Reichtum der Palette

Das Werk des Malers Pitt Kreuzberg

Ein Gedenkblatt von Harry Lerch

Sieh, was vermag die ungerecht Tyrannei
der weltlichen Gewalt und Macht der Finsternüß!
Hör, du Ritter Christi, reit hervor
neben den Herrn Christum, beschütz
die Wahrheit!

ALBRECHT DÜRER,
Tagebuch der Niederländischen Reise

Foto: J. und H. Steinbach
Der Maler Kreuzberg in seinem Atelier am Maar in Schalkenmehren.

Wir besinnen uns auf die erste Begegnung mit Pitt Kreuzberg, vor zwölf Jahren in der „Alten Burg“ zu Koblenz. Da tritt in die etwas eifervoll kunstsinnige Schar, versammelt zur Eröffnung der Ausstellung rheinischer Künstler, Pitt Kreuzberg: wie ein Schäfer gekleidet tritt er herein, mit der Hirtentasche um die Schulter, wie der Meister Colas Breugnon bei Romain Rolland: seine Augen haben den blaugrauen Widerschein vom Himmel über dem Schalkenmehrener Maar. Und da tut sich eine Gasse für ihn auf.

SPIEL DER WOLKEN

Ein Sohn der alten Kreisstadt hat vor sechs Jahrzehnten auf den Bänken der Bürger= und Lateinschule gesessen, nicht immer aufmerksam, doch der alte, gütige Lateinprofessor weiß es: der Junge denkt nicht an Knabenspiele und Schabernak — nein, er sieht den Wolken zu. Er zeichnet ihre graue Wölbung nach und den dunklen Schatten von West, derweil die Mittagssonne den Südsaum golden aufleuchten läßt. Wer nach den Wolken sieht in der Lateinstunde, wird Maler werden . . . Er, der Altersgenosse von Eugen Kreutzberg=Renschhausen und Dr. med. Felix Rütten, ist ein Sohn von Leopold Kreuzberg gewesen und dieser wiederum ein Sohn des Quellenentdeckers Georg Kreuzberg, der die Apollinarisquelle im Erdreich fand wie die heilenden Quellen von Bad Neuenahr. Wie dieser ins Erdreich zu schauen wußte und seine magischen Geheimnisse, so fördernd und auf= schließend zu des Leibes Behagen und Heilung, findet der Enkel sein Glück im Element darüber, in der Luft mit ihrem seidigen Hauch, in der Atmosphäre Glanz, in der Wolken Wölbung und des Unendlichen Geheimnis darüber.

ZUR AKADEMIE DÜSSELDORF

Vater Leopold Kreuzberg war ebenfalls auf der Latein= und Bürgerschule gewesen, ein Altersgenosse von Carl von Ehrenwall, Eugen Kreuzberg sen. und Rudolf von Groote, dem späteren Oberpräsidenten der Rheinprovinz. Er sah des Jungen Träume, gab ihm nach Jahren in die Gymnasien Brühl und Münstereifel, wo der Gymnasial direkter Pitt Kreuzberg nach der Obersekundareife den Weg freigibt zum Mal=Studium in Düsseldorf. Zögernd billigt’s der Vater.. . .

1904 geht Pitt Kreuzberg durchs Tor der alten Stadt, um seinen Weg zu suchen, die heimatliche Stadt in Erinnerung zu bewahren, doch auch die Welt zu schauen mit ihrer Farben Reichtum. Was Wunder, daß sein Weg nach Düsseldorf führt, zur Akademie, doch es ist vorauszusagen, daß seiner Individualität das Akademische zu= wider sein müsse; so wendet er sein Lebensschiff nach Süden, zum anderen Pol eines Malerherzens: nach München, nun schon frei und ungebunden. Viele Weggenossen haben einen Namen gemacht wie er: der Düsseldorfer Otto Pankok, Werner

Gilles, ebenfalls Professor wie sie, wie Max Hundt — und Max Ernst, der in den USA lebte wie Gert Wollheim. Sie waren Revolutionäre im „Jungen Rheinland“ wie im Obergang der „Rheinischen Sezession“.

EINE MALER=INDIV1DUALITÄT

Allein, wer die Eifel je gesehen hat mit Maleraugen, kehrt unter ihren hohen Himmel zurück, in ihre klarsichtige Luft, in ihre großen Farbenakkorde. Nun ist Pitt Kreuzberg Maler der Eifel geworden, ohne denn ein Eifelmaler zu sein. Dafür ist seine Palette zu reich und die Thematik zu groß. Pitt Kreuzberg rückt eher zu den Fauves der Franzosen und ist den deutschen Expressionisten verwandt oder nahe, etwa Nolde oder Schmidt=RottIuff. Doch, was bedeuten Vergleiche: die kunstgeschichtliche Ordnung versagt vor seiner Eigenständigkeit und Sonderstellung — vor seiner Individualität.

