschneider
Ein Regenbogenthema schimmert um die hohe Gestalt, und dennoch ist alles bezogen in die Ordnung der zierlichen Steine von Gold und Marmor und Steine aus allen geologischen Zeiten der Erde. Klassisches Maß und große Komposition, die alle Buntheit ins Wohltuende zusammenfassende Hand — das ist das Geheimnis dieser Mosaikwand, und auf einmal ist es jedem begreifbar, der den Schritt davor verhält.
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Auch das ist Vorbereitung für den Eintritt ins Atelier. Hier ist gesammelte Stille der Künstlerschaft. Da lehnt an der Wand der Entwurf jener farbstrahlenden Mosaikbilder, die längst in der Kirche von Sinzig sind. Unten, in der Barockkirche des Klostergebäudes, hatten wir zwei vollendete Kreuzwegstationen gesehen, und hier begegnen wir den anderen Platten, die im Werden sind. Sie sind 50 mal 70 cm groß, und die Smalten, die vielhundert bunten Steine, ordnen sich zum Bild. Da sind die beiden statuarisch strengen Gestalten von Christus und Pilatus, während Simon und Christus auf dem Wege nach Golgatha sanft gebogen sind im Duktus des Leides. So ist Wechsel von Bild zu Bild, wie ein Kanon des Leidensweges, und Woche um Woche wachsen den Tafeln neue wie Geschwister hinzu.
Zu neuen Versuchen ist Schwester Elma gekommen. Aus undurchsichtigen Opalgläsern und zartfarbenen Antikgläsern komponiert die Künstlerin Mosaikbilder, in denen Teile oft bis handtellergroß sind. Manche Stücke schimmern wie Emaille, und die Wirkung dieser Arbeiten ist der Wechsel und das Zusammenfassen stofflich so verschiedenartigen Materials.
Es sind schimmernde Teppiche von Glas und Stein, und immer ruhen Bildgeheimnisse in ihnen, die zu uns herstrahlen. Viele der Werke sind in rheinischen Landen, in Sinzig, Remagen oder auf dem Eiland Nonnenwerth, aber auch in Mönchen-Gladbach, Lühnen oder in Holland. Und so wirken sie in uns und in die Welt.