DER BEITRAG SCHLESIENS

am gesamtdeutschen Kultur- und Geistesleben

Kloster Leubus

VON

HEINRICH OTTO OLBRICH

Wie in einem Schmelztigel sind die aus allen deutschen Stämmen kommenden Menschen in Schlesien zu einer Einheit von besonderer Prägung geformt worden. Die Landschaft, das Ringen des Alltags und das gemeinsame Erleben in Freud und Leid, und immer wieder in Leid, haben den schlesischen Menschen gestaltet, und selten ist die Einheit von Mensch und Landschaft so offensichtlich, wie gerade hier, obwohl das Schlesierland verschiedene Landschaften aufzuweisen hat. Im Boden wurzelndes Brauchtum, aus Urzeiten übernommen, begleitete den Jahreslauf der Schlesier.

Von einer Unzahl schöpferischer Menschen wird das Schlesiervolk getragen. Viele von ihnen wuchsen zu gesamtdeutscher Bedeutung heraus, und manche erlangten gesamteuropäische oder gar Weltbedeutung. Nirgends aber in einer deutschen Landschaft ist die Zahl bedeutender Männer und Frauen so groß wie im schlesischen Raum.

In der Frühzeit schlesischer Geistigkeit bereits entstanden aus der breiten Masse des Volkes zwei Männer, die von der Kirche zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Es sind die beiden in Großstein in Oberschlesien geborenen Brüder Ceslaus und Hyazinth, die als Mitglieder des Dominikanerordens Begründer der Dominikanerklöster in Friesach (Kärnten), Prag und Breslau waren.

Neben diesen hervorragenden Männern sei die schlesische Landesherrin und Schutzpatronin, die hl. Hedwig, genannt, die das Kloster Trebnitz begründete.

Der 1310 in Neumarkt geborene und in Breslau als Bischof verstorbene Johann von Neumarkt war der Wegbereiter der einheitlichen deutschen Schriftsprache. Ohne dessen Wirken wäre Martin Luthers bestimmender Einfluß auf die Entwicklung der einheitlichen deutschen Sprache nicht möglich gewesen.

In Troitschendorf, Goldberg und Liegnitz lebte der Schulmann Valentin Trotzendorf, der als Rektor der berühmten Lateinschule in Goldberg wirkte. Er war ein bedeutender Förderer des deutschen Schulwesens und wird in jeder Geschichte der Pädagogik würdigend hervorgehoben.

Der Rektor der Jesuitenschule in Neiße, Christoph Scheiner, entdeckte die Sonnenflecken, bestimmte auf Grund dieser Beobachtungen die Bewegung der Sonne, fertigte die erste Karte des Mondgebirges an und erfand den Pantographen (Storchschnabel), einen Apparat zur Übertragung von Zeichnungen in einen anderen Maßstab.

In der Notzeit des 30jährigen Krieges, die mit den fremden Heeren auch eine Überfremdung der schlesischen Lebensäußerungen brachte, erstanden dem deutschen Volke Dichter und Seher, deren Werke unvergänglich bleiben. So wirkte ein Martin Opitz in Bunzlau und zuletzt in Danzig, Friedrich Freiherr von Logalt erfüllte das deutsche Sehnen mit bedeutungsvollen Sprüchen, Angelas Silesius war der Verfasser der ersten nennenswerten Spruchsammlung und innig frommer, religiöser Lieder. Sie alle wurden aber überragt von dem aus dem Volke bei Görlitz stammenden Josef Böhme, dem ersten deutschschreibenden Philosophen, der in seiner Muttersprache schreiben mußte, weil er das damals übliche Latein nicht beherrschte.

Der Philosoph Friedrich Schleiermacher (geb. 1768 in Breslau) bekämpfte besonders die Aufklärung und begründete die Religionsübung aus den Kräften des Gemüts. Er versuchte, sich mit den Religionsverächtern unter den sogenannten Gebildeten über das „heiligste Gemeingut der Menschheit“ zu verständigen und war ein mutiger Kämpfer gegen theologische Reaktion und politische Unfreiheit.

