EHRE DIE A H N E N !
»Ich und Euer Mutter haben uns geheirat im Jahre 1841«
Zusammengestellt von Theo Busch
Vor mir liegt ein altes Buch, ein handgeschriebenes Liederbuch, mit Kirchenliedern darin. Es ist wohl an die hundert Jahre alt. Gelb und abgegriffen ist das Papier. Unbeholfen, fremd und seltsam schauen die Buchstaben und Zeichen heraus. Eine Frau aus dem Dorfe hat es mir vor Jahren erstmalig gezeigt: „Seht, was mein Ahn hier aufgeschrieben hat!“
Ich blätterte die vergilbten Seiten um und um. Was standen da für sonderliche Notizen: „Hier könnt ihr Kinder sehen, welche Fälder ich geärbt haben von eurer Mutter und auch welche ich gekauft haben und auch alles was sie kosten, jedes Stück. Michael Stoppen in Niederadenau. Dieses habe ich geschrieben im Jahre 1860, dän 5. Spürkel (Februar), des Nachmittags um 5 Uhr.“
Und nun folgt die lange Liste der Felder, Wiesen und Wälder des besitzfrohen Eifler Bauern. Die Liste wiederzugeben, hätte wenig Bedeutung. Doch was wohl alle interessiert sind die Namen der Besitzer und Besitzerinnen der Nachbargrundstücke, die der Bauer Michael Stoppen gewissenhaft mitaufzeichnet, Namen, die heute hier längst ausgestorben sind, teils jedoch in den Nachbardörfern ringsum weiterleben: Jaxen Witwe, Christian Lücker, Peter Walt, Johannes Müller, Michael Kürsten, Peter Bell, Matthias Görres, Nikolaus Brück, Johann Peter Nelles, Johann Michael Lintz, Peter Kürsten, Matthias Kürsten, Katharina Kläs, Brusmacher Witwe, Hubert Hofmann, Pitzen Witwe, Christian Hermes, Michael Becker, Bläser, Johann Josef Schmitz, Josef Schmelzer, Johann Hermes, Anna Maria Klein, Anna Gertraud Bell, Böhner aus Lückenbach. (Vielleicht trägst du einen dieser Namen, vielleicht stammen deine Vorfahren aus diesem Eifeldorfe, und du hast es bisher nicht gewußt oder nicht finden können. Das Pfarramt in Dümpelfeld oder das Standesamt in Adenau kann dir gewiß weiterhelfen, wenn du Urkunden brauchst!). Und mit einem Bauernstolz besonderer Art setzt der Michael Stoppen den Schlußstrich und schreibt: „Hier könnt ihr Kinder sehen, was ich gekauft haben von 1841 bies 1864. Von daan haben wier gekauf vor Hundert 21 Thaler. Ich und euer Mutter haben uns geheirat im Jahre 1841.“ Damit will der Bauer Michael dartun, was er seit seiner Eheschließung im Jahre 1841 bis zum Jahre 1864 geleistet hat. Daher fügt er unter dem Schlußstrich weiter an: „Dieses habe ich geschrieben zu Niederadenau den 14. Spürkel im Jahre 1864 des Vormittags um 11 Uhr.“ Vielleicht ahnte er seinen Tod. 1866 starb er.
So wie der Bauer seinen Besitz liebte und sich dessen erfreute, so war er sich seiner Abhängigkeit vom Naturgeschehen bewußt. Gleich auf der ersten Seite des Buches schreibt er nieder, was ihm außergewöhnlich dünkt: „Im Jahre 1860, dän lOten September haben wier das lätzte Korn geschniten und vom Heumonat an lauter geden Tag vas (fast) Ragen gehabt. — Im Jahre 1865 haben wier den 14. Heumonat angefangen Korn zu schneiden und hatten es alle geschnitten im Heumonat.“ Irgendwo auf einer Seite des alten Buches steht als alleinige Notiz: „Unsere Mutter ist geboren den 25. November 1819.“ (Sie überlebte ihren Mann um 30 Jahre.) Leider sind einige Seiten des Buches herausgerissen. Doch das letzte Blatt ist noch da. Es beherbergt den schönsten Schatz für die Nachfahren des Michael Stoppen, die Sterbedaten seiner Großeltern auf dem Dreimüller Hof zu Wirft (Stoppen/Harmes) und die der Großeltern zu Insul (Pauli/Schmetten). Dann folgen die Geburtsdaten seiner Kinder, sechs an der Zahl. — So war es für die Urenkel des Michael Stoppen leicht, ihre Ahnentafel aufzustellen. Manch anderer muß jahrelang forschen und viel Geld ausgeben, um auch nur die Geburtsurkunde des Großvaters zu erhalten. Und was berichtet dies alte Buch, das mir wie ein alter Mann von hundert Jahren erscheint, mit Falten und Runzeln im Gesicht, was berichtet es sonst noch alles aus dem Leben der Eifler Dorfbauernfamilie vor achtzig Jahren:
„Ich habe den 24. Juli ein Paketchen bekommen, das kostet freizumachen 4 Silber und 6 Pfennig.“ (In Preußen galt seit 1821 der Silbergroschen zu ein dreißigstel Taler oder 12 Pfennig.)
