Der Totenkopf ein interessanter Schmetterling

VON THEO BUSCH

Der Totenkopf gehört zur Familie der Schwärmer, die in Mitteleuropa 20 bis 22 Arten zählt. Im Eifelland beobachten wir alljährlich 10 bis 14 Arten, die gewöhnlich Nachtfalter genannt werden. Wir finden hier den Totenkopf, Pappelschwärmer, Abendpfauenauge, Linden=, Liguster=, Winden=, Kiefern=, Labkraut=, Wolfsmilchschwärmer u. a. Der größte aber ist der Totenkopf, der von Flügelspitze zu Flügelspitze bis zu 14 cm Spannweite aufweist. Er ist auch der seltsamste aller Schwärmer, seltsam in jeder Weise. Sein Name, der deutsche wie der wissenschaftliche (Acherontia atropos), erinnert uns an den Tod. Der Falter trägt nämlich auf der Brust eine totenkopfähnliche Zeichnung, die ihm in fast allen europäischen Sprachen den Namen „Totenkopf“ eingebracht hat. Die Wissenschaftler, die ihn erstmalig benannten, dachten einmal (F. Ochsenheimer, 1765 bis 1822, gest. in Wien, Schauspieler und Entomologe) an den Fluß Acheron, der der griechischen Sage nach den Eingang zur Unterwelt darstellt; und weiter (Karl von Linne, 1707—1778, schwedischer Naturforscher) an die Moira oder Parze Atropos, die den Lebensfaden durchgchneidet, wenn die Todesstunde geschlagen hat. So mag die Namengeber das Aussehen des Tieres, wie auch gar manches seiner damals noch unerklärlichen Lebensweise, derart beeindruckt haben, daß sie den „unheimlichen“ Namen „Acherontia atropos“ wählten, Tor zur Unterwelt, an dem der Lebensfaden von der Parze, der Schicksalsgöttin, endgültig durchschnitten wird. Der Lebensbereich des Totenkopfschwärmers umfaßt einen weit größeren Raum der Erde, als die meisten Menschen ihn je zu sehen bekommen. Mit Beginn der warmen Jahreszeit stoßen diese vorzüglichen Flieger, flugkräftig und fluggeschwind, einzeln oder in Gruppen zur Reise nach Norden vor, indem sie ihre nordafrikanischen oder südeuropäischen Geburtsstätten verlassen und unter Ausnutzung der warmen Luftströmungen in einer einzigen Nacht Hunderte von Kilometern zurücklegen und in wenigen Etappen Italien und die Alpen überfliegen, Deutschland durcheilen, die Ost« und Nordsee überqueren und schließlich zum Teil auch Mittelschweden und Finnland erreichen, wo z. B. bei Tampere (Tammerfors) bisher etwa 40 Stück gefangen wurden. Selbst auf den britischen Shetland=Inseln hat man sie beobachtet. Naturgemäß dringen nicht alle diese Tiere gleichweit nach Norden vor. Ein Teil läßt sich in Süddeutschland nieder, der andere in der Eifel und am Rhein, in Thüringen, Ost= und Norddeutschland, Dänemark, Schweden, Rußland, Finnland usw. In der Eifel beobachtet man sie selten und einzeln im Mai und Juni, häufiger im Juli, ziemlich regelmäßig und oft häufig im September und Oktober. Dies Auftreten in zwei Zeitintervallen hat verschiedene Gründe, wie wir noch sehen werden.

Daß Atropos der größte deutsche Falter ist, wurde bereits erwähnt. Dennoch ist der ruhende Falter im Freien kaum zu entdecken. Seine Zeichnung, wie auch die Farbe der Oberflügel, die in der Ruhestellung dachartig über die Unterflügel gelegt werden, bieten eine vorzügliche Tarnung. Zudem verhält sich der Falter tagüber völlig ruhig. Nur wenn er angerührt wird, kommt Leben iri ihn. Er bewegt die Vorderflügel zur Seite und gibt damit die hellgelb gebänderten Hinterflügel einen Augenblick frei, was sicherlich alle Feinde mehr oder weniger erschrecken muß. Bedrängt man das Tier härter, so gibt es einen lauten Pfeifton von sich. Der Totenkopf ist der einzige europäische Falter, der dies fertig bringt. Er tut es allerdings nur bei Gefahr.

Der Ton ist.dem Gequieke einer Maus ähnlich. Er entsteht durch Ausstoßen von Luft aus dem Saugrüssel. Früher glaubte man, der Ton entstünde in einer Kopfhöhle.

Man kann sich vorstellen, wie abergläubische Menschen in Angst und Schrecken geraten, wenn ein mit einem „Totenkopf“ gezeichneter Schmetterling nachts in einen erleuchteten Wohnraum eindringt und  „schreiend“ umhertobt.

