Seltsame Flurnamen an der unteren Ahr

Für jeden Heimatforscher sind die leider so oft gering geschätzten Flurnamen eine ausgiebige Fundgrube, zumal ihm häufig, besonders auf dem Lande, andere Urkunden kaum zur Verfügung stehen. Viele Flurnamen lassen sich ohne weiteres leicht erklären, denn sie sind benannt nach Bäumen, Tieren, Bodenbeschaffenheit, Wasservorkommen, Feldeinteilung oder Ackerbebauung. Er wird ferner bald herausfinden, daß diese Namen in den verschiedensten Gegenden immer wiederkehren, und daß auch die örtliche Mundart berücksichtigt werden muß, um das richtige Verständnis zu erschließen. Wenn der Heimatforscher nun diese bekannten Flurbezeichnungen seiner Gemarkung ausgesiebt hat, dann bleibt meist noch ein ansehnlicher Rest übrig, der jeglichem Deutungsversuch hartnäckigen Widerstand leistet. Ich will hier einige seltsame Flurnamen, die an der Unter-ahr vorkommen, herausgreifen und zu deuten versuchen; dabei will ich bewußt Flurnamen wie „Ellig“ und „Plänzer“, die an Rhein und Mosel häufig sind, trotz ihrer großen Wichtigkeit ausschalten.

l. Brongs.

In Dernau ist in der Nähe der im Jahre 1885 unter dem heutigen Winzerverein aufgedeckten Ruine der Römervilla die Flur „Brongs“. Wenn man, von Marien-94

tal kommend, an den ersten Häusern von Dernau anlangt, befindet man sich „Zwischen dem Brongs und der Ahr“; der Brongs ist also gleich rechts hinter diesen Häusern. Dieser Name Brongs entspricht weitgehend dem im Altertum genannten Flusse „Brongos“, d. i. die heutige Save, die auch „Sau“ genannt wird; sie mündet bei Belgrad in die Donau und durchfloß ehedem die Landschaft Pannonien. Die Übereinstimmung beider Wörter geht so weit, daß nur in der Endung das o ausgefallen ist, ja sogar das Geschlecht (masculinum) ist erhalten geblieben. — Wie kam aber dieser Name an die Ahr? Im Erdkastell in Remagen lagen nachweislich Im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung die I. Kohorte der Thraker und die VIII. Kohorte der Breuker als Besatzung. Die Heimat der Breuker war in Nieder-pannonien am Unterlauf der Save (Brongos) in der Gegend der heutigen Stadt Brod. Somit ist durch den unscheinbaren Flurnamen „Brongs“ der klarste Beweis erbracht, daß Arbeitseinheiten der Breuker von Remagen in Dernau eingesetzt waren, wie die auswärtige Beschäftigung der Soldaten damals bei den Römern aus naheliegenden Gründen allgemein üblich war. Die Breuker nannten die Ahr nach ihrem Heimatfluß Brongos; ob sie den Namen der Ahr nicht kannten, oder ob die Ahr Ihren jetzigen Namen noch nicht führte, Ist hier nebensächlich und gleichgültig.

Ein Gegenstück aus späterer Zeit scheint uns der kleine Bach zu bieten, der die Römervilla mit fließendem Wasser versorgte; Leute des Stiftes Rees am Niederrhein, das vom 11. bis 13. Jahrhundert In Dernau begütert war, nannten ihn wohl nach der „Niers“ ihrer Gegend „Niersbach“, und so heißt er noch heute.