Oder: „Unsere Magd, die bekommt auf das Jahr 1861 34 Thaler und einen Wollenunterrock und ein Paar Schuhe gelappt.“
34 Taler waren damals für Eifler Verhältnisse viel Geld. Genauestens hat unser Bauer Michael aufgezeichnet, wie die Magd entlohnt wurde: „Unsere Magd hat einen Thaler bekommen, den 24. April hat unsere Magd 4 Thaler bekommen. Den 8. Mai hat sie 2 Thaler bekommen, den 24. Juni hat sie 3 Thaler bekommen, den 10. Juli hat sie 55 Pfg. bekommen, den 23. Juli hat sie einen Thaler bekommen, den 28. August hat sie 11 Silbergroschen bekommen, den 25. September hat sie 2 Mark bekommen, unsere Magd hat bekommen 25 Mark, 3 Silber 5 Pfennig, unsere Magd hat wieder bekommen 4 Thaler 25 Silbergroschen.
Auch andere wichtig erscheinende Vorfälle des täglichen Lebens finden sich aufgezeichnet: „Ich habe von Bastion Friederich (Adenau) drei und eine halbe Elle Tuch bekommen, die Elle zu einem Thaler und 10 Silbergroschen, das macht zusammen 4 Thaler und 20 Silbergroschen, welches ich ihm noch nicht bezahlt habe.“ — „Von Matthias Stoppen von der Hahnensteiner Mühle (zwischen Dümpelfeld und Insul) habe ich den 1. März erhalten 3 Schweine, die kosten 22 Thaler 15 Silbergroschen, diese sind wir noch schuldig zu bezahlen.“
Für die Kinder ist die Sorge groß: „Ich habe dem Johann Schuhe machen lassen von meinem Leder, die kosten 1 Thaler und 15 Silbergroschen. Ich habe dem Johann eine Kappe gekauft, die kostet 12 Silbergroschen und auch eine Hose machen lassen, die kostet 20 Silber. Wilhelm habe ich ein Röckelchen machen lassen, das kostet 15 S., neue Schuhe 8 S. Ich habe dem Wilhelm ein „Kabüttgen“ gekauft, kostet 23 S., auch wieder für 3 Silber Garn. Ich habe dem Wilhelm wieder ein neues Röckelchen gekauft, das kostet 13 S., ein Viertel Scheffel Kalk gekauft, der Kostet 3 S. 6 Pfg.“ Und zum Schluß noch die Abschrift eines Kaufvertrages aus dem alten Buch: „Es verkaufen und übertragen die Erben von Johann Harmes und seiner Hausfrau von Nie-deradenau Maria Klein ihre Eigenthümliege alte Hausplatz vor die Summa 50 Thaler Preußisch Kurant wälges ich meinen Ohmen vom Hofe (Wirft) und von Schuld und meinen Brüdern und Schwestern (Insul) rausbezahlt haben, wie oben 50 Thaler.“ Nun liegen sie vor dir, einige Blätter aus dem alten Buch. Denke darüber nach, wie das Leben damals war, wie es heute ist, was sich geändert hat, was gleich geblieben ist! Eines aber wirst du fühlen und denken: Auch hier oben in der einsamen Eifel wohnten und wohnen Menschen, mit Eigenschaften, die wir auch heute noch so notwendig brauchen, Treue im Großen und Kleinen, Gewissenhaftigkeit und Sparsamkeit, Liebe zur Scholle und zur Natur, Freude am Besitz, Liebe zur Familie, Sorge für die Zukunft.
Der Mann, der im besten Mannesalter stehend (geb. 1815, gest. 1866), vor fast hundert Jahren die Aufzeichnungen in sein Liederbuch machte, war sich bewußt, zu sein „ein Glied in der Kette des Lebens“.
Forsche nach deinen Ahnen! Vielleicht findest auch du ein altes Buch aus der Zeit vor achtzig oder hundert Jahren. Was mag darin stehen!