Von einem Breisiger Vogt
Von Josef Breitbach + 8. 5. 1956
Das Wort Vogt weckt in uns vielfach unliebsame Erinnerungen an herzlose Bedrücker, Ausbeuter, ungerechte Richter, ja an blutrünstige Gewaltmenschen. Wir denken da an die ägyptischen Vögte, welche die Israeliten erbarmungslos unterdrückten, an den Vogt Geßler in Schillers „Wilhelm Teil“, den grausigen Vogt in der Ballade „Der Gang nach dem Eisenhammer“, an den Vogt Golo der Genovefasage und wohl auch an den Vogt von Burg Arenthal. Ursprünglich war der Vogt der vom Landesherrn eingesetzte Schutzherr der Schutzbedürftigen, der Beamte, der sie schützte und der öffentlichen Gewalt gegenüber vertrat, die niedere Gerichtsbarkeit über sie ausübte. So gab es später einen Burgvogt, einen Stadtvogt, der auch die hohe Gerichtsbarkeit ausübte, einen Landvogt. Das waren kaiserliche Statthalter über Gebiete, die unmittelbar dem Kaiser unterstanden, sogenannte Landvogteien. Endlich gab es auch einen Kirchenvogt, bei Klöstern einen Klostervogt. Das war eine adlige Person, die eine Kirche, ein Stift oder ein Kloster gegen Waffengewalt zu schützen, sie in weltlichen Dingen rechtlich zu vertreten hatte und in ihrem Gebiet die bürgerliche Gerichtsbarkeit übte, auch gewisse Hoheitsrechte besaß. Kaiser und Fürsten als Schirmvögte ließen ihre Verpflichtungen meist durch Untervögte ausüben. Aus Beschützern wurden aber oft Bedrücker. — Wir nennen heute den Rechtsanwalt auch „Advocat“. So wurde im Mittelalter in lateinischer Sprache der Vogt, der Schutzherr, genannt.
Ein Vogt guter Art war unser Breisiger Vogt
Engelbert Keiffenheim (1700—1729).
Sein Großvater Peter kam aus dem südlich Mayen gelegenen Dorfe Keiffenheim nach Monreal bei Mayen, betrieb dort um 1588 eine Bauernwirtschaft und wurde als geachteter Bürger Gerichtsschöffe. Das zweite von seinen zehn Kindern, Banthus Keiffenheim, brachte es bis zum Schultheißen von Monreal. Aus den zwei Ehen des Schultheißen Banthus gingen elf Kinder hervor, das zehnte ist unser Engelbert Keiffenheim. Im Jahre 1651 geboren, ging er nach des Vaters Tode 1664 zu seiner Ausbildung nach Koblenz, wo er bei Magister Nolden unterrichtet wurde. Der wackere Schüler wohnte auf dem Florinsmarkt beim Glöckner von St. Florin. (In diesem alten Gotteshause, seit 1815 evangelische Kirche, ruhen vier Trierer Kurfürsten aus dem 16. Jahrhundert.) Er legte gleich ein Tagebuch an, das er bis in sein Alter hinein weiterführte. Es ist seine „Genealogia“, seine Hauschronik, die ich durch die Liebenswürdigkeit eines seiner heute lebenden Nachkommen benutzen durfte. — In Köln setzte Engelbert sein Studium erfolgreich fort und ging als Student nach Wien, wo er zur Pestzeit schwer erkrankte und von den Barmherzigen Brüdern, wie er lobend erwähnt, „überaus wohl gepflegt“ wurde. Als 1672 der von König Ludwig XIV. von Frankreich geschürte Holländische Krieg (1672 bis 1678) ausbrach, trat unser Engelbert in Lothringen bei der französischen Armee ein und machte den Krieg in Frankreich, Flandern und Holland mit. Im Jahre 1673 eroberten die französischen Truppen Maastricht, rückten feindlich in den Kurstaat Trier ein und belagerten Mayen. Da schreibt nun Engelbert in seiner Genealogia: „Als die Franzosen anfingen, Mayen zu belagern, habe ich den französischen Dienst zu quittieren und die Waffen gegen mein Vaterland nicht zu tragen ratsam befunden.“ Und er nahm eine Sekretärstelle beim Grafen Bourscheidt auf der Burg zu Burgbrohl an. Am 22. Januar 1675 wurde seine Schwester Elisabeth bei den Annunciaten zu Andernach feierlich eingekleidet, selbstverständlich war Engelbert Teilnehmer an der Feier. (Siehe die schöne Kirche Maria Verkündigung beim Krankenhause zu Andernach!)