2. Im Semmenich (im 14. Jh. Semenich, Se-medich, Simenich, im 15. Jh. Sentenich?)

Die junge Stadt Bad Neuenahr ist in der angenehmen Lage, in den „Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr“ von Dr. Hans Frick ein hervorragendes Werk zu besitzen, das über ihre Vergangenheit weitgehend Aufschluß gibt; selbst die Flurnamen, sowohl die jetzt gebräuchlichen als auch die ausgegangenen, sind dankenswerterweise darin enthalten. Nun ist es sehr auffallend, daß der Lantershofener Bach in diesem Werk an keiner Stelle genannt wird; dagegen ist in einer Urkunde vom Jahre 1380 (Frick Nr. 811) Ackerland bei den Bäumen und dem Bach Semenich (iuxta ar-boresSemnichet amne) erwähnt. Aus dem ganzen Zusammenhang ergibt sich unzweideutig, daß dies der Name für den Lantershofener Bach ist. Wie ist diese Bezeichnung zu erklären? Semeni ist — man lese und staune! — ein Fluß in Albanien. Ja, noch mehr! Ein Zufluß des Lantershofener Baches hieß früher Develich, vermutlich benannt nach dem Devol, einem Quellfluß des Semeni; später ist Develich ein Personenname. Beim Ausschachten des Fundamentes für den Träger der elektrischen Überlandleitung dicht am Elektrizitätswerk wurden römische Ziegel ausgegraben; somit liegt die Vermutung nahe, daß römische Soldaten aus Albanien diese Namen an die Ahr gebracht haben.

Was hat hier gestanden? Nördlich der Flur Semeni folgen die Flurnamen: „Im untersten Damm“, „Am Damm“, „Im obersten Damm“, die Wasserstauungen andeuten. Diese drei Stauweiher lassen auf einen industriellen Betrieb schließen; die gleichzeitige Benutzung der Talsperren als Fischweiher ist bei dem praktischen Sinn der Römer nicht von der Hand zu weisen, wie denn auch wirklich in der schon erwähnten Urkunde vom Jahre 1380 die Flur „Am Weiherberg“ „prope Piscino monte“ genannt wird. An zwei Stellen befinden sich im Abhang der nördlich gelegenen Berge muldenartige Vertiefungen, die fast wie Krater aussehen und sicherlich nicht vom Wasser ausgewaschen sein können; die größere von ihnen führt heute den Namen „l m B o l g e m i c h“ (anno 1577 Bolchenberg, a. 1604 Bolichemer, a. 1636 Bollichemich, a. 1654 Bolmich, a. 1671 Bölligmich). Der zweite Wortteil „mich“ bedeutet „berg“. Der erste Bestandteil des Wortes ist gallisch-keltischen Ursprungs: bolgos = Sack; der römische Grammatiker Festus (etwa 2. Jh. n. Chr.) schrieb: „bulgas Galli sacculos scorteos appellant“, d. h. bulgae nennen die Gallier kleine lederne Säcke. „Bulga“ ist dasselbe Wort wie unser deutsches Wort „Balg“; die bulgae sind die Vorläufer des Tornisters und des Rucksacks. Die Römer benutzten tatsächlich, wie wir aus anderen Quellen wissen, lederne Säcke, um Erz zu tragen. Das Erz, das sie in den beiden Mulden gruben und ins Tal hinuntertrugen, war Brauneisenerz, wie die vielen braunen und roten Steine auf den Zugangswegen bekunden. Der industrielle Betrieb war also eine Eisenschmelze. Wenn man im nächstgelegenen Tale ostwärts, D e l l m i c h genannt (entstanden aus Delellich = Tal-Ellig), hinaufgeht, hört plötzlich der schmale Fahrweg auf, und in einer Höhe von mehreren Metern ist darüber oben gleichbleibendes Geländeniveau, hier ist das Ende einer dritten Erzgrube. Außer Brauneisenstein, der sich auch hier schon auf dem Wege verrät, wurde ein grauweißliches, sehr hartes Eisenerz gegraben, das die Römer wahrscheinlich mit ihren Mitteln nicht zerkleinern konnten, denn es liegen heute noch dicke Brocken dieses Erzes umher. Als im 2. Weltkrieg eine Hemmessener Familie im Dellmich einen Bunker graben wollte, stieß sie nach wenigen Metern auf so harten Fels, daß sie die Arbeit aufgeben mußte.

