Das Eisenbahnunglück in Liers

AM 16. AUGUST 1918

VON ERNST WOLBERT

Im Schulhof von Liers steht ein Eisenbahnpuffer, der uns ein Denkmal ist von einem große Eisenbahnunglück in Liers vor fast 40 Jahren. Oft stehen wir daran und denken zurück an den großen Weltkrieg. Wenn dieses Eisen sprechen könnte, würde es uns folgende Geschichte erzählen:

Es war im Sommer des Jahres 1918. Schon vielmals habe ich junge, deutsche Soldaten nach Eisenborn gefahren. Dieses Gebiet gehörte damals noch zum großen deutschen Vaterland. Dort wurden diese Soldaten im Schießen ausgebildet. Ich hörte ihre Lieder, ich freute mich über ihren Mut. Manchmal glaubte ich, ich müßte immer dabei sein. Jeder sollte ja seine Pflicht tun. Daß ich aber auch einmal sterben sollte, den Heldentod fürs Vaterland, daran dachte ich nicht. Doch sollte es bald sein. Wieder bestieg in Eisenborn ein Transport unseren Zug am Mittag des 16. August. Unser Weg führte nach dem Ahrtal hin. Wie frohen klangen die Lieder der Feldgrauen nach Tagen harten Dienstes: „In der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehn!“ und „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf fürs Vaterland!“. Vom Berge schallte das Echo zurück. Die Jungen und Mädels standen am Weg und winkten uns freudig zu. Alte Männer und Frauen schauten von ihrer Arbeit auf den Feldern nach uns und dachten einen Augenblick an ihre Söhne und Männer, die einst auch so auszogen und nun in Feindesland die deutsche Heimat schützten. Sie waren jetzt die Soldaten der Arbeit in der Heimat. Plötzlich brauste uns unterhalb Liers ein Personenzug entgegen, der von Remagen aufwärts fuhr. Zu spät, das Unglück konnte nicht mehr vermieden werden. Mit voller Wucht rasten beide Maschinen ineinander. Ich brach dabei ab. Viele Wagen wurden zusammengedrückt, so daß die Leute sich nicht retten konnten. Von allen Seiten strömten Hilfsbereite herbei. Auch die Unverletzten beteiligten sich mit heldenhaftem Opfermut an der Bergung der Verletzten. Weil einige Wagen des Zuges in Brand geraten waren, wurde das Rettungswerk sehr erschwert. Mit zwei Feuerspritzen bekämpfte man das ausgebrochene Feuer. Dieses konnte jedoch nicht gelöscht werden, da es immer neue Nahrung fand. Heute noch zeugen die jungen Bäume an der Landstraße davon, die später an die Stelle der verbrannten angepflanzt wurden. Es gelang aber den wackeren Helfern, die Wagen unter Wasser zu halten, in denen sich noch Verwundete befanden. Währenddessen arbeiteten andere daran, die zwischen den Trümmern eingeklemmten Verletzten zu befreien. Ich sah hier großen Mannesmut und hervorragende Kameradschaftlichkeit. Denn der Schweiß drang den wackeren Helfern in der großen Hitze aus allen Poren, und sie waren in ständiger Lebensgefahr, weil in zwei Wagen viel Munition aufbewahrt war. Vier Stunden später, um 10 Uhr abends, trafen zwei Hilfszüge von Koblenz und Jünkerath ein, die die Verwundeten aufnahmen und in die Lazarette nach Neuenahr und Gerolstein überführten. 26 Tote und 31 Schwerverletzte hatte das Unglück gefordert. Die Leichtverletzten fanden zunächst liebevolle Aufnahme bei den Einwohern von Liers und Hönningen. Diesen Leuten gebührt allen großer Dank. Während des Rettungswerkes schleppten sie dauernd Decken, Speisen und Getränke herbei zur Stärkung und Erquickung der Verwundeten und der Rettungsmannschaften.

Am nächsten Tage begannen die Aufräumungsarbeiten. Ich blieb liegen und wurde später von einem Bauern aus Liers mitgenommen, der mich der Schule verschenkte. Ich bin den Kindern ein lieber Freund geworden und künde ihnen von diesem Unglück am 16. August 1918. Ich erinnere sie aber auch an die große Opferwilligkeit ihrer Eltern.