950 Jahre Sankt Viktor Oberbreisig
Die „Mutterkirche des Breisiger Ländchens“ renoviert
Carl Bertram Hommen
Vor 950 Jahren wurden in einer Urkunde des Trierer Erzbischofs Poppo von Babenberg (1016 -1049) zum ersten Male die „ecciesia in brisiaco“, die Pfarrkirche in Breisig, und damit auch die Gemeinde Breisig erwähnt. Für die Schenkung von Gütern in Hönningen/Rhein, Mayen und Mendig hatte der Bischof im Jahre 1041 der Witwe Gerbirch ihren Besitz in einem sogenannten Prekarie-Vertrag als Lehen zurückgegeben und ihr auf Lebenszeit außerdem das Patronatsrecht über die Breisiger Kirche verliehen; es sollte nach ihrem Tode auf das Stift Sankt Florin in Koblenz übergehen. Die Pfarrei Oberbreisig hat heute als einzige Kirche im Bistum Trier den Xantener Märtyrer Viktor zum Pfarrpatron. Ihres 950jährigen Bestehens als „Mutterkirche des Breisiger Ländchens“ gedenkt sie im Jahre 1991 in einer Vielzahl von Feiern, deren Höhepunkt im Herbst anläßlich des Festes des Pfarrpatrons die Konsekration des Altars sein wird.
Wie den großen rheinischen Domen in den Städten hat der Zahn der Zeit auch Sankt Viktor auf dem Lande viele Narben zugefügt. Schon in früheren Jahrhunderten, so erfährt man im Pfarrarchiv aus Berichten der Pastöre, bemühte man sich um Verbesserungen, indem man etwa die Außenwände durch Strebepfeiler stützte und im Kircheninnern noch heute vorhandene Verankerungen einzog. Nach umfangreichen Reparaturen zwischen 1903 und 1914 und einer Überholung vor zwanzig Jahren erfolgte jetzt eine neue äußere und innere Renovierung. In ihrem Mittelpunkt stand die Konservierung der Fresken durch polnische Restauratoren. Die Pfarrei kann ihre Feiern deshalb mit besonderem Stolz begehen. Denn nicht zuletzt der Spendenfreudigkeit der Pfarrmitglieder ist es – neben den Zuschüssen des Bistums sowie von Bund, Land und Kreis – zu danken, daß diese Arbeiten durchgeführt werden konnten. Sie lassen das Bauwerk und seinen größten Schatz, die fast 800 Jahre alten Wandmalereien heute wieder in alter Schönheit erstrahlen.
In das Bewußtsein der Öffentlichkeit, vor allem der Kunstwissenschaft, kam Sankt Viktor erst vor 150 Jahren, nachdem der Bonner Kunsthistoriker Franz Kugler in seinem „Handbuch der Kunstgeschichte“ auf das Gotteshaus als „kleine, aber elegante spätromanische Kirche“ hingewiesen hatte. Von der reichen Ausmalung liest man bei ihm zwar noch nichts. Denn Wandmalereien wurden erst 1849 entdeckt, als die Innenwände neu getüncht werden sollten und die alte Tünche abgeschabt wurde. Eine kurze Notiz in der Kölner Zeitung „Rheinische Volkshalle“ vom 16. August 1849 berichtete damals: ‚Oberbreisig, 10. August – Bei Gelegenheit des Übertünchens der hiesigen, sehr alten (10. Jahrhundert) im byzantinischen Stile erbauten Kirche wurden im Hauptchore, so wie an den beiden Seitenschiffen, Spuren von bedeutenden Freskogemälden entdeckt. Dieselben zeichnen sich durch ihre großartige Anlage, so wie durch die Frische und Pracht der Farben aus. An der linken Seite des Hauptschiffes befindet sich noch unter anderem ein ganz wohlerhaltener Kopf.“
Der damalige Landrat des Kreises Ahrweiler, P. J. Schrauth, war bereits einige Tage zuvor durch die mündliche Nachricht eines Augenzeugen aufgeschreckt worden. Er hatte daraufhin dem Breisiger Amtsbürgermeister Con-rads sofort befohlen, „unverzüglich dem Abschaben der alten Tünche Einhalt zu tun“ und alles zu veranlassen, die Gemälde und auch die etwa beschädigten Teile zu erhalten. Schrauth war nicht wenig erstaunt, in der Antwort des Bürgermeisters lesen zu müssen, er selbst habe bei einer Besichtigung „keine Spur von Freskogemälden“ auf den Wänden entdecken können. Pastor Castor dagegen antwortete dem Landrat, es hätten sich in der Tat Spuren von Gemälden sehen lassen; indes könnten sie nicht als Freskos angesprochen werden, weil „mit nassem Pinsel die Farben zum Durcheinanderlaufen gebracht worden“ seien.
