Eine Schnecke gewinnt beim Nürburgrennen

VON BRUES

„Das gibt es doch gar nicht!“, wirst Du sagen. Aber Tausende haben es gesehen, die beim großen Eifelrennen zuschauten. Da sitzen und stehen in bunten Massen hunderttausende Zuschauer. Sie umsäumen die herrliche Rennstrecke, die sich über zwanzig Kilometer weit um die Alte Nürburg hinzieht. Besonders an gefährlichen Kurven sind die Böschungen und Hänge vollgepackt mit schwatzenden, schreienden Menschen. Es summt und braust wie in einem riesigen Bienenschwarm. Kommt dann weit hinten mit Geknatter und Heulen so ein großer Rennwagen heran, dann springen alle auf. Sie winken und jubeln dem kühnen Fahrer zu, zumal wenn es ein Deutscher ist. Der aber merkt wohl nicht viel davon. Längst ist er in der nächsten Biegung verschwunden. So geht es stundenlang, und mancher Wagen hält das nicht aus! Wer wird siegen! Hoffentlich doch ein Deutscher! Und die Schnecke? — Ja, die kommt gerade. Die schaltet sich jetzt ein in das Rennen, als es am spannendsten wird. Zuerst hat einer sie bemerkt, dann sehen es bald viele Hundert: Auf der glatten Fläche der Bahn zieht einsam eine dicke graue Schnecke dahin. Von einer Seite zur ändern, quer über das gefährliche Band der Rennstrecke, trägt sie behutsam ihr Häuschen. Bald starren die vielen Menschen mit der gleichen Spannung auf die wagemutige Schnecke. Wird sie es schaffen? Wird nicht das nächste Ungeheuer, das soeben mit Getöse heranbraust, sie zermalmen? Noch ehe sie die Mitte erreicht? — Gut gegangen! Man hört richtig das Aufatmen der Zuschauer. Einige wetten bereits, wer das Rennen nun macht. Wird es eines der rasenden Untiere sein oder aber diese tollkühne, winzige Kriecherin? Gewiß, kurz nur ist ihre Strecke. Aber ist sie nicht tausendmal gefährlicher und todbringender als alle Kurven zusammen?!

Immer wieder braust solch ein modernes Ungeheuer heran. Immer wieder auch sind all die Menschen fast glücklich, wenn die rasenden Räder das Tierchen verschonten. Es ist schon gleichgültig geworden, welcher Wagen an der Spitze liegt. Wenn nur die Schnecke ihr „Rennen“ macht. Und sie macht es auch! Gerade verläßt sie die tödliche Straße. Sie hat ihr Ziel erreicht. Sie hat gesiegt! Großartiger Beifall wird ihr gespendet. Das kümmert sie alles nicht! Jemand sagte: „Man könnte die Siegerin umarmen, wenn es keine Schnecke wäre!“