Neues Leben im Ahrweinbacu
Der Polarwinter 1956 hat die Liebe der Ahrwinzer zu ihrem Weinbau auf eine harte Probe gestellt. Sie ist bestanden worden. Obwohl 1956 und 1957 nicht? oder wenig geerntet wurde, haben die Winzer das durch den Frost Zerstörte wieder aufgebaut. Wie so oft wurde die Not sogar zum Wegbereiter des Fortschritts, des FortSchritts, den ständig steigende Löhne in der ganzen Volkswirtschaft und den die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft notwendig machen.
Im Frühjahr 1957 wurde das erste Flurbereinigungs=Verfahren für den Ahrweinbau in Ehlingen eröffnet. Im Frühjahr 1959 teilte das Adenauer Kulturamt den Winzern die neuen Pläne zu. Wenige Wochen später hatten die Winzer bereits mehr als die Hälfte der rund 14 ha Weinbergsfläche bepflanzt. Im Frühjahr 1960 wird der Rest gepflanzt werden. Namhafte Zuschüsse und Darlehen der öffentlichen Hand halfen, den Wiederaufbau zu finanzieren. Bei 1,50 m Gassenbreite sank die Zahl der in Ehlingen je ha angepflanzten Reben auf unter 6000. Dadurch verminderte sich die Höhe der Investitionen. Es verkleinert sich aber auch die Zahl der laufend zu leistenden Arbeitsstunden, ohne daß die Erträge und deren Qualität leiden, weil Burgunder und Portugieser für einen größeren Standraum dankbar sind. Viele Ehlinger Winzer entschlossen sich sogar zu sogenannten Weitraumanlagen mit 3 m Gassenbreite (eine solche ist als Junganlage der Domäne auf der Abbildung in der Mitte unten am Transformator zu sehen), durch die man die genannten Vorteile zu vergrößern hoffen darf.
Ein gutes Wegenetz ermöglicht in Ehlingen nunmehr die Maschinenarbeit. In einem Teil der Fläche kann der Schlepper direkt durch die Gassen fahren. Anlagen zur Bekämpfung von Frostschäden müssen noch erstellt werden. Den Hauptvorteil der bei der Flurbereinigung erfolgten Zusammenlegung von kleinen zu größeren Parzellen erhelle ein einfaches Zahlenbeispiel: Vorbereitung der Arbeit und Weg zur Arbeitsstelle sind unproduktiver Leerlauf, Beträgt die Vorbereitungszeit für eine Arbeit 20 Minuten und die zur Erreichung der Parzelle nötige Wegezeit nochmals 20 Minuten und ist auf der Parzelle für 60 Minuten produktive Arbeit, dann verschlingt der Leerlauf 40 Prozent der aufgewandten Arbeitszeit. Ist auf der Parzelle für 240 Minuten Arbeit, weil sie größer ist, so verringert sich der Leerlauf auf 14 Prozent. Nur eine Weinbaugemeinde der Ahr konnte des vollen Segens der Flurbereinigung zunächst teilhaftig werden. In den übrigen wurde aber wenigstens die wichtigste Maßnahme der Flurbereinigungsverfahren im Weinbau tatkräftig in Angriff genommen: an vielen Stellen begannen die Winzer den Weinbergswegebau. Große öffentliche Mittel wurden bereitgestellt, so daß die Winzer im Wegebau einen Teil des Geldes verdienen konnten, das ihnen die Frostkatastrophe aus dem Weinbau zu holen verwehrt hatte. Unterhalb und oberhalb der neuen Wege sehen wir schon heute, wie die Intensität der Bebauung zunimmt. Der schönste der neu erstandenen Weinbergswege ist wohl der Dr. Habighorst-Weg in Dernau, von dem man in der Ab“ bildung eine Schleife sieht. Durch den Namen, den die Gemeinde dem Wege gab, wurde das Andenken des Mannes geehrt, der als Landtagsabgeordneter des Kreises Ahrweiler sich mit großer Tatkraft sowohl für die Bewilligung der Mittel wie für die Durchführung von Flurbereinigung und Wegebau eingesetzt hat und dessen allzu frühen Tod mit der Winzerschaft der ganze Kreis Ahrweiler zu beklagen hat.
