Die Kirche auf dem Apollinarisberg bei Remagen in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung
Von P. Dr. Solanus Krätzig
Die Jahrhundertfeier der Benediktion der Kirche auf dem Apollinarisberg zu Remagen hat die Kirche als Wallfahrtsort und in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung stark in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gestellt. Die in jedem Jahr stattfindende Apollinarisoktav hat sich zu einer großen Jubiläumsfeier ausgeweitet. Die Franziskaner, die in diesem Jahre auf hundert Jahre ihrer Wirksamkeit auf dem Apollinarisberg zurückblicken dürfen, gaben eine Festschrift heraus unter dem Titel: „100 Jahre Franziskaner auf dem Apollinarisberg in Remagen als Hüter eines altehrwürdigen Erbes.“ Ist doch die Apollinariskirche erbaut worden, um die bis in die Anfänge des 14. Jahrhunderts zurückreichende Wallfahrt zu den Reliquien des hl. Apollinaris wieder aufleben zu lassen. Am 23. Juli dieses Jahres waren es hundert Jahre, da das Haupt des hl. Apollinaris in die neuerbaute Kirche auf dem Berge zurückgeführt wurde, wo es eine Jahrhunderte alte Verehrung erfahren hatte.
Wir dürfen es eine günstige Fügung nennen, daß der Besitz der 1110 von der Benediktiner-Abtei in Siegburg und von ihr abhängigen Propstei, die 1802 der Säkularisation zum Opfer gefallen war, 1836 in die Hand des Reichsfreiherrn Franz Egon von Fürstenberg kam, der während der Erbauung der neuen Kirche in den Grafenstand erhoben wurde. Sein Bestreben war es und es ist ihm gelungen, ein altehrwürdiges Erbe zu neuem Glanz zu bringen, wie es bei der Grundsteinlegung der Kirche ausgesprochen wurde: „Was die Zeit in ihrem vernichtend dahinrollen-den Flug zerstört, soll auf dieser heiligen Stätte wieder zu des Allerhöchsten Ehre neu erstehen, soll sich erheben in schönerem Glanz, soll prangen zu seiner Verherrlichung in dem Rheinparadies, das sein Werk einst schuf.“ Die Apollinariskirche stellt in ihrer äußeren und inneren Struktur einen Bau ganz besonderer Eigenart dar. Als der Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner den Reichsfreiherrn davon abbrachte, an die Erneuerung der damals bestehenden, aber baufällig gewordenen Apollinariskirche zu gehen, die schon früh an die Stelle der ursprünglichen, aus dem 6.—9. Jahrhundert datierenden alten Martinskapelle getreten war, da war er von dem Drang durchdrungen, ein ganz neues, aus dem damaligen Zeitgeist heraus erwachsendes Werk zu schaffen, das an einer der schönsten Stellen des Rheintales gelegen, für die Zukunft zu einem beredten Ausdruck aufstrebenden religiösen und nationalen Denkens werden sollte. Der infolge der Auswirkungen der französischen Revolution erfolgte Stillstand im deutschen Kunstschaffen war überwunden, und junge Kräfte, getragen von einem starken reformatorischen Willen, versuchten in der Baukunst und in der Malerei den frischen Einsatz ihres Könnens. Es war die Zeit, da das Interesse der Öffentlichkeit an der Vollendung des Kölner Domes aufwachte und in der Baukunst starke Impulse von der Berliner Schinkel-Schule ausgingen, durch die auch die Apollinariskirche in ihrer Planung bestimmt wurde. Der sich in Rom unter Führung des Lübecker Overbeck und des Düsseldorfer Cornelius zusammengefundene Kreis der Nazarener war zur Anerkennung und Bedeutung gekommen. Die Kunstschulen in Deutschland bemühten sich um Vertreter dieser deutsch-römischen Malerschule, welche die altitalienische mit der altdeutschen Malerei zu einer fruchtbaren Einheit zu verbinden sich bemühte und in der ihr eigenen Monumentalmalerei zum Ausdruck zu bringen suchte.