Oberhalb des Talendes der Dellmich rechts ist uns die ausgegangene Flurbezeichnung „Hemmesser Kauen“ überliefert. Das Wort „Kaue“ kommt vom lat. cavea = Höhle, mittelhochdeutsch kouwe = „bergmännische Hütte über dem Schacht, Schachthäuschen“ und wird auch heute noch von den Bergleuten gebraucht, z. B. Waschkaue. Das folgende Tal ostwärts, es ist bereits das dritte, heißt Muckental; es endet ähnlich so wie die Dellmich, allerdings nicht in so ausgeprägter Form. Die Flur „Im Stahlberg“ oben im Muckenthal erinnert vielleicht an Bergbau auf Eisenerz. Das Wort „Mucken“ hat weder mit muk-ken noch mit Mücke etwas zu schaffen, es scheint vielmehr griechischen Ursprungs zu sein: mogos = Arbeit, Mühe, Mühsal, adv. mogis und molis = mit Anstrengung; es ist verwandt mit dem lat. moles — Last, Anstrengung, und mit unserem deutschen Wort „Mühe“.

3. Broos (a. 1620 Proyst, a. 1667 Prost, a. 1676 Propst).

Mit „Im Broos“ bezeichnet man eine Flur unten am H i t z t a l (4. Tal), in der Nähe ist heute eine Tankstelle an der Ecke Berg- und Heerstraße. Der Flurname Broos ist besonders von den Münstereifeler Jesuiten, die im 17. Jahrh. in Wadenheim (Orlsteil von Neuenahr) Weinbau betrieben, ihrem Vorstellungskreise entsprechend, in Prost und Propst umgewandelt worden, und man muß sich wundern, daß sich der Name trotzdem rein erhalten hat. Broos ist nämlich eine Stadt im heutigen Rumänien auf dem linken, südlichen Ufer des Maros, der in die Theiß mündet. Ober dem Hitztal waren die „Wadenheimer Kauen“. Zu beachten wäre noch, daß der Broos sich in der Nähe der früheren Wadenheimer Kapelle (beim jetzigen Rathaus) befindet, wie es in einem Bericht aus dem Jahre 1699 heißt „am Propst oben Wadenheimer Kapellen“. Broos ist als Flurname auch in Waldorf am Vinxtbache anzutreffen, wo manche Anzeichen auf eine römische Ziegelei schließen lassen (Pannewies, Eulengasse u. a. m.). Auch für unseren Broos ist die Annahme eines keramischen Werkes nicht ganz von der Hand zu weisen, denn am oberen Ende des Hitztals ist ein größeres Tonlager an der Oberfläche sichtbar; diese Gewann führt den bezeichnenden Namen „Kreidhohl“.

Die römische Anlage „am Broos“, welchem Zwecke — vielleicht war dort nur die Wohnstätte der Arbeitssoldaten — sie auch gedient haben mag, scheint in irgendeiner Beziehung zu stehen zu den römischen Funden am Ausgang des Schwertztals (5. Tal); beim Kanalbau stieß man auf Ziegel- und Fundamentreste am unteren Ende der Heerstraße. Der son derbare Name „ S c h w e r t z t a l “ (a. 1490 Swertzdal, a. 1542 Swertgesdaill, a. 1621 Schwertzdall, a. 1704 Schwärztal, a. 1706 Schwärtztal) hat schon immer die Aufmerksamkeit aller Heimatforscher auf sich gezogen und hat sicherlich nichts mit Schwert oder Schwärze zu tun. Im Hinblick auf die schönen Entdeckungen des Semeni und Broos wurde vorgeschlagen, Schwertztal auf Serethtal zurückzuführen. Spricht man das S als Zischlaut, wie sie in den slawischen Sprachen so häufig sind, dann könnte mit Ausfall des zweiten, unbetonten e eine ungefähre Übereinstimmung erzielt sein, zumal die sogenannten Mitlaute, die ja infolge der starken Veränderlichkeit der Selbstlaute das Knochengerüst eines jeden Wortes bilden, nämlich s, r und t, in beiden Wörtern, Schwertz und Sereth, dieselben sind.

Der im mittleren Teile des Schwertztals vorkommende Flurname „Im Eulenberg“ (vom lat. olla = Topf) deutet auch hier auf ein keramisches Unternehmen.