Im Jahre 1679 wurde Engelbert als Nachfolger seines Vaters kurtrierischer „Schultes“ (Schultheiß) in seiner Heimat Monreal. Er gab die Sekretärstelle beim Grafen Bourscheidt in Burgbrohl auf und heiratete in demselben Jahre die Kellnerstochter vom Eltzer Hof zu Mayen. Im Jahre 1683 trat er in den Dienst der Reichsherrschaft Olbrück und amtierte als „Kellner“ (heute Rentmeister, Verwalter) in Zissen, seit 1685 auf Burg Olbrück. Als 1688 der unselbständige Kurfürst Maximilian Heinrich starb (siehe sein Lustschlößchen, das heutige Kurhotel in Bad Tönisstein), sollte auf Betreiben König Ludwigs XIV. von Frankreich der ränkevolle Regierungsleiter in Köln, Wilhelm Egon von Fürstenberg, Nachfolger werden. Das Domkapitel aber lehnte ihn ab. Kurfürst und Erzbischof von Köln wurde der Wittelsbacher Herzog Joseph Clemens, der Neffe seines Vorgängers. Die Rache des verächtlichen Fürstenbergers war furchtbar. Von Herbst 1688 ab haben die Rheinlande durch die mit der Zerstörung beauftragten französischen Heere namenlos gelitten. E. Keiffenheim berichtet: „Mitte September wegen der streitigen Kölner Wahl die Franzosen ins Land gekommen und der so grausame Krieg den Anfang genommen.“ Dann schreibt er von sehr vielen Eifelorten, wie sie durch Brand und Zerstörung untergingen. Von Burg Olbrück waren die Franzosen am 30. April 1689 gegen Bezahlung von 236 Gulden nach Andernach abgerückt, das in der folgenden Nacht in Flammen aufging. Aber General Sourdy, der Ahrwei-ler in Brand gesteckt hatte, zog am 1. Mai mit zweitausend Mann über Olbrück nach Mayen und brannte Burg Olbrück am 3. Mai nieder. Unsere Burg Rheineck folgte am 5. Mai. Im Jahre 1692 wurde sie durch kurkölnische Truppen mit Ausnahme des Turmes und der Kapelle vollkommen zerstört. Burg Hammerstein war schon im Herbst 1688 zerstört worden. E. Keiffenheim hielt sich seit 1690 mit Frau und Kindern „wegen französischer Gefahr“ in Hönningen am Rhein auf und brachte 1693 seine Familie nach Königsfeld, wo er auf der dortigen Burg die Kellnerstelle übernommen hatte. Am 14. März 1695 starb seine Frau, die in der Königsfelder Kirche begraben wurde. (Ihre Grabplatte liegt heute vor der Kirchenpforte.) Sie hinterließ fünf noch kleine Kinder, denen der Vater eine neue Mutter gab: Anna Maria Königs, die Schwester des pfalzneuburgischen Vogtes von Brei-sig Johann Jakob Königs. (Die Königs waren schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges eine angesehene Königsfelder Familie. Der Sohn des dortigen Postmeisters Joh. Anton Königs, Dietrich Königs, war 1652 bereits pfalzneuburgischer Vogt in Breisig; das Vogtamt blieb bis zum Jahre 1700 in der Familie.) Die Trauung fand Samstag, 21. August 1695, in unserer alt-ehrwürdigen Pfarrkirche zu Oberbreisig statt.
Im Jahre 1700 erhielt E. Keiffenheim von Kurpfalz das „advocatus-Patent“ für die Ämter Sinzig, Remagen und Neuenahr und wurde nach dem Tode seines Schwagers, des Breisiger Vogtes Joh. Jak. Königs, dessen Nachfolger im Amte eines kurpfälzischen Vogts über Breisig und die Grafschaft Neuenahr. Am 3. April 1700 war er als Vogtverwalter in Düsseldorf vereidigt worden. Er hatte das heutige Hotel Bender am Rhein erworben, das, 1683 erbaut, von seinem Enkel und Nachfolger, dem kurpfälzischen Hofrat Heinrich Ludwig Keiffenheim, 1783 erneuert wurde. Im Torbogen in der Biergasse liest man im Schlußstein, dessen Wappen in der Revolutionszeit zerstört wurde, noch die Buchstaben H K und C B (Heinrich Keiffenheim und seine Gattin Clara Berghausen.) In seiner Genealogie schreibt E. Keiffenheim: „Anno 1699 inito zu May (= zu Anfang Mai) zu Königsfeld resigniret und nach Breisig gezogen. Daselbst ein Hauß ahn Rhein gekauft per 500 Reichstaler. Darin noch verbawet beinahe 250 Rthlr. in hoc anno“ (= in diesem Jahre).