Ein so großes und kräftiges Insekt wie der Totenkopf braucht naturgemäß reichlich Nahrung, erst recht ein so guter Flieger nach weitem Flug. Er besucht daher kaum Blüten, wie die anderen Schwärmer, sondern saugt den Saft blutender Bäume. Es ist dann auch kein Wunder, daß dieser Geselle hin und wieder räuberische Instinkte entwickelt und in Bienenstöcke eindringt, um hier Honig zu naschen. Wenn er auch nur einen halben Teelöffel voll Honig auf einmal ZU schlürfen vermag, so bedeutet des Räubers nächtlicher Einbruch in den Bienenstaat höchster Alarm für das Volk der Bienen. Dann entbrennt im Bienenstock ein Kampf auf Leben und Tod, der für den Eindringling, alsbald von zahllosen Stichen durchbohrt, ein rasches und unrühmliches Ende findet, falls er nicht vorzieht, die Flucht zu ergreifen. Es ist klar, daß der Falter im Kampfe sein Pfeifen laut ertönen läßt, was die Bienen mit wütendem Gebrumm beantworten. Oft sind es die Imker, die dem Schmetterlingskundigen die Totenkopfschwärmer ins Haus bringen. Die von Süden her vordringenden Atropos=Falter sind natürlich in beiden Geschlechtern vertreten. Die Weibchen tragen befruchtete Eier bei sich, die sie an ihren Ruhestellen an geeignete Futterpflanzen ablegen, vor allem an das Laub der Kartoffelpflanze, auch an die verschiedensten Nachtschattengewächse, an Bittersüß, Tollkirsche, Stechapfel und viele andere Pflanzen, im mediterranen Gebiet sogar an Öl= und Oleanderbäume. Auffällig ist die Bevorzugung des Kartoffellaubes. Daher hat man zeitweilig angenommen, die Art sei mit der Kartoffel aus Amerika eingeschleppt worden; doch ist dies nicht der Fall, da die Neue Welt keine Acherontia=Arten beherbergt. Atropos ist nachgewiesenermaßen seit alter Zeit im Mittelmeergebiet heimisch. Erst seit Einführung und Ausdehnung des Kartoffelanbaues in Europa ist eine Zunahme der Einwanderung aus dem Süden festzustellen. Das Ei des Tieres sollte, der Größe des Falters entsprechend, ziemlich groß sein, ist jedoch verhältnismäßig klein, von Gestalt länglich=eiförmig, scheinbar glatt; bei starker Vergrößerung ist ein polygonales Netzwerk auf der Oberfläche zu erkennen. Die Farbe ist matt=grünlich oder graublau. Die erwachsenen Raupen, die nur bei Nacht fressen und sich bei Tage sehr versteckt halten, werden bis zu 15 cm lang und entsprechend dick. Sie treten in drei voneinander sehr verschiedenen Spielarten auf: Zitronengelb, grün und olivbraun. Sie erscheinen mit ihrer bunten Zeichnung und Farbe äußerst auffällig, sind jedoch im Gewirr des Laubes der Futterpflanze nur schwer zu entdecken. Man findet sie am leichtesten in der Dunkelheit durch Ableuchten der Kartoffelfelder. Auch die Raupert des Totenkopfes können mit den Mundwerkzeugen einen knisternden Ton hervorbringen, falls sie plötzlich unsanft berührt werden.

Sind die Raupen zum Verpuppen reif, so stellen sie das Fressen ein, bestreichen sich den Leib, soweit sie ihn erreichen können, mit einer aus dem Munde kommenden Flüssigkeit und kriechen erst dann 15—20 cm tief in die Erde. Hier bauen sie sich eine Höhle, deren Wände sie glätten und mit Speichel durchtränken, wodurch eine Art Erdkokon entsteht, der aber ziemlich brüchig ist. Darin verwandelt sich die Raupe in 8—14 Tagen in eine braune glänzende Puppe von ziemlicher Größe. In unseren Breiten findet man die Raupe des Totenkopfes spät im Juli und im August, doch häufiger im September und Oktober. Nachdem der Kartoffelkäfer die Felder heimsucht und Insektizide erforderlich sind, um die Brut dieses Schädlings zu vernichten, werden naturgemäß die bunten Raupen des Totenkopfschwärmers leider mitvernichtet. Daher kommt es immer seltener vor, daß beim Kartoffelausmachen die jedem auffallenden Puppen des Falters gefunden werden.

Die meisten bei uns entstehenden Puppen der Art schlüpfen, wenn sie nicht der Winterkälte oder Feinden zum Opfer gefallen sind, erst im nächsten Frühjahr, in den Monaten April bis Juni. Die daraus hervorgegangenen Falter unterscheiden sich von den im gleichen Jahre von Süden her neu eingewanderten durch ihr taufrisches Aussehen, was gut zu verstehen ist, wenn man an den Weg und die Strapazen denkt, die die Einwanderer bereits hinter sich haben. Dennoch sind die frischen, in unserem Land geborenen Totenkopfschwärmer nicht fortpflanzungsfähig. Unger Klima ist nicht warm genug, um die Geschlechtsprodukte zur Reife zu bringen. Vielleicht ist auch die intensive Funktion aller Organe eines solchen Falterkörpers auf einem langen Fluge erforderlich, die Tiere reifen zu lassen. Im Herbst schlüpfen bereits einige der bei uns entstandenen Totenkopfpuppen. Doch gehen die Falter entweder durch Frost ein oder weichen der Kälte nach Süden aus, so daß man von einer alljährlichen Rückwanderung sprechen kann, ähnlich wie bei dem Wanderer unter den Tagfaltern, dem Admiral.

Eines steht jedenfalls nach der heute herrschenden Ansicht fest, daß alle bei uns geschlüpften Tiere des Totenkopfes nicht fortpflanzungsfähig sind. Daher kann man dem Einwanderer für unsere heimische Fauna noch nicht das volle Bürgerrecht zugestehen, obgleich alljährliche Einwanderung vorliegt, Eiablagen erfolgen, Raupen, Puppen und Falter entstehen. In dem bisher Gesagten haben wir genug des Seltsamen von einem Schmetterling erfahren, dessen Leben sich hauptsächlich in der, Nacht abwickelt. Man kann nur staunen darüber, wieviel Mühe an Einzelbeobachtungen, Experimenten und Untersuchungen erforderlich waren, um ein einigermaßen abgerundetes Lebensbild eines dem Menschen an sich bedeutungslosen Insektes zu gewinnen, das aber immer wieder Interesse erweckt wegen der geheimnisvollen Zeichnung des „Totenkopfs“ und der seltsamen Lebensumstände seiner Art.