Der Ochsentausch

Eine heitere Geschichte vom Adenauer Viehmarkt

VON WILH. HAY

In der guten alten Zeit, als auf den Novembermärkten in Adenau die Eifeler Bauersleute ihre Ochsen noch von Hand zu Hand vertauschten und vertaten, schlugen auch der Hecken Fritz aus Wiesemscheid und der Bohlen Franz aus Welcherath dort alljährlich ihre Gespanne um. Beide hatten zusammen bei den 29ern in Trier gedient und freuten sich stets, wenn sie sich auf dem Adenauer Markt trafen. Seit mehreren Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen. Da holte an einem freundlichen Elisabethentag der Fritz den Franz kurz vor Breitscheid mit seinem Fuhrwerk ein, als die Sonne gerade hinter der Hohen Acht heraufstieg. Jeder von den beiden wollte auch diesmal sein Ochsenpaar gegen ein — so hoffte er — besseres eintauschen. So war bald ein angeregtes Gespräch hierüber im Gange. Ja, und dann hätte die Bärbel ihrem Franz noch aufgetragen, einen halben Zentner Futterkalk und ein neues Butterfaß mitzubringen. Und ihm, so meinte der Fritz, habe seine Käth eingeschärft, die Borde zum Ausbessern des Kornspeichers nicht zu vergessen und einen Sack Salz für den Winter einzuhandeln. — „Eigentlich schade, daß sich unsere Frauen nicht kennen, wo wir doch so gute Kameraden sind“, meinte Franz, „die müssen auch durcheinandergehen! Nächstes Jahr halten wir die Kirmes zusammen!“ Unterdessen waren die beiden Fuhren in dem freundlichen Städtchen angelangt, wo es bei dem prächtigen Spätherbstwetter schon lebhaft zuging. Die Ochsen bogen rechts zum Marktplatz hinab. „He, Fritz! Guten Morgen, Franz!“ rief da eine wohlbekannte Stimme fröhlich aus dem Eckfenster des Gasthauses „Zum Wilden Schwein“. „Kommt herein! Wir trinken noch den Branntewein!“ — Guck da! Das war ja der Zermüllener Juppes! Der hatte ja auch bei den 2pern gedient, dem mußte man Bescheid tun! Bald saßen die Drei beieinander und feierten frohes Wiedersehn! Der Juppes, ja das war ein loslediger Junggeselle, der nach seiner Militärzeit einen Hausierhandel angefangen hatte; ein weitgereister Mann, in allen Dörfern der Eifel, an der Mosel und bis in den Hunsrück hinein bekannt und mit allen Hunden gehetzt.

Der Viehmarkt in Adenau
Foto: H. Esch

Er wußte diesmal so viel Neues aus der Welt zu erzählen und seine alten Kameraden so angeregt zu unterhalten, daß die gar auf Markt und Ochsenhandel vergaßen und die Gläschen immerzu kreisen ließen. Es ging schon gegen Mittag, und das geschäftige Leben verzog sich vom Markt in die Wirtshäuser. Im „Wilden Schwein“ unterhielt der Zermüllener Juppes indes eine ganze Stube voll Menschen und vertröstete seine beiden Kameraden, wenn die ab und zu mal vom Ochsenhandel beginnen wollten, gerade außerhalb des Marktes könne man beim Ochsenhandel oft einen guten Ramsch machen! — Der Mittag war da; vom Turm der ehrwürdigen Kreuzritterkirche Sankt Johann Baptist läutete die Glocke. Da rafften sich Fritz und Franz schließlich doch auf, wenigstens die aufgetragenen Besorgungen zu machen, Salz und Kalk, Bretter und Butterfaß einzukaufen und auf die Wagen zu werfen.