Der neue Vogt meldet weiter in seiner Chronik: „1700 König Carolus in Hispa-nia ohne Leibeserben gestorben, so neue Unruhen in Europa verursacht.“ Keiffenheim konnte damals nicht ahnen, daß dieser neue Krieg, von Ludwig XIV. begonnen, bis 1714 dauern würde. Er hatte schwere Folgen für Deutschland und Spanien, ja für ganz Europa, und suchte auch das Rheinland wieder furchtbar heim. — Chronik: „1702 die Herrschaft Breisig stark mit Truppen belegt gewesen.“ — „1706 große Erfolge Prinz Eugens über die Franzosen in Savoyen.“ — Prinz Eugen am 1. Juli 1708 in Sinzig logiert.“
Interessant ist, daß Keiffenheim in seiner Chronik fast von jedem Jahre Menge, Güte und Preis des Weines, des Roggens usw. und das Wetter erwähnt. Nur einige Beispiele: „1666 köstlicher Wein gewachsen.“ — „1675 ein mißwachsenes Jahr gewesen. Galt der mir (= Malter) Korn fünf bis sechs harte Reichstaler. Gute Trauben, Wein die Maß 18 bis 22 Petermännchen, Apfeltrank fünf bis sechs Petermännchen.“ — „1684 überaus köstlicher Wein gewachsen, aber gar wenig. Auch nicht viel Korn gegeben. Es war ein hitziger, trockener Sommer.“ — „1688 überaus fruchtbar Jahr an Obstwerk, Bucheckern, Wein und Früchten. Aber ein fatal Jahr gewesen.“ (Familienereignis, Krieg.)
Schon im Jahre 1702 war unser neuer Vogt ein bedeutender Weinbergsbesitzer.
Den Besitz scheint die zweite Frau in die Ehe gebracht zu haben. Familie Königs, mehr als fünfzig Jahre im Breisiger Vogtamt (Dietrich K. und Sohn Joh. Jak. K.) war um 1700 wohl begütert. Vogt Joh. Jak. Königs starb am 9. März 1700, seine Gattin im Februar vorher. Vogt Keiffenheim meldet: „1702 aus der Schweppenburger amodiation dreizehn Fuder Wein bekommen ohne Rheinbrohl.“ — „1705 im halben Juni Frost. Solche Mengen Maifische gefangen wie seit 1666 nicht mehr.“
E. Keiffenheim hinterließ 1729 zwölf Kinder, fünf aus erster, sieben aus zweiter Ehe. Mit Bedauern liest man in seiner Ge-nealogia, daß eine Reihe Kindlein in der Familie schon im Säuglingsalter starb. Erfreulich ist es, daß wir der Chronik Keiffenheims auch einige Daten entnehmen können, die den Bau unserer Pfarrkirche betreffen. Das Historische Archiv des Erzbistums Köln sowohl als unser Pfarrarchiv lassen uns da im Stich. Von Keiffenheim erfahren wir wenigstens, daß der Turm 1718 zuerst gebaut wurde und auf Karfreitag, 7. April 1719, bereits Kreuz und Hahn erhielt. Am 3. September 1719 wurden die größte und die kleinste Glocke geweiht. (Die mittlere stammt aus dem Jahre 1458.) Drittens erfahren wir, daß 1722 die Konsekration unserer Kirche erfolgte. Die Fertigstellung zog sich noch bis 1725 hin, die innere Ausstattung war 1731 erst vollendet. Diese Jahreszahl ist an unserm Kommuniontisch zu lesen. E. Keiffenheim starb 1729; sein Sohn Karl Kaspar bekleidete das Vogtamt bis 1758 und starb 1781 als Syndikus der mittelrheinischen Reichsritterschaft in Koblenz. Dessen Sohn, Hofrat Heinrich Ludwig Keiffenheim, starb 1819 als erster preußischer Bürgermeister von Breisig.