AM SCHWARZEN KREUZ
Es geht ein geheimnisvolles Raunen um am Waldrand, dort, wo an der Weg- und Markscheide von Gönnersdorf, Waldorf und Niederzissen ein altes Kreuz steht. Das „Schwarze Kreuz“ heißen es unsere Leute im Dorf. Sie sprechen das Wort so seltsam scheu aus. „Et spokt“, sagen sie. Oft zieht es mich zu diesem verrufenen Platz. Und wenn im Frühling die Lerchen in blauenden Höhen sich in den Himmel jubilieren — am „Schwarzen Kreuz“ verstummen die Triller so urplötzlich, daß man unwillkürlich leise erschauernd nach dem Kreuze schaut. Und wenn im Sommer Kornfelder gereift im Sonnenglanz sich wiegen, das „Schwarze Kreuz“ liegt dunkel, eingehüllt in schweigende Schatten. Und wenn im Herbst der Wind seine stärksten Symphonien durchs Geäste orgelt, am „Schwarzen Kreuz“ bewegt sich kaum ein Zweig. Nur leise wie aus tiefsten Tiefen flüstert das fahle Laub vom Geheimnis, das umgeht am „Schwarzen Kreuz.“ Und wenn Winterstarre den Wald umklammert hält, hier ist es noch stiller, tief und dunkel still. — Ja, ich kann gut verstehen, daß man den Ort meidet, wenn schon den unbefangenen Wanderer ein seltsames Gefühl beschleicht, wieviel mehr die Seele des Volkes, in der noch so ein Rest blieb vom Glauben unserer Ahnen, denen der Wald ja vielfältiges, geisterhaftes Leben durchwehte.
Des Sommers klare Mittagshelle zeichnete wie weiße Bänder die Wege durch duftendes Korn. Da geisterte es am hohen Scheid. Der Bauer, der dort seine Garben band, erblickt die geheimnisvolle Gestalt, die da so urplötzlich, wie dem Boden entwachsen, steht. Der Mann schaut und schaut, erstarrt vor Schrecken; denn ebenso, wie sie kam, entschwand der Geist seinem Blick. Dann treibt ihn die Angst. Karren und Ochsen läßt er stehen, rennt dem Weg zu — unter Leute muß er, berichten, was ihm Zauberhaftes geschah am „Scheid“.
Wenn schon abendliche Dämmerung den Wald umfängt, ja, dann kann man nicht mehr diesen Weg gehen. Dann erscheint sie wieder, diese unheimliche Gestalt — in steter Ferne bleibend, auch wenn man sich nähert. Und glaubt man ihr ganz nahe zu sein, schon steht man allein, genarrt von einem Spuk. Kein Schatten huscht, kein Zweiglein knackt unter eilenden Tritten. Ja, Geister haben keinen Schatten, und sie kommen und gehen lautlos. Und lächle nicht, du aufgeklärter Geist, damit kannst du dem Volk seinen Glauben an solche Spukgestalten nicht nehmen. Sie haben eine Erklärung für dieses Umgehen am „Schwarzen Kreuz“. Die „Gille Mohn“ ist es, die da umherirrt. Ein nicht gehaltenes Versprechen muß hier gesühnt werden. Das „Hellijehäus’che“ wollte sie am „Schwarzen Kreuz“ bauen lassen, und hat es nicht getan. Nun muß sie von Zelt zu Zeit schauen, ob denn nach Ihr niemand das Gelöbnis erfüllt. Nein, warum auch? Ein Kreuz steht dort. Zwei Namen sind in schwarzen Basalt gehauen. Grob und ungefügig breitet der Schmerzensmann seine Arme aus und blickt nieder auf die Namen. Ein Grab — hat Liebe oder Haß euerm Leben hier ein Ende bereitet? Jahrhunderte ruhet ihr hier, und über euer Grab breitet weitästig eine niedrige Eiche ihre Arme, und dunkel schattet es aus dem Walde. Nur die goldenen Halme erzittern in leisem Schauer. Die Natur weiß um das Geheimnis, die Volksseele ahnt es und umrankt es mit seinem Erleben.
M. Schuck