Als dann die Ochsen untergestellt und gefüttert waren, setzten sich die drei 29er zum Mittagstisch. Das Essen machte Durst, und der mußte gelöscht werden. Wieder vergingen die Stunden im Flug. Da schlug den beiden Ochsenhändlern doch das Gewissen. Der Franz konte nicht umhin, mit Besorgnis an seine Bärbel zu denken und der Fritz an seine Käth; was würden die sagen, wenn man die alten Ochsen heimbrachte?! — Aber der Juppes dachte für sie beide und machte den immerhin verblüffend einfachen Vorschlag, sie sollten doch gegenseitig ihre Gespanne glcichauf tauschen! — Wahrhaftig! Das war das Ei des Kolumbus! Alle, auch der listige Wirt, pflichteten bei: Das sei der beste Handel, den sie je gemacht hätten! Erleichtert atmeten die Freunde auf. Darauf mußte natürlich „Weinkauf“ getrunken werden und dazu gehörte Wein, viel Wein; nun, der Wirt „Zum wilden Schwein“ führte einen guten Tropfen. — Man steckte schon das Licht an; die Mehr zahl der Gäste hatte sich verzogen. Da rief der Juppes mit Kommandostimme: „Herr Wirt! Caspary=Bier!“ Caspary=Bier, jawohl, wie man es von der alten Garnisonstadt Trier her gewöhnt war. Auch Franz und Fritz riefen nach Caspary=Bier, uneingedenk des Spruches: Bier auf Wein, das laß sein! — Immer tiefer schauten die Drei ins Glas, immer tiefer versanken sie in Erinnerungen. Sie sprachen von Trier, vom Dom, von der alten Moselbrück‘ und vom Christoffel, ja und vom „Regiment von Hörn, das Gott erschuf in seinem Zorn!“ Als vom Kirchturm die neunte Stunde schlug, vollzog Juppes den getätigten Ochsenhandel und spannte die Ochsen des Franz an den Wagen des Fritz und das Paar des Fritz an den Wagen des Franz. So fuhren sie von dannen, voraus der Fritz, dahinter der Franz. Juppes thronte mit seinem neugefüllten Hausierladen rittlings auf dem Butterfaß des Franz. Bis Breitscheid gingen die beiden Fuhrleute nebenher, damit das neue Gespann sich an den neuen Herrn gewöhne. Als es bergan ging, setzten sie sich auf den Wagen. Aus dem nebelfeuchten Tal hatte man schließlich hinter Quiddelbach beim bleichen Licht des abnehmenden Mondes die Höhen erreicht, wo die Luft wunderbar mild wehte. Juppes, auf dem Butterfaß, sang seine rührendsten Lieder: „Zu Straßburg auf der Schanz“, „Tief im Böhmerwald, wo meine Wiege stand“, „Im schönsten Wiesengrunde“.

Die beiden Fuhrmänner indes waren bald verstummt, ließen nur hin und wieder ein kümmerliches: Fort, joh!“ vernehmen und nickten tief mit den Köpfen, mit ihren Ochsen um die Wette.

Die Höhe des Seiberges war erreicht, nun gings bergab ins Wirftbachtal. Die Ochsen witterten Heimatluft und schritten rascher, das Schnarchen der Fuhrmänner verriet einen festen Schlaf. Der Juppes stellte sein Singen ein. Schon war der Wirftbach überfahren, wieder gings ein Stück bergan, dann zweigte bald links der Weg nach Welcherath ab. Der Juppes, als alter Jahrmarktsläufer noch einigermaßen klaren Kopfes, begann gerade zu überlegen, nun müsse er die Schläfer wecken und die neuen Ochsen auf den rechten Weg bringen. Da schoß ihm plötzlich ein anderer Gedanke durch den Kopf. Ließe man die Ochsen des gewohnten Weges ziehen, so wußten sie Bescheid und kamen trotz ihrer schnarchenden Herren und mit diesen sicher ans Ziel. Dann bekamen allerdings die Bärbel und die Käth statt der vertauschten Ochsen — vertauschte Männer. Ein vergnügtes Lächeln huschte über das verschmitzte Gesicht des Hausierers, war er doch im Begriff, seinen vielen Streichen einen neuen hinzuzufügen! Geräuschlos stieg er vom Butterfaß herunter, schulterte sein Warenbündel und ging noch ein Weilchen hinter dem zweiten Wagen her, bis dieser rechts nach Wiesemscheid einbog. Vom Gehen bald wieder vollauf munter, stimmte Juppes sein Leiblied an:

„Steh‘ ich in finst’rer Mitternacht
so einsam auf der stillen Wacht,
dann denk‘ ich an mein fernes Lieb,
ob sie mir treu und hold verblieb.“