Durch den Auftrag der Ausmalung der Apollinariskirche gedachte der dem Nazarener-Kreis zugehörige Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, Wilhelm v. Schadow, das Talent vier seiner besten Schüler an die Rheinlande zu binden, Ernst Deger aus Bockenem bei Hildesheim, Karl und Andreas Müller aus Ahr-weiler und Franz Ittenbach aus Königswinter. Schon bei dem Plan, die alte Apollinariskirche zu erneuern, war die Ausmalung den Nazarenern zugedacht worden. Nachdem Zwirner seine Absicht auf dem Berge ein ganz neues Werk zu schaffen, durchgesetzt, bedeutete der Auftrag der Ausmalung für sie einen besonderen Anreiz, konnte doch somit für ihre Monumentalmalerei auf die Planung der von ihnen für ihr Schaffen so ersehnten großen Wandflächen Bedacht genommen werden. Es sollte der jungen aufstrebenden Malerschule Möglichkeit und Gelegenheit geboten werden, ihre Kraft und Fähigkeit ins Große hinein voll einzusetzen, um durch ihr Werk das deutsche Volk zu beglücken.
So hat die Kirche auf dem Apollinarisberg ihre eigentliche Bedeutung durch die von Anfang an in die Planung aufgenommene Monumentalmalerei. Bauliche Architektur und Ausmalung gehören aufs engste zusammen und ergänzen sich. Die Kirche würde kunstgeschichtlich in ihrer Bedeutung durch den Verlust der Nazarener-Fresken stark gemindert. Wie vor hundert Jahren die Vollendung der Kirche in ihrer Ausmalung das große internationale Ereignis der damaligen Kunstepoche war, so hat die Kirche auch heute ihre Anziehungskraft nicht verloren, gelten doch die Wandmalereien als die größten religiösen Werke dieser deutsch-römischen Malerschule. Die Jahrhundertfeier der Benediktion der Kirche hat dem Interesse der Öffentlichkeit an der Rettung der unersetzlichen, sich im Stadium des Verfalls befindenden Fresken einen neuen Auftrieb gegeben. Die Öffentlichkeit wird sich immer mehr bewußt, daß es sich um ein Werk handelt, das Deutschland nicht verloren gehen darf“, daß „dieser Freskenzyklus zu den großen Meisterwerken der deutschen Kunst gehört.“
Wenn auch die moderne Kunstrichtung heute andere Wege sucht und geht, so ist und bleibt die Apollinariskirche in ihrer äußeren Struktur und inneren Ausmalung das Zeugnis für einen Zeitgeist, der sich ganz stark von tief innerlichen religiösen Kräften tragen und durchdringen ließ und diesem Ausdruck zu geben wußte. Die Werke der Nazarener sprechen auch heute an. Die große Zahl der Besucher, die vor allem in den Sommermonaten dem Apollinarisberge, vielfach von weither kommend, zustreben, sind ein Beweis dafür. Sie sind froh und glücklich, in einer Kirche betend und betrachtend verweilen zu dürfen, die zu tiefer Andacht stimmt, zu der Erbauer und Künstler ihr Bestes hergegeben haben, von dem sie selbst innerlich durchdrungen waren. Zur Zeit dürfen drei der Hauptgemälde als für die Zukunft gerettet gelten: Die Geburt Christi und die Kreuzigung von Deger und ein Apollinarisbild, die Erweckung der Tochter des Patriziers von Andreas Müller. Der Kunstmaler Franz Stiewi, dem die Rettung dieser drei Gemälde zu verdanken ist, hat auch die Rethel-Fresken im alten Kaisersaal zu Aachen aus der Zerstörung des Krieges herausgeholt, in denen die von Overbeck und Cornelius ausgehende profane Monumentalmalerei ihren stärksten Ausdruck gefunden hat. Nachdem seine Aufgabe in Aachen vollendet ist, ist Herr Stiewi bereit, sich in den nächsten Jahren ganz der Rettung der Wandmalereien in der Apollinariskirche zu widmen und hat seine Arbeiten an der „Geburt Mariens“ von Karl Müller bereits begonnen. Es wird von der tatkräftigen Hilfe der Öffentlichkeit abhängen, ob es gelingen wird, jene Werke der Zukunft zu erhalten, die den wertvollen Schmuck der Apollinaris-kirche darstellen.
Wenn in der Jubiläumsfestschrift die Franziskaner „Hüter eines altehrwürdigen Erbes“ genannt werden, so ist nicht nur an jene Stätte gedacht, die durch
die althergebrachte Wallfahrt geheiligt ist. Die Apollinariskirche dient in der ihr zugedachten und ihr gegebenen Pracht der Wallfahrt, von der in jede Zeit hinein erneuernd, Vertrauen und Zuversicht weckend, den Glaubensgeist stärkend, heilige Kräfte ausgehen können.