Im Raphaelskapellchen zu Bad Niederbreisig

VON HEINRICH BRAUN

Schilder und ähnliche Hinweise an den Straßenrändern dienen den Menschen zur Orientierung. Die vielen Verkehrsschilder haben die Aufgabe, Unfälle zu verhüten. Wegweiser sind notwendig, damit wir unser Ziel nicht verfehlen. Auf alle diese Hilfen können wir nicht verzichten.

Notwendig sind auch jene „Zeichen“, die uns zum Himmel weisen. „So verstanden, wird die Welt der Geschöpfe dem Menschen eine Straße, die ihn geradewegs zu Gott führt, wenn er nur auf die Zeichen am Wege achtet, die ihm alle mehr oder weniger deutlich die Richtung nach oben weisen. Wer beim Anblick all der Schöpfungswerke Gott nicht lobt, ist stumm“ (Bonaventura). Auch Menschenhand hat uns „stille Weiser“ an den Weg gestellt, die unsern Blick nach oben richten sollen: Kirchen, Kapellen, Kreuze, Statuen von Engeln und Heiligen usw. Ein solcher „stiller Wegweiser“ ist das Raphaelskapellchen in Niederbreisig, von dem aus starke religiöse Impulse ausgehen. Es ist im vergangenen Jahre künstlerisch ausgeschmückt worden. Wir finden es an der Bundesstraße unweit des Waisenhauses. Die Erneuerungsarbeiten wurden entworfen und ausgeführt vom Architekten F. Lüttgen, den wir von der Renovierung der Pfarrkirche in Bad Niederbreisig her kennen. Das Kapellchen ist inzwischen eingeweiht worden von Prälat Dr. Schuchert, Professor für christliche Archäologie und Kunstgeschichte, Rektor des Campo Santo und des Priesterkollegs an St. Peter in Rom, der hier öfter zur Kur weilt, und der die Arbeit Lüttgens förderte.

Das äußere Kleid des Kapellchens ist strahlenförmig, also recht auffällig, und lädt den Vorübergehenden zum Verweilen und Schauen ein. Auf zwei Schiefertafeln an der äußeren Stirnseite ist u. a. folgender Text eingemeißelt: „Den Weg des Friedens und des Glückes führe uns der Herr; und sein Engel Raphael geleite uns auf diesem Wege.“ Wenn man in das Kapellchen eintritt — die Bodenfläche mißt nur einige Quadratmeter — so wird unser Blick gleich von der spitzbogenförmigen Rückwand mit feiner Mosaikarbeit eingefangen, die in frühchristlicher Art, wie sie in Ravenna heute noch bewundert wird, ausgeführt ist. Dargestellt ist der junge Tobias mit seinem Reisebegleiter, dem Engel Raphael, auf dem Wege nach Medien. Oben links erblicken wir himmlisches Gelände in schönen, maßvoll gehaltenen Farben. Die nach unten weisende Hand Gott Vaters durchschneidet den regenbogenfarbigen Himmel, wo das erdfremde Gold wirkungsvoll ist.

Raphaelskapellchen in Bad Niederbreisig

Links unten lauert der gleisnerische Gegenspieler mit seinem Pferdefuß auf seine Opfer. Grelle Farben deuten das auffällige gefährliche Treiben des Teufels in der heutigen Zeit an. In der Fläche Himmel und Hölle sind die Trümmer einer zusammenstürzenden Brücke zu erkennen. Die Jahreszahl 1945 verrät, daß der Künstler an die Remagener Rheinbrücke gedacht hat. Zum Leib des Bildes gehören noch der treue Hund, „der ihnen nachlief“. Im Vordergrund, als Abschluß nach unten, ist ein Rahmen mit rotfarbigen Verkehrszeichen, die unaufdringlich wie Ornamente wirken. Oben leuchten ein flimmernder Stern — Stella maris — und ein Fisch in goldener Himmelsfarbe. Unter dem linken Engelsflügel erblicken wir an einem Heiligen-Häuschen die Jahreszahl 1648. Nach dem jojährigen Kriege wurde das Kapellchen in der Notzeit errichtet, das jüngst in schönerem Stil neu aufgebaut wurde. Raphael beherrscht in seiner Größe die ganze Mittelfläche des Bildes. Sein goldener Wanderstab stellt eine Verbindung zwischen Himmel und Erde dar. „Aus dem Himmel ist er, nach dem Himmel zeiget er.“ Außer den erwähnten Farben hat Lütgen in der Hauptsache in Schwarz=Weiß gearbeitet; auch Raphael, ohne schweres faltiges Gewand, wirkt lichtvoll erhaben als Bote Gottes im blendend weißen Kleid der Gnade. Sehr ausdrucksvoll ist der feine Kopf des Engels mit den großen Augen, die sowohl Strenge als auch Güte ausdrücken. Durch das Schwarz=Weiß wird der Ausdruck recht kraftvoll. Die Lebendigkeit des ganzen Bildes wird noch gesteigert durch beiderseitig eindringendes Licht, wodurch die funkelnden Sternchen, die ja keine glatte Fläche bilden, im Licht- und Schattenspiel, auch beim Kerzenschein, recht lebendig wirken.

2 Fotos: Geef Raphaelskapellchen in Bad Niederbreisig

Die Seele des Bildes spricht klar und unproblematisch zum Beschauer. — Von Künstlerhand wurden im Auftrag der Besitzer des Kapellchens, der Geschwister Loevenich (Weißes Roß), zehntausende Steinchen zu einem kunstvollen Bilde gestaltet, das uns begeistern kann zu einer Erzählung, der man andächtig lauscht. Hell und Dunkel, Gutes und Böses, Himmlisches und Irdisches: Alles ist kunstvoll geordnet in klarer Komposition. Im Schütze der Engelsflügel schreitet Tobias wohlgeborgen auf rechtem Wege. Was kann der Feind ihm schon schaden, wenn sein Engel ihn behütet! Der Wegweiser zeigt nach oben. Das Verkehrszeichen mahnt: Halt! Vorsicht! Besinnung! Der funkelnde Stern leuchtet zielweisend, und alles hat uns etwas zu sagen, nicht zuletzt der goldene Fisch als Symbol bzw. jener Fisch, durch dessen Galle der alte Tobias sein Augenlicht wieder erhalten hat.

Wer das Kapellchen betritt, kommt von der Bundesstraße 9, auf der Tag und Nacht das Leben flutet, wo die „geschäftige Welt saust“. Hier drinnen aber wird der Mensch daran erinnert, daß er zwei Wege vor sich hat; welches der rechte ist, das sagt klar und deutlich das Mosaikbild als Mahnung, Warnung und Trost. Heiliger Engel, beschütze auch mich, wie du den Tobias einst beschützt hast, „laß mich dir anbefohlen sein, daß ich vor Gott nicht fehle“, und daß die Brücke, die mich zum Himmel führen soll, nicht zerstört werde, denn groß und mächtig bist du „durch die große Würde deiner Natur, durch deinen vertrauten Umgang mit Gott und durch einen größeren Lichtglanz der göttlichen Gnade“. Beschütze auch unsern Ort und alle, die im Verkehrsmoloch die Straße ziehen! Mögen recht viele Menschen das Raphaelskapellchen besuchen, sich erbauen und Wegweisung und Trost mit hinausnehmen in die Hetze des Alltags, wo noch der Schutzengel wirksam wird.