Und es war gegen Mitternacht als das Gespann, das nunmehr dem Fritz zu Welcherath gehörte, in den Hof des Heckenfranz zu Wiesemscheid einlenkte. Die Bärbei hatte ihre drei Kinder, die vergebens auf des Vaters „Marktplätzcher“ gewartet, glücklich in Schlaf gebracht. Nun stand sie mit der Laterne im Hof und sah gleich, daß ihr Mann keinen Handel gemacht hatte. Vertraut rieben die alten Ochsen ihre Mäuler an der Schürze der Herrin und fraßen begierig das gewohnte Stück Brot aus Bärbels Hand. „Franz, stieh off!“ rief sie, leuchtete flüchtig über den Wagen und vermißte auch das bestellte Butterfaß, merkte aber wohl, daß ihr Franz ansonsten schwer geladen habe. Sie spannte die Ochsen aus, stellte sie in den Stall und mengte noch ein wenig Futter in die Krippe. Dann half sie beim Mondlicht dem Mann vom Wagen herunter und meinte: „Mein Gott! Bat os en schwer!“ — „Nomend, nomend Käth,,, lallte der. „O jeh! Ä weiß schun nitt mehr, be ech heißen“, dachte das Bärbel, „da es et awer Zeit!“ — Neben dem Kuhstall war die sogenannte „Werkstatt“, ein Gelaß mit allerlei Gerätschaften, wo auch ein altes Bett stand, dafür bestimmt, dem Hausvater als Lager zu dienen, wenn eine Kuh vor dem Kalben stand oder ein krankes Stück Vieh der Wartung bedurfte. Dahin schleppte die Bärb den Taumelnden, der sogleich auf das Bett sank und weiterschnarchte. — „Der Vatter schläft in der Werkstatt“, sagte die Mutter am anderen Morgen, als die Kinder schon früh nach ihren „Marktplätzcher“ riefen. Dann nahm sie den Melkeimer und begab sich in den Kuhstall. Die Kinder verlangte es nach dem Mitbringsel, und sie huschten treppab. Kaum saß die Bärb unter der ersten Kuh, da flog die Stalltür auf, und die Kinder überkugelten sich schreiend zur Mutter hin: „Motter! Motter! Et leit en friemer Man em Vater seinem Bett!“ „Dir seid jäckig!“, sagte die Bärb, stellte den Melkeimer hin, lief aus dem Stall und schob, einer Eingebung folgend, den Riegel in den Pfosten der Werkstatt. Schon kamen auf das Geschrei der Kinder zwei Nachbarn in den Hof. Ohm Pitter lief zum Holzplatz und zerrte einen Knüppel aus der Schanze; der andere ergriff die Mistgabel, die an der Stalltür stand. Dann stießen sie den Riegel zurück. — „Bat es dat elei?“ fuhr Ohm Pitter auf den noch Schlafenden los, „ber baß dau?“ — Der schlug die Augen auf, schaute wie irr um sich, richtete sich dann auf und frug zaghaft: „Bö sein ech?“ Die Kinder klammerten sich ängstlich an die Mutter. Ohm Pitter aber sagte: „Dau baß ze Welchert! Ber baß dau? Bo kümmst dau her? Bat wellst dau hei? Bo es da Franz?“ Bei dem Wort kehrte dem Fritz die Erinnerung zurück, und die Sache klärte sich auf. Bald danach, beim Kaffeetrinken, erzählte er das Marktgeschehen. Vom Wagen holte er den Schwartemagen und das „Gendarmenbrot“, und das dreijährige Ännchen umschmeichelte den fremden Mann bald wie den eigenen Vater. Die Bärb drückte nur noch die Besorgnis aus, ob es mit ihrem Franz bei der Käth in Wiesemscheid auch so glimpflich abgelaufen sei. „O, et wird schon“, tröstete der Ohm Pitter, „dat es net esu schlemm, dat kann jedem mol passere!“ — Nun war allerdings die Sache zwischen der Käth und dem Franz nicht so glatt abgelaufen. Die Heckenkäth war resoluter als die Bohlenbärbel. So hatte sie, als sie der alten Ochsen ansichtig wurde, nicht vor, mit ihrem Fritz sanft umzugehen. Dabei entdeckte sie den fremden Schläfer und ein unbekanntes Butterfaß auf dem Wagen. Sie schlug mächtig Lärm, so daß im Nu halb Wiesemscheid erwachte. Es hätte nicht viel gefehlt und man hätte Sturm geläutet. Der Vorsteher und der Feldschütz verhafteten „im Namen des Gesetzes“ den Schlafenden, erklärten ihn für „zur Zeit nicht vernehmungsfähig“ und sperrten ihn ins Spritzenhaus ein. Auf den Boden legten sie ein Bund Stroh und kommandierten zwei „gediente“ Männer als Wache im Frondienst vor die Tür, wie das Statut es dazumal vorsah. Am Morgen wollte man weiter sehen.

Bestürzt, in Wut und voll Sorge, war die Käth heimgegangen. Im Schein der Stalllaterne entdeckte sie schließlich im Schild am Wagen: FRANZ BOHLEN AUS WELCHERATH! – Franz Bohlen? Der Franz aus Welcherath! Das war ja dem Fritz sein Freund, ja, aus den Trierer Soldatenjahren! Nun, da fiel der Käth zwar ein Stein vom Herzen, aber . . . war dem Fritz vielleicht doch ein Unglück zugestoßen? Die Käth tat die Nacht kein Auge zu. — Als auch sie in der Frühe zum Melken ging, brachten sie schon den Sünder, den Franz, und auch hier hellte sich alles auf. — Und so lernten die alten Kameraden die Frauen schon vor der Kirmes kennen. — Versteht sich, daß der Ochsentausch rechtskräftig blieb, der Männertausch aber rückgängig gemacht wurde. Die Frauen aber stellten nachher beim ersten gemeinsamen Kirmesschmaus übereinstimmend fest: „Da hatt‘ kein anderer als der Zermüllener Juppes sein‘ Hand im Spiel!“

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(Mit Erlaubnis des Verfassers gekürzt entnommen aus „Spaß beim Ernst“. Heitere Geschichten von Wilhelm Hay, Verlag Heimatscholle Trier 1954).