Staatsdomäne Marienthal
Foto: Hamburger Aero Lloyd G.m.b.H.
Für die nur gemeinsam zu lösenden Aufgaben des Wiederaufbaues schlössen sich die Winzer des Ahrtales zur Rebenaufbaugemeinschaft zusammen. Wieder unter Einsatz öffentlicher Mittel wurde auf der Marienthaler Halbinsel, die in der Abbildung rechts in der Ahrschleife noch zu sehen ist, auf Doinänengelände eine Rebschule eingerichtet, die für den Wiederaufbau in Ehlingen bereits den größten Teil der Reben geliefert hat. Im Rahmen der Rebenaufbaugemeinschaft wurden im Frühjahr 1959 die ersten Frostschutzgemeinschaften für Geländeheizung gegründet, die wegen der besseren Wirkung in Zukunft die Räucherwehr ablösen können, Die Situation auf dem Weinmarkt nach dem vollen Herbst des Jahres 1958 hat den Winzern der Ahr wieder zum Bewußtsein gebracht, daß die Zukunft des Ahrweinbaues nur im Anbau der Rotweinsorten liegt. Für den Spätburgunder als die Qualitätsrebsorte der Ahr gibt es noch keinen gleichwertigen Ersatz. Die Domäne Marienthal und die Weinbauabteilung der Landeslehranstalt führen umfangreiche Selektionen durch, damit nur hochleistungsfähige Burgunderstämme vermehrt werden. Wegen der Neigung des Burgunders zur Mutation, also zu Veränderungen der Erbanlage, ist ständige Einzelstockauslese Voraussetzung für einen leistungsfähigen Burgunderanbau. In Würzburg selektionierte Ahrburgunder wurde 1958 in der Domäne gepflanzt. Selektionen werden auch bei den Sorten Frühburgunder und Portugieser durchgeführt.
In der Abbildung sehen wir zwischen der Kehre des Dr. Habighorst=Weges und dem Äbtissinnenhaus deutlich eine stark reisigkranke Spätburgunderanlage der Domäne. Sie wurde im Frühjahr 1959 über Stock gerodet und mit selektionierten Spätburgundern auf 13 verschiedenen Unterlagen neu bepflanzt. In dieser harten Prüfung sollen die aus bestimmten Gründen ausgesuchten Unterlagen zeigen, ob vielleicht eine dabei ist, die Burgunderanbau mit sicheren Erträgen ermöglicht. Zugleich dient die Anlage der weiteren Erforschung der Reisigkrankheit.
In den Brachflächen, die oberhalb der Kehre des Dr. Habighorst=Weges im Bilde zu sehen sind, wurden 1958 und 1959 die Rotweinsortimente der Staatlichen Rebenzüchtung Alzey, des Institutes für Rebenzüchtung auf dem Geilweiler Hof, sowie der Lehr= und Forschungsanstalt Geisenheim und neue Rotweinsorten der Staatlichen Rebenzüchtung Würzburg gepflanzt. Alle diese neuen Sorten sollen hier auf ihre Eignung für die Ahr im Weinberg und nachher im Keller der Domäne geprüft werden. Weitere Versuchsanlagen auch von roten Hybriden werden folgen. So zeigt sich im schönen Zusammenwirken der Winzer mit ihren Fachstellen und den Behörden, daß der Lebenswille des Ahrweinbaues ungebrochen Neues schafft. Wir dürfen gewiß sein, daß das von der Natur mit so vielen Vorzügen ausgestattete Ahrtal durch die Kultur der Reben seine Wür= de, seinen Ruhm und seinen Reichtum behalten und daß hier der Wein seinen Be* wohnern und den Fremden, die aus den benachbarten Großstädten an Rhein und Ruhr herkommen, auch weiterhin „in Maßen genossen“, wie es im Buche Sirach heißt, „ein zweites Leben schenken wird“.