Den Geist der Aufklärung vertraten zwei in Breslau geborene Philosophen, die in das Zeitalter Friedrichs des Großen hineinragen: Christian Freiherr von Wolf, der vom Vater des Großen Friedrich wegen seiner freisinnigen Reden des Landes verwiesen worden war und dann von‘ Friedrich dem Großen in Gnaden aufgenommen wurde. Er wirkte als Kanzler der Universität Halle. Sein Gesinnungspartner, Christian Garve, wirkte als Professor in Leipzig und Breslau.

In Glogau lebte und wirkte Ignatz Felbiger als Abt und hervorragender Schulmann. Er schuf das „Preußische Generallandschulreglement“ und organisierte im Auftrage der Kaiserin Maria Theresia das gesamte österreichische Schulwesen.

In dieser Zeit wirkte als Baumeister von Weltruf Karl Gotthard Langhans, der 1753 in Landeshut geboren wurde. Er bekleidete in Berlin des Amt eines Direkotrs des Königl. Oberbauamts und ist u. a. der Erbauer des Brandenburger Tores. Sein Sohn Friedrich Langhans schuf die Entwürfe für das neue Opernhaus und das Viktoria-Theater in Berlin, sowie für die Theater in Breslau, Leipzig und anderen Großstädten.

Allbekannt ist die Dichtung „Kölner Heinzelmännchen“. Ihr Dichter ist August Kopisch aus Breslau. Er übersetzte Dante’s „Göttliche Komödie“. Er war gleichzeitig ein namhafter Maler und ist Entdecker der Blauen Grotte auf Capri.

Der Sänger des deutschen Waldes ist unbestritten Joseph Freiherr von Eichendorff, der zu Lobowitz b. Ratibor geboren wurde. Seine herrlichen und innigen singbaren Gedichte sind Volkslieder geworden, die überall erklingen, wo Deutsche sind. Er war ein mutiger Streiter für die Erhaltung der Marienburg an der Nogat, der aufrechte Mann, dem wir „Die Freier“ sowie den unsterblichen „Taugenichts“ verdanken. Als größter deutscher Romantiker beschloß er 1857 in Neiße sein Leben.

In Breslau begann und erfüllte sich auch das Leben Karl von Holtet’s (1798 bis 1880). Er wirkte als Dramaturg in Berlin und Riga und schrieb viele Liederspiele, Dramen und Romane.

Das Gesamtwerk des Dichters und Kulturhistorikers Gustav Freytag umfaßt 22 Bände. Die „Journalisten“ zählen zu den wenigen guten deutschen Lustspielen. Sein Kaufmannsroman „Soll und Haben“ ist der erste deutsche soziale Roman und das sechs Bände umfassende Romanwerk „Die Ahnen“ und die „Bilder aus deutscher Vergangenheit“ sind deutsche Geschichte in edelster Form.

Aus der langen Reihe hervorragender Musiker seien genannt der Komponist Josef Eisner aus Grottkau, der Lehrer Chopins. Ein zweiter Josef Eisner war jahrzehntelang Dirigent der japanischen Hofkapelle und ist der Schöpfer der japanischen Nationalhymne.

Der Baumeister Ernst Friedrich Zwirner aus Jakobswalde/Oberschlesien verbrachte die besten Jahre seines Lebens in Köln als Vollender des Kölner Domes. Sein Name ist auch mit der Geschichte der Apollinariskirche in Remagen verknüpft.

Wenn wir uns auf dem Gebiete der Malerei umschauen, so begegnen wir der „Kleinen Excellenz“, die aus dem Berliner Künstlerleben nicht wegzudenken ist. Es ist Adolf Menzel, ein gebürtiger Breslauer, welcher der angesehenste Historienmaler und Graphiker seiner Zeit war.

Nicht minder bekannt ist der in der Schweiz verstorbene Kunstmaler Wilhelm Kuhnert, gebürtig aus Oppeln, dessen in freier „Wildbahn gemalte Raubtiere von besonderem Reiz sind.

Eduard Grützner, der seine Wirksamkeit nach München verlegte, ist in den Bildergalerien bekannt durch die „Weinfrohen Zecher“ und die Illustrationen zu Shakespeares Dramen. Er stammte aus Gr. Karlowitz bei Grottkau.

Unter den praktischen Naturforschern erlangte Weltgeltung der in Heinzendorf geborene spätere Augustinerprälat in Brunn, der Botaniker Gregor Mendel, dessen aufgestellte Vererbungsgesetze die Grundlage für die moderne Vererbungslehre überhaupt bilden.

