Der Tisch
Hundert Jahre schon
unterm Gottessohn
stemmt sich unser Tisch auf breiten Kraxen,
stets am gleichen Fleck
in dem Herrgottseck,
schwer und sicher gleich als festgewachsen.
Nie ward er verrückt;
sein Gestühle drückt
tiefe Spuren in den Dielenboden.
Schwanken wir: er ruht.
Stumm und stark und gut
dient er uns wie ehedem den Toten.
Unsre liebe Not,
unser täglich Brot
mußten seine braunen Bretter tragen.
Ob es reichlich war
im belobten Jahr
oder bitter in den kalten Tagen.
In den Plattenrand
schnitt manch liebe Hand
feierabends Runen, Schrift und Kerben.
Die das Brot geschnitzt,
Zeichen eingeritzt,
beteten und dankten, mußten sterben.
Aber wer hier saß,
seine Mahlzeit aß,
trank und rastete, bleibt stets zugegen.
Vater, Mutter, Ahn,
die wir sterbend sah’n,
speisen mit und sprechen ihren Segen.
Wer hier je geweint,
wird mit uns vereint,
findet sich zu unserm stillen Kreise,
wird genährt, getränkt,
wird erquickt, beschenkt
im Gebet und in der frommen Speise.
JOHANNES LINKE