Aus den Anfängen der ev. Kirchengemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler
VON KARL BORNEMANN
Am Turm der evangelischen Kirche vor der Kurgartenbrücke zeigt eine bronzene Gedenktafel ein eindrucksvolles Bild und darunter die Inschrift:
„DEM ERBAUER DIESER KIRCHE UND GRÜNDER DES WALPURGISSTIFTS
GUSTAV ADOLF PLIESTER
PFARRER IN NEUENAHR 1869-1907
ERRICHTET VON DER EV. KIRCHENGEMEINDE UND DEM WALPURGISSTIFT“
Der Wortlaut ist nicht recht geschickt gefaßt. Oft fragen Betrachter: Ein Pfarrer — auch Baumeister? Und wo ist in der Kurstadt das Walpurgisstift? Zur Beantwortung dieser und anderer Fragen ist ein kurzer Rückblick in die nicht uninteressante Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr=Ahrweiler nötig.
Die Bevölkerung des Ahrtals und der Nachbargebiete ist durchweg katholisch. Nach einer Aufzählung in der „Heimatkunde des Kreises Ahrweiler“ von Archivar Rektor Rausch (S. 3) wohnten 1957 im Kreis unter 71 560 Katholiken nur 7 300 Protestanten. Diese ausgeprägte evangelische Diaspora ist kaum hundert Jahre alt. Evangelische .Familien sind erst seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hier nachweisbar. Sie waren fast alle zugezogen; nur ganz wenige waren von Geburt aus ortsansässig. Um 1850 erwachte im unteren Ahrtal der Wunsch nach einer evangelischen Gemeindebildung. Dem wurde entsprochen durch die Errichtung eines evangelischen Vikariats Ahrweiler/Adenau. 1853 hat Pfarrer Renckhoff aus Remagen im Saal des Gastwirts Houverath in der Kreisstadt den ersten evangelischen Gottesdienst vor etwa 30 Teilnehmern gehalten. Hernach wurde Ahrweiler Amtssitz eines Vikars. In der Kreisstadt konnte ein Gemeindehaus mit Predigerwohnung eingerichtet werden. Die Vikare wechselten in sehr schneller Folge. Von 1862 an haben sie auch im „Kurviertel Neuenahr“ Gottesdienste gehalten. Die Kurverwaltung stellte dafür einen Raum im Kurhaus zur Verfügung. 1069 kam Pastor Gustav Adolf Pliester aus der Gemeinde Kranenburg bei Kleve ins Vikariat, Er wirkte neun Jahre als Vikar und 29 Jahre als Pfarrer der Diasporagemeinde. Als Pliester nach Ahrweiler kam, war der Bau einer evangelischen Kirche an der Kurgartenbrücke so gut wie beschlossen. Dieser Entscheidung war ein heftiger Rangstreit zwischen den evangelischen Gemeindegliedern in Ahrweiler und den wenigen in den Ortschaften Beuel, Hemmessen, Wadenheim und im Kurviertel von Bad Neuenahr vorangegangen. Nach Plänen des Kreisbaumeisters Cuno wurde der Bau der Kirche vor der Kurgartenbrücke 1870 begonnen. Zwei Jahre später konnte sie eingeweiht werden. Sie blieb aber noch Kirche für das weite Vikariat. Die Ortsgemeinde wurde in den Sommermonaten durch eine steigende Zahl von Kurgästen vergrößert. Erst 1878, sechs Jahre nach“ der Weihe, wurde diese Gemeinde aus dem Vikariat gelöst und erhielt ihre volle Selbständigkeit als Pfarrgemeinde. Pliester war ihr erster Pfarrer nach neunjährigem Vikaramt! Er war damals 40 Jahre alt. — 1.880 regte Pfarrer Pliester das Presbyterium und die Innere Mission an, ein Heim für bedürftige Kurgäste zu errichten. Sie sollten für die Zeit der Kur eine ihren wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Unterkunft erhalten. Die Innere Mission hat das Haus gebaut. Die Kirchengemeinde hat jahrelang hierfür beträchtliche Zuschüsse gezahlt. Das Stift bekam seinen Namen nach der letzten Gräfin Walpurgis aus der evangelischen Linie der Grafen von Neuenahr=Rösberg. Ihr erster Gemahl war Graf Hörn, der mit Egmont auf dem Marktplatze in Brüssel als Kämpfer gegen die spanische Herrschaft enthauptet wurde. In zweiter Ehe heiratete sie ihren Vetter Graf Adolf von Neuenahr; der für den zum evangelischen Bekenntnis übergetretenen Gebhard Truchseß das Schwert oft siegreich zog, zuletzt aber Sieg und Leben verlor.
Foto: Josef Gast
Diese Witwe Walpurgis war eine opferbereite Freundin und Helferin der Armen und Kranken, und a6oo, völlig verarmt und einsam, an der Pest gestorben. Leider blieb das Stift auf die Dauer nicht lebensfähig. In den Kriegen wurde es beschädigt und schließ* lieh ganz zerstört. Die Innere Mission hat es wieder aufgebaut. Nun ist das schöne Haus ein Heim für Schülerinnen des Aufbau=Gymnasiums. Das Land Rheinland=Pfalz leistet entsprechende Zuschüsse.
Wegen eines alten Gehörleidens mußte Pfarrer Pliester 1907 in den Ruhestand treten.‘ Er ist 1912 gestorben und in Bonn beigesetzt worden. Die 1915 errichtete Gedenktafel am Turm der Kirche macht deutlich, daß die damalige Gemeinde sich der Dankesschuld gegenüber ihrem Pfarrer, der ihr 38 Jahre gedient hatte, bewußt war.