Der „Siechenborn“ bei Brohl
Der „Siechenborn“ bei Brohl
VON LEO STAUSBERG
Im rheinseitigen Hang der Reutersley tritt in der Nähe des ehemaligen Gaswerks eine Quelle zutage. Im Volksmund heißt sie„ der Sichebuur“, d. i. Siechenborn. – Unlängst entdeckte ein aufmerksamer Anlieger dort bei dem Quellchen eine Rinne aus gebrannten Ziegeln von offenbar römischem Ursprung. Die Ziegel sind 43 ein lang, oben 16, unten 10 cm breit. Sie sind schöpfkellenförmig gebogen und so aufeinandergeschoben, daß das schmälere Ende abwärts zeigt. Unterseits sind diese Pfannen mit einem Höcker versehen, um die Haftung am Untergrund zu bewirken.
Da einen Steinwurf weit von der Quelle entfernt rheinwärts die von den Römern angelegte Heerstraße verlief, ist die Annahme berechtigt, daß die Römer diesen Born als willkommene Tränke für Mensch und Tier gefaßt haben. Hier mag der nach Rom trabende Postreiter sein Roß und sich selbst erfrischt, hier mögen durstige Legionäre gelagert und sich an dem klaren Quell erquickt haben. Während die römischen Ziegel uns dies verraten, erzählt uns der Name der Quelle etwas von ihrer Nutzung im Mittelalter.
Das altdeutsche Wort „siech“ für „krank“, das wir auch in den Worten Siechtum, Seuche vorfinden, war in der Zeit der Kreuzzüge für die gefürchtetste Krankheit damaliger Zeit, für die Lepra, den „Aussatz“ in Gebrauch gekommen. Die Lepra, deren Vorhandensein im Heiligen Lande ja sehr oft im Neuen Testament bezeugt ist, war durch heimkehrende Kreuzfahrer aus dem Orient bei uns eingeschleppt worden. Da der Aussatz damals noch unheilbares Siechtum bedeutete und als ansteckend bekannt war, hatte der Betroffene rücksichtslose Ausstoßung aus der menschlichen Gesellschaft zu gewärtigen, so wie es schon zur Zeit Christi in Palästina geschah, was ja der Name „Aussatz“ auch besagt. Die bedauernswerten Leprosen wurden abseits der Städte und Dörfer irgendwo an der Gemarkungsgrenze in eigens errichteten Hütten untergebracht und zwar stets dort, wo eine Quelle oder ein Bach vorhanden war. Die Existenz solcher Siechenhäuser im Mittelalter ist manchmal heute noch durch Flurbezeichnungen nachweisbar, auch wenn sonst keine Urkunde davon zeugt. So liegt z. B. oberhalb von Koblenz linksrheinisch das Siechhaustal; nördlich vor dem Städtchen Unkel am Rhein, heißt ein Distrikt „im Seeches“ d. i. Siechhaus. Auch der Siechenborn bei Brohl zeugt von einem solchen. – Bei Bonn befand sich eine Leprosensiedlung dort, wo heute das Waisenhaus „Sankt Josef auf der Höhe“ liegt. – Westlich von Köln lag ein städtisches Gut, in welches die Aussätzigen gebracht wurden. Hier nannte man die Leprakranken die „Maladen“, dialektisch„ die Maloten“, vom französischen Wort „malade“ = krank. In diesem Bezirk wurde vor 200 Jahren der erste zentrale Friedhof der Kölner angelegt, der „Melaten“heißt. Wir kennen aus Köln eine mittelalterliche Plastik, das sog. Leprosenmännchen, das einen, Bettler mit Bettelsack und Schelle darstellt. Ein Glöckchen schwingend und kläglich das Wort „Aussatz“ rufend, wanderten diese Siechen aus Melaten durch die Straßen und sammelten Brot und sonstige Gaben, welche mildtätige Bürger auf die Schwellen ihrer Häuser gelegt hatten. – Als „malääzig“ bezeichnet sich noch heute der Kölner, der sich krank fühlt. – Nun finden wir aber auch in der Brohler Flur die Bezeichnung „Im Maleßfeld“. Offenbar war es ein Acker, dessen Ertrag auf Grund einer frommen Stiftung für „Malätzige“ = Aussätzige bestimmt war, wohl für jene Unglücklichen, die am „Siechenborn“ hausten.
Im Zusammenhang mit denn Brohler „Siechenborn“ sei noch darauf hingewiesen, daß sich schon seit etwa 1200 südlich von Bad Niederbreisig eine Niederlassung des Kreuritterordens der Templer, später der Johanniter, befand. Von dort aus ist mancher Kreuzfahrer ins Heilige Land gezogen. Hier und da mag auch ein mit der Lepra behafteter Heimkehrer einen Platz im Siechenhaus am Siechenborn gefunden haben.
Es darf daran erinnert werden, daß die katholische Pfarrkirche in Bad Niederbreisig eine Kreuzpartikel bewahrt, die ein Templeise im 13. Jahrhundert aus Jerusalem mitbrachte. – Zum Schluß dieses Blicks in die Heimatgeschichte wollen wir noch die vornehmste Jerusalempilgerin unserer Heimat nennen, von der wir Kunde haben. Es ist die Gräfin Sofie von Rheineck, die auf ihrer dritten Wallfahrt ins Heilige Land am 26. September 1176 zu Jerusalem starb und in einer dortigen Kreuzfahrerkirche begraben liegt.