Sankt Viktor Oberbreisig: Den Blick des Betrachters aus dem Mittelschiff beherrscht die große Darstellung des thronenden Christus.
Jakobus der Ältere. Patron der Pilger und Wallfahrer.
Bei dem Widerspruch der beiden „amtlichen“ Mitteilungen sah der Landrat keine andere Lösung des Problems. Anweisung zu geben, „den Tünchern ihre Arbeit fortgehen zu lassen mit der Auflage, fortan jedoch vorsichtiger und behutsamer zu Werke zu gehen“. Pfarrer Franz Josef Castor. der erst im März 1849 nach Oberbreisig gekommen war und hier dann zwanzig Jahre lang bis zu seinem Tode wirkte – sein Grabstein steht heute noch im alten Friedhof um die Kirche – bemühte sich bei den Behörden um Zuschüsse für eine „gründliche und stilgerechte Reparatur“, da die arme Pfarrei und die Einwohner die erheblichen Kosten allein nicht aufbringen konnten. Auch wenn er keinen Erfolg hatte, so vermittelten seine Berichte jedoch den Dezernenten bei der Bezirksregierung in Koblenz und der Provinzial-Ver-waltung in Düsseldorf das Wissen um die Bedeutung der Viktor-Kirche. Sie veranlaßten schließlich den 1891 ernannten ersten rheinischen Landeskonservator, Prof. Paul Clemen, zur Mobilisierung einer umfassenden Hilfe für die von Castors Nachfolger aufgegriffenen Pläne. Pfarrer Gotthard (1869 – 1902) konnte die Reparatur mit dem Kirchturm beginnen, die Pastöre Gadomsky (1902 – 1905) und Degen (1.905 – 1918) die Gesamtreparatur und die Renovierung der Fresken, die der Anderna-cher Maler Dyderski überraschend 1904 aufgedeckt hatte, durchführen und glücklich vollenden.
Nicht wenig zu dieser schnellen „Restauration“ und der wachsenden kunstgeschichtlichen Anerkennung trug der Architekt Jacob Mar-chand, Baurat an der Kölner Dombauhütte, mit einem von ihm 1902 veröffentlichten Aufsatz bei. Bei einem Erholungsaufenthalt in Breisig hatte er, wie er ausdrücklich anmerkte, die „kleine originelle Pfarrkirche“ in Oberbreisig bei einem Spaziergang „von kaum zwanzig Minuten durch ein von Weinbergen und Obstfeldern besäumtes anmutiges Tal“ entdeckt, die Kirche dann vermessen und ihre Außen- und Innenansichten skizziert. Kurz danach wurden die Fresken entdeckt und die begonnene Reparatur durch Prof. Clemen zu einer Gesamtrenovierung erweitert. Sie dauerte wegen zeitweisem Geldmangel und infolge des beginnenden Ersten Weltkriegs über zehn Jahre und konnte erst von seinem Mitarbeiter und Nachfolger als Landeskonservator, Prof. Edmund Renard, abgeschlossen werden.
Ihr Urteil über die Viktor-Kirche gilt noch heute und seit der neuen Renovierung besonders überzeugend: Sankt Viktor sei eine der „kunstgeschichtlich wertvollsten und instruktivsten spätromanischen Kirchen der Rheinlande. Obwohl nur eine kleine Landkirche, besteht ihr baulicher und kunsthistorischer Reiz in dem eigenwilligen Grundriß des Bauwerks und in den Wandmalereien aus romanisch-gotischer Zeit. die sie zu einem besonders interessanten Beispiel unterden Kirchen aus der Staufer-Zeit machen“. Den damaligen Baumeistern könne man wahrlich nicht nachsagen, sie hätten einen Mangel an Wagemut im Originellen besessen. Von ihnen sei zudem „ein Kircheninneres geschaffen worden, das alle Gewölbeschwierigkeiten zu besiegen wußte und in den bescheidenen Maßen der vorgegebenen Größe voller Harmonie wirkt.“
Christophorus mit dem Kind auf der Schulter.