MALSTUBE AM SCHALKENMEHRENER MAAR

Pitt Kreuzberg siedelt sich in den zwanziger Jahren am Schalkenmehrener Maar an. Er hat gesehen, was zu schauen war, er sah den Süden und den seidigen Hauch von Paris. Freilich, nicht das „Laß, o Welt, o, laß mich sein . . .“ ist es, was ihn am Ufer dieses Maares leben und verharren läßt. Das hat er gesucht: die Wahrheit, und nicht den Schein. Das hat er gesucht, diese Urlandschaft, das schimmernde Leuchten des Wassers wie den fahlen Schein des Gewitters darüber.

Pitt Kreuzberg sucht das Ganze, die Einheit, die große Erscheinung der Dinge. Er will nicht eines, begnügt sich nicht mit zwei, er will alle vier Elemente der materiellen Schöpfung: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Der erloschene (und für ihn noch immer lebendige) Vulkan ist ihm das Feuer: für ihn ist diese Urlandschaft noch nicht zur Ruhe gekommen. Er hat vor seinem Auge alles: das Wasser, die Atmosphäre, die Erde des Ackers und das glühende Geheimnis der vulkanischen Landschaft. An ihr spiegelt sich das Dasein. Diese Landschaft hat Geheimnisse, hat Gesicht und Gesichte — wahrhaftig, sie hat weder „Stimmung“ noch „Romantik“: sie ist groß wie Gottes Angesicht!

Das Kreuz und die Welt — ein immer wieder von Pitt Kreuzberg umstrittenes und in vielerlei Varianten geschürftes, erlittenes, geläutertes Weltenthema.

GESICHTE UND VISIONEN

Diese Eifel malt Pitt Kreuzberg, doch ebenso brennen religiöse und zeitkritische Probleme. Er dechiffriert unser Jahrhundert.

Er will nicht abbilden noch umdeuten diese Eifel, weil er -Visionen und Gesichte genug hat, um sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Wer denkt und nachsinnt, wer empfänglich ist für das kosmische Welten=Schicksal und die in den Nächten vernehmbare Stimme Gottes, wer Menschenschicksale beklagt und ihre Verwirrungen, weil sie die Stimme Gottes über der Erde nicht hören — wer das in Farben zu sagen unternimmt, hat es nicht leicht. Er ist sich selbst nicht bequem noch seiner Umwelt. Dabei redet Pitt Kreuzberg in seinen Bildaussagen mahnend, gleichsam die Hände auf die Schultern des Betrachters legend: seht ihr nicht, daß ihr den Dämonen euer Herz geöffnet habt? Freilich, es legt dem Maler wie dem Betrachter eine Bürde auf. Denn seine Bilder sind nicht bequem, nicht auf ästhetischen Reiz bedacht, kaum sympathieheischend, doch wiederum nicht schroff und abweisend: es ist ja die Sonne des Vincent van Gogh darüber und glühende Farbe wie über den Tafeln von Max Nolde, mit dem er einmal ausgestellt hat.

DIE WAHRHEIT, DIE WAHRHEIT!

So hat er die Besucher seiner Trier Ausstellung, die sein Werk zum siebzigsten Geburtstag vereinte, einmal mit wenigen Zeilen angesprochen:

„Seht die Bilder mit derselben Ehrfurcht
und Demut, mit der ich midi ein langes
Leben bemüht habe, wach zu sein für die
Dinge der Schöpfung Gottes, Alles, was
sich hier darbietet, sind Versuche, in die
Wahrheit unseres Seins, in die
Umwelt und den Kosmos einzudringen.
Es kann darum nicht alles ein Lied der
Schönheit sein, eher eines der versuchten
Wahrheit 
… es sind die Gesetze und
die Lebenskraft, der Rhythmus und die
Dynamik der Dinge, die im ewigen
Kreislauf sind. Und das Dargestellte soll
uns mahnen, nichts Ungutes gegen das
Leben zu tun . . . Seien sie 
so inbrünstig
gläubig, wie es eine Künstlerseele sich zu
sein müht 
…“ ‚

Er ringt um die Wahrheit. Und die Wahrheit ist mehr als tausend Richtigkeiten. Die Wahrheit, die Wahrheit . . . das ist sein Holzschnitt von Ritter, Tod und Teufel.

Das sind Confessiones, wie sie selten ausgesprochen werden. Dabei entweicht Pitt Kreuzberg jedem Schema; es skizziert seine Malerpersönlichkeit unvollkommen, ihn einen religiösen Maler zu heißen oder einen Landschafter, er ist weder Ankläger noch Richter in seinen zeitkritischen Themen.

Und dennoch weist er in visionären Bildem, wohin der Weg führt, wenn die Welt nicht acht hat auf die großen Wahrheiten des Weltenschöpfers.

So ist er mahnend und gläubig, besorgt wie ein Freund aufrüttelnd — wer aber diesen Weg geht, tritt aus den Konventionen heraus. Pitt Kreuzberg malt wahr und ist wahr. Solches Hervorbringen unter seiner Gnade gibt ihm das Darstellen der Wachstumskräfte des Kosmos, zeigt die Engel aus dem All, aber auch die aus der Tiefe steigenden Dämonen.

Er trägt das Schäferkleid der Demut. Was Bedeutung hat für die Welt, liegt auf seiner Palette.