Der bedeutendste Bienenforscher aller Zeiten ist der Pfarrer und Bienenzüchter Dr. Jobannes Dzierson als Entdecker der Jungfernzeugung der Bienen und als Erfinder des beweglichen Wabenbaues.

Die Landwirtschaft erfuhr eine starke Förderung durch Franz Karl Achard (1821) aus Kunern in Schlesien. Sein Wirken ist bahnbrechend in der gesamten Lebensmittelindustrie der Welt durch die Errichtung der ersten Rübenzuckerfabrik Europas.

Bedeutende Beiträge für die Industrie Deutschlands lieferte u. a. der „Lokomotivkönig“ August Borsig, der die erste deutsche Lokomotive erbaute. Der oberschlesische „Zinkkönig“ Karl Godulla ist der Begründer der ausgedehnten Schaffgott’schen Industriewerke. Godulla hat sich vom armen Waldarbeiterjungen zum Industriemagnaten emporgearbeitet.

Den Autofahrern dürfte es nicht uninteressant sein, daß der Schlesier, der Nobelpreisträger Friedrich Bergius, aus Kohle den ersten Kraftstoff herstellte, und Paul Hoffmann, gleichfalls ein Schlesier, der Erfinder von Buna ist.

Artur Horn ist der Erfinder der Fernübertragung von Fotografien, und Steinmetz stellte die Geheimnisse des Wechselstromes fest.

Fritz Haber, einem Breslauer Kind, gelang erstmalig die Gewinnung des Stickstoffs aus der Luft, jenem Segen für unsere Landwirtschaft. Er ist auch der Erfinder der Schlagwetterpfeife als Warnsignal für den Bergmann.

Schlesier, die zumeist in Verbindung mit der Universität Breslau in den letzter zwei Menschenaltern ihre segensreiche Wirksamkeit für Gesamtdeutschland und die Menschheit überhaupt entfaltet haben, sind strahlende Sterne am Geisteshimmel Deutschlands. Zu ihnen gehören der Chirurg Professor Mikulicz, der Gehirnoperateur Förster, der Entdecker des Wundstarrkrampfes Nikolai, der Dermatologe Alben Neißer, der Erfinder des Salvarsans Paul Ehrlich, der Spezialforscher für Knochentuberkulose Paul Krause, der Astronom Hermann Müller, der Radioerfinder Adolf Schmidt, der Inhaber von über hundert Patenten war und Schöpfer der Funkstation Nauen bei Berlin ist.

Wenden wir uns nochmals den Kündern deutscher Seele zu, so nennen wir zunächst Juilius Raschdorf, den Erbauer des Domes in Berlin.

Der bedeutendste Dramatiker des Jahrhunderts ist Gerhard Hauptmann. In seinem Schatten wirkte der nicht minder hervorragende Mensch und Künstler Karl Hauptmann.

Zum Kreise der Vertrauten Gerhard Hauptmanns gehörte Gerhard Pohl als Schöpfer der „Schlesischen Gedichte“. Schlesische Schicksale werden lebendig durch Hermann Stehr, den sprachlichen Gestalter schlesischer Stammesart, und durch Paul Keller, der sich durch sein gemütvolles Plaudern Freunde in aller Welt erworben hat.

Unter den Forschern nehmen einen hervorragenden Platz ein der Oppelner Eduard Schnitzer, der als türkischer Gouverneur den afrikanischen Äquator erforscht hat, und der Kolonialpionier Freiherr Ferdinand von Richthofen aus Karlsruhe O./S. Er ist Chinaforscher und Begründer des Instituts für Menschenkunde in Berlin.

Schließlich ist Manfred von Richthofen als der „Rote Kampfflieger“ unserer Jugend wohlbekannt.

Unsere deutschen Mütter werden es vielleicht nicht wissen, daß sie ihre schönsten Kinderlieder dem schlesischen Dichter Hoffmann von Fallersleben zu verdanken haben, demselben Manne, der uns das Lied der Deutschen geschaffen ‚hat und uns mahnend immer wieder zuruft:

„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!
Danach laßt uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand.
Blüh‘ im Glänze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!“