Die Fresken von Sankt Viktor
Als die Einwohner in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Ersatz für ihr zerstörtes bescheidenes Gotteshaus eine neue Kirche am alten Platz erbauten, ließen sie das Innere durch Malereien und Bildgeschichten schmükken, die den Menschen des Mittelalters den Blick auf Wesensinhalte ihres Glaubens öffnen sollten. Auch den „Ungelehrten“, die nicht lesen und schreiben konnten und ihren Namen bei einer Unterschrift durch ihr „Hausmerk“ ersetzen mußten, sollten diese Bilder eine stets aufgeschlagene „Biblia pauperum“ sein wie eine der damaligen Armenbibeln mit Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament, wie sie für das niedere Volk und die ärmeren Geistlichen gedruckt wurden.
Die Ausmalung erfolgte in drei Zeitabschnitten: eine romanische entstand bereits unmittelbar nach Fertigstellung des Baues im 13. Jahrhundert, andere folgten zur Zeit der frühen Gotik und in spätgotischer Zeit. Fast alle Fresken haben sich bis heute erhalten. So findet sich im südlichen Seitenschiff unter einem fünfteiligen Fächerfenster eine Kreuzigungs-Gruppe mit Maria und Johannes. Die Zwickel der Gewölbe enthalten hier die Symbole der vier Evangelisten, deren Name lediglich auf einem Schriftband steht. Eine im Übergang zur gotischen Zeit entstandene Komposition stellt den hl. Jakobus den Älteren dar, eine schlanke Figur von jugendlicher Ausstrahlung mit betenden und knieenden Pilgern.
Zwei Fresken der Kirche schildern den Kampf mit dem Drachen. Als Drachentöter erscheinen der hl. Michael, einer der sieben Erzengel, in einer Chor-Nische und Sankt Georg auf dem Pfeiler des Südschiffs. Dessen Gegenseite trägt das Bild des überlebensgroßen Christophorus, das – neben Sankt Jakobus – nach seiner
Zu den Malereien, die aus der romanischen Zeit stammen, gehört eine große Darstellung des thronenden Christus im mittleren Gewölbefeld der Koncha, die den Blick des Betrachters aus dem Mittelschiff der Kirche beherrscht. Einen „Salvator mundi“. einen Christus in der Glorie, zeigt sie auf einem hellen, mit roten Sternen gemusterten Grund, auf einem Regenbogen thronend und mit Maria und Johannes zur Seite sowie mit Toten, die aus ihren Gräbern aufsteigen.
Eine bisher kaum beachtete kleine Kirche am Bildrand wurde schon von Prof. Clemen als Erinnerung an ein Bild gedeutet, das bereits zu romanischer Zeit die Apsis geschmückt habe -Erinnerung an eine 1198 von Truppen des Barbarossa-Sohnes Herzog Philipp vom Schwaben zerstörte ältere Kapelle, von der man im Unterbau des zeitweise als Fluchtburg dienenden Kirchturms später noch Reste von Bruchsteinmauern entdeckte.
Neu in altem Glanz
Die umfassende Renovierung der Fresken und der Gewölberippen im Innern, die im Herbst 1989 begann, läßt Kirche und Malereien heute wieder im alten Glanz erscheinen. Die Fresken waren stark verschmutzt und verrußt, die Malschicht mit Staub bedeckt, vielfach brüchig und abblätternd. Fast vier Monate lang war eine Gruppe polnischer Restauratoren – unter Leitung von Mag. Teresa Stankiewicz vier Konservatorinnen und je zwei Laboranten und Maler der Staatlichen Werkstätten für Denkmalpflege. Danzig – in Oberbreisig tätig. Allein für die Restaurierung des Christophorus – ein besonders eindrucksvolles Beispiel ihrer sorgfältigen Arbeit – benötigte man mehr als zwei Wochen.
Nur so wurde erreicht, daß der Betrachter der Fresken wieder ein Gesamtbild erhält, aber bei genauem Zusehen aus der Nähe der Fachmann hier wie bei den anderen Wandmalereien noch die Retuschen und die alten Originalflächen zu unterscheiden vermag.
Eine ausführliche Darstellung der Kirche und Pfarrei Sankt Viktor gibt der Verfasser in seinem Buch „Sankt Viktor Oberbreisig – 950 Jahre Mutterkirche von Breisig. – (110 Seiten. 108 Abbildungen)