Die Ausführungen über seltsame Flurnamen haben dargetan, daß an der Ahr römische Soldaten aus Jugoslawien (Panno-nien), Albanien und Rumänien gearbeitet haben. Die gemeinsame Sprache dieser südosteuropäischen Völkerschaften war das Griechische, und daher kann man sich auch nicht wundern, wenn hier und da neben altdeutschen und lateinischen Wörtern ein griechisches Wort erscheint. Die Erdarbeiten der Römer haben die Ahrlandschaft stark beeinflußt. Sehr anschaulich zeigt der Ausschnitt aus der Landkarte von Bad Neuenahr aus dem Jahre 1829, entnommen aus Frick, Quellen von Bau Neuenahr, die Zerklüftung des Bergmassivs, die auffallenderweise nur auf das Gebiet unseres Badeortes auf eine Strecke von 2,5 km beschränkt ist.

Übersichtskarte über die Gemarkung Neuenahr aus dem Jahre 1892. Nördl. Teil

Der Bergblock nördlich von Bad Neuenahr wird begrenzt Im Norden und Osten vom Heppinger Bach, der bei Ringen entspringt und durch die Dörfer Bengen und Gimmigen fließt, im Süden vom Ahrtal und im Westen von der Grenze der Stadt Ahrweiler. Seine Länge beträgt 4 km, seine Breite etwa 2 km und seine größte Höhe über der Sohle des Ahrtals rund 100 m. Die Abdachung dieses Blocks Ist nach Norden flach ohne stärkere Talbildung, nach Süden dagegen ist sie steil mit fünf Einschnitten. Diese Seitentäler sind, in der Luftlinie gemessen, weniger als l km lang. Es ergibt sich somit die beachtenswerte Tatsache, daß sie nicht allein durch Auswaschung (Erosion) des Wassers entstanden sein können, zumal diese Nebentäler einerseits heute nur ganz geringe Wassermengen führen und andererseits felsigen Untergrund durchbrochen haben — die Weinbergsmauern an der Ahr stehen vielfach auf Grauwackenfels, der die allgemeine Streichrichtung von NO nach SW aufweist. Das einzige Tal, das durch Erosion allein entstanden sein kann, ist das Tal des Lantershofener Baches (Semmenich), der oben im Ringener Walde entspringt und somit einen längeren Lauf hat; früher war er jedenfalls auch sehr wasserreich, trieb er doch im Mittelalter mehrere Mühlen, während heute sein Quellgebiet durch die unvollendete Eisenbahnlinie Liblar-Rech/ Ahr beeinträchtigt ist. Ähnliche Einschnitte In das Ahrgebirge kann man übrigens auch in Dernau nördlich der Römervilla beobachten. Die Römer haben also durch ihre Arbeiten der Talbildung, wenn nicht vorgearbeitet, so doch zumindest stark nachgeholfen.

Das Bild, das unsere seltsamen Flurnamen uns entrollt haben, kann ich nicht verlassen, ohne auf seinen bedeutsamen Hintergrund hinzuweisen. Fremde Soldaten aus den Balkanländern stehen während der römischen Besatzungszeit unseres Landes an der Ahr, sie verstehen die Sprache der Einheimischen nicht, denn sie sprechen, wie schon erwähnt, griechisch; sie sind zum Kriegsdienst gezwungen worden von den Römern, die ihr Heimatland unterworfen hatten, und sind von Ihnen nach dem kalten Norden geschickt worden, um hier das römische Weltreich an seinen stets gefährdeten Grenzen zu schützen. Allein, ihre Heimat haben sie nicht vergessen, Heimweh plagt sie, ihre Heimat spiegelt sich ihnen in unseren Ahrgewässern wider; sie geben ihnen heimatliche Namen und nennen ihre Wohnstätte nach ihrer Heimatstadt. Ist diese Heimatliebe der sonst so rauhen Legionssoldaten nicht rührend? Und es ist wahrhaftig erquickend, in der recht unerfreulichen Weltgeschichte diesen Zug schönster menschlicher Anhänglichkeit ans Mutterland anzutreffen. Zum Schluß sei mir noch ein Dankeswort gestattet an Herrn Reichsbahn-lnsp. Ernst Kastner, der mir bei dieser Heimatstudie in manchen Fragen zur Klärung behilflich war.

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